September 2006                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Fr 1.09.06   9:10

Ich werde versuchen, den September politikfrei zu halten.
Niemand wird mehr kritisiert. Alle sind gut und gerecht.
Stumm und mit vor Staunen weit geöffneten Augen gehe ich herum und versuche, mich zu erinnern.
Was hatte man mir damals gesagt? Was wäre zu tun und zu lassen?

Ich weiß es nicht mehr.

Was ich weiß?
Seit vierzehn Tagen bin ich wieder nikotinfrei. Abgesehen vom Nikotin, das meine Frau herumpustet, aber damit lebe ich schon seit dreißig Jahren. Entweder bringt es mich um oder nicht.

Hier also sitze ich. Ich freue mich auf den Tag, ich hoffe, ein, zwei Szenen aufs Papier zu bringen, am meisten aber freue ich mich auf heute abend, da fahre ich ins Studio.

12:45

Im Juni machte ich den Fehler, einem Microsoft-Update zuzustimmen und hatte seitdem die Windows Genuine Advantage Notification am Hals. Immer, wenn ich den Rechner hochfuhr, erschien eine Warnung: ich wäre wahrscheinlich einer Software-Fälschung aufgesessen und könne nun eine Original-Lizenz erwerben. Dann gab es einen Countdown, der abzuwarten war, erst danach konnte ich die Warnung auf dem Desktop wegklicken.

Vorgestern sprach ich mit Jan darüber. Er meinte gehört zu haben, dass man die Warnung mit einem einfach Trick eliminieren könne. Man müsse auf Systemwiederherstellung klicken und ein Datum definieren, das vor dem Download der WGA-Notification läge. Aber er wisse nicht, wie das mit diesem Windows-Feature sei, was da alles gelöscht werde etc. pp. Ich informierte mich. Ich machte Back-Ups. Windows sagte, Daten, so sie gesichert seien, blieben unangetastet. Ich hatte schon tausend und einen Trick probiert, keiner hatte geholfen. Also probierte ich es aus. Und siehe da, die Windows Genuine Advantage Notification ist weg.

Ha, ha, ha, lieber Herr Gates, da habe ich dich mit deinen eigenen Waffen geschlagen....

 

Sa 2.09.06   15:00

118mal sind meine Video-Lesungen bisher gehört und gesehen worden.
Wenn ich bedenke, dass das Literaturcafé, ein Portal mit mehreren tausend Besuchern pro Tag, sie als Tagestipp vorgestellt hat, ist das beängstigend wenig.

Sofort geht die Endlosfrage am Horizont auf. Dazu schallendes Gelächter.
Wozu eigentlich die ganze Arbeit, wenn der Durchschnittsinternetspanner kaum länger als 163 Sekunden auf einer Seite bleibt, um dann weiter zu zappen.

Egal.

Wir haben nichts anderes.
Wir können nichts anderes.
Und wir wollen nichts anderes.

Ist Ihnen aufgefallen, wie unvorteilhaft ein vollbärtiger Mittfünfziger aussieht, der vorliest. Der Holländer nennt den Vollbart praatende Kut, sprechende Votze, für Anhänger des elaborierten Codes: sprechende Vagina.

Ich habe mir die Videos mehrfach angeschaut und dann den Schnäuzer abrasiert. Nun ist der Mund wieder frei. Ich habe einen schönen Mund, vielleicht ist mein Mund sogar das Schönste an mir, das Problem mit den Speiseresten ist auch erledigt und ich bin keine Kut mehr.

Gestern war ich gegen sieben im Studio, gegen acht hatten wir den Text der Kanaken Stadt strukturiert und in Liedform gebracht. Eh wir mit den Aufnahmen begannen, fuhr ich nach Glanerbrug, um im Coffeeshop ein Tütchen Gras zu kaufen.

