November 2011                                        www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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Di 1. 11.11 11:11


als nadja das schlagzeug zerschlug
das dem orchester abhanden gekommen
am see stand
kam es dass felle barsten
und aus dem himmel eine tomate fiel
die vorgab
eine sonne zu sein

nadja gab nichts auf geschwätz
aber da sie einen neuen kopf brauchte
einigte sie sich mit der tomate

seitdem drehen sich männer die hälse wund
das panikorchester ruft an
weil es ein go go girl braucht
so ein schönes wie nadja

aber nadja
hat einen bahnhof gekauft
und verschenkt stunden mit hilbig
dem großen trinker
man verzehrt
morgennebel und trübsinn
zwischendurch toasts
deren eltern verreist sind

in der nacht stellt sie hilbig
auf eine weiche
und sagt weiche nicht
worauf hilbig die arme ausbreitet
und mit stahlzähnen knirscht
er friert fest
bis der morgen wieder zu nebel kommt
und der tag nur dummheiten zeugt
also zieht nadja zwei trümpfe aus ihrem bh
und hilbig taut auf

18:15

Da kommen schon Kilometer zusammen, ich sage es dir, man muss allerdings seinen Arsch auf den Sattel bringen und den Beinen Befehl geben. Haben Sie erst mit der Arbeit begonnen, muss man gar nichts mehr sagen, sie arbeiten wie von selbst, es ist so einfach wie Atmen. Nur am Berg muss man ihnen gut zureden, denn da kommt man um ein Knirschen und Reißen in den Gelenken nicht herum. Wenn aber der Südhang erreicht ist, und der sandige Platz unter einer Rotbuche mit Blick auf die Borkenberge und sogar noch etwas dahinter, entspannen sich Beine und Arsch, man pausiert, der Himmel ist blass blau, Kondensstreifen hängen von West nach Ost in über zehn Kilometer Höhe, sie fasern schon aus, eine Reiterin kommt vorbei und man denkt, die Bewegungen auf einem Sattel sind nicht unangenehm, wenn man weiß, wie man sie nutzen kann, dann schwingt man sich selbst wieder auf und freut sich auf den nächsten Kilometer, denn der geht bergab. Bergauf geht es gleich darauf, und als man die Höhe erreicht, ist man schwer außer Atem, aber dann kommt die Abfart über die gesperrte Landstraße, kein Auto weit und breit, links und rechts liegen die frisch gefällten Buchen, dabei war das gestern noch eine dunkle, schattige Allee. Im Ort isst man ein Spaghetti Eis, wendet sich ostwärts und besucht den Trommler, der die Welt täglich ordnet und putzt und darauf achtet, dass immer alles an seinem Platz ist. Der Trommler geht an seinen Schrank und sagt, die neue Ernte wäre da, er schenkt ein wenig davon weg, dazu gibt es noch eine Tasche voller Äpfel, und dann fährt man heim. Vierzig, fünfzig Kilomter werden das gewesen sein, es war mild und strahlend schön, dabei muss es am ersten November eigentlich nieseln, es muss neblig sein, man trägt sein Rad in den Keller und denkt, der Klimawandel schreitet voran.

22:13

es zwickt
und überall ist alles möglich
da ist ein loch
und darin endet täglich
der eine und die andere
denen kein zweifel wert war
ich höre sie und wandere
allein durch diesen nachtmahr
ich gehe morgen sage ich
ich lass mich nähen stich um stich
und habe übermorgen schon
ein neues hemd und guten lohn


Mi 2.11.11 9:55

Nun, das Blutabnehmen tut nicht weh, das Blutdruckmessen ebensowenig, der Lungenfunktionstest ist, finde ich, albern, und das EKG nur ein Festschreiben des momentanen Zustandes, aber bitte, was tut man nicht alles für die Absolution. Die Arzthelferin ist klein, sehr jung, blond und ein bisschen dick, so ein rosa Schweinchen mit Lippenpiercing. Eingepackt in eine industriell zerschlissene Jeans minderer Qualität und eine Fleecejacke in blau und weiß, die ihre möppelige Erscheinung noch doppelt. Und dann dieser strenge Geruch bei Unterschreiten einer Distanz von ca. 30 Zentimetern. Ich finde, Arzthelferinnen sollten attraktiv sein. Attraktiv, gut gekleidet, sie sollten elaborierten Code sprechen und einen zumindest andeutungsweise seriösen Eindruck hinterlassen. Frau Doktor aber liebt diese halbgebildeteten Praxishelferinnen, sie hatte nie andere, vielleicht denkt sie, das schaffe Vertrauen. Bei mir nicht. Ich habe es ihr dennoch leicht gemacht, habe meine Hose auf Befehl ausgezogen, damit sie hören kann, ob das Blut bis in meine Füße gelangt, wovon ich eigentlich immer ausgegangen bin. Blutdruck lag bei 135 zu 80, da gibt es nichts zu meckern. Morgen dann ein Gespräch mit Frau Doktor, die wir intern Rübenzack nennen.

