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Hermann Mensing

So wahr mir Gott helfe .... Buchmesse revisited

6:50
Eine Wolkeninsel liegt über der Stadt, ein graublaues Luftbett, schläft keiner mehr drin, stehen alle und warten, dass der Bus sie zur Arbeit bringt. Ich steige ein, fremd in diesem Personenverkehr, Beobachtender. Und dann fahren wir unterm ansonsten blankgeputzten Himmel, die Arbeitsplätze sind längst hell erleuchtet und schlingen jetzt jeden, der sich ihnen nähert. Mich nicht, ich bin seltsam frei, auf Gedeih und Verderb an das Einkommen meiner Frau gebunden, dem ich meines hinzufüge.

8:21
Sich zu Markte tragen. Sein Angebot ausstaffieren. Wichtig ist: bloß kein Mundgeruch.

10:43
Leicht kühles Gesäß auf grauem Plastikdesignstuhl der Pasticceria in Frankfurt am Platz der Republik.
Eine schöne Italienerin serviert Cappuccino. Sie ist in meinem Alter, hat einen dicken Arsch, aber ihre Augen glühen das weg, wenngleich sie mit Wehmut lacht, als erinnere sie sich an ihre Schönheit von damals.
Vielleicht sollte jemand kommen und ihr sagen, dass sie immer noch schön ist.

Das Reise auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse nach Frankfurt entbehrt jeden Reiz. Der Fluss wird nicht mehr überquert, und vom schönen Land links und rechts bleibt oft nicht mehr als eine Sicht- und Schallschutzblende. Einzig erfreulich ist die Freude darüber, wie der Zug spielend große und größte Limousinen auf der parallel zur Bahntrasse verlaufenden Autobahn überholt, als sei das nur Auftakt für noch Schnelleres. Mobiles Telefonieren gleicht einem Glücksspiel. Antwort kommt, Antwort geht, aber alle sind ständig mit ihren mobilen Geräten beschäftigt.

13:00
Wenn man sitzt und beobachtet, wie der Autor mit seiner Lektorin spricht, wenn man ihn austauscht und sich selbst an seinen Platz setzt, wird einem schnell schlecht.
Diese hündischen Blicke, das plötzlich charmante Parlieren, all die Geschichten, die man den überforderten Lektorinnen um die Ohren haut.
Die Köpfe werden ihnen schwirren am Abend von all den auf sie nieder geschlagenen Hoffnungen.
Dabei gibt es nichts, was sie gegen den Kleinmut ihrer Verleger tun könnten, angenommen, sie wollten.

Ich sitze am Stand des ... Verlages und schaue auf den Rücken der Frau, die mir schrieb, man habe Interesse an der "Birkenbande", worauf ich ihr das Manuskript schickte.
Sie ist Mitte zwanzig, nicht älter, sie ist mollig, und sie weiß noch nicht, wer da hinter ihr sitzt.
O Gott, denke ich.
Muss ich mir das antun.
Muss ich mit noch pubertierenden Pummelchen meine Literatur diskutieren.

13:15
Auf der Restaurantebene der Halle 3 vor einem Teller Grünzeugs mit Schafskäse unter der vibrierenden Glocke vieler Gespräche.

13:35
Leser, erfuhr ich von Frau ..., die für den ... Verlag arbeitet und an meiner Arbeit interessiert ist, Leser sind weiblich, daher gäbe es eine gewisse Zurückhaltung, mein Fußballbuch in Lizenz herauszugeben. Zudem seien Fußballbücher immer mal wieder in, dann wieder nicht.
Im übrigen aber das Gefühl, dass ich mit meiner zukünftigen Arbeit dort nicht schlecht aufgehoben wäre.
Ich denke vor allem an Texte zu Bilderbüchern, die ich mit ... realisieren könnte.
Traf ihn vorhin am Stand meines Hausverlages.
Wir werden zusammen kommen! Wir werden dicke Eier legen!!!