Irgendwie war das wie früher. Etwas fehlt, man fährt zum Spar-Markt gleich hinter Grenze, kauft das Fehlende (Butter, Tee, Kaffee) und kehrt zurück. Als Kind tat ich das oft, wenn meiner Mutter etwas fehlte. Ich setzte mich auf's Rad und versuchte, die Strecke von der Bismarckstraße bis zum Schlagbaum freihändig fahrend zu meistern. Ca. 2,5 Kilomter, nicht ganz einfach, aber, mit den damaligen Verkehrsverhältnissen (1960), machbar.

Der Coffeeshop ist nicht weit hinterm Schlagbaum.
Es ging da zu wie in einem Supermarkt am Freitagabend, alle wollten noch schnell einkaufen.

Das Nightsky Studio liegt in flachem, grünen Grenzland: Wiesen und Rindvieh, frisch gepflügte Äcker, Mais, panisch flüchtende Hasen. Als ich losfuhr, verschwand die Sonne hinter einem orange geriffelten Wolkentor am Horizont, das noch lange nachglühte.

Ich fuhr durch das Venn, in dem in meiner Jugend noch Torf abgebaut wurde.
Die Grenze verläuft parallel, die Gegend ist voller Schmugglergeschichten, die Höfe liegen verstreut, nachts ist die Milchstraße deutlich zu sehen und es ist ruhig.

Wenn ich dort bin, bin ich im Urlaub.
Wir arbeiteten bis nach Mitternacht, dann war der erste Take für die Kanakenstadt aufgenommen.
Ich spielte Ukulele und sang. Mal sehn, wie wir mit diesem Stück weiter verfahren. Carsten meint, wir sollten es mit einer Band life aufnehmen.

 

So 3.09.06   14:20

Glocken - Glöckchen - evangelisch,
herrisch gongt's den Katholiken unterwegs,
tiefe Wolken, außerstädtisch,
hin und wieder: Plebs.

M. dennoch auf dem Balkon,
Kaffee, Brötchen, FAZ,
Wind zerfleddert die Fasson,
das' nich nett.

Später, drinnen,
bügeln im Akkord,
mittags sinnen,
über Poltik und Mord.

Früher Mittag: Stille Zeit,
wär' es trocken, wäre man bereit,
einen weiten Weg zu gehen,
da es feucht ist, wird man sehen,

Ob's nicht auch das Sofa tut,
und dazu Kaffee und Kuchen,
still verraucht die heiße Wut,
kraftlos, wie das letzte Fluchen.

 

Mo 4.09.06   8:20

Das kluge Zitat.

Heute: Andreas Maier: Kirillow. Roman. Suhrkamp. Seite 211:

"Jenseits der Bäume gibt es nur den Pragmatismus. Das ist die Lektion des Lebens. Und die menschliche Sprache ist die Sprache des Pragmatikers, des Wollens, sie dient nicht der Wahrheit, sondern dem bloßen Überleben. Alles Nicht-Pragmatische hat die Sprache in den Glaubenssektor hineingesperrt: die Glaubenssprache ist das einzige, was 'durch einen hindurchschaut', das einzige ohne Richtung, ohne Fortschritt, Zeit, Wachstum, das einzige ohne Wollen, kurz: sie formuliert all das, was in der Welt der Menschen, der Welt der Richtung, des Fortschritts und des Wachstums nicht vorkommt.

Die einzige Wachstumsgrenze ist die Katastrophe. Auf den Bäumen gebliebene können keine Katastrophe anrichten. Das Katastrophische, die Umwendung, ist in uns und unser Wachstum integriert, aber in unseren Diskursen reden wir nicht davon, wir ahnen nicht einmal, dass die Katastrophe immer elementar in unseren Taten drin ist, also in unserem bloßen, physischen Überleben. Indem wir leben, sind wir die Katastrophe. Plötzlich und zum ersten Mal erscheint alles klar und einfach; die Lösung ist: es gibt keine Lösung. Wie man den Menschen dreht und wendet, es gibt keine Lösung. Deshalb ist auch niemand als einzelner in besonderer Weise schuld, weil nämlich jeder elementar die Katastrophe in sich enthält, als jeder schuld ist ...."