Heute Bewerbungen für eine Autorenresidenz in Luxemburg fertigstellen und die Unterlagen für einen Literaturpreis für Kinder- und Jugenbuchautoren zusammenstellen.

Und heute abend mit dem Kugelblitz tanzen, worauf ich mich sehr freue.


Do 3.11.11 18:57

Seit drei Tagen fühlt sich sieben Uhr an wie zehn, kann also länger sitzen, das Dunkel macht die Welt ruhiger, ich lese ein Magazin, stoße auf eine Band namens Vintage Trouble, ich schaue sie mir auf Youtube an und weiß nicht so recht. Gleiche lege ich mich vor's Lokalfernsehen. Geschrieben wird heute nicht mehr. Dazu sind die Neuigkeiten zu gut. Ich habe nix. Es ist mein Solar Plexus, der mir das Romanschreiben übel nimmt und schmerzt. Geht wohl nicht anders . Ich denke häufig, dass dieser Roman meine Meisterprüfung ist. Auf jeden Fall ist er gefährlich.


Fr 4.11.11 12:59

Ein Spätsommertag eher, heute früh schon spürbar beim stillen Gleiten über die mäßig befahrene Autobahn, das Land in ruhigen Farben, dazwischen das jetzt grell wirkende Grün der Weiden, über den Teutoburger Wald hinweg mitten ins Wiehengebirge, das sich bis ins Weserbergland zieht, aber so weit musste ich nicht, ich hatte zwei Lesungen in Bad Essen. Dritte und vierte Klassen hörten mir zu. Ich fand mich schon besser, zündender, ich weiß nicht, wieso, aber den Zuhörern hat es gefallen.

20:57

Was nun den Kugelblitz angeht, der seit etwa einem Jahr mit mir tanzt, weiß ich nur Gutes. Mit ihr verliert die Salsero Szene ihre eitlen Schrecken. Sie tanzt besser, als ich sie in Erinnerung hatte, und ich hatte sie in guter Erinnerung.

Was die Lesung angeht, war die Rückfahrt über schmale Straßen über den Rücken des Wiehengebirges, das vor lauter Buchen bunt lachend da lag, das Schönste heute. Ich glaube, das liegt vor allem an den Lehrerinnen, die in der ersten Lesung an der Seitenwand der Aula saßen und fortwährend tuschelten. Ich fand das unverschämt.


Sa 5.11.11 13:44





So 6.11.11 13:19

Als ich heute nacht gegen eins am Aa-See entlang Richtung Roxel radelte, könnte es möglich gewesen sein, dass ich statt dieser beiden prächtigen Bäume vier gesehen habe. Ich will es jedoch nicht beschwören. Kurz darauf war das Land mannshoch mit Nebel eingedeckt, was zum einen die umstehende Natur verhüllte, zum anderen aber auch die Geradeausfahrt ein wenig erschwerte.

Kaum aber hatte sich der Nebel wieder gelichtet, denn es war ein ortsgebundener Nebel, einer, der hier ist und fünfhundert Meter weiter schon nicht mehr, ging es wieder flott und ohne Zweifel geradeaus. Ich genoss den Vorteil des Fahrradweges, ich versuchte sogar den Freihändigfahrtest, der mir sonst immer zuverlässig Auskunft über meine Fahrtüchtigkeit gibt, und siehe, er gelang recht ordentlich.

Dennoch kam ich mit mir überein, dass ich, sollte mich auf den letzten anderthalb Kilometern, die ohne Radweg zurückzulegen waren, ein Auto überholen, lieber beizeiten absteigen und mein Rad schieben wollte. Aber es waren keine Autos mehr unterwegs, die sehr frische Nachtluft tat ihr Übriges, und erst, als ich zuhause vom Rad stieg, es abschloss und ums Haus nach vorn ging, musste ich feststellen, dass der Rausch, hervorgerufen durch selbstgekelterten Apfelwein erster Güte, der zu Anlass des Winzerorbitfestes reichlich ausgeschenkt worden war, doch beträchtlich an meinem Gleichgewichtssinn nagte, was beim Radfahren nur im Nebel zu spüren gewesen war, in diesem raumlosen Grau.

