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Oaxaca

Oaxaca (gesprochen: Bohaca) im Süden Mexicos war nur eine Station auf meinem Weg über die Panamericana nach Süden, unter Umständen bis nach Feuerland. Das war mein Plan, wenngleich es ein Plan war, der Tag für Tag verändert werden konnte. This plan is subject to change, nennt man das im Englischen.
Mit Bruno und John, mit denen ich seit etwa vier Wochen gemeinsam reiste, hatte ich ein paar Tage in Puerto Escondido verbracht, ein verschlafenes Fischernest am Pazifik. Die Wellen dort waren hoch, und in einer tauchte eines nachmittags eine Flosse auf. Wir schworen, es wäre eine Haiflosse gewesen.
Mich hätte eine dieser Wellen fast ersäuft.
Beim Surfen ohne Brett hatte ich sie zu spät erwischt, sie hatte mich kopfüber gehoben, mich nach unten gedrückt, polternd übern Sand geschleift, ich war gegen einen Fels gekracht und prustend aufgetaucht, froh, dass es nicht schlimmer gekommen war.
Der Bus, der uns von dort fort brachte, war eine Rostlaube mit meisterhaftem Fahrer und artistischem Schaffner, der nicht nur Karten verkaufte, sondern auch Gepäck verstaute, entflohene Tauben einfing, Hühnern die Beine verschnürte und Menschen dazu brachte, immer noch ein bisschen dichter zusammen zu rücken, damit noch mehr neue Fahrgäste zusteigen konnten.
Acht Stunden ging es auf Feldwegen durch gottverlassenes Land, z.T. zweitausend Meter hoch, durch Urwald, trockenen Hochwald und Dörfer, die von Hunden beherrscht schienen, unserem Ziel entgegen.
Oaxaca verhieß Marihuana und Magische Pilze. Da der vagabundierende Hippie gern sein Bewusstsein erweiterte, führte kein Weg an dieser Stadt vorbei. Sie war ein Muss. Im Umland hatten sich Freaks Hütten gemietet, auf deren Feuerstellen in rußschwarzen Töpfen tagein tagaus der Sud aus magischen Pilzen köchelte.
Ich hab's natürlich probiert, er schmeckte nicht sonderlich gut, und die Erleuchtung kam auch nicht.
Dennoch war Oaxaca ein magischer Ort.
Es war der 30. Oktober, als wir uns im Hotel Colona einmieteten, die Stadt bereitete sich auf das Allerheiligen-Fest vor. In den Läden gab es Totenköpfe aus Zuckerguss und Gebeine aus Pappmaché. Auf den Totenköpfen standen Namen, sodass jeder den Passenden für seinen Toten fand.
Die Einheimischen, Nachfahren der Maya, mochten uns nicht. Sie hielten uns für Gringos, wir fielen unter Generalverdacht, wir waren Vertreter des mächtigen nördlichen Nachbarn, der Bananenrepubliken manipulierte, wie es ihm in den Kram passte. Dass wir aus Europa kamen, änderte daran nicht viel. Ich erinnere mich, dass ich Sandalen kaufen wollte. Der Händler weigerte sich, sie mir zu verkaufen. Andere bewarfen mich mit Obst, als sie sahen, dass ich fotografierte.
Ein mürrisches Volk, die Leute dort. So habe ich sie in Erinnerung, aber natürlich ist es möglich, dass ich ihnen Unrecht tue. Wahrscheinlich sogar. Aber was sollten sie schon von uns halten? Abgerissen wie wir waren. Wäre einer auf den Gedanken gekommen, uns die Kehle aufzuschlitzen, man hätte nie wieder von uns gehört. Tatsächlich geschah das auch hin und wieder. Aber mir ist, wie Sie aus diesen Aufzeichnungen ersehen können, nie auch nur das Geringste passiert.

 

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