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Hermann Mensing

Überall ist Rimini

Dienstag

Das Meer ist die "Zee", der See aber das Meer, so sagt man in Holland, wenngleich es auch bei uns ein Meer gibt, das nur ein See ist: das Steinhuder Meer. Ethymologisch müsste ich diesen Exkurs grundieren, aber das lasse ich, denn ich bin ja am Meer, das wir Nordsee nennen, war schon bis zum Hals im Wasser, das heute nach Fisch riecht und voll Krill scheint, sämig, sagt C., vielleicht liegt es am ablandigen Wind.

Als wir vor sechs Wochen einen Dienstag zum Tag am Meer machten, wir hatten das am Abend vorher beschlossen, als wir zu Lüttke Brintrups Wiesen und den Pferden unterwegs waren, Äpfel und Möhren in den Taschen und am Himmel die Verheißung auf einen Sommertag, morgen also, als wir vor sechs Wochen hier waren, gab es die Sandbank zwar auch schon, die uns im Augenblick noch vom Meer trennt, aber die See/das Meer, Wind und Strömung haben sie seitdem aufgeschwemmt, dass sie wie eine Insel wirkt.

Und jetzt sind wir wieder hier und wollen bleiben: fünf Tage. Fünf Tage und Menschen ringsum. Fünf Tage werden wir von jedem beobachtet und beobachten selbst: auf Decken, im Schutz von Windmuscheln, in Strandkörben, auf Liegen. Wir sind sehr privat. Fünf Schritt nordwestlich cremt eine Frau ihre rechte Brust (NHT), fünf Schritt südöstlich (...). Fünf Schritt nordöstlich (...). Fünf Schritt hierhin und dorthin: (...) Jede und jeder ist mit sich und seiner Inszenierung beschäftigt. Bei dem einen heißt sie, wie werde ich braun, bei einem anderen, bin ich wirklich schön, bei mir heißt sie: bin ich tatsächlich zu faul, zum Strandcafé zu gehen und dort einen Kaffee zu trinken? Die Antwort lautet: ja.

Während ich also entschieden habe, schaut ein knapp Zweijähriger, der vom Vater getragen wird, mit unerschütterlichem Ernst zu uns herab. Er trägt einen weiß-roten Stoffhut auf einem kindlichen Greisenschädel, hat gerötete, abstehende Ohren und beobachtet uns so genau, dass ich nicht anders kann, als mir die Daumen ins linke bzw. rechte Ohr zu stecken, mit den Fingern zu flattern, die Zunge heraus zu strecken und Prrrrrrr zu machen. Sein Ernst weicht einem zunächst ungläubigen, dann frohen Lachen.

Ende des 1. Aufzugs, in dem alle Genannten weiter ihren geschilderten Tätigkeiten nachgehen, während C., die Hohepriesterin des gesunden Menschenverstandes, schläft, ja, beruhigt schlafen kann, weiß sie mich doch sinn-gebend damit beschäftigt, diese und jene zu beobachten und dabei körperlicher Formen und Deformationen (NHT) zu bewerten. Zwischendurch erwacht sie, sagt Aua, dreht sich auf den Rücken und schläft weiter. Auf einer Decke gleich nebenan fragt jemand, ob noch genug Äpfel da wären.

Der 2. Aufzug begänne auf einem zur Robinson-Strandbar umgebauten Katamaran. Palmen an jeder Ecke, vier Barhocker auf jedem Rumpf, zwei Theken, ein in sanfter Dünung tuckernde Außenbordmotor.
So hat die Bar angelegt, während ich toter Mann schwamm.
Auf den Hockern säßen ein bedauernswerter, ca. 18jähriger Canadier, der sich seit über einer Stunde lauthals mit einem gleichaltrigen deutschen Mädchen darüber streitet, wer sich - seit sie in Canada war (ich nehme an, zu einem Schüleraustausch) - wohl mehr verändert hat, er oder sie.
Neben die Streitenden platzierte ich eine tiefbraune Walküre mit strohblonden Zöpfen und einem gewaltigem Arsch, den sie mit einem schwarzen Stringtanga krönt. Sie verfügt über zwei nahtlos gebräunte NHT's, deren Warzenhöfe fast schwarz sind. Die Warzen zeigen nach oben. Mit diesen dreien stäche der Katamaran auf meinen Befehl nun in See und irgendwo draußen, längst außer Sicht- und Hörweite, versenkte ich ihn mit Mann und Maus.

Wir Zurückgebliebenen hätten nun zusätzlich Platz und würden uns strecken. Eine Oma von nebenan sagte Oh jijtje miniijtje, Herrjemineeh in der Verniedlichungsform, dem Diminutiv, den der Niederländer so liebt. Vier Jungs zwei Strich nordost schmoren in der Sonne, kiffen und telefonieren. Derweil steigen in der Ferne brüllende Flugzeuge auf und fliegen ins Land der mutigen Freien.

Der 3. und für heute vielleicht letzte Aufzug heißt: Überall ist Rimini.
Weiße Wolken segeln zu kaum wahrnehmbarem Wind.