Kein Wunder, dachte ich, aber als Faustregel darf notiert werden, dass ich berauscht auf dem Rad meist tadellose Geradeausfahrten entlang gezogener Linien sogar freihändig praktiziere, auf den Beinen stehend aber sofort zu wanken beginne.

Zu vermerken ist auch, dass der Winzerorbit auf einer Terrasse stattfand. Nun gut, wir waren in Bundeswehrdecken gehüllt, die eigentlich dem deutschen Soldat in Afghanistan und wo sonst er sich aufhalten mag, wärmen sollen, aber wir saßen an frischer Luft und ringsum herrschte die Nacht vom 5. auf den 6. November. Erstaunlich, dachte ich noch, eh ich diese Terrasse verließ und mich auf den Heimweg machte.

Die Stunden vorm Winzerorbit hatte ich mit meinen Enkeln verbracht, dem Älteren, der sich gerade in seine aufkommende Trotzphase findet, und dem Jüngeren, der, gerade mal sieben Wochen, auch findet, dass ich ein anlächelnswerter Opa bin, einer mit Bart, der so kitzelt. Prächtige Enkel, und ich dachte, wie schön das wäre, wenn ich noch sehen kann, wie sie langsam groß und größer werden und mit ihren ersten Freundinnen um die Ecke kommen. So etwas dachte ich, und dann fuhr ich zum Winzerorbit.

17:35

Vorne lang, hinten lang: Kraniche, hatte ich letztlich gelesen, aber war das nun vorne und hinten lang, was da in V-Formation tausendfach gestern die Stadt überquerte. Die erste Formation hatte ich vom Balkon aus gesehen, man hört sie schon von weitem der lauten Rufe wegen, ständig stehen sie miteinander in Verbindung, tauschen sich über Höhe, beste Fluglage, über Winde und Aufwinde aus, aber ich konnte es nicht ausmachen, ich dachte, das könnte doch lang sein da hinten, oder, bis ich Addi am See traf, und der meinte sicher sagen zu können, dass es sich bei diesen Vögeln um Gänse handle. Ich habe nie zuvor so viele Gänse auf dem Weg nach Süden gesehen, ich sehe sie jedes Jahr, wenn ich ihre Rufe höre, stürze ich ans Fenster, weil es so ein großartiger Anblick ist, aber dieses Jahr hat alles bisher gesehen und gehörte in den Schatten gestellt. Und da sie nun unterwegs sind, gehe ich davon aus, dass es nächste Woche schneit. Jemand sagt, im hundertjährigen Kalender stünde es ebenfalls, also werde ich morgen die Sommerreifen gegen Winterreifen tauschen.


Mo 7.11.11 19:09

Wir machen jetzt erst einmal Feierabend.


Di 8.11.11 16:49

herr mensing nagt mit bitt'rer miene
seit tagen am ikea schrank
wenn ihm das leben schön erschiene
fühlt' er sich ganz bestimmt nicht krank

doch press-span lässt die zähne faulen
und klebemittel schmecken fies
könnt er doch bloß ein weibchen kraulen
dann ließ er dies...


Mi 9.11.11 20:03

Wenn ich auf den Markt will, nehme ich das Rad, es sei denn, es schüttet, schneit oder sonst ein Unbill droht, und wenn ich dann da bin, tue ich eigentlich immer das Gleiche: ich gehe herum, ich schaue hier und da, obwohl ich genau weiß, bei wem ich kaufe und bei wem nicht, auf jeden Fall aber gehe ich zu den Holländern, und bestelle dort einen Matjes mit Zwiebeln, selbstredend in der Landessprache.

Heute weitete ich das aus, denn ich hatte mir vorgenommen, Fischfilet zuzubereiten, und weil die Holländer immer so leckeren Backfisch verkaufen, fragte ich (auf Holländisch, Sie erinnern sich) was das eigentlich für ein Fisch wäre, aus dem sie den Backfisch machen. Schellfisch, sagte man und ich sagte, dann hätte ich gerne welchen. Schellfisch hätten sie aber nicht filetiert, sagte die Verkäuferin, und der Verkäufer, der neben ihr stand, hob ein großes Filet hoch und sagte, das wäre Kabeljau, und ich dachte, gut, kaufe ich, gibt's heute eben eine ordentliche Portion für uns zwei, der wir sind ja zwei, Vater und Sohn.

