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rio de janeiro

Wenn ich 2020 (Pandemie / Krise Tag 251 /) mein Tagebuch aufschlage, finde ich Aufzeichnungen eines 23jährigen, der allein um die Welt reist, nach einem Jahr nach Rio de Janeiro kommt und nach Hause will. Das Reisen war ein stetiges Vorwärts, selten ein Bleiben. In New York, auf Hawai, in San Francisco, in Stinson Beach, San Jose, in Cuzco, und in Asuncion kurze Freudenfeuer mit dem anderen Geschlecht, aber leider keines in Japan, er hatte sich nicht getraut. Auf dem Heimweg zum Hotel de Solteros spricht ihn eine schwarze Prostituierte an. Sie ist zwei, drei Jahre jünger als er, bietet Fellatio für 7 Dollar. Es endet mit Streit, kopfloser Flucht und der Furcht, dass die Luden ihn verfolgen. War er deshalb von den Iguazu Wasserfällen nach Sao Paulo gefahren, nach Parati geflüchtet, in der Erinnerung eine Stadt mit kolonial vanillefarbenen Häusern, einer blendend weißen Kirche mit Renaissancegiebel und einer Bucht unter sengender Sonne, um sich in dieser dunklen Straße, an deren Anfang Macumba-Altäre standen, Erinnerungen an eine andere Wirklichkeit mit leuchtenden Kerzen und magischen Gegenständen? Man muss alles mitgemacht haben, denkt er.

Er ist von Parati übers Meer nach Maguaratiba gefahren und nicht ein Bild davon ist noch aufzufinden. Es war kein großes Schiff, eher eine Fähre, und sie wird landnah gesegelt sein. Das Land wird sich grün und voller Geschrei aufgeworfen haben, aber es gibt kein verlässliches Bild. Sicher ist, dass die Fähre nicht unterging, der Bus nach Rio in keine Schlucht stürzte, und er eine Einladung von Kathrina in der Tasche hatte, eine in Rio lebende, für ein englisches Kulturinstitut arbeitende Englischlehrerin, die er aus Asuncion kannte. Eine Wohnung in einer Villa, ein Pool, ein einen Hang hinabführender Garten. Er hatte sich durchgefragt und die Wohnung gefunden, er hatte Stunden davor gesessen, bis Kathrina nach Hause kam. Nach einer Woche ertappte sie ihn, als er in einem ihrer Fotokartons wühlte, und schmiss ihn raus.

Es ist ganz unmöglich, in dieser Hitze etwas zu tun. Auch nachts kühlt es kaum ab und schon am frühen Morgen ist es wieder so unerträglich warm, dass ich mich von einer Ecke in die andere drücke. Rio ist noch hektischer als Sao Paulo. Die Karnevalsvorbereitungen laufen auf vollen Touren. Ich bin gespannt. Post von Michael aus New York. Michael wird Popstar. Ich sehne mich nach einem dreiblättrigen Joint. Heute abend gehts auf eine Samba Party in die Favellas. Fünf Stunden Samba. Rasseln. Trommeln. Alle möglichen, Geräusche verursachenden Gegenstände. Drei Stunden getanzt, bis ich Blasen an den Füßen hatte.

Am Tag drauf bei Englischlehrern zu Besuch. Fette Appartments. Balkon. Pool. Großartige Aussicht über die Stadt.

Ich fahre nicht auf den Zuckerhut.

13 Cruzeiros waren ihm zuviel für dieses Vergnügen, und er wollte nicht noch etwas sehen, nachdem er schon so viel gesehen hatte. Sein Augen waren müde. Es sollte sich nichts mehr ereignen. Vielmehr stand die Frage im Raum, wie er mit dem Wenigen, was er noch hatte, seine Rückreise finanziert. Drei, vier Redereien waren unerschwinglich, aber die Ankona, ein griechisches Kreuzfahrtschiff, das saisonal den Amazons befahren hatte, fuhr zurück nach Europa. Es wird Essen, ansonsten kaum Service geben, man hat Feierabend, dafür wird es bezahlbar.

Die erste Karnevalsnacht hat mich den wohlverdienten Schlaf gekostet. Trotzdem habe ich ein wenig mehr erwartet. Mehr Spontaneität, eigentlich. Der Tribünenkarnval ist jedenfalls recht kühl, absolut keine Stimmung bei den Zuschauern. Mainz bleibt eben doch Mainz. Aber die Kostüme, hm. Und die Frauen, Spitze.

Zurück im Zimmer 21, Hotel für Solteros. Für Unverheiratete Männer. Allgemeines Dahinsiechen. Und dann schon Montag, Dienstag, Mittwoch. Sechs Tage, 15. März nach Lissabon. Für 200 Dollar. Aber was soll's. Auf nach Europa. Allem ein Ende machen. Ausruhen und zurücklehnen. Das Treiben. Treibhaus Rio. Keine Geistesblitzew mehr. Kein Geist. Nach langer Zeit. In dieser weiten Welt umherziehen.

Aufreißen. Zerstören. Und Neues bauen. Erst alles kaputt - alles wieder heil.. Heil! Hei! He! ! ! . Erster Falz. Zweiter Falz. Pfalz. Rheinlanbd Pfalz. Dritter Falz. Kleberand und erster, zweiter, dritter Pfalz. Pfalz, falls Falz. Deutsch. Pfalz und Pfalz=Falz.

An Bord der Ankona.
Wenn das kein Trip wird. Nach den letzten Regentagen ist der Himmel wieder strahlend blau. Ich werde in der Sonne liegen. Der König der Wanderer. ich habe noch kaum dufte Frauen gesehen.

Diese Reisenden formieren sich:

1 die Deckhocker und Tratscher
2 die Deckhocker, Tratscher und Sonnenanbeter
3 die Sonnenanbeter
4 die netten Menschen
5 die liebenswerten Menschen
6 der nicht nennenswerte Rest.

Was macht Helena C. in meinem Bett?

 

 

 

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