Überall ist Rimini ist ein sorgloses Stück. Nicht, dass es darin Sorgen nicht gäbe, nein, es gibt so viele wie der Sand Körner hat, aber so lange der Vorhang geöffnet ist, wird die Sorge nicht mitgespielt. Wird aufgelöst in Beachball und Burgenbau, Körperpflege, Voyeurismus und enge schäumende Kreise, die ein Speedboot hundert Meter vom Strand donnernd dreht. Alle sehen alles und tun doch, als sähen sie nichts. So geht dieses Stück weiter, jede Sekunde hochexplosiv, aber in Rimini ignoriert man das lieber. Ich schwimme (schon wieder/noch immer) als toter Mann. Diesmal um ein Haar gegen eine rote, sternförmig gezeichnete Qualle.

Eh die Sonne sinkt & der Vorhang sich für diesen Tag senkt, sitze ich am Pool und staune, wie ein dunkles, tamilisch-stämmiges Mädchen im Pool unter- und auftaucht und dabei Worte spricht. Fünf Mal taucht sie unter und wieder auf. Fünf Worte prustet sie in die Welt = ein Satz. Der mit ihr spielende dicke blonde Junge versteht sie nicht. "Wat?" fragt er. Das Mädchen wiederholt die Tauchgänge und er sagt: "Ach so."

Netz ist da. Man könnte das eine Kind ansimsen und dem anderen einen Satz sagen. Aber das Simsen zum einen Kind funktioniert nicht und das andere ist nicht zu Hause.

Überall ist Rimini ist ein Stück überraschender Erkenntnisse.
C. nämlich hat gerade behauptet, im Alter wüchsen Ohren weiter. Auf die Frage, in welchem Alter das Ohrenwachstum einsetze, war keine nähere Erklärung zu bekommen. Nun, immerhin wissen wir jetzt, was Ohren im Alter tun. Sie werden größer und größer, und sind schließlich so groß, dass wir uns mit ihnen zudecken können.

Mittwoch

In der Früh zwischen 7 und 8 Uhr tragen Männer Strandliegen in Position. 1 Müllmann und 1 Müllfrau fahren den Unrat des Vortages ab. 1 schwarzer und 1 weißer Hund stromern übern Strand & 1 Mann entledigt sich seiner Kleidung. Er hatte gehofft, nackt baden zu können, aber es sind schon Menschen am Strand und die will er nicht in Verlegenheit bringen. Er schwimmt also behost im krill-reichen Meer, schwimmt ganz allein Richtung Amerika, um sich zu rächen. Hinterm sanft gebogenen Horizont kann er es schon sehen. Doch dann besinnt er sich eines Besseren, dreht bei und spielt toter Mann. Das scheint ihm die sicherste aller Lagen, schließlich weiß man nicht, wo Amerika eigentlich beginnt. Könnte es nicht sein, dass in dem Hubschrauber, der in niedriger Höhe die Küste abfliegt, die Männer der Home Security sitzen?

Hallo, ruft er, hallo, hier, hier bin ich.

Beim Frühstück gehören SIE und ER heute zur ersten Schicht. Schließlich ist auch hier Rimini und das Dolce Vita auf den Straßen und in den Cafés, die kulinarische Höhepunkte Pannekoeken, Patat met oder Kibbeling, dieses wilde, süße Leben macht die Menschen natürlich müde. Man schläft also noch, während ER über seine rechte Schulter klagt, die ER sich in einem Bett, das sich hinten und vorn aufbäumt, wenn ER sich in die Mitte setzt, verlegen hat. Dabei schmiert ER sich ein Brötchen und köpft ein Ei, das eine kränklich, hellgelbe Dotter hat.

So sitzen die zwei, der Himmel spannt sich für ihren ersten Tag nach der Ankunft. Unter seinem Teller klebt eine zerstoßene Erdbeere. Wer weiß, wie sie dort hingekommen ist, jedenfalls hinterlässt sie einen Fleck auf dem weißen Tischtuch.

Wir sehen Gäste, die wir schon im letzten Jahr sahen.

Jetzt, Jetztzeit, Realtime, im Augenblick dieser rückschauenden Aufzeichnungen sitze ich am Pool und kann nicht faul sein. Aber das können andere wohl auch nicht. Das tamilisch-stämmige Mädchen und der dicke blonde Junge z. B. haben ein Seil und jeder zerrt an seiner Seite daran. Wenn einer fortgezerrt wird, beschuldigt der andere ihn unlauterer Mittel. Die Erwachsenen lesen, sonnen sich, rauchen. All das sind Übersprungshandlungen, die man unternimmt, weil man nicht faul sein kann. Ich wäre gern für Augenblicke einmal ohne jeden Impuls, ohne jeden Gedanken. Wäre das: ohne Leben? Wahrscheinlich.

Das Ende unseres Anreisetages (292 Kilometer, ca. 3 Stunden 15 Minuten) verbrachten wir auf der Sandbank, tranken mitgebrachten Rotwein, die Nacht schlich heran und wir beschlossen, uns für einen der nächsten Abende (heute) mit Käse und Obst einzudecken & ein Picknick zu machen.

Willkommen in Rimini. Willkommen am Pool.

Einer spielt mit dem Freund Schach nach der Uhr. Die Frau des Einen spielt derweil mit dem gemeinsamen Kind Lukas, das Luki gerufen wird, im Pool. Hopse hopse hopse bietet sie an, gegen Küsschen. Luki küsst sie, und schon geht es los. Nach nicht langer Zeit wird Luki dem Vater gereicht. Vater hat dafür sein Spiel unterbrochen und hüllt Luki in einen Bademantel. Seine Frau verlässt den Pool. Er hüllt sie in ein großes, sonnenblumen farbenes Badetuch. Sie sagt: "Das ist aber lieb." Er klopft ihr auf den Po, geht zurück an den Tisch und spielt weiter Schach. Sie geht in ihr Zimmer, um sich (nehme ich an) zu pflegen.