Der Kabeljau wurde abgewogen und dann sagte die Verkäuferin, dass er 13,80 kostet. Für so viel Geld koche ich manchmal zwei Tage, aber ich ließ mir nichts anmerken und zahlte. Zuhause suchte ich mir ein Rezept und begann mit der Arbeit. Eine Viertelstunde, bevor alles fertig war, sagte der Sohn, auf Fisch wäre er eh nicht so scharf, außerdem müsse er zu einer öffentlichen Sitzung seines favorisierten Fußballvereines. Da saß ich, frustriert, und ich dachte, soll ich jetzt den ganzen Fisch allein essen?

Rief bei der Familie H. an, aber Herr H. hatte die Scheißerei. Versuchte es bei der anderen Familie H., aber die war noch nicht komplett, Herr H. käme erst später. Ich drohte, mich zu erhängen, mit tot zu fressen, wogegen Frau H. heftigst protestierte, setzte mich an den Küchentisch und verzehrte mein einsames Mahl. So geht das manchmal.

Was den Rest des Lebens anlangt, danke der Nachfrage, ich komme ich voran und trete wie immer auf der Stelle. Knapp 175 Seiten sind geschrieben, das mit Weihnachten könnte klappen.

Und jetzt mummle ich mich auf dem Sofa ein, etwa so:


Do. 10.11.11 18:01

Versuche seit heute früh, meinen Protagonisten nach Amsterdam zu bugsieren, weil er dort etwas zu tun hat, aber er weigert sich, er weicht aus, er sagt, vorher müsse er noch ins Kino, er müsse noch telefonieren, und dann telefoniert er, und kaum ist er fertig, kommt auch noch Besuch. Es war also nicht einfach, mal sehn, vielleicht klappt es morgen.


Sa 12.11.11 00:05

Zweimal habe ich das Kapitel geschrieben und wieder gelöscht, heute mittag dann, ich war mit dem Rad zur Atelierausstellung in der Schulstraße unterwegs, um Klaus zu treffen, war plötzlich klar, wie ich meinen Helden nach Amsterdam brächte, vor allem aber war klar, wie ich seinen Aufenthalt eng mit seiner Geschichte verknüpfen konnte.

Als ich am frühen Nachmittag wieder zuhause war, beschloss ich, mit dem Schreiben noch ein wenig zu warten, ich wollte mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Das habe ich getan. Max und ich haben gut und einfach gegessen, dann habe ich auf dem Sofa gelegen und mir ein Dokudrama über das Ende des ersten Weltkrieges mit all seinen gesellschaftspolitischen Verwicklungen angeschaut, und als das vorüber war, was noch gar nicht so lange her ist, habe ich die ersten vier Seiten des Kapitels geschrieben. Wie es weitergeht, weiß ich, aber das passiert heute nicht mehr. Morgen auch nicht, denn morgen werde ich mit den alten Männern auf dem Land laute Musik machen, und wie das ausgeht, weiß ich schon jetzt. Den Sonntag werde ich zur Regenration nutzen müssen, am Montagfrüh gehe ich noch einmal zum Arzt, und erst danach geht es mit der Arbeit weiter. Schöne Aussichten, finde ich.


Mo 14.11.11 11:41

Nun haben sie sich also wieder getroffen, der Schlagzeuger, der Bassist, der Keyboarder und der Gitarrist. Einer hatte Bier mitgebracht, einer Heringssalat, einer stellte die Technik und einer sorgte für Marillenschnaps, zwei Flaschen diesmal, die jedoch nicht leergetrunken wurden, weil ein sogenannter Freischaffender auftauchte und zu seiner Entlastung Haschisch mitbrachte. Zum ersten Mal, seit die Real Fullmooners sich treffen, tauchte also ein Gast auf, wo doch eigentlich abgemacht war, dass niemand in diesen erlauchten Kreis einbricht. Der Gast, u.a. Interpret der Ursonate von Kurt Schwitters, mit der er, so berichtete er stolz, erst kürzlich einen Saal leergeredet habe, ist ein Schwätzer. Aber niemand warf ihn raus, denn auf die ein oder andere Art hatten alle schon einmal mit ihm zu tun gehabt, vornehmlich in tiefer Vergangenheit, und wer soviel Haschisch dabei hat, darf bleiben. Kein Wunder, dass der Schlagzeuger, der Bassist, der Keyboarder und der Gitarrist schon nach kurzer Zeit in bester Laune kaum noch vernünftige Töne zustande brachten. Sie schlugen sich die Nacht um die Ohren, huldigten dem Vollmond, sie wankten und torkelten und hielten sich wacker bis zwei in der Früh, dann schliefen sie, verabschiedeten sich am Morgen voneinander und bald wird es auf der geheimen Webseite der Real Fullmooners wieder Dinge zu hören geben, die man sonst nirgendwo hören kann.

