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Rio de Janeiro
Wenn ich mein Tagebuch aufschlage, finde ich Aufzeichnungen eines 23jährigen, der allein um die Welt reist, nach einem Jahr nach Rio de Janeiro kommt und nach Hause will. Das Reisen war ein stetiges Vorwärts, selten ein Bleiben. In New York, auf Hawai, in San Francisco, in Stinson Beach, Tokio, Mexico City, San Jose, in Cuzco, Bogota, in Asuncion und Sao Paolo. Kurze Freudenfeuer mit dem anderen Geschlecht, aber leider keines in Japan. Ich hatte mich nicht getraut. Auf dem Heimweg zum Hotel de Solteros spricht mich eine schwarze Prostituierte an. Sie ist zwei, drei Jahre jünger als er, bietet Fellatio für 7 Dollar. Es endet mit Streit, kopfloser Flucht und der Furcht, dass die Luden mich verfolgen. War ich deshalb von den Iguazu Wasserfällen nach Sao Paulo gefahren, nach Parati geflüchtet, in der Erinnerung eine Stadt mit kolonial vanillefarbenen Häusern, einer blendend weißen Kirche mit Renaissancegiebel und einer Bucht unter sengender Sonne, um ,ich in dieser dunklen Straße, an deren Anfang Macumba-Altäre standen, Erinnerungen an eine andere Wirklichkeit mit leuchtenden Kerzen und magischen Gegenständen, auf so etwas einzulassen. Ich bin von Parati übers Meer nach Maguaratiba gefahren und nicht ein Bild davon ist noch aufzufinden. Es war kein großes Schiff, eher eine Fähre, und sie wird landnah gesegelt sein. Das Land wird sich grün und voller Geschrei aufgeworfen haben, aber es gibt kein verlässliches Bild. Sicher ist, dass die Fähre nicht unterging, der Bus nach Rio in keine Schlucht stürzte, und ich eine Einladung von Kathrina in der Tasche hatte, eine in Rio lebende, für ein englisches Kulturinstitut arbeitende Englischlehrerin, die er aus Asuncion kannte. Eine Wohnung in einer Villa, ein Pool, ein Garten am Hang. Ich hatte ,ich durchgefragt, ich hatte Stunden davor gesessen, bis Kathrina nach Hause kam. Es ist ganz, in dieser Hitze etwas zu tun. Auch nachts kühlt es kaum ab und schon am frühen Morgen ist es wieder so warm, dass ich mich von einer Ecke in die andere drücke. Rio ist noch hektischer als Sao Paulo. Die Karnevalsvorbereitungen laufen auf vollen Touren. Heute abend gehts auf eine Samba Party in die Favellas. Fünf Stunden Samba. Rasseln. Trommeln. Alle möglichen, Geräusche verursachenden Gegenstände. Bis in den Morgen trommeln und tanzen. Blasen an den Füßen. Ich fahre nicht auf den Zuckerhut.
13 Cruzeiros waren mir zuviel für dieses Vergnügen, und ich wollte nicht noch etwas sehen, nachdem ich schon so viel gesehen hatte. Meine Augen waren müde. Es sollte sich nichts mehr ereignen. Vielmehr stand die Frage im Raum, wie ich mit dem Wenigen, das er noch hatte, meine Rückreise finanziere. Drei, vier Redereien waren unerschwinglich, aber die Ankona, ein griechisches Kreuzfahrtschiff, das saisonal den Amazons befahren hatte, fuhr zurück nach Europa. Wir werden verpflegt, ansonsten wird es kaum Service geben, man hat Feierabend, dafür ist es bezahlbar. Die erste Karnevalsnacht hat mich den Schlaf gekostet. Vom offiziellen Umzug hatte ich erwartet. Mehr Spontaneität, eigentlich. Dieser Tribünenkarnval ist prächtig, die halbnackten konstümierten Frau jedenfalls strahlen, aber Stimmung geht anders. Zurück im Zimmer 21, Hotel für Solteros. Für Unverheiratete Männer. Allgemeines Dahinsiechen. In sechs Tagen, am 15. März, schiffe ich mich ein nach Lissabon. Für 200 Dollar. Zurück nach Hause. An Bord der Ankona. Nach den letzten Regentagen ist der Himmel wieder strahlend blau. Ich werde in der Sonne liegen. Was macht Helena C. in meinem Bett?