Das Motto in Rimini lautet:
Papa, guck mal, ich kann mal was machen, was der andere Junge überhaupt nicht kann.
Papa: Jungejunge!

Wenn man sich da, wo sich alles bewegt, nicht bewegt, wird es interessant. Dann kann man von Speckrollenzählen bis Beruferaten alles spielen. Auch Reich oder Arm ist hochinteressant.

Ort: zu Fuß unterwegs, etwa 1,5 Kilometer vor Bergen. Wir setzen uns auf eine Bank. Die Straße ist eine schattige Ulmenallee. Links und rechts wohnen sehr reiche Leute. Es fahren auf Rädern vorbei: eine junge Frau. Auf ihrem Gepäckträger steht ein schwarz-weißer, hochbeiniger Hund. Er schaut links an ihr vorbei nach vorn und schmiegt dabei seine rechte Flanke an sie. Noch eine Frau. Auf ihrem Gepäckträger sitzt ein Kind, das seinen Kopf unter ihrem T-Shirt verbirgt. Auf den ersten Blick sieht das aus, als hätte die Frau 1 gewaltigen Buckel.
Noch eine Frau, auf dem Roller: sie ist dick, Anfang 60 und rosa gekleidet. Ihr Roller ist ebenfalls rosa. Sie fährt in hoher Geschwindigkeit ortseinwärts. Vorhin war sie uns in Gegenrichtung begegnet. Jedesmal blieb eine Fahne verbrannten Zweitakt-Benzins.

Die Ulmenallee tut uns gut.

Die Stadt Bergen bereitet sich auf einen Lichtjesavond vor. Wörtlich: ein Lichtleinabend. Da ist es wieder, das kleine Land, das die Verkleinerung zur Methode erhoben hat. Elektriker installieren Lichtgirlanden von Baum zu Baum. Die Lampions sind orange. Das Publikum wird mit großen Augen herumgehen und das Gesehene "aardig" finden. Wenn Sie nun lesen, ich fände das nicht, liegen Sie falsch oder richtig!

Wir sind ein wenig weiter gerückt, haben Zeit verbracht, Liebes- und Lebenszeit und uns einen Strandplatz für unser Picknick gesucht. Der Wind hat gedreht, kommt von See und drückt das Wasser höher hinauf auf den Strand, also sind wir nicht da, wo wir gestern waren.

Die Abendsonne stimmt mild. Da nimmt ein blondes, ca. 10jähriges Mädchen ein Stück Holz. Es ist etwa so groß wie ein Messer und sieht auch so aus. Das Mädchen fuchtelt damit in der Luft herum, ruft Al Qaida, Al Qaida, Bumm bumm bumm und sticht auf eine Sandburg ein, bis sie zerstört ist. Ihre Oma schaut wortlos zu.

Donnerstag

Da, wo wir vorgestern saßen, Wein tranken und dem sich davon schleichenden Tag hinterher sannen, schwappten gestern Wellen hoch, sodass wir um unser Picknick fürchteteten. Da, wo wir gestern saßen, flanierte man noch bis spät. Wir schauten zu, aßen spanischen Schinken, Quiche Lorraine, hatten die Wahl zwischen diesem und jenem Käse, legten vielleicht eine Erdbeere dazu, tranken Rotwein und wurden beschwippst. Währenddessen präsentierten Vorübergehende kleine Schattenspiele vor einem sich leicht wölbenden Horizont, hinter dem sich das von Gott für gottesfürchtige und mutige Menschen reservierte Land A. befindet. Eine dieser Silhouetten erinnere ich nun, realtime, 15 Stunden später, unterm Sonnenschirm eines Cafés am Käsemarkt der augenblicklich verregneten Stadt Alkmaar, sehr deutlich. Ein Mann in dunklem Anzug mit Hut + eine Frau, aus der Entfernung geschätzte 50 Jahre alt. Sie spazieren die Sandbank entlang, die wir der geschilderten Befürchtungen wegen verlassen hatten, bleiben plötzlich stehen, umarmen und küssen sich. Dann setzen sie ihren Spaziergang fort. Offen bleibt, wie der Rest des Abends verläuft.

Schluss mit der Retrospektive?
Ist das Beschreiben der Gegenwart, der Versuch, sie als Simultanereignis zu schildern, wie es der von mir dafür bewunderte Arno Schmidt versucht, überhaupt möglich? -
Was wäre, wenn Schreiben nichts weiter sein kann, als das Herausschneiden einzelner Bilder aus dem quellenden Strom der Informationen? Etwa: der Blick zum Himmel, um abzuschätzen, wie lang der Regen noch anhalten könnte: das blonde Mädchen, das im Sportwagen vorbeigeschoben wird: der verfettete Corgie: der hustende Mann: das Gespräch über Busreisen nach Spanien und den Transport grüner Bohnen nach Trier: das Tot Ziens der noch sehr jungen Kellnerin des Cafés "He Vrije Vogelhuis", bei der ich vor etwa 20 Sekunden einen Teller Pommes bestellte.
Bliebe dann nicht alles manipulierte Retrospektive? - Ja. Allumfassende Gegenwart ist unmöglich, nicht einmal Schmidt gelingt das, wenngleich es auch manchmal so scheinen mag.

