November 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten Eintrag


Sa 1.11.08 19:38

Herr, du kennst mich, ich muss dir nichts mehr erklären, also hör zu: sollte es deinem weisen Ratschluss noch einmal gefallen, mir meine Halbcousine Astrid auf den Hals zu schicken, damit sie von 11:30 bis 19:15 ohne Punkt und Komma auf mich einreden kann, werde ich Gotteshäuser zerstören und meine Cousine erschlagen. Du bist gewarnt...

 

So 2.11.08 11.49

Das große Haus war erleuchtet, als ich auf den Parkplatz fuhr. Schwarze Limousinen. Festlich gekleidete Menschen, die dem Eingang zustrebten. Ich war der erste der Working Worms. Ich klopfte an die Lieferantentür neben der Küche. Ein junger Mann öffnete. Ich erklärte ihm, ich sie von der Band und wolle mein Instrument ins Haus tragen. Er zögerte einen Moment, dann holte er einen Keil, damit die Tür nicht ins Schloss fiel. Ich trug mein Schlagzeug in den Flur. Die übrigen Bandmitglieder kamen. Wir erkundeten das Haus. Wo war denn nun die Geburtstagspary? In einer Bibliothek war ein Buffet aufgebaut. Von der Bibliothek ging es in einen großen Raum. Er war voller Menschen. Wir atmeten durch. Wir waren in die feine Gesellschaft geraten und sofort beschlichen uns Zweifel, ob die unsere Musik witzig fände. Wenig später trafen wir auf den Gastgeber und das Geburtstagskind, seine Frau. Sie wurde 50.

Sie begrüßte uns lallend. Ich erschrak. Bei manchen Worten hing ihre Zunge aus dem linken Mundwinkel in ganzer Länge heraus. Ich brauchte einen Augenblick, eh ich begriff. Sie war halbseitig gelähmt. Im Verlauf des Abends wuchs meine Bewunderung für sie und ihren offensiven Umgang mit ihrem Schicksal.

Auf unsere Zweifel angesprochen, sagte der Gastgeber, wir sollten uns keine Sorgen machen, seine Gäste würden unsere Musik lieben, das wären alles liebe Menschen. Ich sah einen CDU Politiker, den ich manchmal im Fernsehen sehe, ich sah einen frisch gekürten Bischof, ein Mitt- bis Enddreißiger mit schweißglänzendem Eierkopf.

Wir bauten unsere Instrumente auf. Unser Keyboarder stellte sein Fender Rhodes übers Eck mit dem Steinway Flügel. Es wurden Reden gehalten. Es wurden Spiele gespielt. Die Kinder des Geburtstagskindes sangen ein Loblied auf die Mutter. Eine Sängerin, ein Pianist und ein Chor sangen ein Schubert Lied. Zwischendurch und danach spielte Albert Early Bird und die Working Worms seine seltsamen Potpourris. Wir waren ein wenig zurückhaltender als sonst, wir hatten schon auf merkwürdigen Veranstaltungen gespielt, aber diese war mit Abstand die merkwürdigste.

Ich wusste nicht, ob ich neidisch sein sollte oder nicht.

Der Gastgeber und seine Frau haben fünf Kinder. Alle schienen wohl geraten. Alle waren höflich. Alle ruhten in Gott, jedenfalls schwang Gott immer mit, wenn geredet wurde. Ich dachte, so ist das also, so funktioniert eine gottesfürchtige, besser gestellte Familie....

Dann war ich nicht mehr neidisch, denn ich begriff, dass hier mit großem Aufwand eine Fassade gewahrt wurde. Was dahinter war, konnte ich nicht erkennen. Davor aber war man höflich. Glaubhaft freundlich. Tolerant. Mir machte es zunehmend Spaß, zu spielen. Es zeigte sich nämlich, dass eine beträchtliche Zahl der Anwesenden gut fanden, was wir da von uns gaben. Vor allem Smoke on the water und das Medley aus Paint it black und Brennend heißer Wüstensand kamen sehr gut an. Erstaunlich, oder? Jemand bat mich um meine Karte. Er sei aus W. und wolle sich bemühen, uns dorthin einzuladen. Wir spielten eine so schöne Musik.

Ich fürchte, die haben keine Ahnung, denn ich kenne ja eine Menge Musiker, die auf technisch unvergleichlich höherem Niveau spielen als wir. Was wir tun, mag ungewöhnlich sein, ich meine, wer spielt schon Highway to hell und Ballade pour Adeline in einem Stück, aber bitte, mir soll es recht sein.

14:00

Das große Haus ist Tagungs- und Kongresszentrum der katholischen Kirche. Der Gastgeber ist Leiter dieses Hauses. Ich bin etwa fünf, sechs Jahre älter als er. Seltsam. Ein alter Mann und zwei junge Männer, Mitglieder einer Band, spielen auf einer Geburtstagsfeier der gehobenen Gesellschaft merkwürdige Lieder. Ich staune immer wieder.

Ich glaube, unsere Zuhörer staunten auch.

Einmal musste sich das Geburtstagskind auf einen Stuhl setzen. Vor ihr die Gäste. Dann gingen zwei "Nummerngirls" mit Pappschildern herum, auf denen Fragen standen. Das Geburtstagskind konnte diese Fragen nicht sehen.

Die Fragen lauteten z.B.: Wer ist durch seine Führerscheinprüfung gefallen? Das Geburtstagskind musste herausfinden, was die Menschen, die aufstanden, miteinander gemein hatten. Sie machte das sehr gut. Der CDU Politiker war auch einmal durchgefallen. Der Bischof ebenfalls. Bei dem wunderte es mich nicht. Andere Fragen lauteten: Wer kann seine Zähne in die Hand nehmen? Wer hat mehr als zwölf Semester studiert? Wer ist einmal sitzengeblieben?

 

Mo 3.11.08 12:25

Ich fürchte, ich habe mein Herz verloren. Ich weiß, man sollte vorsichtig sein, wenn man so alt ist wie ich, aber ich habe mich auf Anhieb verliebt. Er ist schön, er ist schlicht, vor allem aber klingt er gut. Er klingt so gut, wie ich lange nichts mehr habe klingen hören. Man hat ihn mir geliehen. Ich solle ihn ausprobieren, hat man mir gesagt, und jetzt sitze ich hier und staune, wie gut er das Panorama einer modernen CD abbildet, wie warm gerade die Dobro klingt und wie das Banjo schneidet.

Mein alter hat von einem Tag auf den anderen den Dienst verweigert. Sein Laser scheint abgenutzt. Ob ich den neuen behalte? Natürlich behalte ich ihn. Ich höre nämlich gern Musik und ich höre immer zu, wenn ich Musik höre, ich höre Musik nie als Hintergrundgeräusch, das kann ich nicht, entweder höre ich oder ich schalte aus. By the way: mein neuer Liebhaber heißt NAD C521BEE.

Meine Liebhaberin hingegen ist noch immer die alte.
Und sie ist noch immer ein Rätsel. Hallo. Hallo hallo. Huhuuuuuu!

Di 4.11.08 10:13

In den später sechzigern, Anfang der siebziger saß Muse M. oft mit Udo L. bei Fandrich, eine Kneipe unterm evangelischen Kirchturm in Gronau. Sie saßen da und sprachen über seine Texte. Das war kurz bevor seine erste Platte erschien. Sie hieß Lindenberg und Udo sang damals noch Englisch. Ich war zu jener Zeit mit den Vorbereitungen für meine Weltreise beschäftigt. Falls ich überhaupt Vorbereitungen getroffen habe. Ich war mit Udos Schwester befreundet, und hätte die gesagt, bleib doch hier, Hermann, wer weiß, ob ich meinen Arsch je in die Welt hinaus gestreckt hätte. Aber zum Glück hat sie es nicht gesagt, wir waren keine großen Liebenden, wir waren nur vorübergehend miteinander Beschäftigte auf die ein oder andere Weise. Wir fuhren mal hierhin und dorthin, unter anderem auch nach Hamburg, wo Udo schon lebte.

Soweit die Vergangenheit.