11:23

Man will die Umwelt schonen, sich einen besseren KAT einbauen lassen, der zudem Steuern spart, und was hört man: im Mittelrohr des Auspuffs seien Löcher. Man hatte sich schon so etwas gedacht, das Auto klang seit Wochen ein wenig heiser. Das Mittelrohr muss bestellt werden.

Also, sagt die Werkstatt: behalten Sie doch den Leihwagen, den wir ihnen heute früh mitgaben, bis morgen. Für umsonst!!! Na, gut, sage ich. Der Leihwagen ist ein Toyota Aygo. Sieht aus, wie eine Spacebüchse. Könnte auf jeder Kirmes als Autoscooter herumkurven.


Di 5.09.06   8:38

Eh ich zur Pressekonferenz fahre, die unsere Soap promoten soll, ein paar Sätze zu meinem schweren Schicksal als Hausmann. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bemängeln 84% aller Frauen, dass Hausarbeit von der Gesellschaft nicht genügend gewürdigt werde. Wenn der Beruf der "Familienmanagerin" entlohnt würde, wären aus Sicht der Befragten dafür 1580 Euro monatlich angemessen.

Liebe Hausfrauen (aka:Familienmanagerinnnnennnenn), was glaubt ihr, wie ein Mann sich fühlt, der all die Jahre den Familienmanager gemacht hat? Ich bin ein Fossil. Ein Modell, das sich nie durchgesetzt hat und nie durchsetzen wird. Eine Lachnummer. Nicht, dass ich es bereue, nein, nein, im Gegenteil, aber wenn schon die Frauen sich beschweren, dann ich auch. Dann will ich für Kindererziehung (zwei Söhne, einer 25, einer 21) rückwirkend auf, sagen wir 15 Jahre, monatlich 1580 Euro, bitte jetzt, bitte gleich.

9:22

Sehe schon den langen Deich und am Ende den Fährhafen. Höre schon das Rufen der Wattvögel und spüre den Wind auf der Haut. In etwas mehr als drei Wochen werden wir wieder auf unsere Insel fahren, uns in unserer kleinen Wohnung im uralten Haus am Dorfrand einnisten, werden Fahrräder mieten und Fritten essen, werden am einsamen Strand Wanderungen unternehmen, werden so tun, als gehörten wir dorthin, seien Teil dieses Dorfes, in das wir nun schon seit über zwanzig Jahren fahren, und so Gott will auch noch zwanzig weitere Jahre. Am Bornrif will ich verstreut werden, will im Wind noch für Momente überm von Wellen geriffelten Sand schweben und dann auf alle Zeit fort sein. Bis dahin werde ich alles dafür tun, dass ich zumindest einmal im Jahr dort sein kann.

12:28

Den Text habe ich im September 2004 geschrieben.
Er passt so schön, deshalb hab ich ihn einfach nochmal genommen. Darf ich ja. Ich besitze ja die Rechte.

Die Pressekonferenz war nett. Die Presseschreiber werden sich etwas aus den Fingern saugen, man wird das lesen und vergessen. Dann wird die Premiere sein und wir werden sehn. Im Pumpenhaus wurden Scheinwerfer aufgehängt, heute und morgen abend sind Durchlaufproben, morgen mit Licht, Karten für meine Leute sind zurückgelegt, also, keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran...

17:20

Der jüngste Sohn hat mich mit seinen radikalen Ansichten genervt.
Muss leider zugeben: Ich wollte mit 21 auch alle köpfen, füsilieren und kleinhacken.
Wer dem Drama JUNG kontra ALT entgehen will, sollte nie eine Familie gründen.

