Oktober 2025 www.hermann-mensing.demensing literatur
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Mi 1.10.25 18:56 sonniger Tag, aber frisch
Ich habe meine Boxen so aufgestellt, dass ich ohne Hörgeräte fast so hören kann wie früher, wobei früher schwammig ist, denn ein Hals, Nasen u. Ohrenarzt hat mir schon vor dreißig Jahren attestiert, dass mein rechtes Ohr schlechter hört als mein linkes. Kein Wunder, hab ich gesagt, das ist mein Trommlerohr, ich spiele die Snare mit rechts. Wir haben heute den ländlichen Weg nach Münster ausprobiert. Er führt am Vogelberg vorbei auf die Gasselstiege. Links liegt Kinderhaus, verrufen im grünen Münster, sozialer Brennpunkt, rechts aber Golfclub und Schloss Wilkinghege, wo letztens der König dinierte. Über die Grevener Straße gelangt man an der LWL Klappse und den Schrebergärten der Wienburg vorbei über die Nordstraße geradewegs in die Stadt. Eine halbe Stunde. Die urbane Route, die ich auch mag, weil ich schon nach fünf Minuten die Überwasserkirche und Lamberti sehen kann, ist zehn Minuten kürzer. Ich traf mich mit meiner Schwester, aber kaum hatte ich gefrühstückt, schellte mein Telefon. Der Elektriker stand vor der Tür. Komme. Bin in der Stadt, sage ich. Bis gleich. Du bist schnell, sagt er, als ich nach knappen 30 Minuten vor der Tür stehe. Ich mach ihm Kaffee. Er macht sich an die Arbeit. Letzter Aufzug, vorletzter Akt: die mit Bewegungssensor ausgerüstete Belüftung im Bad wird eingebaut, die Steckdosen der Küche montiert und die Lampe im Bad. Der Elektriker ist sehr freundlich, Ich geb ihm ein ordentliches Trinkgeld. Ach, sagt er, ich hatte doch schon Kaffee.
Do 2.10.25 12:35 sonnig
Vorm Haus brummt der Bagger. Er verteilt Sand, damit die Schule bald fertig wird. Gleich kommt unser Badezimmerschrank. Er hat einen langen Weg aus Spanien hinter sich. Die Frau baut ihn zusammen. Sie liest Bauanleitungen, während ich mir das zusammen zu bauende Stück anschaue, die Einzelteile zurechtlege und zu schrauben beginne. Das klappt in der Regel, wenn aber die Frau sieht, dass ich die Anleitungen nur überfliege, wird sie sofort nervös und pfuscht mir mit ständigen Ermahnungen in die Parade. Deshalb lasse ich sie den Schrank schrauben. Gerade haben wir mein Hufeisen über der Tür aufgehängt. Es hat in der Dorffeldstraße gehangen, also hängt es auch hier. Bin ich abergläubisch? Ich weiß nicht. Ich nagle es einfach an. Schaden kann es nicht.
19:55
Freitagmorgens ist Frühstück im Pfarrheim. Morgen nicht, is Feiertag. Nächste Woche gehn wir da hin, nich, geht um acht los, lernst du die Leute kennen, gibt leckere Brötchen, kriestu nichma zuhause. Ja, sage ich. Ich werd mitgehn. Ich werd den Kaffee loben und die Brötchen, aber ne Dauereinrichtung wird das nicht. Ich will auch nicht mit ihm Skat spielen, ich kann das gar nicht, sag ich, als ich er zu mir unter die Birke kommt, an deren Stamm ich sitze und lese. Was lieste denn? Ne Geschichte von einem, der Bäcker war, Zeitungsredakteur wird, einen Roman über sein Dorf schreibt, Braunkohle, Kohle und Dreck, und Probleme mit der Partei kriegt. Ach, sagt er. Ja. In der DDR. Hm hm. Er hat mir das Garagentor gängig gemacht, das nicht schließen wollte. Es war ganz einfach, er hat mit dem Besen den Dreck und das Laub weggefegt, das sich vor der Abschlußleiste gesammelt hatte und verhinderte, dass das Schloß einrastete. Er hat mich beim zweiten Treffen im Hof geddrängt, seine elektrische Eisenbahn anzuschauen, die so groß ist, wie mein Keller. In meinem Keller steht Schlagzeug, Keyboard und Verstärker. So hat jeder seins. Aber zu dicht soll's nicht werden, er tratscht. Er hat mir erzählt, wer sein Erzfeind ist, wie auch der andere Nachbar, den ich gleich zu Anfang, aber seitdem nicht mehr gesehen habe, mir sofort erzählt hat, dass man sich von der oben links in acht nehmen muss. Ein Drache. Die wohnen alle schon lange hier. Noch länger, als ich in Roxel gewohnt habe. Vorhin war die Katze von vorgestern wieder da. Der Schrank steht. Anfangs hat sie allein gebaut, als sie nicht weiterkam, weil zwei Rückwände verkehrt herum eingebaut waren, habe ich mitgebaut.