Die Gegenwart bringt mich aufs nächtliche Sofa. Ich habe gelesen und jetzt schaue ich mir Udo 2008 live in der Hamburger Color Line Arena an. Ich habe keine großen Erwartungen. Seine letzte Platte hatte mir gefallen, aber ich hatte sie nicht gekauft, nie gefallen hingegen hatte mir die Art seiner öffentlichen Auftritte, dieses dümmliche Herumreden und Posen, sein Markenzeichen. Umso erstaunter war ich, ihn in Bestform zu sehen. Keine Sprüche, eine straffe Choregraphie, bei manchen Lieder sogar so etwas wie Rührung. Das freut mich. Schließlich gehört Udo zu meiner Sozialisation. Die Bismarckstraße. Gronau. Udo. Enschede. Das sind nur ein paar Eckpunkte, aber wichtige.

So wichtig, dass ich am Freitag nach Gronau fahre. Ich fahre dorthin, weil jemand aus der Bismarckstraße gestorben ist. Als das letzte Mal jemand aus der Bismarckstraße starb, meine Mutter, waren die Überlebenden dieser Straße alle auf ihrer Beerdigung und schworen, dass man sich einmal träfe, um über die alten Zeiten zu sprechen. Daraus ist nichts geworden. Nun also ist wieder jemand tot, und falls es uns gelänge, ein Treffen der alten Bismarckstraße zustande zu bringen, dessen Grund kein Todesfall wäre, wäre der Kreis schon wieder enger. Dabei handelt es sich nur um die Bewohner von 10 Häusern und deren sentimentale Erinnungen an Sommerabende, an die Gärten vorm Haus, an die Jugend wahrscheinlich.

12:27

Alltag

Sehr geehrter Herr Mensing, vielen Dank für das Angebot Ihres Manuskripts "Der verlfuchte Fluss" und Ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem ...Verlag. Unsere Bücher erscheinen fast ausschließlich in festgelegten Reihen - zum Beispiel "Leselöwen", "Lesefant" oder "Bildermaus". Deshalb sind wir, was Form und Inhalt angeht, sehr stark an bestimmte Vorgaben gebunden. Inhaltlich und gestalterisch werden unsere Buchreihen in der Regel hier im Haus konzeptioniert, wobei wir uns streng an den Anforderungen des Buchmarkts orientieren. Die Einzelbände werden dann in Zusammenarbeit mit den Autoren und Illustratoren entwickelt. Ich hoffe Sie nicht allzu sehr zu enttäuschen, wenn ich Ihnen mitteile, dass wir für Ihr Manuskript keinen Programmplatz haben. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach einem geeigneten Verlag. Mit freundlichem Gruß...

 

Mi 5.11.08 10:59

Guten Tag, ich bin ihr neuer Präsident, vorausgesetzt, Sie sind Amerikaner. Ich muss Ihnen allerdings etwas gestehen. Nicht alles, was ich im Wahlkampf gesagt habe, wird zu verwirklichen sein. Eigentlich kaum etwas. Fast gar nichts, denn als Präsident kann ich die herrschenden Zustände natürlich nicht von heute auf morgen umkrempeln. Das könnten nur Diktatoren. Seien Sie dennoch nicht traurig, denn immerhin bin ich schwarz. Und was diesen Krieg angeht (manche sagen, diese Kriege), den (die) mein Vorgänger aus dem Hut gezaubert hat, nun, ich werden sehen, was sich machen lässt. Amerika braucht jedoch in jedem Fall sicheren Zugang zu Öl, geben Sie sich da keinen Illusionen hin. Danke. Danke für Ihren Zuspruch. Danke, dass Sie mir auf den Leim gegangen sind. Danke. Danke. Danke.

16:08

Wegen aktuellen Lichtmangels suchen Menschen verzweifelt nach Linderung.

Herr H. aus M. versucht es mit diesem Objekt.

Herr M. aus G. fand Hilfe bei diesem leuchtend roten Kaninchen.


Do 6.11.08 10:14

Statt der großen Helden, der Helden der Hoffnung, der Helden der kleinmütigen Drohungen, der Helden der Rache, der Helden des Kapitals und dessen Rettung etc. pp., gedenke ich für einen Augenblick meinem Postboten, der uns seit Jahren und Jahren beliefert und das selbst um diese Jahreszeit noch in kurzen Hosen.

Es sei, sagt er, einfach zuviel zu tun und so fühle er sich am wohlsten. Er kennt das Wort Krise nicht, er beliefert jeden Briefkasten mit überflüssigen, von niemand gewollten Hochglanzprospekten, die uns suggerieren, noch mehr Dinge zu kaufen, die unnütz sind, so unnütz wie die geschätzten 90% aller Dinge, die uns umgeben. Damals, als er sich ein Bein gebrochen hatte und die Post mit täglich wechselnden Postboten geliefert wurde, erkannte ich, was ihn von den übrigen unterscheidet und seitdem schätze ich ihn.

Er ist also heute mein Held, während die Zeitung von anderen spricht, vor allem von einem, der ein wahrer Herkules sein müsste, könnte er auch nur einen Bruchteil der auf ihn projizierten Erwartungen erfüllen. Alle Zeitungen sind voll von ihm, alle Welt scheint verzückt, sogar der Himmel, der gestern noch knapp über den Dachfirsten hing, hat sich heute ein wenig gehoben und wer weiß, vielleicht scheint später sogar noch die Sonne.

Meine Tage gleiten dahin. Ich könnte eine Kurzgeschichte schreiben, ich könnte beginnen, das Drehbuch für die Sackgasse 13 auszuarbeiten, aber die Wahrheit ist: seit ich in diesem Sommer Pop Life geschrieben habe, fehlt mir der Druck, etwas neues auf Kiel zu legen.

Ich schätze, ich werde warten müssen wie ich immer gewartet habe. Deshalb lese ich viel und trödle. Vorgestern erhielt ich zwei Romane, die im Luftschacht Verlag erschienen sind, meinem zukünftigen Verlag. Der eine heißt Meilengewinner von Stephan Alfare, der andere Fausts Fall von Manfred Rumpl. Beide gefallen mir. Beide will ich gern empfehlen. Den ersten habe ich an eineinhalb Tagen durchgelesen, den zweiten habe ich gestern abend begonnen und werde jetzt gleich weiter lesen.

Spricht das für mich? frage ich mich.
Spricht es für mich, das mein Roman im Frühjahr 2009 im Luftschacht Verlag erscheint?

Ja. Ja. Ja.

12:56

Schlage das letztgenannte Buch auf und finde darin zu meinem Entsetzen seltsame Wurmfortsätze.

 

Fr 7.11.08 13:02

Der jüngste Sohn war in Amsterdam und hat im Paradiso Mike Skinner und The Streets gesehen. Jetzt liegt er im Bett und verdampft die Nacht. Ich war auf einer Beerdigung. Ich wurde Zeuge der Rituale, derer sich die katholische Kirche bedient. Das Bimmeln, worauf der Priester erscheint. Die zeremoniellen Handreichungen mit verschiedenen Krügen und Schalen. Das Händewaschen und Abtrocken. Der Singsang des Priesters. Das ständige Aufstehen und Hinsetzen der Gläubigen, die nur hoffnungslose Fälle sein können, denn offenbar glauben sie, sie würden, vorausgesetzt, sie leben noch, nachdem der Herr auferstanden ist, auf Wolken hinan fahren und dort oben ihre Verstorbenen wiedertreffen. Und dann das Wasser/Wein Brot/Leib Ritual. Eindringliches Gebimmel diesmal, damit es auch der Letzte kapiert und sich demütig auf den Weg nach vorn macht, um das Heilige Abendmahl zu sich zu nehmen.

Na dann Prost und Guten Appetit.

Sie merken, ich gehöre diesem Bund der Gläubigen nicht an, wenngleich ich mir schon vorstellen kann, wie schön es wäre, gläubig zu sein, aber das funktioniert bei mir nicht. Der Herr hat da irgendeine Schranke eingebaut, und da er der Herr ist, wird er wissen, wieso.

Ich saß weit hinten, ich sah, wie die Kirche sich langsam füllte und ich hielt Ausschau nach Gesichtern. Die Tochter des Lehrers L. habe ich gleich erkannt. Und als irgendwann der Bruder der Verstorbenen kam, wusste ich auf den Punkt, dass er's ist und wie er heißt. Das wusste ich gestern abend noch nicht. Auch ihre Schwestern erkannte ich sofort.