Als aufmerksamer Leser werden Sie festgestellt haben, dass es, um eine Bestellung aufgeben zu können, eine Unterbrechung im Fluss dieser Niederschrift gegeben haben muss. Hinter ...Vogelhuis" habe ich den Stift, einen Lamy mit feinster, nachfüllbarer Bleistiftmine (die ich als Nachfüllpack in Colmar kaufte) einen Augenblick ruhen lassen und gesagt: "Hallo, mag ik nog wat bestellen?"
Die Antwortete lautete: "Ja zeker."
Darauf ich: "En bordje (Tellerchen) Patat met mayo."

Also weiter retrospektiv.

Wir sind mit dem Rad gefahren. Kaum auf freiem Feld, begann es zu regnen. Als wir Alkmaar erreichten, waren wir bis auf die Haut nass. Da es jedoch warm war, froren wir nicht. In einem Laden, in dem alles 1 bis 3 Euro kostete, kauften wir einen Schirm für 2 Euro, liefen eine erste kleine Runde durch die Stadt, schauten hier und dort in ein Modegeschäft, fanden zum Hafen und auf dem Rückweg den Coffee Shop Anytime. Ich ging hinein und kaufte mir einen fertig gerollten Joint mit dem Harz der Cannabis Pflanze zu 3,50. Danach beschlossen wir, C. solle eine Weile allein und in Ruhe die Mode der Stadt erkunden, während ich hier, am vereinbarten Ort, auf sie warte. Gerade sind nun die Fritten gekommen. Wenngleich Fritten nicht kommen können. Sie werden in der Regel gebracht. Gebracht und auf den Tisch gestellt.

Wie man die Welt sieht, wenn vorm linken Auge ein Vorhang aus Haar hängt, weiß ich nicht. Sicher könnte ich das simulieren, könnte mir eine Weile die Hand davor halten oder das Auge einfach zukneifen, so wie jetzt, ich glaube aber, dass ein Vorhang aus Haar, noch dazu aus blau-schwarzem Haar einer asiatischen Frau, etwas anderes ist.

So etwas wie den Coffee Shop Anytime wünsche ich mir für die Bonzreplik, die, wie ich bei der Lektüre des Einhorns von M. Walser erfahren musste, schon lange bevor ich sie so nannte, von ihm so genannt wurde. Achtung! Schon wieder: eine nordholländische Titte (NHT). Ich weiß nicht, wofür sie mich halten, aber NHT's materialisieren sich ohne mein Zutun an jeder Ecke in atemberaubendsten Verpackungen. Am Strand auch gern ohne. Es muss an der Hitze liegen.
C. und ich haben uns darauf geeinigt, dieses Phänomen unter Hupenalarm abzulegen, wenngleich sie mich dafür ein klein wenig verachtet. Sie denkt wohl, dass Männer meines Alters nicht anders können. Schade, dass sie die ganze Wahrheit nicht kennt. Kein Mann kann anders.

Nachmittags brüte ich unterm Sonnenschirm eines Strandcafés in Egmond. Rechts von mir saß bis vor Augenblicken ein etwa vierzigjähriger rotblonder Mann. Er trug abgeschnittene Jeans, ein Unterhemd überm noch festen Bauch, er war an allen sichtbaren Körperteilen voller Sommersprossen, hatte einen Schnäuzer und drei sternförmige Falten im äußeren, mir zugewandten Augenwinkel. Alles an seinem Gesicht war auf eine mir unangenehme Art fleischig. Während C. einen Hamburger aß, beobachtete ich, wie er mit einem Fernglas den Strand absuchte. Er tat das hochkonzentriert, sodass ich zu spekulieren begann und mich mit einer einfachen Lösung zufrieden gab: ich hatte es mit einem Spanner zu tun. Aus großer Distanz und völlig gefahrlos konnte er Körper betrachten. Einziges Manko dieser Version: die Frau neben ihm. Seine Frau. Als er ihr dann das Fernglas reichte, die Richtung wies und auch sie interessiert schaute, stockte ich meine Spekulation auf: ein Spannerpaar also, ha!!! Beide mit gleichen Interessen, über die sie sich später austauschen würden. Dann aber die Aufklärung: ein Junge, ein Mädchen, 15 und 13 Jahre etwa, kamen plötzlich aus der Tiefe des Strandes zu ihnen. Man wollte nach Hause. Man brach auf. Ich schäme mich nicht für diese missglückte Geschichte. Ich könnte sie ausbauen. Sie wäre bestimmt interessant.

Hinter uns liegt eine ruhige Fahrt durch nordholländisches Wiesenland. Rietgedeckte Höfe, Kanäle, Fischreiher, die sich den Morgenregen aus dem Federkleid sonnen, Karpfen, die unter Sauerstoffmangel in den engen Kanälen leiden und schwarz-rosa Mäuler stülpen, eine Ziege: rotbraun, noch eine: weiß. Wir grüßen ein altes Ehepaar, das auf einer Bank vor einem Bauernhaus sitzt. Schon im letzten Jahr saßen sie dort und grüßten. Hoiiii! riefen sie und wir: hoiiiii! Damals sprachen C. und ich darüber, dass diese beiden alten Menschen während der deutschen Besatzung jung waren und bestimmt Kontakt zu jungen deutschen Soldaten hatten, die auf den Wiesen hinter ihrem Haus Bunker gebaut hatten, in denen sie Dienst tun mussten.
Hoiii! - Hoiiii! Ein Paar, und mit ihnen gehen Geschichten für immer verloren.

