Oktober 2019                      www.hermann-mensing.de      

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Do 3.10.19 18:12 wechselhaft, frisch

Gegen halb zehn machte ich mich auf den Weg vom Bohlweg zum Rüschhaus. Ich musste arbeiten. Mir war klar, dass es wegen des Giro Sperrungen gäbe, wusste aber nicht, wo. Die erste war am Buddenturm. Ich bog Richtung Kreuzschanze ab, um über die Kleimannstraße zur Steinfurter zu gelangen, aber die Steinfurter war auch gesperrt. Also fuhr ich durch die Marienthaler Straße zum Ring, aber die Grevener Straße war ebenfalls dicht. Um die Stadt Richtung Gievenbeck zu verlassen, solle ich den Ring andersherum fahren, riet ein Polizist. Er wusste wohl nicht, dass die Hafenstraße wegen eines Wasserrohrbruchs gesperrt war, deshalb blieb mir nichts, als über die Siemensstraße zur Umgehungsstraße zu fahren, an der Weseler Richtung Aasee zu fahren, von dort bis zur Kreuzung bei der Torminbrücke, zum Coesfelder Kreuz und dann nach Gievenbeck. Als Fremder wäre ich aufgeschmissen gewesen. Kein Navi hätte eine spontan Lösung anbieten können, und ich war eine Viertelstunde zu spät.

Schon vor elf standen fünfzehn Menschen vorm Haus, so dass ich die Führung früher begann.
Danach ging es Schlag auf Schlag bis zur letzten Führung um 15 Uhr. Es war lukrativ. Und ich glaube, dass ich die Abrechnung, die zu Ende eines Tages immer bewerkstelligen muss, und die mir nie jemand in Gänze erklärt hat, heute endlich einmal korrekt beenden konnte.

Nun muss was zu essen her. Gehe ich noch aus dem Haus, oder lasse ich es?



Fr 4.10.19 11:06 bedeckt, um die zehn Grad

Frauen meines Alters, deren Kleidung farblich bis in feinste Nuancen aufeinander abgestimmt und von einem leuchtend roten Mund kontrastiert ist (Mantel nicht unter 400, Schuhe mindestens 300 Euro), ordne ich in der Regel einer höheren Gehaltsklasse zu. Sie sind Ehefrauen nicht unvermögender Männer, oder pensionierte Besserverdiener. Nicht, dass ich sie beneide, schöne Kleidung tut gut, Kulturbeflissenheit ist ein feines Hobby, aber was dahinter steckt, merkt man erst, wenn sie zu sprechen beginnen, so wie gestern, als ich von Schlauns Maison de Plaisance erzählte, auf die Allee hinwies, die in einer Lichtung endet, auf der eine Richard Serra Skulptur steht: Dialogue with Johann Conrad Schlaun.
Ach! rief eine begeistert. Das ist Serra? Toll, den liebe ich ja. Dabei schaute sie mich mit ihren blaugrauen Augen so interessiert an, dass von ihr nichts blieb, als eine Frau meines Alters, die sich mit auswendig gelernten Sätzen schmückt. That don't impress me much, sang Shania Twain vor langer Zeit.


Sa 5.10.19 17:15 leicht bewölkt

Als ich zur Höheren Handelsschule ging, wurde Herr K. mein Deutschlehrer. Er hatte Vorlieben. Eine war das absurde Theater Ionescos, die andere die Metaphern und undurchschaubaren Verhältnisse in den Arbeiten Kafkas. Zur königlichen Botschaft hat er uns seitenlange Interpretationen abgefordert. Mir hat das gefallen. Vorgestern sah ich Das Schloss in einer Michael Haneke Verfilmung. Undurchschaubare Verhältnisse, atemberaubende Schnitte. Gestern fuhr ich bei strömendem Regen zur Stadtbücherei und besorgte mir den Prozess. Heute habe ich die ersten 85 Seiten gelesen. Vielleicht keine schlechte Vorbereitung auf die Tango-Gala nachher, denn die Verhältnisse dort sind ebenso unverständlich und undurchschaubar. Aber ich freue mich. Ich freue mich, dass ich Kafka lese, dass der Samstag so dahin geht und ich zum ersten Mal seit Wochen wieder Tango tanzen werde.