Fr 3.10.25 12:57 grau und kalt
Am 4.09. hat sich die Karawane auf den Weg gemacht. Möbel, Kartons, alles, was vierzig Jahre hergaben, Stehimwege und Kunst. Eine dicke Rolle Popfolie war draufgegangen, um sie transportsicher zu machen. Die Reise war kurz. Nach kaum 6 Kilometern hatte sie ihr Ziel erreicht. Als alles hineingetragen war in das neue Zelt an der flämischen Straße und es Abend wurde, saßen der Kameltreiber und seine mittlerweile 38te oder 39te Frau inmitten dieser Gegenstände, die längst ihre Namen vergessen hatten und sich in den folgenden Wochen erfolgreich verbargen. Ein wilder Wind kam vom Meer. Alles wird gut, pfiff er. Alles wird immer gut. Am 3.10. gegen Mittag, 29 Tage waren vergangen, war es soweit. Der letzte Karton war ausgepackt. Und jetzt? Die Frau bereitet ihre Ausstellung vor. Der Mann fährt zum Bauer am Twerdenfeldweg und kauft allerbeste Eier.
Mo 6.10.25 17:38 regnerisch
Die Ernte hängt an drei das Schlafzimmer überspannenden Schnüren. Das sieht fast aus, als wäre man in einer Weinstube gelandet. Sie wird in Frieden zwei, drei Wochen trocken, dann können wir sie genießen. Sie reicht übers Jahr. Es war höchste Zeit zu ernten, das Wetter wird schlecht und die letzte ist so gut wie aufgebraucht. Ein fünf Meter langer Stahldraht von 3mm Dicke muss noch angebracht werden, um einen Vorhang zu hängen. Heute tu ich nix mehr. Ich schreibe nicht. Ich habe frei, wann immer ich will, ich will nur meist nicht. Manchmal ängstigt mich das, aber dann unterwerfe ich mich, und alles ist wieder gut.
Mi 8.10.25 10:29 Regen
Ich schlafe gut. Ich esse regelmäßig. Manchmal sagt eine Stimme, hier wohnst du jetzt. Ich kenne die Nachbarn bei Vornamen. Ich bin eingebunden in Wochenpläne für Flurreinigung, Müllabfuhr und Sperrmüll. Die Straße vorm Haus ist ruhig. Fast könnte man seinen Kindern sagen, pass auf das Auto auf. Zwischen 7:15 und 7:30 bringen Eltern ihre Kinder zu Schule und zum Kindergarten. Wenn ich sie sehe, denke ich, ihr habt alles noch vor euch. Eh ihr euch verseht, seid ihr so alt wie ich. Mutter, Kinder, Hund. Vater auf Arbeit in der Knochenmühle.
Do 9.10.25 16:22 sonnig am Morgen, jetzt bewölkt
Mit den Rädern nach Gievenbeck. Die Frau kauft im Aldi groß ein, morgen kommen Gäste. Ich fahre weiter, um bei Hellweg ein Brett zuschneiden zu lassen. Freundliches Personal, aber man muss es finden. Ich kaufe Drops, die es nur dort gibt, heute leider nur gemischte, nicht die Zitronendrops, die sind aus, sagt die Kassierin, die keinen sichtbaren Hals hat, und der Kunde vor mir sagt, is ja auch n Baumarkt. Dann zu Aldi. Die Frau kauft immer noch ein. Als sie schließlich kommt, packen wir meinen SUV bis an den Rand voll. Das zugeschnittene Brett kommt obenauf und wird mit Gummibändern festgezurrt, dann geht es nach Hause und danach gleich weiter, Wein kaufen beim Portugiesen und Eis essen in der Manufaktur, danach noch Bienenweide und Sonnenblumen pflücken. Beim sonnigen Frühstück habe ich Elstern beobachtet. Gestern hatte ich einen weißen Teller mit Erdnüssen auf die Wiese gestellt. Die hatten sie sich schnell geholt. Heute hatte ich den Teller etwas näher an unsere Terrasse gerückt. Es war einiges Gekrächze und Geflatter im Baum, sie hatten mich beobachtet, machten zwei, drei Anflüge, die sie wegen kleinster Geräusche abbrachen, bis sich eine zu Fuß traute. Die nächste Mahlzeit stellte ich auf den Tisch der Terrasse. Auch die haben sie sich geholt. Ich will sie konditionieren. Ich wünsche mir, dass sie mit Erdnüsse aus der Hand fressen. Ich seh sie gern, sie sind schön, ich will mich mit einer befreunden und mit ihr reden.