Rimini ist überall. Dieser Aufzug findet am Strand statt. Der Schreiber hat, als er im Bad aus dem Fenster sah, über die Dünen nach Osten geschaut und gesehn, wie ein Ballon im Dunst fuhr, um ein Haar eins mit ihm, hätte der Pilot nur nicht gefeuert. Also: ich inszeniere mich und meine Idee vom Sein an einen viereckigen Holzpoller gelehnt am Strand. Schreibend. Und breche den Versuch gleich wieder ab. Zu billig.
Sitze stattdessen und verenge die Augen zu Schlitzen, verwische so die Konturen und mische alles zu einem lichtdurchfluteten Bild, wie es nur ein Meister wie Turner malen kann, einer, der weiß, was Licht ist und Landschaft und wie man das malt. Vor lauter Licht geht mir fast der Sinn für oben und unten verloren, und dann fällt mir ein, wie ich in Durdle Door auf den Klippen saß und am Horizont ein Containerschiff übern Ärmelkanal flog, einfach flog, weil Himmel und Meer sich vereint hatten. Schön war das.

Freitag

Eh ich zu denken beginne, ein Zitat aus De Telegraaf:
Jose op handen en knieen met 2 negers. 'N neger van voren en 'n neger vanachteren. So big!!
Soviel schon zu viel.
Pause.

Wir beginnen den Tag später noch einmal, wenngleich das Frühstück längst hinter uns liegt. Das frühe Bad im Meer auch, aber wir ( Herr M. und sein alter Ego Ich ) sind noch ein wenig erschöpft nach einem ereignisreichen Tag. Also später mehr. Vor allem über das Theater der Dämmerung, das uns schon gestern begeisterte.

Mehr auch zu folgenden Themen:
1. Verse Film 2. Bass-Tölpel 3. Dämmerung 4. Rotkohl-Ingwer 5. Große Erhebung 6. Feng Shui im Zimmer 7. Hähne am Morgen 8. Abflugkorridor.

Dies als Vorschau auf die Rückschau, denn in der Gegenwart liegt M. am Pool. Liegt bäuchlings auf einer Liege im Schatten und legt den Stift fort.
Jetzt.

Obiges Zitat wurde mir vorgelesen.
De Telegraaf ist eine der großen niederländischen überregionalen Zeitungen, kein Sex-Blatt.

Am Kopfende des Pools schläft ein Mann. Er hat einen massigen Körper und wirres, gelocktes Haar, das weit übern Kragen reicht. Sonst ist niemand hier. Alles übt friedliche Koexistenz am Strand. Ich war schon 2x dort, heute früh kurz vor acht, als das Meer mir noch allein gehörte, später dann gegen 11, als alle anderen auch schon da waren.

Gerade noch Ruhe, ist nun eine Mutter mit Kind aufgetaucht. Es ist weiblich, etwa 7 Jahre alt, und es findet nichts schöner, als in Minutenabständen lautstark in den Pool zu plumpsen. In solchen Fällen wäre ein W.C. Fields zu begrüßen, der mit Kindern immer kurzen Prozeß zu machen pflegte.

Verse Film:

Wir
kamen vom Strand. Links vorm Aufgang stand ein Container: Unit 1. Davor saßen zwei Männer und eine Frau. Auf Reklametafeln stand, Verse Film. Eintritt 1 Euro. Darunter die Abbildung eines mit Käse überbackenen Toasts. Verse Film = frischer Film also, da drin konnte man sich frischen Film anschauen, Verse Film, in Anlehnung an "frisches Obst" oder "junge Matjes."

Einer der Männer, groß, braun gebrannt, barfuß, ausgebleichte dunkle Stoffhose und schlabbriges T-Shirt, sagte uns, Verse Films sei das Projekt einer Kunsthochschule (welcher, sagte er nicht und wir fragten nicht weiter). Man bereise die Küste von Nord nach Süd, sei jeden Tag an einem anderen Ort und mache dort Filme. Jeder dieser Filme sei exakt eine Minute lang. Täglich würde vorgeführt, was gerade entstanden sei. Bisher gäbe es 21 solcher Filme.
Wir zahlten, schoben einen schwarzen Vorhang beiseite und gingen ins Innere des Containers.
Links - von hinten nach vorn abfallend, wie im Kino, drei 3er Reihen mit rotem Samt bezogener Kinosessel, an der Wand rechts eine ebenfalls von oben nach unten abfallende Wandverkleidung mit vergoldeter Zierleiste. Je links und rechts zwei kreisrunde Lampen. Eine Leinwand am Kopfende des Containers. Außer uns acht Zuschauer, also fast ausverkauft.
Ein Film zeigte Oberkörper und Gesicht eines jungen Rettungsschwimmers, der gerade ein Boot ins Wasser schiebt. Plötzlich verliert der Film alle Farbe, das Bild stockt, ist jetzt schwarz-weiß und sehr grob gerastert (wie bei Mondrian, der in seiner Malerei die digitale Auflösung der Bilder vorwegnahm). Nur noch das Gesicht ist zu sehen. Er wird sehr bedrohlich. Als lauere eine Katastrophe im Hintergrund. Dann wird das Bild wieder farbig und ein schlechter Traum scheint vorüber. Die Bedrohung ist überstanden. (www.unit1.nl)

Als wir gestern in Egmond waren, stand der Container am dortigen Strandaufgang. Ich ging zu dem Mann, mit dem ich schon in Bergen aan Zee gesprochen hatte, fragte, ob schon neue Filme hinzugekommen wären, ja, drei, antwortete er, und ich sagte ihm, dass mir der Film mit dem Rettungsschwimmer besonders gefallen hätte. Er notierte sich das, sagte, den habe ein noch sehr junger Mann gemacht und er werde mein Lob weitergeben.