Aber die meisten Anwesenden waren zehn bis zwanzig Jahre älter als ich. Sie werden, falls überhaupt, mich nur als kleinen Jungen gekannt haben, während ich sie wahrscheinlich nirgendwo mehr abgespeichert habe.

Der Organist litt an der üblichen Kirchenorganistenkrankheit: er schleppte. Vom innigen Willen beflügelt, der Gemeinde nicht davon zu eilen, hatte er sich entschlossen, sie zu verschleppen, umsonst, denn die Gemeinde schaffte es, noch langsamer zu sein.

Ein Lied klang, als wäre es Pop.
Vielleicht war es eines dieser Lieder, die Pit Janssen, mit dem ich in den frühen 80ern auf Kirchenmusiktour war, geschrieben hat. Spätes Wiederhören also.

Verschärftes Bimmeln jetzt, erneutes Aufstehen, manche knieen, vorn vollzieht sich das Wunder der Wandlung. Gut, da kann und will ich nicht mitreden, aber festhalten kann ich, dass die Rituale der katholischen Kirche einen viel höheren Unterhaltungswert haben als die der protestantischen.

Eine Viertelstunde darauf gibt es den Abschied vom aufgebahrten Sarg in der Friedhofskapelle.
Draußen vorm Tor kondoliere ich und alle freuen sich, dass der Hermann aus der Bismarckstraße gekommen ist, vor allem die Verstorbene, sagt eine der Schwestern, die würde sich freuen.

Eine weitere Viertelstunde später sitzen alle bei Kaffee, Schnittchen und Kuchen. Die Menschen an meinem Tisch spucken beim Sprechen kleine Brotkrümel durch die Gegend und sind sehr interessiert an mir. Kein Wunder. Ich bin jung und schön. Aber sie sind, jedenfalls die ein oder andere, auch schön, dass kann ich jetzt, wo ich selbst fast sechzig bin, sehen. Früher hätte ich sie für hirnlose Tattergreise gehalten. Als ich gehe, höre ich noch, dass jemand sagt, ich wäre aber elegant angezogen. Das kann nur daran liegen, dass ich, im Gegensatz zu vielen anderen Männern, die von ihren Frauen angezogen werden, meine Kleidung selbst aussuche.

Fazit: ich bin nicht gläubig, aber emanzipiert.

 

Sa 8.11.08 9:38

Der Autor will auf dem Klappentext seines im Frühjahr erscheinenden Romans Pop Life gut aussehen.
Er will sich interessant machen. Interessanter als er ist. Er stilisiert sich. Etwa so:

17:18

Ich war auf der Musik Produktiv Messe in Ibbenbüren. Rock Musik ist nicht mehr als eine Spielwiese für egomanische Poser, jedenfalls könnte man das glauben, wenn man sieht, wie sie sich an den Ständen drängen und ungefragt Gitarren, Bässe, Keyboards und Schlagzeuge traktieren. Am Stand für elektronische Schlagzeuge prügeln sie auf die Sets ein, dass es seine Art hat. Ich tue mir längst leid, dass ich hergekommen bin, an die Verkäufer in den Boxen ringsum mag ich gar nicht denken.

An einem der Elektronik-Schlagzeuge sitzt ein Mittdreißiger, nicht größer als 165, breitschultrig, untersetzt, sehr untersetzt. Was er auf seinen Kopfhörern hört, scheint ihn zu begeistern, was ich höre, ist nicht begeisternd, er aber trommelt, als ginge es um sein Leben. Sein Miene spiegelt die hochkarätige Band, der er gerade den Groove liefert, die vielköpfige Menge vor ihm in irgendeiner Großarena tobt und mit jedem Achtel zuckt seine fette Zunge vom linken in den rechten Mundwinkel und beschreibt auf dem Weg Kapriolen in die Vertikale. Später sehe ich ihn noch einmal. Er geht herum und scheint noch immer beeidruckt.

 

So 9.11.08 11:38

Man möchte jubeln, Hurrah schreien und sich vor Freude in den Arsch beißen, was könnte man nicht alles tun, um die Freude noch zu steigern, aber man hält sich zurück. Man jubelt, schreit Hurrah und beißt sich vor Freude in den Arsch, man jubelt, weil es einem gelingt, nichts auszuplaudern, man jubelt, schreit Hurrah schreit und beißt sich.... Man sagt, siehste, alles ist zyklisch, ob man will oder nicht, alles fängt an und hört auf und fängt wieder an. Und das Irrste daran ist: es passiert. Ob man will oder nicht: es passiert. Also jubelt man, schreit Hurrah und beißt sich vor Freude in den Arsch. Und sagt nichts.

Hääääää....

13:50

Und so langsam wächst das Reisefieber. Schließlich hat man Wege zu gehen, man muss wissen, wie man von A nach B kommt und von dort, nur zwei Stunden vor Eincheckzeit, weiter nach C., welche Hindernisse gilt es zu überwinden, in welchem Takt bewegt sich der öffentliche Wiener Verkehr, was geschieht, wenn man eine Bahn verpasst und die nächste kommt später, schafft man es dann noch zeitig, und vor allen Dingen, hat man für das Gespräch vorher die richtigen Antworten, obwohl man doch die zu erwartenden Fragen nicht kennt, und angenommen, man würde sie kennen, hätte man sie dann? Zum Glück hat man ein wenig vorgearbeitet, am Telefon hat man gesagt, dass man über seine eigene Arbeit so gut wie nichts Konkretes weiß, man mache sie, mehr wäre nicht zu sagen. Vielleicht war das klug, vielleicht auch nicht, zumindest war es die Wahrheit. Und dann hofft man, dass auch Das schwarze Buch einen Verleger findet. Das wäre schön.

14:34

Am Stand von Porkpiedrums (made by an American) nehme ich mir einen Prospekt, worauf ein Vertreter der Firma mich fragt, ob ich Englisch spräche. Yes, sage ich. Darauf schreibt er mir die Webadresse seiner Firma auf, wir sprechen ein wenig übers Trommeln im Allgemeinen und im Besonderen, und ich will ihm sagen, dass ich schon seit dreißig Jahren ein Tama Superstar spiele, aber mir fällt das nicht ein. Erst vor drei Tagen habe ich das Set wieder aufgebaut, das nach dem Albert Early Bird Gig eine Woche im Keller gestanden hatte, drei Tage ist das her und mir fällt TAMA nicht ein, während ich, als ich Freitagmorgen den Bruder der Verstorbenen nach 50 Jahren zum ersten Mal wiedersah, sofort wusste, dass er Hans heißt. Seltsam. TAMA? sagt er Vertreter der Firma. Ich nicke verschämt.

17:49

Hier sind sie, die letzten acht Blätter der japanischen Kirsche.
Heute früh waren es noch neun.

 

Mo 10.11.08 12:41

Die Warteschlange vor der Kasse ist lang. Vor mir eine Mutter mit Tochter. Die Tochter ist etwa zwei Jahre alt. Die Mutter spricht mit einer anderen Mutter. Die Tochter macht sich an einen links neben der Warteschlange aufgebauten Stapel mit Überraschungseiern heran. Die Mutter sieht es. Die Tochter ritzt die dünne, die Schokolade umgebene Folie und kratzt mit dem Finger an der Süßigkeit.

Die Mutter sagt: Lili, geh da weg.

Die Umhüllung des Eis ist auf 10-Cent-Größe aufgerissen. Lili quängelt und geht weg. Die Mutter spricht weiter mit der anderen Mutter. Lili steht schon wieder vorm Ei und macht da weiter, wo sie aufgehört hat. Jetzt ist das Loch in der Folie so groß wie eine Briefmarke. Lili reibt die Zeigefingerspitze an der Schokolade und lutscht den Finger ab. Die Mutter spricht mit der anderen Mutter. Dann zerrt sie Lili weg. Lili quängelt, reißt sich los und rennt davon. Die Mutter fängt sie ein, trägt sie zurück zur Schlange, stellt sie neben sich und redet weiter mit der Mutter. Lili schleicht sich davon und macht da weiter, wo sie aufgehört hat.

 

Di 11.11.08 14:15

Ich bin weg....