13:40
Der Autor ist eitel. Eitelkeit ist eine der Ursünden, also nichts Ungewöhnliches. Das vorab.
Nun stellen Sie sich bitte vor, wie ich mich freudig erregt dem Stand meines Hausverlages nähere. Der Grund meines Kommens ist mir nicht restlos klar, denn neue Verträge werde ich heute nicht abschließen, so etwas geschieht auf der Messe nie oder nur selten.
Es geht wohl nur darum, Guten Tag zu sagen, informelle Gespräche zu führen, Kaffee miteinander zu trinken, und meiner Eitelkeit zu frönen.

Ich komme also beschwingt, ich werfe einen Blick auf den Stand (der im Vergleich zu den Ständen der coolen Verlage eher uncool ist) und habe sofort erfasst, dass nicht einer meiner drei Romane, die dort in den letzten zwölf Monaten erschienen, ausgestellt ist.
Jeder Autor erfasst so etwas mit einem, höchsten zwei Blicken.
SCHOCK!!!

14:10
Herr ..., Chef meines Hausverlages, versteht folgenden Witz nicht:
Österreich hat jetzt drei weltbekannte Persönlichkeiten, Mozart und Schwarzenegger.
Meine Lektorin versteht ihn auch nicht.
Kein Angestellter meines österreichischen Verlages versteht ihn auf Anhieb.
Erst, als ich meine Zuhörer auffordere, über Braunau nachzudenken, dämmert es ihnen.
Der Chef sagt: ach ja, der hat Karriere in Deutschland gemacht.
Die Cheflektorin sagt: das ist gemein.

Ich stelle allen Anwesenden ein Ultimatum.
Ich sage, wenn ihr bis morgen meine Bücher nicht präsentiert, komme ich mit einem Kanister Benzin, dann sollt ihr mal sehen.
Sie lachen.
Sie präsentieren verschiedene Ausreden.
Sie sagen, sie wären nicht zuständig für die Gestaltung des Bücherstandes, es wäre ihnen noch gar nicht aufgefallen, sie hätte schließlich zweihundert Neuerscheinungen pro Jahr, klar, blöd ist das, das gäben sie zu.
Also bis morgen, sage ich.
Benzin, klar!

Nicht ein Gespräch, das nicht früher oder später unterbrochen worden wäre.
So gelingt es mir weder, die Geschichten vom Mohren zuende zu erzählen, noch, dem Chef des Hauses meine Probleme mit der diesjährigen Abrechnung darzulegen.

Jeder der hier Anwesenden (bis auf die Autoren, nehme ich an) hat einen Terminkalender, der den Tag in Halbstundenblöcke staffelt. Und so rennen die Armen von hier nach dort, müssen freundlich sein und einen guten Eindruck hinterlassen und möglichst gewinnbringende Geschäfte einfädeln.

Die Talsohle, sagt der Chef des Hauses, sei durchschritten. Zum ersten Male seit zwei Jahren schreibe man wieder schwarze Zahlen, mache den gleichen Umsatz mit weniger Neuerscheinungen.
Toi toi toi!!! sage ich.

16:00
Wieder in der Pasticceria am Platz der Republik. Werde Grappe trinken und einen Espresso. Werden den Krähen nachschauen, die die Glaspaläste umfliegen und böse rufen dabei.

Ob ich ein Pferdebuch schreiben wolle, wurde ich u.a. gefragt, wie es denn damit sei, im Gesprächsprotokoll der Frau ... habe das gestanden.
Nein, sage ich, habe noch nie auf einem Pferd gesessen.
Und der historische Roman? Wie stünde es damit? fragte Frau ....
Hub an, ihr davon zu erzählen, wurde aber (siehe oben) irgendwann unterbrochen.

So oder so ist Leben, so oder so ist die Welt, dachte ich, denke ich jetzt, am Platz der Republik sitzend, notierend, den Tag nachschreibend. Nichts, was man tun könnte, was nicht längst getan ist.
Hoffnungen fluten in alle Himmelsrichtungen.

Er ist noch jung, hält in der erhobenen rechten Hand eine Literflasche Fanta-Orange, links einen Hamburger, in den er ab und an beißt, er taumelt trunken bei Rot über die viel befahrene Straße, wobei er die Fanta-Flasche wie eine Fackel reckt: Freiheit, denkt er, sei das, dieses Taumeln bei Rot, er erreicht die andere Straßenseite, aber wer weiß, wie lang das noch gut geht.