Rotkohl-Ingwer:

In dem Standcafé, in dem ich die vermeintlichen Spanner beobachtete, hatte C. einen Hamburger gegessen. Zum Hamburger gab es einen Salat, u. a. geschnittenen Rotkohl. Der Koch hatte ihn mit Ingwer angemacht, was sehr lecker schmeckte. C. sagte der Kellnerin, sie möge dem Koch ausrichten, dass sie sich sein Rezept für Rotkohl merken wolle. Die Kellnerin war hoch erfreut und sagte, sie werde das gern weitergeben.

Soviel zu Menschen und Lob. Jeder liebt Lob, wenn er echt ist.

Bass-Tölpel:

Die Geschichte mit dem Bass-Tölpel beginnt wie eine Geschichte über zwei Idioten: Ein Mann und eine Frau. Sie haben den Vogel gesehen, ein sehr schöner weißer Seevogel mit gelber Zeichnung am Kopf, etwas größer als eine Ente, ein Vogel, den man nicht häufig sieht in diesen Breiten. Sie haben ihn in der je nach Tide mehr oder weniger mit Wasser gefüllten Senke vor der Sandbank gesehen. Sie jagen hinter dem Tier her, das vielleicht nicht mehr fliegen kann, jedenfalls rennt der Tölpel mit ausgebreiteten Flügeln davon. Sie rennen hinterher. Sie haben ihn fast, wollten ihn halten, wollten ihn halten und fotografieren, aber noch einmal entkommt der Vogel. Diesmal schafft er es bis in die leichte Dünung. Dort aber hat der Mann endlich Erfolg. Er greift den großen Vogel, er hält ihn unter den Flügeln, die dieser ausstreckt, er hält ihn hoch vor seine Brust und die Frau macht ein Foto, als wäre der Vogel ihre Trophäe.
Dann aber gingen die beiden mit dem Vogel davon, was meine Hoffnung stärkte, dass es den beiden vielleicht doch um mehr ging, als um eine Foto-Trophäe. Vielleicht wollten sie Hilfe auftreiben.

Dämmerung:

Von der Terrasse des Strandcafés gesehen ist die Bühne in der Tiefe geviertelt. Zunächst der vom Tage und vielen Menschen gepflügte, jetzt menschenleere Strand, dessen leichtes Braun im Dunkel noch auszumachen ist. Daran schließt sich die schon beschriebene Senke an, die jetzt ganz dunkel ist, fast schon schwarz. Dahinter hebt sich die Sandbank ein wenig heller gegen die Nacht, dann kommt das Meer, das fast mit dem Himmel verschwimmt.
Auf der Sandbank beobachte ich die Silhouetten zweier Menschen. Sie gleichen Scherenschnitten, die sich im Abstand von zehn bis fünfzehn Meter gegenüber stehen. Mal bewegt sich der linke auf den rechten zu, dann umgekehrt. Eine Weile schaue ich zu, ohne ausmachen zu können, was die beiden dort tun. Bis ich das Geräusch eines geschossenen Fußballs höre. Den Ball selbst sehe ich jedoch auch jetzt noch nicht.

Große Erhebung:

Die große Erhebung wird, da sie keine Erkenntnis brachte, nicht näher erläutert. Natürlich hätte das auch ganz anders ausgehen können. Hätte. Aber so ist das in Rimini. Hätte. Hat nicht. Hätte aber. Wäre dann aber etwas Großes geworden. Hätte die Welt erschüttert. Hätte vielleicht dazu geführt. Hat aber nicht. Schwamm also drüber.

Der Canadier, der vor Tagen unter den Schimpfkanonaden eines blonden deutschen Mädchen immer kleiner wurde, bis er schließlich auf Erbsengröße geschrumpft war und explodierte, saß mit eben jenem Mädchen gestern Abend im Strandcafé und erläuterte ihr seine Lebenspläne. Hin und wieder küsste man sich. Meinen Impuls, den Jungen zu warnen vor dem absehbaren Unglück, das dieses Mädchen über ihn bringen würde, unterdrückte ich mühsam, aber dann begann die Inszenierung auf der Sandbank und ich beschloss, ihn in sein Unglück rennen zu lassen. Schließlich gehört auch das zu Aufgaben, die das Leben gern stellt.
Wenig später sah ich, wie die beiden davon gingen. Er hatte seinen rechten Arm um ihre Schulter gelegt. Er wirkte dabei, als wolle er sie festhalten. Zudem war sie einen halben Kopf größer als er. Armer Junge.