 

Fr 14.011.08 9:26

Ob es sich in eine günstige Strömung gelegt oder die Geschwindigkeitsgrenze nicht eingehalten hat, wer weiß, jedenfalls taucht die Boing fast 40 Minuten zu früh in den dichten Nebel, der die Hauptstadt vertuscht an diesem Morgen. Von unsichtbaren Leitsignalen geführt überquert sie, jetzt plötzlich sichtbar, einen Fluss, die Donau, denkt der Autor, eine Autobahn, die Ostautobahn, einen Auenwald, und landet ein wenig zu hart.

Wien. Österreich. Nebel.
Das passt, denkt der Autor. Außen zuckrig, innen braun: Österreich.

Ankunft. Arrival. Cafe Wien:

Er bestellt eine Melange und einen Berliner, Krapfen, wie man hier sagt, ruft seinen Verleger an und vereinbart, dass er nun doch mit dem CAT in die Stadt fährt und man sich wie ursprünglich angedacht, im Cafe Roth trifft.

Der CityAirportTrain, so etwas hatte Edmund Stoiber wohl imaginiert, als er seine berühmte Rede hielt, dass man am Hauptbahnhof eincheckt und dann in zehn Minuten ... Sie erinnern sich?

In Wien funktioniert das.
Man checkt, wenn man will, in Wien Mitte ein, was sehr praktisch ist.

Wien Mitte, eine Baustelle augenblicklich, ein Blick auf den Stadtplan und die erhellende Auskunft eines jungen Mannes, dass es dort Richtung Stephansdom ginge, links hoch, nicht rechts. Der Autor dankt und schlendert los. Folgt einem betonierten Rinnsal bis zu einer Brücke, deren Eckpunkte zu beiden Ufern von hohen, weißen, kopfähnlichen Skulpturen markiert sind, geht rechts, überquert einen Ring und ist auf dem Weg. Wollzeile. Kleine Läden am Weg, Schuhgeschäfte, rahmengenähte Budapester zu erschwinglichen Preisen, Kashmirpullover, ist das hier billig, denkt der Autor.

Da kommt ein Bettler, pittoresk, abgerissen, dunkelhäutig, man weiß nicht recht, ein Magyar, ein Rumäne, er klammert sich an einen langen Stab, halbseitig gelähmt oder sonstwie verdreht, er schleppt sich den Gehsteig entlang, dem gibt der Autor und denkt, dass die Physiognomien dieser Stadt andere sind, irgendwie Balkan, denkt er, und diese einladenden Cafehäuser überall, das können sie ja, die Wiener, dann gleichen die Gesichter sich an und der feine Unterschied verliert sich mit jedem Schritt.

Feiner Niesel. Der Stephansdom. Fiakker. Stadtarbeiter, die den Graben mit Weihnachtsbeleuchtung dekorieren, der Graben, die zentrale Einkaufsmeile, dem folgt der Autor, sieht, dass es eine Leonardo da Vinci Ausstellung gibt, man hat seine Skizzen realisiert, man hat Modelle gebaut, die könnte ich mir anschauen, denkt er, falls Zeit bleibt, aber es bleibt keine Zeit.

Er trifft seinen Verleger, sie beschnuppern sich, sie können miteinander, das wird bald klar, sie haben einen Draht, was immer wichtig ist, wichtiger fast als die Literatur, über die verhandelt werden soll, sie sind sich in Dingen eins, die nicht unbedingt gesagt werden müssen, weil sie sich eins sind. Bald kommt eine Fotografin und sie fahren gemeinsam zum Donaukanal. Das Licht, sagt die Fotografin, sei gerade recht, man will Fotos auf dem Wasser. Es liegt da ein Boot, ein schwarzes Ruderboot, auf dem steht Wiener Rettungszille, da hinein soll er sich legen, der Autor, während die Fotografin von allen Seiten fotografiert, dass es eine Art ist. Wasser: der Luganer See: die Katastrophe.

Dann der Abend. Zwei verschiedene Lokale im Vierten Bezirk. Der Autor ist kurz davor, sich eine Zigarette anzuzünden, zur Feier des Tages, denkt er, aber dann lässt er es doch und ist glücklich. Alles ist auf dem Weg. Als man sich voneinander verabschiedet, hat man sich das Du angeboten, und das ist gut so.

Eine halbe Stunde folgt der Autor der imperialen Pracht der Avenuen, durchquert das Museumsquartier, hier steht jemand auf einem Sockel, dort ist eine Fassade in hellem Licht.

                

Fehlt nur ein Habsburger selbst, Maria Theresia seinetwegen, denkt der Autor, immer mit suchendem Blick nach dem Turm der Votivkirche, die irgendwann irgendwo rechts auftauchen sollte.

Aaah, da hinten, da ist sie, und da ist auch sein Hotel. Er hat sich also nicht verlaufen.


Sein Zimmer.



Bisschen eng, aber es ist ja nur für eine Nacht, allerdings eine unruhige Nacht. Wieso und warum? Vielleicht, weil er am Morgen noch einen Verleger trifft, eine Verlegerin diesmal, und schon wieder fliegen muss? Ja. Vielleicht. Jedenfalls ist er zerschlagen am Morgen, hat alle Stunde einmal auf die Uhr geschaut, hockt schon um kurz nach sieben beim Frühstück, sieht die kleine Japanerin wieder, der er gestern abend, als er noch auf die Schnelle eine Suppe aß und ein Nachtbier trank, einen guten Appetit gewünscht hat, wieder sitzt sie allein, vor sich den Reiseführer, heute Wien, denkt er, und morgen?

Dann hinaus in das Frühmorgenwien, es regnet, Menschen sind unterwegs, er trifft die Verlegerin, sie sprechen miteinander und die Aussichten sind gut. Und dann macht sich der Autor auf den Heimweg. Checkt, wie von Edi Stoiber empfohlen, in Wien Mitte ein, erhält seine Boarding Card, ist nach einer Viertelstunde am Flughafen, trinkt noch eine Melange, ist überhaupt nicht mehr aufgeregt und wundert sich eigentlich nur noch, dass das Flugzeug nach Erreichen der Startposition nicht anhält, wie er das von früheren Flügen in Erinnerung hat, anhält, die Motoren hochfährt, einen letzten Check macht, um dann davon zu schießen und abzuheben, nein, dieses Flugzeug biegt in die Runway oder wie immer die heißt, biegt ein und gibt schon in der Kurve Gas, so dass der Autor noch denkt, mein lieber Mann, der Pilot hat es aber eilig, und dann ist man auch schon fast in der Luft, in den Wolken, es dauert, bis die Sonne durchbricht, man ist über Nürnberg, irgendwann kreuzt ein Jumbo den Weg und noch etwas später folgt ihnen ein graues AWACs Flugzeug und dann ist man zuhause, auch diesmal fast 40 Minuten zu früh.

Hier ein Foto von Nürnberg.

17:48

Noch mehr Wien? Bitte, hier und hier ....

 

Sa 15.11.08 11:11

Schnapszahlzeit, aber ich bin kein Karnevalist. Ich bin Terrorist, zumindest für die nächsten zehn bis fünfzehn Minuten. Als Fluggast habe ich nichts dagegen, vor Einstieg in ein Flugzeug untersucht zu werden, um vor Wahnsinnigen, Weltrettern und Märtyrern geschützt zu werden, ich hätte auch nichts dagegen, mich in diese Nacktscanner zu stellen, über die vor kurzem alle Welt diskutierte, das wäre mir lieber als mir von Fremden die Hosenbeine bis zum Schritt abtasten zu lassen.

Wie aber könnte ich, jetzt wieder Terrorist, Explosives an Bord schmuggeln?
Man muss ja, eh man an Bord eines Flugzeuges geht, selbst Nagelscheren abgehen und angetrunkene Colaflaschen. Mir war vor dem Flug nach Wien nicht klar, ob ich Zahnpasta und Parfum mit im Handgepäck haben dürfte, ich fragte, man ließ sich das Parfum zeigen, man kam zu der Überzeugung, dass diese Flaschen niemals 100 ml enthalten hatte, wies mich aber an, beides, Parfum und Zahnpasta, in einen durchsichtigen, verschließbaren Plastikbeutel, gespendet vor der Aktion Herzenswünsche, zu verpacken und diesen beim Check sichtbar in den dafür vorgesehenen kleinen Kasten zu legen, in den man alles legt, was man sonst so am Körper trägt. Der Kasten saust durch den Scanner. Man darf an Bord.