So 6.10.1920:24 tagsüber frisch, bewölkt, ab 16 Uhr Regen

Ich habe die Heizung an, aber ich friere trotzdem, weil ich mir die Haare geschoren habe. Übermorgen sind sie einen Millimeter gewachsen, das ändert die Strömungsverhaltnisse, und es wird wieder wärmer am Kopf. Im Augenblick trage ich eine Mütze. Kafka und ich verstehen uns. Ich habe mir das Licht in der Sofaecke so eingerichtet, dass es das Buch ausleuchtet. Der Rest des Raumes ist dämmrig. Vom Küchenfenster zieht die Luft durch den Flur, dann und wann schlägt eine Tür, und suggeriert, dass ich nicht allein bin. Das erwärmt auch. Vorhin habe ich Kartoffelsuppe gekocht. Vorgestern sind mir Lammlachse mit Böhnchen und im Backofen gerösteten Rosmarinkartoffeln, gestern eine Kürbissuppe gelungen. Ich habe Speck, Zwiebeln und zwei dicke Zehen Knoblauch angebraten, den gewürfelten Kürbis kurz mitschmoren lassen, mit Salz, Curry, Pfeffer und Ingwer gewürzt, Brühe hinzugegossen, bis der Inhalt knapp bedeckt war, und gekocht. Nach einer Weile habe ich zwei Löffel selbstgemachten Birnengelee und den Saft einer halben Zitrone hinzugegeben, kurz vor Schluss eine halbe Dose Kokosmilch und das Ganze püriert. Für die Kartoffelsuppe nahm ich Quittengelee, Quitten aus Nettes Garten. Die Kokosmilch habe ich weggelassen.


Mo 7.10.19 morgens sonnig, ab Mittag bewölkt, mild

Der Vermarkter von Kaffee, der auf FB häufig mit Sonderangeboten wirbt, reißt sich für mich den Arsch auf. Man erhält 6 ausgewählte Sorten in Deutschland gebrannter Kaffees. Sie sind hip verpackt und schmecken gut. Ich habe jetzt zum zweiten Mal bestellt, aber der Schwarzwild Kaffee aus Freiburg, der mir besonders geschmeckt hatte, vielleicht, weil er der erste war von sechsen, die ich probiert hatte, war diesmal nicht dabei. Zwei Tage später fragte man mich, ob ich zufrieden sei. Normalerweise knicke ich solche Mails. Diese nicht. Nicht ganz, sagte ich und erwähnte Schwarzwild. Heute schickte man mir ein Paket.


Do 10.10.19 12:14 wechselnd bewölkt, recht mild

Wind kommt vom Westen und erinnert mich, dass ich schon bald ans Meer fahren werde. Hin und wieder schellt mein Telefon, ansonsten herrscht Stille im Hause, denn außer mir und B. lebt im Augenblick niemand mehr hier, alle sind fortgezogen. Ich bin ein wenig müde. Den Prozess von Kafka habe ich beendet. K., der angeklagt ist, weiß bis zum Ende nicht, weshalb. Mir scheint der Roman eine Metapher auf die Gegenwart. Immer und überall ist etwas im Gange, wovon niemand Genaueres weiß, alles kann jederzeit geschehen, aber ebenso im Sande verlaufen. K. endet schrecklich. Wie aus heiterem Himmel tauchen zwei Männer auf, führen ihn in einen der Stadt nahen Steinbruch, fordern ihn auf, seinen Oberkörper frei zu machen, er tut das widerstandslos, einer der Männer sticht ihm mit einem zweischneidigen, sehr scharfen Messer ins Herz und dreht das Messer zweimal um.