Die zunächst gedachte "Der Dichter sitzt am Strand und schreibt..." Inszenierung, die gestern Abend vor großem Publikum stattfinden sollte, und - wie Sie wissen - nicht einmal die ersten Sätze überstand, findet nun am Hotelpool statt. Obgleich ich nicht gern in der Öffentlichkeit schreibe, macht es dennoch Spaß. Und ist albern.

Er schreibt. Sie raucht und schaut aus dem Zimmerfenster im zweiten Stock. Unten lachen Menschen. Eine Frau hustet. Die Rauchende kann das ganze Dorf überschauen. Vom Strand hinüber zu den Dünen, zum Wald im Westen. Die Sonne ist längst untergegangen. Sie war blutrot. Sollte daher morgen kein Badetag sein, fahren wir mit dem Rad.

Feng Shui

Unser Zimmer hat ein Fenster zum Nordwesten und eines zum Südosten. Das ist gut für's Klima, denn unterm Dach ist es warm, wir aber haben Durchzug, wir lassen beide Fenster die Nacht über offen. Feng Shui, könnte ein Laie wie ich glauben, schließlich bauen Chinesen Hochhäuser, in denen sie ganze Stockwerke aussparen, Hochhäuser mit Durchzugslöchern, damit das Feng Shui gewährleistet ist.

Wir lächeln über selbsternannte Feng-Shui-Hohepriesterinnen (gern Ex-Diplom-Pädagoginnen, Psychologinnen etc.), die Wohnungen betreten, mit nachdenklichem Gesicht herumgehen und behaupten, so, wie diese Wohnung eingerichtet sei, könne sie nicht bleiben, da sei nichts im Gleichgewicht. Wir kennen Menschen, die sich dem Verdikt solcher Hohepriesterinnen beugen, tatsächlich umräumen und für die Umräumtipps auch noch zahlen.
C. sagt, die Hohepriesterin, die ihrer Freundin A. das Feng-Shui untergejubelt habe, würde bei Anblick unseres Hotelzimmers (kamer 36 2de verdieping) sicher unter Krämpfen zusammenbrechen, denn direkt gegenüber des nordwestlichen Fensters hängt ein Spiegel und das ist nicht gut. Entweder verstört er das Feng oder erbost das Shui, das wisse sie nicht, andererseits, ihr sei es eh einerlei. Stimmt. Mir auch. Hauptsache die Luft bleibt nicht stehen.

Wenn ich ihnen im Dorf begegne, sind es Britney Spears Klone. Alle blond, alle mit Pferdeschwänzen und bauchfreien T-Shirts, mit Bauchnabel-Piercing und Schmetterlings- oder fliegender-Vogel-Tatoo, das in der Gesäßspalte (auch: Arschritze) verschwindet. Dann aber begegne ich ihnen am Meer, wo sie versuchen, die kleinen Wellen zu reiten, sich von ihnen auf den Strand werfen zu lassen, und plötzlich ist der Klon in ihnen verschwunden und sie sind fast noch Kinder, mit der überwältigenden Freude, im Wasser zu tollen.

Hähne und Abflugkorridor

Jetzt, wo die Nacht hereinbricht, kann ich auch von den Hähnen erzählen, die heute früh mehrstimmig den Tag begrüßten. Ich war längst wach, weil ich nicht gut schlafe in diesem Bett. Hinzu kam, dass der Abflugkorridor Shipols heute über Bergen aan Zee westwärts führte. So hörte ich, wie sich Flugzeuge mit brüllenden Motoren mühten, Höhe zu gewinnen. Ich verrenkte mir den Hals, um ihre über den bleichen Morgenhimmel wischenden Silhouetten zu sehen, was nicht leicht ist, denn ihre schlanken Leiber und weiten Schwingen verschmelzen gern mit der blau-grauen Luft und machen sich unsichtbar.

Er glaubt und glaubt nicht.
Er sieht dieses und jenes nicht.
Er verspannt, während sie längst selig schläft.
Wie macht sie das nur?
Wie viele Leben braucht er denn noch, um auch so schlafen zu können?

Müdes Lungern am Pool.

Samstag

Rad:Strand:Abend:

Stellen Sie sich vor, Sie wären Putzhilfe in einem Hotel. Jeden Tag müssten Sie und ihre Kollegen 40 Zimmer säubern, die gleiche Anzahl Betten machen (wahrscheinlich eher 60, wegen der Doppelzimmer, die jedes Hotel hat), 40 Badezimmer wischen, 40 Toiletten säubern, neue Handtücher verteilen, staubsaugen. In jedem Zimmer sähen sie eine Auswahl verschiedenster Gegenstände, die den gegenwärtigen Bewohnern gehören. Nichts davon dürfen sie berühren. Aber anschauen dürfen Sie sie, anschauen und sich Gedanken machen.
Auf der Ablage eines Badezimmers stehen von links nach rechts:

Eine Sprühdose Nivea Deo.
Eine Tube Cien Anti Falten Creme.
Eine Tube Protefix Haftcreme.
Eine Flasche Nivea Body Lotion.
Eine Flasche Schauma Shampoo.
Eine Flasche Nivea Pflegedusche.
Eine Flasche HS Sonnenmilch.
Eine Flasche L'eau D'Issey.

Was schließen Sie daraus?
Wären Sie in der Lage, ein Täterprofil aus den genannten Gegenständen zu entwickeln?
Wird dieses Zimmer von einer oder von zwei Personen bewohnt?
Falls von zweien, handelt es sich um einen Mann und noch einen Mann?
Um ein heterosexuelles Paar?
Oder um eine alleinreisende Person?