Nach diesem Procedere kann man aber (zumindest in Wien) in Duty Free Shops Whisky kaufen (und alles mögliche andere auch), sodass sich mir (jetzt wieder als Terrorist) folgende Frage stellt: sollte es nicht möglich sein, eine Lücke beim Beliefern dieser Duty Free Shops auszumachen? Sollte es nicht möglich sein, eine der mit 700 ml gefüllten Whisky Flaschen mit etwas anderem, einem gleich aussehenden Explosivstoff zu füllen? Ich war, als ich durch die Fenster auf dem Vorfeld des Flughafens Elektrokarren, Autos und LKW's herumfahren sah, als ich die Putzkolonnen beobachtete, die hierhin und dorthin unterwegs waren, sicher, dass es Lücken gibt.

Und noch etwas: meine Kugelschreiber.
Niemand unterzog meine Kugelschreiber einer besonderen Prüfung.
Das hätten doch Schießkugelschreiber sein können.

Sie sehen, als verunsicherter Fluggast macht man sich so seine Gedanken.
Als Nachwuchsterrorist aber auch.

16:30

Zurück von einem Spaziergang nach Münster. Aßen in der Fischbrathalle, ein aus der Zeit gefallenes Restaurant, das es schon seit 1926 gibt und von Menschen aller Bevölkerungsschichten besucht wird. Ein Geheimtipp quasi, sollten Sie mal herkommen. Die Portionen sind groß, der Fisch ist frisch. Ich aß gebackene Scholle. Die Portion war so groß (zwei Schollen), dass ich die Kellnerin bat, mir eine Scholle einzupacken, da ich eine solche Portion nicht erwartet hätte. Darauf riet sie mir, beim nächsten Mal eine Seniorenportion zu nehmen.

So etwas hatte mir noch niemand vorgeschlagen.
Ich musste sie ohrfeigen und in den Arsch treten.
Sie weinte ein bisschen, aber nicht viel.

Zu meinem und ihrem Trost daher ein schönes Foto aus Wien.
Freihand und ohne Blitz Mittwochabend im Museumsquartier fotografiert.

 

So 16.11.08 15:52

Man könnte jetzt ohne weiteres vor Langeweile sterben, aber man tut es nicht.
Man langweilt sich lebend weiter, man weiß, dass das noch eine lange Weile wird, bis man tatsächlich stirbt, oder auch nicht.

Das eine wie das andere macht nichts.

Um diesem Sonntag dennoch ein Minimum abzuringen, präzisiert man, wie das war, als am Donnerstag gegen 12:50 plötzlich aus nordwestlicher Richtung ein Jumbo auftauchte. Das Treffen mit der Boing 737-700, in der man saß, war absehbar, wenngleich die 737 tiefer flog. Man bemerkte, dass der Pilot dennoch Gas wegnahm, wahrscheinlich, um noch ein wenig tiefer zu sinken. Vielleicht wegen der Turbulenzen, die so ein Großraumflugzeug hinter sich her schleppt, dachte man, aber als es dann tatsächlich so weit war, als sich die Flugbahnen kreuzten, war nichts von Turbulenzen zu spüren.

Draußen bellt ein Hund. Man hat Kuchen gegessen. Man hat sich die üblichen Fragen gestellt und wie üblich keine Antwort gefunden, man hat sich daran erinnert, dass die Programmleiterin eines großen deutschen Kinderbuchverlages "zu düster" geraunt hat, als man sie fragte, warum kein Geschäft mit ihrem Verlag zustande käme, man hat das nicht verstanden damals, man hat dann in Wien gefragt, ob man gleicher Ansicht sei, ob man auch etwas Düsteres in der Arbeit sehen würde, was man selbst vielleicht nicht sehen kann, aber in Wien hat man vehement verneint, und da ist es dem Autor wie Kloßbrühe klar geworden: Verlage schnüffeln vielleicht auch hier herum und denken, dass jemand, der dies und das, also quasi täglich über das Leben zu schreiben versucht, als Kinderbuchautor gefährlich sein könnte.

Man will das nicht beschwören, aber es könnte ein Erklärung für dieses "zu düster" sein.
Dabei ist man sonnig wie früher Morgen. Davon kann sich jeder hier überzeugen.

Es ist immer noch Sonntag.
Ins Bett kann man nicht gehen.
Lesen will man auch nicht.
Was will man eigentlich?

 

Mo 17.11.08 11:11

Hier ein kleines Lied aus der Vergangenheit.

 

Di 18.11.08 10:11

Täglich frage ich mich, was die Finanzkrise für mich bedeutet.
Jetzt weiß ich es. Seit Beginn dieses Spektakels sind die Spritpreise von € 1.55 auf € 1.13 gefallen. Das ist schrecklich, finden Sie nicht auch?

Verwirrt. Ihr ...


Mi 19.11.08 10:57

Neue Einfachheit sollte es werden, also habe ich gestern gegen Mittag begonnen, eine vereinfachte Startseite zu bauen. Ich habe eine Weile gebraucht, eh ich das neue Dreamweaver so weit verstanden hatte, dass ich die Frames korrekt miteinander verbinden konnte, ich habe dann alles so gemacht, wie ich es früher auch schon zu machen pflegte, aber als ich die neue Startseite schließlich in weltweite Netz transferierte, funktionierten manche Links nicht mehr, wie gewohnt. Andere hingegen funktionieren. Sollte sich also auf ihrem Bildschirm eine Seite doppeln, zunächst einmal auf die Rücktaste drücken, ich arbeite an der Lösung.

Folge diese Computerarbeit war, dass ich gegen Mitternacht höchst agitiert ins Bett ging.
Chancenlos, auf der Stelle einzuschlafen. Verzog mich schließlich aufs Sofa, wo es ruhig war und von dort heute früh wieder zurück ins Bett.

Jetzt scheint die Sonne.
Ich werde gleich das Haus verlassen.
Und nicht eher wiederkommen, bis ein wenig Friede eingekehrt ist in mein Oberstübchen.

 

Do 20.11.08    8:19

Es nutzt nichts, früh ins Bett zu gehen. Ich erwache nicht ausgeschlafener, nur früher. 7 Stunden Schlaf scheinen mir zu genügen. Und wenn ich dann, wie heute, gegen 5:30 erwache, weiß ich nicht einmal, ob ich lebe. Zumindest ist mir die Option, in einen anderen, niemand bekannten Zustand übergetreten zu sein, höchst plausibel. Diese Dunkelheit macht keinen Spaß. Manchmal macht sie sogar Angst. Aber heute liegt Schönes an, wir werden am Nachmittag Orte der Sehnsucht besuchen.

Was die neue Webseite anlangt, noch immer gibt es hier und da Dopplungen, aber ich glaube, ich scheiße drauf.

11:21

Alles ist gut.

Hörte beim Bügeln Bob Dylan (ob er sich manchmal fragt, wer wann wo seine Platten hört?), während mein Computer den Transfer ins Weltweite Web neu organisierte: Tell Tell Signs, zwei CD's mit unveröffentlichten Aufnahmen aus den Jahren 1989 - 2006, frühen Versionen von Stücken, die später verwandelt auf anderen CD's auftauchen, Musik aus einer eigenen Liga, umwerfend, wenn man's mag.

Mir zieht sie die Socken aus.

Beim Cocaine Blues dachte ich an Toronto, damals, Sommer 1980.

Herr und Frau M. haben genügend Geld für eine transkontinentale Reise und zurück. Der Flughafen liegt weit vor der Stadt, so weit, dass sie gar nicht glauben können, dass da hinten irgendwo Toronto sein soll, wo sie erwartet werden.

Und dann bietet ihnen ein schwarzer Taxifahrer einen Transfer zu genau dem Preis an, den sie für den Bus, der noch nicht da ist, auch zahlen müssten. Und was tun Herr und Frau M.? Richtig, sie sind verkappte Rassisten, Sie sagen natürlich nicht, hau ab du Neger, nein, sie lächeln vor Angst und ziehen die Busreise vor, weil sie natürlich glauben dass der schwarze Mann Böses will.