 

Mi 6.09.06   7:45

Von meinem grandiosen Misserfolg gefällt (Plädoyer für Gewaltlosigkeit - Es gibt keine Schuldigen, wir alle sind schuld.) verschwand ich kurz nach sieben im Bett. Wollte nur noch weg von dieser familiären Idiotie, nichts mehr hören, nichts mehr sehen, weg, und schlief ein. Wurde um 5:34 wach, zog mich aus und schlief noch ein knappes Stündchen.

In den Zeitungen wohlwollende Berichte über unsere Soap.
An Publizität mangelt es nicht. Jetzt kommt es drauf an.

8:45

Fröhliches Gedicht über den Suizid (Folge ...)

Willst du es etwa heute tun?
Ich bitte dich, lass es bis morgen ruhn!
Auch übermorgen wär noch früh genug,
man wirft sich schließlich doch nicht täglich vor den Zug.

Darum - genieße bis dahin,
vielleicht erschließt sich irgendwo noch Sinn,
es wär doch möglich (wenn auch unwahrscheinlich),
und all die Flecken nachher wären: peinlich.

Man wüsste nicht, wohin mit dir,
man hätte was, das nicht gut ausschaut

für Stunden stockte bundesweit der Zugverkihr,
und nichts, das ein' noch aufbaut.

Sei nett, schreib weiter Verse für die Katz,
sei Hausmann, füge dich bescheiden,
kommt dir ein Sohn quer, hau ihm vor den Latz,
und teile seine Leiden.

 

Do 7.09.06   9:20

Das Licht war gerichtet, neutrale, nicht am Produktionsprozeß beteiligte Zuschauer waren da, es konnte losgehen: die letzte Durchlaufprobe vor der Generalprobe. Entsprechend aufgeregt waren alle. Da ich nicht neutral bin, achtete ich besonders auf die, die es waren: gab es Lacher, langweilte man sich, wurde die Geschichte verstanden?

Nach allem, was ich sah und im Anschluss hörte, ist vorsichtiger Optimismus angebracht. Es scheint, unser Konzept könne aufgehen, die allgmeine Erwartungshaltung sich erfüllen, und zum ersten Mal, seit ich als Schriftsteller unterwegs bin, sehe ich mich auf einen Erfolg zuschreiten, der von zahlendem Publikum ausgehen wird.

Alles bisherigen Erfolge waren still. Verträge wurde geschlossen, Bücher wurden veröffentlicht, Hörspiele gesendet. Natürlich bin ich auch bei Lesungen erfolgreich, oft sogar sehr, finde ich, aber auch diese Erfolge sind anders als das, was sich da zusammenbraut.

Ich weiß, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber die Erwartungen sind sehr hoch. Es fallen schon Sätze wie: Das verkauft ihr. An wen denn? An andere Theater? Und wie denn, wir haben doch gar keine Verträge geschlossen?

Ich bin sehr aufgeregt. Diese Theatergeschichte nimmt mich mehr mit, als ich mir hatte vorstellen können. Ich versuche, meine Erwartungen zurückzuschrauben. Ich sage mir, es wird ausgehen, wie es immer ausgeht: niemand wird bemerken, was für eine Arbeit wir geleistet haben. Wir sind einfach zu still, wir verursachen keine Skandale, die die Aufmerksamkeit auf uns lenken, wie etwa die Zentrale Intelligenz Agentur, die letztlich eine Lesung in Berlin veranstaltete, bei der die Zuschauer per Handy-Anruf den Vorlesenden mit elektrischen Schlägen traktieren durften. Wir gehören zu denen, die ihre Arbeit verrichten und sich freuen, wenn sich das Publikum unterhält.

Aber was, wenn es nun doch anders kommt?

 

Fr 8.09.06   8:55

Kotzt der Bär,
fällt Heiligabend Schnee,
niest das Rind, war etwas mit dem Klee
nicht so, wie's sollte,
hatte jemand, der die Sichel holen wollte,
wohl nicht aufgepasst, und Zack war's schon passiert,
alle schauten irritiert.