Tagelang könnten Sie spekulieren, allein, der Termindruck lässt das nicht zu. Spätestens um 14 Uhr müssen alle Zimmer wieder bezugsfertig sein. Sie tragen also all diese Eindrücke mit nach Hause, ein Zimmer vermischt sich mit dem anderen, statt Produkt-Analysen zu betreiben, wissen Sie nicht mehr, wo was war, bis zum nächsten Tag, da fällt es Ihnen wieder an, aber da stehen Sie wieder unter dem gleichen Druck.

Sie aber haben mehr Zeit.

Glauben Sie, wegen der Tube Cien Anti Falten Creme auf eine Frau schließen zu können? -
Möglich, aber nicht zwingend?
Auch die anderen Bad-Utensilien lassen nicht eindeutig auf eine Geschlechtszugehörigkeit schließen. Von einem Niedrigpreis-Produkt (Cien Anti Falten Creme) über Allerweltspreise bis hin zum Hochpreissegment für die Flasche L'eau D'Issey ist alles dabei, alles, aber nichts ist eindeutig.
Die einzig gesicherte Erkenntnis, die Sie aus den genannten Toilettenartikeln ziehen könnten, wäre.....
Nun gut, aber angenommen, Sie könnten sehen,welche Kleidungsstücke herumliegen, kämen Sie der Sache schon näher.

Während Sie noch rätseln, sind wir auf dem Weg zum Standcafé Noord.
Wir hoffen, den Niederungen niederländischer Esskultur zu entkommen, denn an einem der Tage vorher haben wir dort einen Kaffee getrunken und die Speisekarte studiert. Sie sah vielversprechend aus, wenngleich die Stimmung auf der Terrasse eher gejagt war, was unserem Wunsch nach Entspannung ein wenig zuwider lief.
Heute bestellen wir:
eine Kressesuppe, einen Salat mit rohem Tunfisch, dünn geschnittener Kalbslende und einem Pflaumenchutney, Pasta mit Rind und Broccoli, zum Nachtisch ein Schokoladensoufflé mit Vanilleeis.
Hmmm...
Dies ist unser Abschiedsessen, morgen fahren wir heim.
Und es ist der Beweis dafür, dass man auch in Holland gut essen kann.
Schauen Sie unter www.paviljoennoord.nl nach, studieren Sie die Speisekarte, fahren Sie hin, es lohnt.

Heute früh haben wir Räder gemietet und sind durch das Noordhollands Duinreservaat bis nach Camperduin gefahren. Dort endet das Naturschutzgebiet von einem auf den anderen Meter, es gibt keinen Übergang, man verlässt die Dünen und findet sich in Weideland wieder. Schwarze Friesen stehen auf den Wiesen, prächtige Pferde sind das, starke Kaltblüter, Kanäle zerteilen das Land, links ist ein sehr hoher, gut befestigter Deich, dahinter die graue Nordsee.
Am Fuß des Deiches landeinwärts findet ein Flohmarkt statt.
C. liebt Flohmärkte, ich nehme sie hin.
C. kauft für 10 Euro ein paar italienische Schuhe. Sie sehen wie neu aus. C. ist stolz.

Den Nachmittag verbringen wir am Strand. Ein Vater rollt seinen spastisch gelähmten Sohn ans Wasser und setzt ihn in die auslaufenden Wellen. Der Junge hat Mühe, aufrecht zu sitzen. Manchmal fällt er hilflos hintüber. Dann muss der Vater ihn retten. Der Junge hat Spaß, hier zu sein. Über eine Stunde sitzt er im Wasser und stößt hin und wieder seinen linken Arm unkontrolliert vor, so als wolle er rufen, seht, wieviel Spaß das macht. Und immer wieder fällt er um. Jedes Mal wäre er ertrunken, hätte sein Vater nicht auf ihn aufgepasst.

Dann ist da das Kind mit dem Ball. Es hat gerade erst laufen gelernt. Wenn es sich nach dem Ball beugt, den der Vater ihm zuspielt, kann es sein, dass es vornüber fällt, oder nach hinten. Je nachdem. Plötzlich entdeckt das Kind rosa Flip-Flops, die etwas abseits vor dem Handtuch einer sich sonnenden Frau liegen. Die will das Kind haben. Lässt den Ball Ball sein, stolpert los, erreicht die Flip Flops und beugt sich danach. Der Vater aber ist hinterher gelaufen, nimmt das Kind bei der Hand und zieht es fort. Kaum aber lässt er es wieder los, dreht es sich um, um sich erneut den Flip-Flops zu widmen.

Ich liebe es, Kindern am Strand zuzuschauen. Nirgendwo finde ich größere Lebensfreude in Menschen. Deshalb bleiben Kinder mein letztes Bild. All die anderen Bilder sind nur insofern noch wichtig, als sie garantieren, dass wir gesund wieder nach Hause gekommen sind. Aber die Bilder kennen Sie selbst. Es sind Bilder von schnurgeraden, zwei- bis dreispurigen Asphaltbändern, auf denen mal mehr, mal weniger Autos fahren. Sie sitzen in einem und hoffen, dass alles gut geht. Es geht gut. In Rimini und überall. Meistens.

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