In Toronto erwartet sie Bob's Freund Rick. Bob hat Herr M. 1973 auf dem Schiff von Rio zurück nach Europa kennengelernt. Rick arbeitet in der Werbung. Er hat einen Jumbo der Canadian Airways in einen Business Suit gezeichnet, das sieht umwerfend aus und ist als Anzeige in allen Zeitungen.

Rick ist in ihren Augen erfolgreich. Er wohnt etwas außerhalb. Über eine Außentreppe geht es in den ersten Stock. Alles ist taubenblau dort, mehr oder weniger. Ein paar Tage werden sie dort wohnen, dann fahren sie mit dem Zug nach Calgary, wo Bob sie erwartet.

Abends klopft es an Ricks Tür. Rick öffnet. Draußen steht ein kleiner, schmieriger, unruhiger Typ, dem selbst die Landpommeranze M. ansieht, dass er ein Dealer ist. Er hat Kokain. Rick kauft welches und bietet es auch Herrn und Frau M. an. Frau M. will nicht.

Herr M. will, hat er doch schon mal in Laz Paz ausprobiert, kann er doch hier noch mal ausprobieren.

Da wir schon mal unterwegs sind, heute früh kamen Fotos aus Kenia.
Jon hat wieder in seiner historischen Kollektion gekramt. Deshalb heißt es: back in time...

Oktober 1972, irgendwo in Mexico...



Gleicher Strand. Der grüne Rucksack gehört mir.
Er hing nach Ende meiner Reise noch bis in die 80er Jahre bei mir an der Wand, dann habe ich ihn weggeworfen. Schade.


November/Dezember 1972 in Kolumbien


20:57

Morgen, 8:30 und 10:00 Showtime in Nordhorn.


Fr 21.11.08   16:55

Sie war ein hübsches Mädchen, hatte dickes, dunkelblondes Haar, sie saß in der letzten Reihe und fiel mir erst auf, als sie laut mit der neben ihr sitzenden Lehrerin zu sprechen begann. Ich hörte auf zu lesen, schaute sie an, schaute nur, legte dann den Finger auf den Mund, bat sie schließlich, leise zu sein, aber sie schien das nicht wahrzunehmen, sie redete ruhig weiter. Auch ihrer Lehrerin gelang es nicht, sie zum Schweigen zu bewegen, und ihrem Vorschlag, mit ihr nach draußen zu gehen, widersetzte sich das Mädchen. Sie hatte traurige Augen, und erst später, als ich mit Meister C. im Studio saß und ihm diese Geschichte erzählte, meinte er, dass sie vielleicht ein Autist war. Ja, dachte ich, das wäre eine Erklärung.

Die Lesungen waren lebendig, die Kinder freundlich und begierig auf das, was der alte Mann da vorn anstellte, dieses Mädchen irritierte mich, dann war da eine Lehrerin, die mit verschränkten Armen halbschräg auf ihrem Stuhl saß, als wolle sie jeden Augenblick aufstehen und gehen. Sie schaute zwar in meine Richtung, machte aber ein unnahbares Gesicht, so dass ich mich vor ihr zu fürchten begann. Zu solche Menschen darf ich nicht zu oft herüberschauen, weil ich dann denke, vielleicht bist du schlecht und sie sind die einzigen, die es bemerken.

Erst, als ich begann, meine seltsamen Lieder zu singen, verlor ihr Gesicht diese unnahbare Strenge und sie lachte sogar.

Nach der zweiten Lesung - wie immer an Grundschulen nur Lehrerinnen, Zickenkombinate, ich erinnere an meine Bemühungen um die Musiklehrerin der J. Schule in MS, für die ich die Schulhymne schreibe, Zicken, grauenhafte Zicken, jeder männliche Grundschüler kann einem Leid tun - nach der zweiten Lesung also bot ich einer der Lehrerinnen meine Bücher zum Verkauf an.

Und jetzt raten Sie, was sie mir antwortete?

Ach, hätte ich das gewusst, ich habe gar kein Geld dabei.

Hätte ich Sie ohrfeigen sollen? - Ich glaube ja.

Auf der Hinfahrt heute früh überbot sich das Radio mit Ankündigungen der heraufziehenden Wetterkatastrophe, eine Warnung jagte die nächste, und was war, zumindest hier, bis jetzt? Ein bisschen Schneeregen im Westen, ansonsten normales graues regnerisches kaltes usseliges fieses unerträgliches Novemberwetter, dem ich heute abend zur Feier des Tages mit einer kleinen Purpfeife den Geraus machen werde.

Sa 22.11.08   13:24

Vor der Gaststätte Anni in't Loch parkt ein roter VW-Bulli, Einsatzleitung steht in leuchtendem Gelb auf der Seite, zwei Blaulichter rotieren, zwei Feuerwehrleute neben dem Wagen schauen ratlos bergan. Nirgendwo scheint auch nur im Ansatz irgendetwas auf eine Schneekatastrophe hinzudeuten. Es ist Nachmittag, vielleicht hat man den Wagen für den Fall der Fälle an den Fuß des mit 10% Steigung für das Münsterland recht steilen Hang abgestellt.

Wie immer, wenn irgendwo ein Blaulicht rotiert, sind Gaffer vor Ort. Höpingen ist eine Bauerschaft, mehr als zehn, zwanzig Famlien werden hier links und rechts der Straße kaum leben, und fünf von ihnen sind vollzählig angetreten. Möglich, dass es, angenommen, die Katastrophe bliebe aus, anschließend einen Umtrunk gibt, man hört ja nicht selten, dass Mitglieder der Feuerwehr nur deshalb Brände anzetteln, weil sie sich so sehr auf den Umtrunk nach getaner Löscharbeit freuen.

Ich kann das nicht beurteilen, ich habe kaum Gelegenheit, Einzelheiten wahrzunehmen, ich bin mit etwa 140, 150 KmH unterwegs und stelle fest, dass die Rechtskurve, die in den Berg führt, nicht einfach zu nehmen ist, irgendetwas kracht, und als ich herum bin, sehe ich auch, was das war: da liegt einer der Feuerwehrmänner.

Ich werde jetzt nicht so blöd sein und anhalten, der hätte sich auch woanders hinstellen können, nicht wahr, hier den Katatrophenhansel vorschützen und sich dann wundern, dass man aus reiner Menschenliebe und Zuneigung zu seinem Gewerbe eine ebensolche auslöst. Als ich den Berg zur Hälfte hinter mir habe, sehe ich im Rückspiegel, dass am Fuße noch andere Personen liegen.

Egal, da kommt schon die nächste Kurve, ebenfalls scharf rechts. Kaum habe ich sie schlingernd durchfahren, kommt mir die Schneekatastrophe entgegen. Sie kommt pfeifend und heulend, so dass ich gerade noch Zeit habe, den Kopf einzuziehen, aber die Schneekatastrophe ist frisch und noch weich, sie federt mein Auto ab und wirft es zurück auf die Straße, von fern höre ich Tatüütataaa, mir tropft Schweiß von der Stirn, ich denke, Teufel, das Leben ist kompliziert, überall werden einem Hindernisse in den Weg gelegt, nichts wie weg hier.

Heute schaue ich in alle Zeitungen, keine Notiz. Die Dächer sind weiß, es ist ein Segen für uns Konsumenten, dass wir samstags nicht mehr bis spätestens zwölf Uhr entscheiden müssen, was wir am Abend essen möchten und was deshalb noch auf die Schnelle einzukaufen ist, denn die Geschäfte haben ja bis 20 Uhr geöffnet, da können wir uns Zeit lassen oder gleich die Frauen schicken.

Für irgendetwas müssen Frauen ja gut sein. Wenn sie schon nicht das tun, wobei wir uns am Wohlsten fühlen, sollen sie spülen, kochen, waschen, bügeln, einkaufen, diesen ganzen Mist, den sie für wichtig und unumgänglich erachten. Bis auf alle Tage sollen sie das tun, denn damals, als sie die Wahl hatten, nehme ich diesen Apfel oder nehme ich ihn nicht, haben sie es sich auf immer und ewig vermasselt. Ihr einziges Ziel, das Multiplizieren von Leben auf diesem verdammten Planeten, verfolgen sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Finten und Ausreden, auch dafür muss man sie strafen, schließlich sind sie es, die einem Kinder ins Haus bringen, die nichts als Sorgen machen, Sorgen, Sorgen und nochmals Sorgen.