Der Schlagzeuger hat heute die Ergebnisse seines Gesundheitschecks erhalten und ist pumperlgesund. Jetzt muss ihm nur noch der Urologe ins Gemächt fassen und die Absolution erteilen.

20:47

mein linker fuss
wird unterm weihnachtsbaum liegen
es ist ein schöner fuß
ich war gern mit ihm unterwegs
aber jetzt bist du fort
da brauche ich ihn nicht mehr
ich werde auf dem andern
noch ein wenig herumhüpfen
aber lustig ist das nicht
vielleicht habe ich glück
und ein neuer fuß wächst
das wäre ein wunder ich weiß
man hört ja so einiges


Mi 16.11.11 00:14

Feierabend, Herr Mensing.
Sie sitzen seit gestern früh, langsam wird's Zeit.

20:11

Traumhaftes Wetter, fand aber draußen und ohne mich statt. Ich saß am roten Tisch und habe gearbeitet.


Do 17.11.11 9:32

Rauhreif auf den Dächern. Gestern Volten geschlagen, von denen ich noch nicht weiß, ob sie halten, was sie versprachen. Allerdings könnte es sein, dass ich mich heute eher nach draußen orientiere. Es ist schon wieder so schön, lange kann das ja nicht mehr so weitergehen mit diesem herrlich klaren Wetter, irgendwo muss der November ja stecken, und wenn der kommt, kann ich immer noch arbeiten. Wir werden sehn.

22:19

Ich muss schon ein bisschen aufpassen, dass ich nicht vertrottele. Immerhin, ich war auf dem Rad unterwegs, der Enkel war nicht zu Hause, dachte, da ess ich ne Suppe im Shadi, kreuze durchs Dorf, kaufe Liquide für meine Elektrozichte, fahre am Aasee zurück und geb mir den Berg hinterm Zoo, hechle hoch und gönne mir außer Atem die Abfahrt fast ohne bremsen, dann am Wald lang und heim. Und gerade erst fiel mir ein, wie es weitergehen könnte. Das, von dem ich gestern noch nicht wusste, ob es hält, hat gehalten.


Fr 18.11.11 11:07

Da steht der Dichter, ich meine, da stehe ich und kann nicht anders: T-Shirts, Hemden, Jeans, das alles muss ja gebügelt werden, also stehe ich da und schwinge mein Philips Steamglide über die Schulterpartie eines Oberhemdes, die, wie Sie vielleicht wissen, nicht die einfachste ist, als es schellt.

Der Postbote kann es nicht sein, der war schon da, also könnte es a: der Künstler, b: der Landschrat oder c: der Gitarrist sein. Gut, denke ich, Kaffeepause. Ich eile zur Tür, drücke den Summer, die Tür öffnet sich und herein schreitet eine Frau meines Alters und sagt: Guten Tag Herr Mensing, Sie kennen mich nicht, ich wohne auf dem Nottulner Landweg und habe gerade zwei Bücher von Ihnen gekauft. Könnten Sie die signieren?

Oh, sage ich, ich bügle gerade, Sekunde, da hol ich mal eben einen Schreiber, aber das kostet natürlich extra. Als ich die Bücher signiert habe, fragt sie, was das denn koste. Ich lächle und zucke kurz mit den Schultern, damit sie weiß, dass das ein Scherz war.

Jetzt bin ich fertig mit Bügeln und mache meine Bewerbung für eine Writer-in-Residence Stelle in Luxemburg fertig. Ja, so weit ist es gekommen mit Herrn M., früher hätte er so etwas nie getan, er kann sich auch heute noch nicht vorstellen, irgendwo zu hocken und den writer-in-residence zu geben, aber man bekommt Geld dafür, und Geld stinkt ja nicht.

20:09

während ich verdaue
rauscht ein bus vorbei
streulicht färbt die blaue
nacht mit einerlei


Sa 19.11.11 11:28

Zur philosophischen Runde tranken Herr M. und Herr S. eine Flasche Whisky, wobei Herr M. nie sicher ist, ob es nun Whisky oder Whiskey heißt. Er könnte aufstehen und die leere Flasche auf regelgerechte Schreibung konsultieren, ist aber zu faul.