So 13.10.19 11:15 bewölkt, mild

Sechs Augen sehen mehr als zwei, drei mehr als vier, und so kam es, dass wir gestern zu Dritt in den Forst fuhren, um Pilze zu finden. Ein gewisser Herr. S., auch Tobsucht genannt, hatte zwei Tage vorher ins Web posaunt, die Pilzsaison sei großartig, beim Joggen hätten sie ihn quasi überfallen, aber natürlich hatte er sein Revier nicht preisgeben wollen. Da ich aber weiss, wo Tobsucht lebt, war es ein Leichtes, über Google herauszufinden, wo denn die Wälder sein könnten, in denen T. en pessant Pilze findet. Wir hatten Bestimmungsbücher und eine Pilzapp. Die Pilzapp spielte "Hallelujah", wenn sie einen Pilz identifizieren konnte, und warnte vor Gefahren. Knollenblätterpilze erkannte sie in Bruchteilen von Sekunden, was mich beruhigte. Wir streiften herum, es war mild, die Waldböden waren feucht, nach gewisser Zeit gerät der Pilzfinder in eine Art Trance, die ihn zu den richtigen Stellen führt. Oder auch nicht. Uns aber führte sie zu einer großen Pfanne voller Maronen und zu zwei Pfannen Krauser Glucke, ein Pilz, von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Er ist so groß ist wie ein Blumenkohl, hat auch gewisse Ähnlichkeiten, eher aber erinnert er noch an Korallen, ist fest im Biss, ein hervorragender Pilz. Vor zwei oder drei Jahren hatte ich einmal Herbstlorchel gefunden, auch diese korallenähnlich, aber viel kleiner.


Mo 14.10.19 11:26 bewölkt, mild

Bei Recherchen zu Annette von Droste Hülshoff stieß ich in einem Buch eines ihrer späten Nachfahren, Wilderich Freiherr Droste zu Hülshoff, auf folgenden Satz, der meine bisherigen Erkenntnisse stützt. Da heißt es, dass adelige Söhne und Töchter durch ihre Zugehörigkeit zum Domkapitel und den Kollegiatsstiften bis ins 19. Jahrhundert über eine "gut dotierte, weitgehend arbeitsfreie und sichere Versorgung verfügten". Das kommt dem Lotterielos nahe, das eine "lebenslange Sofortrente" verspricht.


Mi 16.10.19 9:31 bewölkt, könnte Regen geben

Ob es am Vollmond lag oder an den Pilzen, ich weiß es nicht, die letzten zwei Tage waren Löcher im Lebenskäse. Als sich mein Roller dann gestern auch noch weigerte, Gas anzunehmen und kaum achtzig fuhr, fügte sich das in die allgemeine Stimmung. Achtzig ist schnell genug, nicht dass Sie mich falsch verstehen, dennoch gab mir das zu denken.

Für heute hatte ich mir daher folgendes ausgedacht: ich würde die Zündkerze wechseln. Wenn das nicht hülfe, würde ich den Luftfilter erneuern. Und wenn auch das nicht hülfe, müsste sich mein ehemaliger Nachbar mit der Sache befassen. Ich tippte auf einen verschmutzten Vergaser, aber wer bin ich, dass ich so etwas weiß, ich weiß ja nicht einmal, ob das, was ich täglich schreibe, Qualität besitzt.

Nun, im Plusquamperfekt klingt die Sache schon anders, denn vor einer halben Stunde habe ich mich aufs Mopped gesetzt. Ich brauchte Eier vom Eierbauern, aber das war nur ein Vorwand, in Wirklichkeit wollte ich wissen, ob der Roller immer noch zickt. Er zickte nicht, er fuhr mit der mir schon liebgewonnenen Beschleunigung, die zu Anfang manchmal regelrecht mit mir durchging. Ich nutze sie gern, um Ampeln, die rot zu werden drohen, noch vorher zu erreichen. Also kann man sagen, dass alles wieder gut ist. Vielleicht, und das ist jetzt das letzte Vielleicht, vielleicht liegt es ja auch daran, dass ich heute gegen 4:35 ein Gedicht, dass ich nachmittags online gestellt hatte, gelöscht habe. Früher hätte ich es zerrissen.