Ich, in der Königsdisziplin Sorglosigkeit ausgebildet, bin anders.
Ich bin ein Emannzipierter, der seinen Kopf hingehalten hat für ein Leben als Prototyp.
Lächerlich. Einfach lächerlich.

 

So 23.11.08   11:41

Ich will nach Afrika. Oder nach Ibiza. Egal. Hauptsache, es ist warm. Die Sonne muss scheinen. Ein Meer sollte sichtbar sein. Ich will dort mit deutschen Rentnern und/oder Althippies in einer Kneipe (deutsche Leitung: Freitagabend Skat) Wetten Dass im Fernsehen sehen und von der Heimat träumen. Wie ich da früher im dunklen kalten November gesessen hätte, samstagabends zum Beispiel, samstagabends, und mir nichts anderes mehr eingefallen wäre, als mich dusslig fernzusehen. Quer durch das Unterhaltungsprogramm hätte ich da gesessen und mir gewünscht, ich könnte mich a: erschießen oder b: auswandern.

Da ich mich für b entschieden habe, sitze ich in dieser Kneipe (deutsche Leitung: Samstag: Erbsensuppe), sitze da und das Telefon schellt. Der Wirt hebt ab, sagt ja, hm, Moment, geb ich dir: für dich, Jakob ist dran. Jakob ist ein Opfer der Popkultur. Jakob hat nichts gelernt, Jakob war gegen alles, Jakob wollte nie irgendetwas, Jakob hat sich selten den Bart gestutzt, Jakob hat meine Freundin gefickt, Jakob ruft also an aus Deutschland und sagt, dass ich da aber verdammt gut Schlagzeug gespielt hätte.

DA, das muss erklärt werden, DA war ein Abend vor ein paar Monaten, als wir uns in der Heimat getroffen hatten. Jakob ist Gitarrist. Wir hatten uns getroffen, Jakob, Norbert, Heinz und ich, um mal wieder das zu tun, was wir früher auch immer getan hatten: dagegen sein. Jede Leistung verspotten. Jeden, der leisten will, verdächtigen.

Da wäre ich aber gut gewesen, sagt Jakob, was ich nicht finden kann, ich war nicht gut, jedenfalls war ich schon häufig viel besser, aber das will ich Jakob nicht sagen, schließlich glaubt Jakob, dass wir gut gewesen wären. Ich habe trotzdem gern mit ihnen Musik gemacht. Es war schön, so zu tun, als wäre kaum Zeit verstrichen. Also hör mal, Jakob, sage ich, jederzeit, immer gern, im Frühjahr komme ich auf Besuch nach Deutschland, da könnten wir wieder, ja, das könnten wir, sagt Jakob und legt auf.

Im Fernsehen dreschen zwei Halbschwergewichtler aufeinander ein. Ich gehe ins Bett. Ich hatte immer gedacht, da, wo die Sonne ist und das Meer immer in Sichtweite, könnte ich leben, aber das stimmt nicht. Gar nichts stimmt.

 

Mo 24.11.08   11:21

Kein Grund zur Bewegung. Und wenn, nur eben schnell raus, hinfahren, umschauen, wieder weg und irgendwo rein, Kuchen essen. So war das gestern. Gesehen haben wir 5 neue Arbeiten von Thomas Poggenhans.

Dies ist eine davon.
Sie hängt ca. 10 cm überm Wasserspiegel der Gräfte der Burg Vischering in Lüdinghausen.


15:08

Die Sonne scheint. Ich sehe überall weißen Zauber, aber mich zieht nichts hinaus. Möglich, dass der Mensch an frischer Luft zu Verstand kommt. Ich will nicht zu Verstand kommen. Ich will diesen Winter verschlafen.

 

Di 25.11.08   10:19

Vielfach wird die Frage gestellt, was ich in Wien tatsächlich getan habe.
Ich wollte das eigentlich für mich behalten, aber da Sie es unbedingt wissen wollen, bitte, ich war mit dort mit den drei vorgestern in Pristina festgenommenen BND Agenten unterwegs, um deren weiteres Vorgehen zu besprechen.

Höheren Ortes nämlich fand man, man müsse das Drohpotential mal wieder ein wenig auffrischen. Wo angeschlagen wird, muss auch gegen Terror verteidigt werden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Zur Tarnung waren wir mit mehreren Prostituierten unterwegs, wir fuhren Boot, koksten und tranken gewaltig, ich ließ den Künstler raushängen und wäre fast abgetrieben, hätte man mich nicht in letzter Sekunde gerettet.

Foto: Gabriela Koch

PS.

Den Künstler raushängen zu lassen ist heutzutage gar nicht so einfach, jeder Idiot tut das und man kommt sich schnell doof dabei vor, aber da man ja nichts anderes hat als diesen Künstler (andere haben gut bezahlte Jobs), lässt man ihn notgedrungen raushängen, kommt sich doof dabei vor, wünscht sich die Donau hinab ins Schwarze Meer, aber die Prostituierten wollen nicht, sie monieren, dafür würden sie nicht bezahlt, sie wollen in Wien bleiben, also instruiert man die Agenten, schleicht sich weg, rettet sich in die nächste U-Bahn und fliegt nach Hause.

16:51

Gegen Mittag reifte die Überzeugung, dass es nicht gut ist, sich dem Wetter zu verweigern. Ich trug mein Rad aus dem Keller, fuhr hinaus aufs Land und begann, die Landschaft zu manipulieren. So ...



so...

und so.

 

Mi 26.11.08   14:11

Betreff: Lied für die Schule
File under: Ende einer Dienstfahrt

Guten Tag Frau X.

Sie werden es längst von Frau Y. erfahren haben, unser Projekt ist gescheitert.
So etwas geschieht hin und wieder, die Art und Weise jedoch, wie es gescheitert ist, bedarf dennoch einer kurzen Erklärung.

Wir hatten uns heute getroffen, um eine vierte Version des Liedes (die Ihnen vorliegt) miteinander zu besprechen. Davon war ich jedenfalls ausgegangen. Auf Frau Y. Wunsch hatte ich die erste Strophe neu konzipiert und zudem die Erzählperspektive des Liedes verändert. Für heute hatte ich mir vorgenommen, mit Frau Y. noch einmal über diese Perspektive zu sprechen, die man vom „Wir“ auch noch auf ein singendes/erzählendes „Ich“ hätte umschreiben können.

Aber dazu sind wir leider nicht mehr gekommen.
Frau Y. erklärte mir recht schnell, dass sie nun ihrerseits eine Liedfassung erarbeitet habe und unsere Fassung in der vierten Version langweilig finde.

Das sei ihr unbelassen, aber Sie werden verstehen, dass ich - nachdem ich ihr Lied gehört hatte - meinen Namen nicht für eine Version hergebe, die textlich, metrisch und musikalisch weit außerhalb dessen liegt, was mit Kompromissen überbrückbar wäre.

Das alles ist insofern besonders schade, als Sie ja selbst Zeuge waren, wie schnell die Kinder schon bei unserem ersten Zusammentreffen auf „weißt du wie die Schule heißt, dann melde dich...“ bzw. „...steh auf und sprich...“ reagiert haben.

Nach allem, was ich heute erfahren habe, drängt sich mir der Eindruck auf, dass Frau Y. das Lied für die Schule wohl am liebsten selbst schreiben will. Das darf sie gern, allerdings muss ich darauf hinweisen, dass aus urheberrechtlichen Gründen keine meiner Formulierungen darin benutzt werden darf.

Das mag ein wenig hart klingen, aber da ich seit fast dreißig Jahren als Autor arbeite und veröffentliche, bin ich auf die Wahrung der Rechte meiner Urheberschaft angewiesen, denn über ein anderes „Kapital“ verfüge ich nicht. Ich nehme an, Sie werden das verstehen.

Ich wünsche Ihnen und den Kindern Ihrer Schule alles Gute.