Die Sonne scheint, die Welt wirkt frühlingshaft, Herr M. will noch in die Stadt, aber ob er das schafft? Man weiß es nicht. So eine Flasche hat 45%, Herr M. war also zur Hälfte seines Eigengewichtes mit schottischem Hochland verfüllt, da ist der Schlaf tief und das Bewusstsein am Morgen erwacht nur ungern.

Dennoch: kein Kopf, keine Reue und interessante, sich auf dem Höhepunkt des Philosophierens stets aufs Merkwürdigste sich verflüchtigende Thesen, stets vom Kleinen zum Großen, vom Inneren zum Äußeren, ja, sogar zum Allerhöchsten mäandernd. Der, kamen die Philosophen schließlich überein, könne nur eine Flasche sein.

15:27


Hatte Aktien, hatte Haus,
großes Auto, hatte Maus,
liebe Ehefrau und Kinder,
viel Geschlechtskontakte in der
Dom-Rep, auch in Afrika und Thailand,
war nicht sicher, ob in Mailand
nicht vielleicht auch Nachwuchs wäre,
hoffte, seine Existenz erschwere
Nachforschungen, denn in tiefstem Herz
fühlte ich schon Abschiedsschmerz,
drohte schon der letzte Krampf
für den Abstiegskampf.


Mo 21.11.11 17:30

tanzte froh auf beiden beinen
drehte unbekannte frauen
mochte manche gerne leiden
andere war'n kaum anzuschauen


Di 22.11.11 15:10

Jeden Tag dieses Staunen über das, was ich gestern geschrieben habe, heute im neuen Licht überarbeite und dann für gelungen erachte. Seit Wochen geht es so Seite für Seite voran und jedes Mal bin ich überrascht.

18:52

Gleich wird das Dinkelkissen in der Mikrowelle erwärmt, auf den Sola Plexus gelegt, dann verschwinde ich auf das Sofa, ziehe mir eine Decke bis unters Kinn und vertrödle den Abend. Vielleicht lese ich, vielleicht sehe ich fern, vielleicht sehe ich, was ich sehe und habe es nur noch nicht bemerkt.


Mi 23.11.11 9:32


die heimatliche biogasanlage
wird nachgeladen für den weihnachtsstrom
man hat zum glück die große gabe
der morgendlichen illusion

so groß so schön so wundervoll
gerät das innere in schwung
auch farblich ist es wie es soll
nennt es am ende dung


Do 24.11.11 9:32

Die im Zimmer überwinternden Bananenstauden entrollen im Dreiwochentakt prächtige Blätter. Wenn das Licht hindurchscheint, erinnern sie mich farblich an eine der zwei wild lebenden Schlangen, die ich in meinem Leben gesehen habe, in Trivandrum, Kerala. Sie lag vor der Hütte, in der ich wohnte, ein grüngoldenes Tier, ob giftig oder nicht wusste ich weder damals noch heute, ich weiß nur, dass sie sehr schön war, vielleicht zwei Meter lang, aber als ich und andere sie bemerkten, machte sie sich schleunigst davon.

Ich war in den letzten Tagen auf sehr dünnem Eis. Ich schreibe mich manchmal in Situationen, in denen ich einhalten muss, weil ich nicht mehr weiß, wie es weitergehen könnte. Ich weiß nicht einmal, wie ich dort hingelangt bin, ich weiß nur, dass ich meinen Instinkten gefolgt bin, und so sitze ich dann für einen Tag oder zwei wie der Ochs vorm Berg, bis sich die Situation klärt. Gestern war so ein Tag. Gestern hat sich so eine Tür geöffnet, dass es mir den Atem nahm. Deshalb habe ich heute Urlaub.

Außerdem bin ich erschöpft. Ich war tanzen. Ich hatte hervorragende Tänzerinnen. Die beste aber war dieser Floh, mit dem ich Samstag schon einmal tanzte, den ich vorher aber noch nie gesehen hatte. Sie ist noch kleiner als der Kugelblitz, Ende zwanzig, Anfang dreißig, und hat so viel Energie, dass es ein großes Vergnügen ist, mit ihr zu tanzen. Manche Tänzerinenn wollen nur gut aussehen, tanzen korrekt, aber ohne große Emotion, dieser Floh aber strahlt so eine wilde Entschlossenheit aus, dass ich ihn sofort adoptieren möchte, für mich behalten, fertig. Nächte mit ihm durchtanzen, bis ich nicht mehr kann.

Seltsam ist, dass ich nach so einem Tanzabend wie gestern nicht in Tiefschlaf falle, sondern noch lange wach liege und dann auch noch schlecht schlafe. Offenbar wird viel Adrenalin ausgeschüttet. Also. Urlaub also, vielleicht springe ich gleich auf mein Rad, vielleicht fahre ich zum Frühstück irgendwohin. Mal sehen.