20:40

Gestern wollte ich einen Prolog zu der noch zu entwerfenden Webseite dorfschreiber.com schreiben, suchte Texte, die seit März dieses Jahres entstanden sind, aber jedes Wort schien falsch, und je falscher es schien, desto mutloser wurde ich. Das Wetter war wundervoll, goldener Oktober, ich hätte nur vor die Tür gehen müssen, aber ich brachte es nicht fertig, die Arbeit zur Seite zu legen. Erst am späten Nachmittag fuhr ich zum Longinusturm, aber das gestattete ich mir nur wegen der Pilze.

Auf dem Heimweg hatte ich die erste Zeile für ein Gedicht, zuhause schrieb ich den Rest, dachte, wundervoll, wo kommt das bloß her, dann aber begann es mich zu deprimieren. Ich schrieb es um und wieder um, ging früh zu Bett, schlief schlecht, träumte dummes Zeug, aber als ich vom Eierbauern zurück war, setzte ich mich auf meinen Roller, um das zu tun, was ich schon gestern hätte tun solle.

Ich besuchte meinen ehemaligen Nachbarn, erzählte ihm von meinen Erfahrungen mit dem Roller, fragte, ob er mir die Maschine für die Überwinterung fit machen würde, wir tranken Kaffee, und schließlich fuhr ich "den Tank leer". Ich war hauptsächlich auf Landwirtschaftswegen unterwegs, vorbei an Raps, an Kiefern-, Eichen und Buchenwäldern, Wiesen, Birkenalleen, ich navigierte nach Himmelsrichtung, dann und wann kreuzte ich eine Bundesstraße, und so kam ich nach Bad Bentheim, verfuhr mich im Fürstenwald, da die Strecke nach Gronau gesperrt war, aß Kibbeling an der Grenze, und fuhr dann, um es auszuprobieren (schließlich lerne ich), über die B54a, eine dreispurige Straße, die zu fahren schon mit dem Auto keinen Spaß macht, zurück Richtung Münster. Der Verkehr wird im Wechsel zweispurig in die eine, einspurig in die andere Richtung geführt. Ich überholte einen LKW bei Gegenverkehr, geriet bei einhundertzwanzig in die von den beiden 40Tonnern verdrängte Luft, die einen Motorradfahrer schüttelt, all das ist machbar, all das muss geübt werden, macht aber kein Vergnügen. Alles andere war wundervoll. So kam es, dass ich heute tat, was ich gestern hatte tun wollen, und jetzt fühle ich mich gut.


Do 17.10.1918:42 es regnet

Als ich zum Rüschhaus fuhr, regnete es. Als ich es aufschloss, regnete es immer noch. Als ich es zum ersten Mal verließ, um die Kassenlade zur Kasse zu tragen, querte ein Eichhörnchen meinen Weg, rannte den Pflaumenbaum hoch und sprang von dort hinüber zur Quitte. Als ich die Kasse fertig hatte, ging ich ins Büro.

Im Büro gibt es Internet, das ist langsam und instabil. Ich las Zeitung. Um elf kamen keine Gäste. Ich las noch mehr Zeitung. Ich hatte Arbeit mitgenommen, aber sobald ich "Arbeit" denke, verkrampfe ich.

Um zwölf kamen auch keine Gäste. Es regnete noch immer. Ich suchte mir einen Platz zum Schlummern. Ich fand einen. Ich schlummerte.

Um vierzehn Uhr kam ein Paar, Mitte Vierzig, Tochter und Sohn zwischen vierzehn und sechzehn. Ich schlummerte immer noch, musste aber jetzt zwei Erwachsene mit halbwüchsigen Kindern herumführen, das ist intim und kann nach hinten losgehen. Immerhin hatte es zu regnen aufgehört.

Mir wurde schnell klar, dass die beiden etwas von Annette und dem Schreiben verstanden. Wir kamen uns näher. Die adoleszenten Kinder gähnten nicht. Als die letzten Sätze gesprochen waren, schien die Sonne. Im Garten gingen drei alte Frauen herum, aber sie wollten nichts ins Haus. Ich ermunterte sie, auf dem Rasen liegende Quitten mitzunehmen.

