Oktober 2020                     www.hermann-mensing.de      

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Do 1.10.20 13: 54 / Krise Tag 201 / bewölkt, ruhiges Wetter

Unsere Kanzlerin hat sich zu Wort gemeldet. Ich, nach einigen Mühen der Recherche fähig, unser demokratischen System in seinen Einzelheiten zu erklären, von Anfang an aus sentimentalen Gründen sozialdemokratisch, bin seit der Flüchtlingskrise 2015 ihr Fan, weil ich sehe, dass sie versucht, mit Augenmaß das zu tun, was sie tun kann. Ihre Partei wähle ich nicht, würde sie aber als Königin akzeptieren. Nicht umsonst nennt man sie Mutti. Ich bin mit einem Vater großgeworden, er hieß Adenauer, wohnte am Rhein und fuhr einen schwarzen Mercedes, da schließt sich ein Kreis.

Mutti hat ihre Sorge geäußert und an unsere Ein- und Umsicht apelliert. Das ist gut so. Das sollten vor allem die hören, die von Diktatur reden. Die Kanzlerin hat - wie ein italienischer Philosoph schon Mitte April - versichert, wie groß die Freude sein wird, wenn alles wieder gut ist, denn auch sie leide und wünsche sich das Gegenteil von dem, was ist. Aber was nicht ist, kann werden, und damit es so wird, bittet sie uns, mitzuhelfen. Ich werde mich nicht widersetzen. Bei den Kommunalwahlen habe ich links gewählt, weil Sarah Wagenknecht vorm Hohen Haus immer so deutliche und mir wahr scheinende Worte findet, weiß aber, dass Utopien mehr brauchen als Worte und eine Amtszeit. Das ist mein Stand der Dinge. Um nicht den Verstand zu verlieren, schreibe ich. Das Projekt, im Spätsommer letztens Jahres begonnen, liegengelassen und vor einiger Zeit zaghaft wieder aufgenommen, wird mich bis in den Sommer des nächsten Jahres begleiten. Dann, hoffe ich, ist das Schlimmste überstanden, und ich hoffe, dass Sie ebenso mithelfen, die Lage zu klären, denn das ist das Einzige, was wir tun können, jeder Einzelne kann daran mitarbeiten, so etwas nennt man Demokratie. #Ineverpromisedyouarosegarden

Fr 2.10.20 11:04 / Krise Tag 202 / klar, leichte Bewölkunng, etwas Wind

da hat jemand hingekotzt
ein hund kackt vor's bezirksamt west
ein kind am boden, hochrot, trotzt,
bloß weg hier, denk ich, heim ins nest.


Di. 6.10. 20 00:55 / Krise Tag 206 /

Dass man so einen Irrsin noch erleben muss. Interessant isses ja. Aber es nervt zusehends.

23:21

oh wie träumt sich's
wenn sich's träumt,
wenn die seele nicht mehr schäumt
wenn sich's herz zur ruhe setzt
und niemand mehr hetzt.


Sa 10.10.20 12:01 / Krise Tag 210 / windig, wechselnd bewölkt, es wird regnen

Zahlen, Statistiken, Meinungen. Die Sterblerate meiner Altersklasse durch Corona liegt bei ungefähr 3 Prozent. Meine Sterberate ohne Corona liegt bei 100 Prozent. Ihre übrigens auch. Deshalb. Scheißen Sie sich nicht ins Hemd, befolgen Sie die Regeln, es wird besser, bestimmt. Aber vielleicht sind Sie bis dahin längst gestorben, denn gestorben wird jeden Tag.

18:43

Ich werde mich wieder warm anziehen müssen.


Di 13.10.20 18:20 / Krise Tag 213 / ruhiges, sonniges Wetter

Alle reden durcheinander. Ich schweige.


Mi 14.10.20 16:04 / Krise Tag 214 / bewölkt, frisch

ein kurzer traum vom fliegen ist das leben
die landung löscht das letzte licht
es lohnt sich, diesem traum alles zu geben
denn einen anderen gibt es nicht.

Fr 16.10.20 12:20 / Krise Tag 216 / bewölkt, frisch

wenn einst,
an jenem nicht mehr fernen tag
die sorge weicht,
und leichtigkeit zurückkehrt,
wird alles, was uns heute plagt,
als dunkle wolke an das gestern durchgereicht,
wir werden wieder mit den freunden trinken,
wir werden uns in armen liegen,
wir werden lachen, loopings fliegen,
schwimmen und nicht sinken,
im nächsten frühjahr werden wir im glück ertrinken.


Di 20.10.20 20:50 / Krise Tag 220 / bewölkt, regnerisch am Nachmittag

Gestern früh ohne Zögern aufs Rad, an Amelsbüren vorbei, durch die Hohe Ward, dem Werseradweg bis Rinkerode gefolgt, dort im Gasthof Lohmann ein Stück Buchweizentorte mit Sahne, Blaubeeren und Konfitüre, Cappuccino, dann vorbei an Haus Borg durch die Davert, die Venne, durchs Venner Moor nach Senden, Besuch bei einem Freund und heim. 65 Kilometer, dabei am Weg ein Radtasche voll von Schopftintlingen gepflückt. Es war wundervoll.