22:53

Empfehle wärmstens Halt auf freier Strecke, ein wundervoller Film, der den Tod dahin bringt, wo er hingehört, mitten ins Leben.


Fr 25.11.11 12:22

Vierzeiliges Mantra
nach Besuch beim Urologen zu sprechen

Ich habe schöne Nieren
Ein Glied, dass manchmal steht
Ich hab nichts zu verlieren
Und weiß, dass alles geht.


Sa 26.11.11 12:54

Man weiß nie, wer einem reinkarniert gegenübersteht, es gibt verschiedenste Berechnungen, tausende Durchläufe habe man nötig, hört man, eh man ins Nirvana gelange, gestern abend in B. hinter O. an der A1 war es eine reinkarnierte trübe Tasse in Gestalt eines Redakteurs der N.O.Z.

Äh, Sie sind also Herr Hermann M - Men ...
Richtig, sagte ich. Mensing: M E N S I N G.
Und ihr Buch heißt?

Ich gab ihm meine Visitenkarte und verwies auf meine Webseite.
Äh - Herr - Herr M - M - (richtig Mensing), wie viele Bücher habe Sie denn schon geschrieben?
Schauen Sie doch im Internet nach.

Die Lesung beginnt.



Auf Seite 12 wird der Held von Journalisten interviewt. Seine Hinweise hatten zur Verhaftung von Juwelendieben geführt. Er zieht sich die Mütze tief ins Gesicht. Ich dachte, die Tasse will bestimmt Fotos vom Autor mit Kindern machen, also bauen wir das in die Lesung ein. Er wäre der Journalist, wir wären die Helden.

Gut, das begreift er, wir stellen uns auf, er fotografiert, aber sein Blitz funktioniert nicht.

Stellen Sie sich einen recht großen Mann vor, Anfang Dreißig, blond, eine Jungenfrisur, von dunkelbraunem Zopfmuster durchzogener, beiger Baumwollpullover überm Bauch eines Bewegungsfaulen. So sehen reinkarnierte Tassen aus, der Dalai Lama wird es bestätigen.


Mo 28.11.11 17:21

Im Alltag eher Meister der Improvisation, blieb mir am Samstag nichts als das strikte Befolgen eines ausgeklügelten Planes. Dreizehn Zutaten für die Pizza, die uns über das Wochenende bringen sollte, waren zu besorgen. Wer sich samstags in einen Discounter traut, weiß, dass er Nerven braucht. Beim Verlassen des Hauses noch zweifelnd, ob der Einkauf wie geplant durchführbar wäre, kam ich um die erste Ecke und Wind blies mir ins Gesicht. So ein Wind ist wundervoll, er heitert auf und bringt zu Bewusstsein, dass man Teil dieses Ganzen ist, jedenfalls mir geht das so, ich verlängerte daher den Weg zum Discounter, lief um den Block und war, als die automatischen Türen beiseite rollten, fast Herr der Lage.

Nichts Ungewolltes jetzt, keine Spontankäufe, stattdessen rigides Abzeichnen des Einkaufsplanes, zielgerechtes Hin und Her, denn ich hatte beim Erstellen natürlich nicht an die verschiedenen Orte gedacht, an denen die Waren standen. Dennoch ging alles sehr schnell und ich war stolz. Alle Zutaten lagen auf dem Band und ich schätzte sie auf 10 bis 12 Euro. Normalerweise bin ich ein sehr guter Schätzer, oft komme ich auf einen Euro und näher heran, diesmal aber lag ich fast zehn Euro darunter. Ich konnte mir nicht recht vorstellen wieso, prüfte zuhause den Kassenzettel, und wusste, Kleinvieh macht auch Mist.


Di 29.11.11 15:13

Es gibt solche Tage. Heute ist so ein Tag, an dem nichts geht. Jeder Satz bäumt sich auf, jedes Wort gibt Widerworte, man hockt auf seinem Pferd und versucht eine Weile, es zu zähmen, dann gibt man auf und vertagt sich auf morgen.