Ob denn Heiligabend so zu machen wäre,
fehlte da nicht irgendwie die Erdenschwere,
hätte man nicht besser Nutten engagiert,
die mit Engelshaar Choräle sängen,
Lingam, Hoden, Nonnenvötzchen schwängen?

Aber nein, es mussten Angus-Rinder sein,
weil das so schön irdisch ist,
knurrt der Hausherr angepisst.

Ob er uns noch etwas sagen wollte,
wussten weder er noch sonst jemand,
zweifelsfrei war, dass er sich nicht mehr erholte,
und Silvester schon vorm Grab stand,
schwer bewegt nach unten schaute,
während er Schok'lade kaute,
mühsam noch adéle rief, und dann schnief....

So kam's, dass er kräftig aufschlug,
sich nichts brach, nur schwer verschmutzte,
was ihm aber auch nichts nutzte.

(Unvollendet...)

 

Sa 9.09.06   9:00

Ich: auf dem Balkon beim Frühstück. Ein Brötchen mit Marmelade, ein Brot mit Serano-Schinken, Kaffee mit aufgeschäumter Milch, großflächig hinter der Frankfurter Rundschau. Sie: ca. 75, Flüchtling, Preussin, Rollator (Jahrzehnte mit einem Cockerspaniel unterwegs, der aber ist schon lange tot), klein, Kodderschnauze, zu mir: Na, steht wat Neuet drin? Ich: Nee. Sie: Bei mir in de Bild letztens stand, die Rente würde um 4 Euro erhöht. Diese Arschlöcher! Die könn' Se sich sonstwohin schmieren.

12:15

Zwei Euro ist der Verdienst eines Tageslöhners in Indien.

Aber was will man machen, der Mensch ist eben nie zufrieden. Preussen leiden natürlich auch unter ihrem Migrationshintergrund. Wer aus Preussen nach Westfalen kommt (das ja auch mal zu Preussen gehörte), hat den tiefen Kulturschock, den er erlitt, noch immer nicht verwunden.

Wie die armen Baden Württemberger ihn täglich erleben, denn die, lese ich in der FR., haben von allen deutschen Flächenländern den höchsten Anteil an Ausländern, Spätaussiedlern und Menschen, die von Zuwanderern abstammen.

Jeder vierte der 11,7 Milliarden Baden-Württemberger habe einen Migrationshintergrund.

Kein Wunder, dass sie so komisch sprechen. Erschreckend auch, dass es so viele sind. Ich hatte schon immer das Gefühl, die Fischer-Chöre wären ein wenig zu groß, aber da ich jetzt weiß, dass es 11,7 Milliarden Baden Württemberger gibt, scheint mit die Größe des Chors doch irgendwie angemessen.

 

So 10.09.06 18:00

Während Ratze Ratzinger als Mensch kommt und dann erst als Heiliger Vater (der Fleck wird der gleiche sein), komme ich immer als Mensch, habe also mit den Verwicklungen, die das Leben eines Heiligen Vaters mit sich bringt, nichts zu tun.

Statt sonntags um 6 die erste Messe zu lesen, unter Umständen bäuchlings auf kühlen Mamorfußböden irgendeiner Kathedrale liegend, um noch dem letzten Dämlack zu verdeutlichen, dass meine Demut echt ist, kann ich mich umdrehen und dem Herrgott danken, dass er mir einen ruhigeren Posten zugedacht hat als den des Ratze Ratzinger aka HV., der ja, nehme ich an, in der Öffentlichkeit nicht mal Weißbier trinken darf.

Oder vielleicht doch? Ja, wahrscheinlich darf er das doch, aber natürlich nicht, wenn er da bäuchlings liegt. Vielleicht tun das aber auch nur die hierarchisch tiefer gestellten Priester der Herrengemeinschaft der Heuchler, Ausbluter und Verdummungsmaschine des heiligen römischen Stuhls.