Sa. 24.10.20 12:45 / Krise Tag 224 / bewölkt

Die Motorradhelme lagen bereit, ich ging zur Garage, um die Aprilia zu holen, als es zu regnen begann. Also planten wir um. Ich buchte ein Stadtteilauto und wir fuhren in die Davert. Die letzten Tagen waren warm und mild, auf Radtouren hatte ich viele Pilze gesehen, die ich nicht kannte, aber für die Davert erhofften wir uns Steinpilze. Es regnete kräftig, als wir dort ankamen. Den ersten Versuch brachen wir nach wenigen Minuten ab, überall wuchs Farn, da ist es für Pilze nicht sehr erfolgversprechend.

Beim zweiten Versuch ein paar Kilometer weiter, die Davert ist das größte zusammenhängende Waldgebiet dieser Region, fanden wir sofort eine Marone, was hoffen ließ, aber dann waren zwar überall Pilze, bei manchen vermuteten wir sogar die Gattung, aber wir pflücken nur, wenn wir zu 100 Prozent sicher sind. Wir strichen etwa eine halbe Stunde herum, bis ich rund um einen Buchenstamm eine Gruppe von zwanzig, dreißig schuppigen braunen Pilzen fand. Ich rief meine Freundin. Das sind Halimasch, sagte sie. Wir pflückten sie und fuhren nach Hause. Ich checkte die Halimasch mit der Pilzerkennungsap. Es waren keine Halimasch, sondern nahe Verwandte, der sparrige Schüppling, eindeutige Identifizierung, essbar. Meine Freundin machte Wirsingrouladen mit gewürfelten Zwiebeln und zerkleinerten Pilzen, dazu gab es Kartoffelpüh mit gehackten Mandeln, Mandelmilch und untergehobener Sahne.

Über die letzten fünf Jahre haben wir die Krause Glucke, den Herbstlorchel, den Schopftintling, Halimasch, die Marone und den Steinpilz in unser Repertoire aufgenommen. Der sparringe Schüppling ist neu. Die Glückseligkeit des Pilzsammler ist natürlich der Steinpilz, aber der ist rar. Wir versuchen, unser Wissen um das Habitat der verschiedenen Gattungen zu erweitern, was die Erfolgsaussichten erhöht.


Di 28.10.20 20:35 /Krise Tag 227 / wechselnd bewölkt heute

war es ein traum,
der mich geträumt
und mich nie mehr verlassen hat,
war es bei tag oder nacht
als er mich inständig bat,
aufzusteh'n,
und das rad zu drehn,
damit's auch andere merken,
und nicht mut nicht verlieren,
nicht weiter im trüben fischen,
denn in der schwärzesten nacht
wartet der tag
und erwartet von uns,
dass wir mutig sind.

22:54

war es ein traum,
der mich geträumt
und mich nie mehr verlassen hat,
war es bei tag, bei nacht
als er mich bat,
gleich aufzusteh'n,
das rad zu drehn,
damit auch andere es merken,
und nicht den mut verlieren,
bloß nicht im trüben fischen,
denn in der schwarzen nacht
wartet der tag und fordert,
dass wir mutig sind.


Fr 30.10.20 10:00 / Krise Tag 230 / regnerisch

Wir hatten den Nebelgrauen Trichterling in der Davert gefunden, er wuchs, wie er es gern tut, in einer langen, gebogenen Linie, Teil eines nicht vollendeten Hexenrings, wir hatten einen mitgenommen und zuhause identifiziert. Man nennt ihn auch Graukappe, die Pilzapp listet ihn unter "essbar", allerdings mit der Einschränkung, dass manche Mägen ihn schlechter vertragen als andere. Vorgestern fanden wir während einer kleinen Tour große Mengen dieses Pilzes in einem Buchenwald im Brock, eine Bauerschaft in der Nähe. Um sicher zu gehen, bereitete ich zwei Pilze zu und aß sie. Sie bekamen mir gut. Nach einer Stunde bereiteten wir den Rest zu. Die Pilze schmeckten gut. Gestern war mir den ganzen Tag ein wenig flau. Ich hatte das Gefühl, mein Magen sei nicht in Ordnung, und schrieb es dem Trichterling zu. Erst ein Schnaps bei den Nachbarn brachte mich langsam wieder in die Spur. Meine Freundin hatte keinerlei Beeinträchtigungen. Ich hingegen habe mich entschieden, diesen Pilz nicht mehr zu essen.

Variabler Lockdown ab Montag. Ich halte mich aus der Schusslinie, ich muss nirgendwo hin, ich mache homeoffice mit meinem Roman.