 

Do 27.11.08    9:33  

Ach, Sie schon wieder?  

12:59

Was wollen Sie? Herr Mensing ist ein unbedeutender Schriftsteller, der in rasantem Tempo vergreist, also verschwinden Sie, vertrödeln Sie ihre Zeit woanders.

13:55

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muß eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

Kurt Tucholsky, 1930, veröffentlicht in "Die Weltbühne"

15:14

Vier Lesungen verkauft.
Aber Romane, Geschichten, Gedichte oder sonst Schreibbares ist weit und breit nicht in Sicht.

 

Fr. 28.11.08   9:27

Old Joy hieß der Film. Etwa 8 Menschen wollten ihn sehen. Wir waren ins Kino gegangen, weil darin Will Oldham mitspielt, den wir als Bonnie Prince Billy schätzen. Old Joy erzählt von zwei alten Freunden. Der eine, Mark, steckt mitten in der Vorbereitung für ein neues Leben: seine Freundin ist hochschwanger. Der andere, Kurt, ist noch immer ein Hippie.

Gerade zurück in der Stadt ruft Kurt seinen alten Freund Mark an. Er will mit ihm in die Berge, es gäbe dort eine heiße Quelle. Die beiden fahren los. Sie nehmen Lucy mit, Marks Hund. Sie decken sich mit Marihuana ein, Kurt sagt, er kenne den Weg. Aber Kurt mag für alles mögliche gut sein, den Weg kennt er nicht, und so vergeht ein Tag und eine Nacht auf einer illegalen Müllkippe irgendwo in den Wäldern, eh sie die heiße Quelle erreichen.

Es wird wenig gesprochen in diesem Film, ob die beiden tatsächlich noch Freunde sind, wird nicht klar, es geschieht kaum etwas, sieht man einmal davon ab, dass Kurt seine Theorie des Universums erläutert, aber Mark bleibt skeptisch, sein Leben ist ein anderes, er wird Vater, worauf Kurt sagt, er könne nie etwas beginnen, das nie mehr aufhört, Kinder seien "so fuckin' real".

Freunde oder nicht Freunde, Old Joy ist eine ruhige Geschichte über das Leben, das für den einen in diese, für den anderen in jene Richtung zeigt, wobei die Schere immer weiter auseinander klafft und ein Zusammenkommen nicht mehr möglich ist. Man wird wieder telefonieren.

Am Dienstag fuhr ich zur Jazz Session. Seit dem Sommer habe ich auf keiner Session mehr gespielt und freute mich. Aber als es dann losging, als das Trio diese Lieder spielte, die dreißig, vierzig, fünfzig Jahre alt sind, als reihum Soli gespielt wurden, weil eben reihum Soli gespielt werden, wenn Jazz gespielt wird, verlor ich jede Lust, an der darauf folgenden Session teilzunehmen und wollte nur noch nach Hause, ins Bett.

Jazz ist also doch tot, dachte ich, sieht man von den schöpferischen Jazzmusikern der Gegenwart einmal ab, aber diese Art von Wiederaufbereitung des klassischen Jazz (Bop, Bebop, Cool ...) ist mausetot, wenngleich das Trio hervorragend gespielt hat. Ich war froh, dass ich mein Leben nicht mit einer Kunst verbringe, die auf der Stelle tritt. Aber dann darf natürlich die Frage erlaubt sein, ob nicht alles Leben auf der Stelle tritt. So wie Schriftsteller auf der Stelle treten, meinten Sie das, Herr Mensing?

 

Sa 29.11.08   11:21

Vorm Gemüsestand auf dem Markt tauchte die Frage auf, die immer auftaucht, wenn wir vorm Gemüsestand auf dem Markt stehen. Was essen wir heute Abend? Schwarzwurzeln, sagte ich, denn da lagen Schwarzwurzeln und ich muss immer sagen, was es zu essen gibt, ich muss es sagen, Frau M. kocht es dann. Schwarzwurzeln hatte ich in guter Erinnerung. Als Kind habe ich sie häufig gegessen. Sie schmecken besser als Spargel.

Was ich nicht wusste, aber nach Verzehr schmerzhaft erfuhr, ist dies:

Schwarzwurzeln haben insgesamt einen sehr hohen
Nährwert, ähnlich der Erbsen und Bohnen. Sie gelten jedoch als
bekömmlich und sind aufgrund der Zusammensetzung der Kohlenhydrate
(insbesondere Inulin) fuer Diabetiker empfehlenswert.

In dem Milchsaft ist Inulin, ein aus Fruchtzucker aufgebauter Kohlenhydrat, enthalten.
Dieser Mehrfachzucker wird in Fruchtzucker aufgespalten. Und
Fruchtzucker (Fructose) ist eine Form der Kohlenhydrate, die für
Diabetiker leicht zu verwerten ist und nur wenig den Blutzuckerspiegel
beeinflusst.

Bei manchen Menschen koennen grössere Mengen an
Schwarzwurzeln allerdings zu Blähungen fuehren, da das Inulin
teilweise unverändert in den Dickdarm gelangt und dort unter
Einwirkungen der Darmbakterien Gase entstehen.

Seien Sie also gewarnt. Es schmerzt und knallt, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht.
Ein Glück, dass es das Internet gibt. Da fragt man einfach kurz nach: Schwarzwurzeln - Blähungen, schon stößt man auf die oben genannte Information und ist beruhigt.

17:07

Noch immer heftige Rückstöße. Das Leben ist gemein.

 

So 30.11.09   12:52

Das erste Lichtlein brennt. Zeit zur Besinnung. Zeit, auf die Ungerechtigkeiten der Welt hinzuweisen. In diesem Falle: auf die Bevorzugung der neuen deutschen Länder im Hinblick auf Straßenbau, Sanierung der Städte, Kunst, Literatur, Popmusik, Politik.

Neue Autobahnen, Glanzsanierung von Städten, von denen vor der Wende noch niemand gehört hatte, wo aber Hollywood mittlerweile Filme dreht. Wer als bildender Künstler nicht in Leipzig ansässig ist, scheint kaum Chancen zu haben, Schriftsteller sollten eine DDR Sozialisation vorweisen können, um interessant und erfolgreich zu sein, berühmte Schauspieler und Regisseure stammen aus dem Osten und die einzig international erfolgreichen deutschen Bands seit Kraftwerk kommen ebenfalls aus der ehemaligen DDR: Rammstein und Tokio Hotel. Dazu eine Kanzlerin, Mitglied einer christlichen Partei, wo doch ihr Ex-Staat ein gottloser Staat war.

Erschütternd!

Viele von diesen Besorgnis erregenden Entwicklungen wurde mit dem Solidaritätsbeitrag westdeutscher Arbeitnehmer ermöglicht, eine gesetzliche Zwangsmaßnahme, die schon seit langem von südkoreanischen Offiziellen beäugt und untersucht wird, denn dort fragt man sich, wie man Nordkorea auffangen soll, wenn das Regime kollabiert, was nicht mehr allzulang dauern sollte.

Wir, die Westdeutschen, die den Ossi nur als enttäuschten, sozial abgehängten und/oder radikalen Nazi kennen, haben die Nase voll von der Finanzierung eines Landstriches, der so weit entfernt von unseren Lebensmittelpunkten liegt, dass er uns eh egal ist und wir kaum verstehen, dass man ständig neues Geld in diese Gebiete pumpt, in der ein friedliebender Westdeutscher nicht tot überm Zaun hängen möchte.

Mit diesem besinnlichen Wort zum Sonntag verabschiede ich mich in den Dezember und wünsche allen meinen Lesern (immerhin 30.000 pro Jahr) eine friedvolle Vorweihnachtszeit, einen volkswirtschaftlich bedeutenden Konsumrausch und einen daran anschließenden, feuchtfröhlichen Rutsch in das Jahr 2009.

Ich habe längst vorgesorgt. Ich habe mir aus den Beständen der ehemaligen Ostblockarmeen auf dem Balkan Waffen besorgt, die sicherstellen, dass mir die Unterprivilegierten dieser Welt nicht die Haut abziehen, denn schließlich ist einem das eigene Hemd am nächsten.

 

 

 

 

 

 

 

________________________________________________________________________________________________


Bücher von Hermann Mensing bei:
Amazon.de