Fr 10.10.25 13:07 bewölkt, aber nicht trüb
Er ist schwarz gekleidet, Telekom Logo, Telekom Ausweis. Er spricht mit zusammengekniffenen Lippen, so dass ich trotz Einsetzens der Hörgeräte nur schwer verstehe. Er ist gekommen, um mir zu sagen, dass wir in etwa drei Monaten am gelobten Glasfasernetz hängen, dass wir für die ersten drei Monate weniger zahlen, danach drei Euro mehr, aber doch sechs Euro weniger als augenblicklich. Er fragt, was für einen Router wir haben. Kommen Sie, sage ich, ich zeig ihn ihnen. Die Frau sagt nein, weil da doch die Ernte hängt. Egal, sag ich. Gut, er braucht jetzt die Kundennummer, aber die finde ich nicht, weil ich vor ein paar Tagen aus Versehen meine E-Mails gelöscht habe. Er gibt mir seine Nummer, damit ich ihn anrufen kann, wenn ich sie habe. Kaum ist er weg, klagt die Frau, ich hätte ihn da nicht reinlassen sollen, der war mir unheimlich. Ja, ging mir auch so. Ich logge mich bei der Telekom ein, finde meine Kundennummer und schicke sie ihm. Fünf Minuten später ist er wieder da, tippt alles in seinen Rechner, zeigt mir das PDF mit den Vertragsdaten, alles gut so weit, und dann fragt er, ob er unsere Toilette benutzen kann. Ja, natürlich, sage ich, und als er im Bad verschwindet, denke ich, was, wenn er ein Triebtäter wäre. Er kommt wieder, er sagt, dass mich die Telekom noch anrufen wird, ich sage ihm, er soll für sich behalten, was er gesehen hat. Das täte er sowieso, sagt er, Verschwiegenheit über Kundendetails sei Teil seines Arbeitsvertrages. Er lächelt, und ich denke, nä, der ist kein Triebtäter, der hat es nicht leicht, der trägt das Schicksal der auf den ersten Blick nicht sonderlich gemochten, geschweige, geliebten, aber Triebtäter, nein. Ich sag es der Frau, die sagt noch immer, dass er ihr unheimlich war.
So 12.10.25 hochnebelig, mild und bunt
Wir hatten Besuch. Zwei Erwachsene und zwei Kinder, die Erwachsenen hätten unsere Kinder sein können, die Kinder unsere Enkelkinder, zwei Tage waren sie bei uns und es war eine Freude. Sie waren die Feuertaufe unsere Wohnung, die sie mit Bravour bestanden hat. Ab jetzt drängt nichts mehr, was drängt, ist eher "wer", und wer ist ICH. Aber auch da gibt es eine deutliche Veränderung. Hier ist Ruhe. Hier ist die Birke, die uns, wenn Wind geht, mit ihren herunterhängenden Äste winkt. Hier sind die Elstern, die näherkommen. Die Meisen, die schon ganz nah sind. Die Eichhörnchen, Artisten. Hier sind wir und können noch immer kaum fassen, dass die Ursache für all das ein hundsgemeiner Schachzug des Immobilienmarktes war. Schwamm drüber. Die Gäste sind auf dem Heimweg. Die Frau fassungslos ist über das Verschwinden ihrer roten Wärmflasche ist, die sie vor einer guten Stunde befüllt und verlegt hat. Wir haben sofortige Benachrichtung vereinbart, wenn sie auftaucht, ganz gleich zu welcher Tageszeit.
Mo 13.10.25 Wetter wie gestern
Müdigkeit herrscht, nach Nichtstun lechzende Müdigkeit, Tribut an die letzten Wochen. Dennoch mussten wir heute zum Bürgeramt West, um uns umzumelden. Das ging überraschend schnell und war zudem kostenfrei. Leider habe ich meine Lesebrille dort liegengelassen. Bei Action, dem niederländisch calvinistischen Konzern für Billigwaren haben wir sechs Plastikkisten für Socken, Unterhosen und ähnliches gekauft und auf dem Rückweg Quitten im Rüschhausgarten geerntet. Das sollte reichen für heute. Vielleicht setze ich mich nachher noch an "Sag mir wo die Blumen sind", eine Begegnung mit Anselm Kiefer, aber beschwören will ich es nicht. Nichtstun ist ähnlich unmöglich wie "nicht nicht zu kommunizieren, Watzlawiks These. Die Elstern holen sich ihre Erdnüsse vom weißen Teller, den ich über die letzten Tage immer ein bisschen näher an uns herangerückt habe bis auf die zweite Treppenstufe unseres Balkons. Aber sie kommen nur, wenn ich nicht in der Nähe bin. Zudem war heute ein Specht in der Nähe, einen Eichelhäher haben wir gestern gesehen, Krähen sowieso, Maisen und Rotkehlchen, gestern Kraniche und ein kleiner Schwarm Stare. Es ist schön hier.