Wovon wollte ich sprechen? Ach ja. Gegen 10:30, Ratze hatte schon mindestens zwanzig Vater-Unser gesprochen und dabei die Hände wie ein debiler Tattergreis vorm Bauch gefaltet, gegen 10:30 also machte ich mich auf den Weg, um die ersten Marathon-Läufer zu begrüßen, die heute das Dorf durchquerten.

Erst kamen zwei spindeldürre Kenianer (48 Kilo Körpergewicht). Dann kam eine Weile niemand, dann wieder der ein oder der andere, dann wieder eine lange Weile niemand, dann kamen sie in Gruppen.

Mein Nachbar, der bereits vier Finisher-T-Shirts sein eigen nennt, hatte sich heute Großes vorgenommen. Er wollte unter vier Stunden bleiben. Während Ratze Ratzinger mit den Herren des Klerus und der Politik bei Tisch saß, saß ich auf einem Mäuerchen und wartete, bis der Nachbar endlich um die Ecke kam. Noch war er in guter Verfassung, gerade aber berichtete er mir von einem Kräfteeinbruch wenig später, der dazu führte, dass er bei 4:12 den Marathon beendete.

Na ja, sagte ich, war es nicht so, dass der erste Marathonläufer, nachdem er Athen erreicht hatte, starb. Ja. Dennoch. Mein Nachbar war untröstlich. Ratze Ratzinger hob den Kelch, trank einen Schluck und zog sich zum Mittagsschlaf zurück.

 

Mo 11.09.06   8:30

Immer wieder werde ich gefragt: Herr Mensing, wie schaffen Sie das bloß?
Nun, ich kann nur sagen: Disziplin, Disziplin, Disziplin. Und natürlich nicht zwischendurch fliegen, also, das Ziel verfehlen, meine ich, nicht, dass Sie da was reininterpretieren.

9:35

9/11: ca. 3000 Tote

täglich weltweit: ca. 20.000 Hungertote
jährlich weltweit: ca. 3000000 Aids-Tote
jährlich weltweit: ca. 20.000 Minen-Opfer usw. usw. usw.

9:50

Am 29.08. dieses Jahres sendete WDR 5 /Westblick eines meiner Gedichte. Ich sprach schon davon. Und nun raten Sie mal, was die Große Mutter WDR mir für 21 Zeilen und 0:45 min. Poesie überweist?

Na? Na? Na? - 75,18 Euro.

Vor allem über die 18 Cent hätte ich gern nähere Auskunft, aber nun, das vierseitige Schreiben der großen Mutter liegt vor mir, ich muss noch entscheiden, ob ich umsatzsteuerpflichtig bin, ja oder nein, ich glaube eher, nein, dann werde den Vertrag unterzeichnet zurücksenden.

Ich könnte ohne Probleme jeden Tag Textbeiträge von 45 Sekunden liefern, 30 mal € 75, 18 ergäben 2.255,40 Euro im Monat. - Ja, davon könnte ich leben, also, liebe Redakteure, was ist, ruft an, was wollt ihr haben, ich liefere quasi frei Haus und im Sekundentakt zu jedem Thema. Keine Ungeheurlichkeit ist mir zu peinlich, kein Wetter zu schlecht, Tag und Nacht säße ich zu diesem Preis für euch bereit. Also, ich warte...

16:15

...und feiere Altweibersommer mit einem alten Weib...

 

Di 12.09.06   8:30

Manchmal erwachte Herr M. mit einem Kopf voller Fragen. Gern waren das W. Fragen.Wer hat von meinem Tellerchen gegessen? etwa, oder: Weiß jemand, ob heute noch ein Zug fährt? Herr M. kannte solche Fragen seit frühester Jugend. Warum, lautete zum Beispiel eine dieser frühen Fragen, warum haust du Ronald Viertel ständig eins vor die Fresse?