Mi 30.11.11.
00:16

Als ich zum ersten Mal tanzen gehen durfte, von der Bismarckstraße gleich um die Ecke in die Concordia, wo die Lightnings spielten, war ich vierzehn. Gestern abend traf ich die beiden Gitarristen und den Bassist. Den Bassist sehe ich häufiger. Die Gitarristen hatte ich zwanzig Jahre nicht gesehen. Der eine hatte vor fünf Jahren einen Schlaganfall. Seit zwei Jahren kann er wieder sprechen. In der Zeit, a
ls er nur schreiben konnte, wurde er manchmal hellich. Dieses Wort hatte ich fünfzig Jahre nicht gehört: hellich werden, vor Ungeduld gereizt sein, unwirsch. Jetzt geht es ihm gut, sagt er, und er feiere jeden Tag. Im Keller hat er einen Raum, da spielt er nach wie vor Gitarre. Seine Frau ist Holländerin. Ich kenne sie, seit ich vierzehn war. Sie kam auch zur Concordia, und ich fand sie gut. Sie war rotblond. Das letzte Mal traf ich sie vor zehn Jahren im Aldi in Gronau. Da fand ich sie auch gut. Sie strahlt sehr viel Wärme aus. Rotblond ist sie nicht mehr.

Der Bassist ist trocken wie Brot, aber nicht ohne Humor. Er bevorzugt Witze über Sex. Seine Freundin ist eine Jugendliebe, die eine Ehe hinter sich hat, einen Krebs, die ein Haus hat und über seine Witze nur müde lächeln kann, sie ist freundlich, sie möchte gern einmal einen Joint rauchen, hat sie gesagt und sie hat sehr große Brüste. Der andere Gitarrist war Lehrer und Seminarleiter, hatte immer ein Studio, in dem er Bands aufnahm, hatte nie eine Liebe, jedenfalls wüsste ich keine, hat sein Leben mit seiner Mutter verbracht, und ist ein seltsamer Kauz, aber das ist nicht Neues, das war er auch damals schon.

Dann war da noch die Tochter der Kommunisten aus der Hollandsiedlung, ihre Mutter eine Widerstandskämpferin, die Anfang der 40er Jahre zwei Jahre in Holland untergetaucht war, sie ist eine starke Raucherin, in die ich mit elf verliebt war, als wir mit dem Schulchor in der Jugendherberge am Halterner See waren. Sie war vierzehn. Sie arbeitet als Kunsttherapeutin und hat noch 37 Tage bis zur Pension. Sie sagt, sie habe kein schlechtes Gewissen beim Rauchen. Sie malt. Sie lebt gern allein. Sie ist etwas Besonderes.

Der Steward war auch da, Chefpurser bei der Lufthansa war er und schickte Ansichtskarten von allen Erdteilen, er ist anglophil, alle bewunderten ihn, weil er wie ein Popstar aussah, aber dann stürzte er in einem Flieger so unglücklich, dass es ihm das Kreuz verriß und er nicht mehr fliegen durfte. Danach gab es nur unbestätigte Gerüchte, er sei früh verrentet, hieß es, worum ihn alle beneideten, er täte dieses oder jenes, und habe drei Kinder von mindestens drei Frauen.

Er, die Holländerin und ich waren die Jüngsten mit 62. Der Älteste war 67. Wir trafen uns im jugoslawischen Restaurant Split. Der Wirt empfing uns jovial, er schien den Bassist und den Chefpurser zu kennen, er sagte, Junge, wie gehts. Wenig später standen süße Schnäpse auf dem Tisch. Alle bestellten Grillteller, der Chefpurser aß Schnecken und Gambas. Seit vierzig Jahren hatte ich kein jugoslawisches Restaurant betreten. Es gibt immer noch Berge Fleisch. Ich habe alles aufgegessen. Im Split steht die Zeit. Der Wirt hat zwei Wohnungen in der Nähe von Dubrovnik. Eine vermietet er.

17:28

Erhielt heute Hinweise auf die letzten zwei noch zu schreibenden Kapitel meines Romans. Die Hinweise kamen, während ich mit dem Rad in die Stadt fuhr. Höhere Instanzen scheinen das Fahrradfahren zu lieben, sodass ich jedem und jeder diese Beschäftigung empfehle. Beim Tanzen, auch eine schöne, entspannende Beschäftigung, erreichen mich derartige Hinweise eher selten. Beim Rauchen von Kräuterzigaretten hingegen erhalte ich oft eine derart hohe Anzahl von Hinweisen, dass ich sie am Folgetag kaum überschauen, geschweige denn decodieren kann. Man sollte mit derartigen Hinweisen also vorsichtig sein. Alles in allem kann man sagen, dass heute ein guter Tag war. Ich werde jetzt kochen, den Abend auf dem Sofa vertrödeln, morgen werde ich sehen, ob ich die Dinge zu Ende bringen kann.



 


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