Dann verschloss ich die Fensterläden, rechnete ab und machte die Alarmanlage scharf. Die Sonne schien, als ich heim fuhr. Dort werde ich auch nicht arbeiten. Ich kann gar nicht arbeiten. Das einzige, was ich kann, ist flüchten und schreiben, im Prinzip ein und dieselbe Sache. Nächstes Jahr werden sie mich drei Monate dafür bezahlen, das wird interessant. Aber der Konflikt geht davon auch nicht weg. So verblödet man still. Nur gut zu wissen, dass es anderen auch so geht.


So 20.10.19 17:45 grau, Regen

Der Herbst zieht auf. Ob einer gewinnt oder verliert weiß man nicht. Die Heizung funktioniert, wir haben Strom, wir kämpfen und geben keinen Meter kampflos. Freedom is another word for nothing else to lose. Am Arsch lecken, oder?


Mo 21.10.19 10:14 sonnig

Was die Physiognomie aus Menschen verschiedener Länder macht, ist erstaunlich. Die Männer, die ich gestern sah, hätte ich für Russen gehalten, aber es waren Finnen. Vielleicht waren es Finnen aus den nördlichsten Provinzen Lapplands, dann wären es ja auch schon fast Russen. Der eine hatte ein schmales Gesicht mit einem Pornoschnäutzer. Er spielte Akkordeon. Der andere sang. Er war dicklich, trug einen schwarzen Anzug, ein schwarzes Hemd und eine bordeauxfarbene Krawatte, er hatte einen Siegelring an der linken Hand und ein Doppelkinn, seine Gesten waren theatralisch, ausnahmslos mit der linken Hand ausgeführt, mit der rechten hielt er das Mikrofon. Dabei trat er oft von einem aufs andere Bein und machte Ausfallschritte nach links oder rechts. Wenn er nicht sang, rieb er sich häufig den Nasenflügel oder das linke Ohr. Die beiden spielten Tango, Lapi-Humpa und andere, dort oben angesiedelten Musiken. Manches war High-Speed Polka. Sehr virtuos der Mann mit Pornoschnäutzer, dazu musikalisch, der Sänger, ein angenehmer Tenor, und beide hatten Humor. Es war schön, ihnen zuzuhören. The next song we play, is about a man. He comes out of a house. It is winter. A taxi waits for him. Very sad song.


Di 22.10.19 bewölkt 10:14

Herr M. hat neuerdings Freude am Kochen. Waren es vor zwei Wochen noch eher einfache Dinge, hat er zum Wochenende ein vegetarisches Drei-Gänge-Menü zubereitet (Rote Beete Carpaccio mit Artischocken und Pilzen, überbackener Fenchel mit karamelisierten Weintrauben, Kohlrabischnitzel mit Kerbel Polenta), das von den Gästen, vor allem aber von Feinsliebchen, von Geburt zu höherem bestimmt, hoch gelobt wurde. Die Zubereitung war die reine Freude. Wie da eines ins andere passte, wundervoll. Ein gut geplanter Einkauf am Tag vorher, nach Gerichten auf dem Tisch und der Anrichte in der Küche zusammengestellte Zutaten, just in time production, wenn Feinsliebchen pünktlich gewesen wäre. Nach diesem grandiosen Erfolg denkt Herr M. nun auch ans Kuchenbacken.



Mi 23.11.19 10:21 noch ist es bedeckt, es klart aber auf

Die Arbeit ist getan. Man würde einwenden können, nun putzen Sie doch endlich ihre Wohnung, aber mir gefällt sie, wie sie ist. Hier und da liegt Staub, aber der stört mich nicht, ich habe keine Allergien, ich habe nichts, was viele Menschen mit Hang zu klinischer Sauberkeit umtreibt, ich könnte eine Putzfrau engagieren und sie gut bezahlen, aber nicht heute, heute ist ein schöner Tag, ich leiste mir einen Herbstspaziergang und gehe nach Münster.