Abenteuer-Roman // Pferdebuch (Hühhühhüüüü) // Illustrator // Neuer Verlag //

17:10
Möchten Sie vielleicht auch eine Wurst, frage ich den Landstreicher, der auf Bahnsteig 10 neben seinem hochbepackten Rad steht, ein Fuzzi wie aus meinen Kindertagen.
Ja, sagt er. Und: Meine Dreizimmerwohnung ist das (zeigt auf das Rad) ich mach Platte.
Dann halten Sie mal, sage ich und reiche ihm mein Wurstbrötchen mit der Krakauer (Schwein und Rind, erklärte mir der junge schwarze Verkäufer auf meine Frage nach dem Unterschied zwischen Krakauer und Thüringer. Letztere bestehe aus Schwein), während ich mein Portemonnaie nehme, um ihm Geld zu geben.
Ich will heute nach Langenberg, sagt er, und wohin fahren Sie.
Münster, sage ich.

17:40
Erniedrigung des Alters: habe heute zum ersten Mal in meinem Leben auf Grund eines Irrtums beim Lesen der großen Anzeigentafel in der Bahnhofshalle meinen planmäßigen ICE verpasst.
Las Gleis 10 statt Gleis 19.
Als ich gegen 17:24 schließlich bemerkte, dass etwas nicht stimmt, zwei Minuten vor der tatsächlichen Abfahrt meines Zuges, als ich los lief, meinen Irrtum feststellte und mich eiligst zum Gleis 19 begab, sah ich meinen Zug gerade davon fahren.
Nun werde ich nachzahlen müssen, denn ich hatte fest gebucht und im Tarifdschungel der Bahn gilt, dass das Viertel Ersparnis nur geltend gemacht werden kann, wenn man auch zur gebuchten Zeit fährt.
Scheiße!

18:50
Meiner ersten Niederlage ist keine zweite gefolgt. Blickkontakt mit dem Schaffner, der fragte, wieso ich nicht mit dem voraus gebuchten Zug gefahren sei, meine Erklärung, sein kaum sichtbares Nicken, mein Ticket wird geknipst, ein schnelles Lächeln, danke, und schon ist er weiter.
Der Taunus, der Westerwald: aufsteigender Nebel, weiches Rollen, in Tunneln blaues Blitzen.

19:40
Regionalexpress. Halt in Op-la-den.
Angesagt von einem beängstigend schläfrigen Bahnmitarbeiter, jemand, der in Krematorien die nächste Kremierung ansagen könnte: Jetzt in Ooofen 3: Heeer-mann Men-sing.
Man würde ihn nie sehen, nur diese schläfrige, emotionslose Stimme hören, bei der nie auszuschließen wäre, dass sie endgültig stockt und nicht weiter will. Jahre lustloses Bahnfahren hat dieser Mann hinter sich, Jahrzehnte vielleicht, und wie er Op-la-den sagt, macht ihm so schnell niemand nach.
Nächs-ter Haaalt: Sooo-lin-geeen Oh-ligs.

Und nun die letzte, entscheidende Erkenntnis im Hinblick auf die soziale, gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers für diesen Tag:
Die Eintrittspreise der Buchmesse!!!
Sie sind wie folgt gestaffelt:
Der Autor (von dem hier alle leben, ohne den dieses Spektakel nie stattfinden könnte) der Autor, der Urheber also, wird nicht etwas umsonst hereingelassen, wird nicht bei einem kleinen Sektempfang verwöhnt, nein, der Autor zahlt den höchsten Eintrittspreis: 30 Euro.
Der Sortimenter zahlt 20 Euro.
Der Buchhändler schließlich zahlt 15 Euro.

Ist das ermunternd? Erheiternd? Macht das Hoffnung?
Haben Sie sich das selbst ausgesucht, Herr Mensing?
Ja, das habe ich. So wahr mir Gott helfe.


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