Do 24.10.19 00:15

Bin mit dem Roller zum Hot Jazz gefahren und habe Salsa getanzt, eine schweißtreibende Angelegenheit. Das Schönste daran ist, dass Menschen unterschiedlichster Lebensalter ohne die sonst üblichen zwischenmenschlichen Zicken miteinander tanzen können. Ich tanzte mit A. A. war kaum älter als zwanzig, klein, nicht ausnehmend hübsch, Pferdeschwanz, Stupsnase. Sie hatte mich aufgefordert.
Es dauerte kaum ein Lied, und wir wussten alles voneinander, zumindest das, was man als Tänzer wissen muss, um zu entscheiden, ob man weiter tanzt, oder nicht. A. war eine supergute Tänzerin, die Beste gestern. Außerdem habe ich mir ein Ticket für Simon Phillips gekauft. Jetzt bin ich zurück. Die Nacht rollt herum, ich sitze auf dem Balkon, trinke noch einen Schluck Wein und werde gleich wohl ins Bett gehen, wenngleich ich nichts dagegen hätte, mir einen gehörigen Rausch anzutun, aber ich muss morgen ins Rüschhaus, das wäre kontraproduktiv. Wie gesagt, wunderbares Tanzen, wunderbares Herumfahren mit dem Roller, und jetzt, hoffentlich, tiefer Schlaf. Ich liebe das Leben.


22:34

Heute war ich im Rüschhaus, am Sonntag bin ich auf der Burg, dann ist meine Saison zuende. Heute hing der ganze Tag voller Geschichten, Das war amüsant, aber auch anstrengend, zumal es die Geschichten von zweiundzwanzig sehr unterschiedlichen Menschen waren, die immerzu aufschienen und Teil der Geschichte waren.

Da ich Führungen als Teil meiner literarischen Arbeit mit anderen Mitteln, aber auch als Aquise für Trenkgeld sehe, weil etwas in mir nagt und sagt, wert sei nur etwas, was Geld bringt, arbeite ich nicht nur permanent an der Geschichte, die ich erzählte, sondern auch an meiner Technik zur höchstmöglichen Ausbeute, die meinen Stundenlohn auf erträglichere Werte hebt, Heute war ein ungewöhlich guter Tag. Mit dem, was ich eigennommen habe, kann ich bis zum Wochenende einkaufen. Zur letzten Führung, ich hatte längst angefangen, tauchte eine junge Frau auf. Kahlköpfig, Dinge in Nase und Ohren, schwarze Springerstiefel, ebensolches T-Shirt mit weißem Aufdruck, den ich nicht lesen konnte, Militärhose in Tarnfarben. Rundes Gesicht. Braune Augen.. Ob sie noch mitwolle, frage ich. Sie sagt ja, ja, aber sie wäre eher zufällig da, sie wohne jetzt in Nienberge, habe auch kein Geld dabei, und sei Kunststudentin. Okay, sage ich, Studenten haben eh frei, aber wenn Sie Nazi sind, nehme ich Sie nicht mit. Nein, sagt sie, ich bin links, sie auch, nicht?

 

Di 29.10.19 16:50 ruhiger Herbst, sonnig

Wenn ich (wie gestern) Kraniche auf dem Weg in den Süden sehe, wird alles, was angeblich ist, vermeintlich geschehen wird, wenn.... was gestern geschah, weil .... und was irgendjemand zu irgendeiner Sache gesagt oder nicht gesagt hat, auf der Stelle belanglos. Am Himmel findet Gegenwart statt. Von den Bäumen fällt Vergangenheit. Ich grüße jedes Blatt und komme vor lauter Grüßen zu nichts. Überall wundervolle Fliegenpilze. Eines Tages werde ich sie auf ihre Wirkung prüfen. Bis dahin reichen mir meine Kunst, das Klavier, das Schlagzeug, die Ukulele, die Gitarre, der Bass, und die Djembe. Schönen Herbst allerseits.