Eine W. Frage reihte sich an die nächste.
Nicht alle waren so dumm wie die bisher genannten.
Es gab auch gewichtige, aber eines war allen gemein: sie führten zu nichts.

Am Morgen des 12. September 2006, ein strahlender Morgen mit abnehmendem Mond, der angeschossen zum Untergang taumelte, lautete die erste Frage, die Herrn M. auf dem Balkon ansprang: Wird der heutige Abend ein Erfolg? Die gleich darauf folgende: Und dann? Und die übernächste: Und dann?

Motorenlärm von der Autobahn schlug über ihm zusammen, Pflasterer frästen Steine, sodass für Medititation kein Raum blieb. Herr M. hatte an diesem Morgen eine breite Brust und so beschloss er, die Dinge auf sich zukommen zu lassen.

Ein wenig aufgeregt war er schon, er fand, eine Theaterpremiere hätte schlechteres Wetter verdient, denn wer wollte schon an einem so schönen Tag, wahrscheinlich einer der letzten warmen Tage des Jahres, abends ins Theater gehen?

Aber es war nicht zu ändern. Heute Abend erwiese sich, ob die Arbeit, die sie seit Anfang des Jahres geleistet hatten, Früchte tragen würde oder nicht.

JAWOLL.

Was nun ein anderes Projekt angeht, dem Herr M. nachhängt, etwa das Singen eigener Texte zur Ukulele: gestern fand sich ein Trommler, der bereit ist, bei diesem Projekt mitzumachen. Ein sehr guter Trommler übrigens. Um nicht zu sagen: sein Lieblingstrommler in dieser Gegend.

14:45

Die Premiere ist ausverkauft.

 

Mi 13.09.06   9:06

Erstaunlich, wieviel Magie die Bühne hat. Man braucht wenig. Hauptsache, der Zuschauerraum verdunkelt sich zu gegebener Zeit. Licht, das die Bühne ausleuchtet, ist unverzichtbar. Requisiten können da sein, müssen aber nicht. Selbst unbeholfenes Spiel kann unter solchen Umständen auf den ungeübten Zuschauer seinen Reiz entfalten und ihn in dem Glauben wiegen, das müsse so sein, das sei inszeniert.

Insgesamt aber war die Premiere eine runde Sache.

Sogar ein Soap-Club ist initiiert, ein Cheer-Leader sitzt mitten unter den in schwarze, mit grünem Applauser Aufdruck beflockten T-Shirts und hebt wechselweise Symbole, worauf die Applauser Applaus spenden, seufzen, mit den Füßen trampeln etc. Sie müssen das noch ein wenig üben, aber wir haben ja gerade erst begonnen, fünf weitere Folgen bis in den Februar nächsten Jahres stehen an.

Meine Söhne waren auch da, offbar amüsiert und gut unterhalten. Das freut mich besonders, denn es hätte mich auch nicht gewundert, mit Hohn und Spott überschüttet zu werden, wie das so Söhne-Art ist, wenn es um Väter geht.

Ich habe das Vergnügen, fast eine Woche lang jeden Abend zuschauen zu dürfen, wie sich die Aufführung entwickelt. Darauf freue ich mich. Es gibt meinem Leben ein wenig Zerstreuung und Sinn. Und das haben wir doch alle gern, nicht wahr?? (Seufzzzzzzz Schnieffffff)

 

Do 14.09.06   12:45

Ein Beleuchter, der zur Entspannung Splatter Movies sieht, ein Autor, der 30 Jahre älter ist als der Großteil der Schauspieler, drei Regisseure, ein einfaches, eindrucksvolles Bühnenbild und eine Vorstellung einen Tag nach der Premiere, die alles hatte, um ein Ensemble zusammen zu schweißen.

Premierenpublikum ist dankbares Publikum. Man kann ihm aber nicht trauen. Die meisten Zuschauer sind eingeladen, wähnen sich im exklusiven Kreis, sehen, wollen gesehen werden und spenden bereitwillig Applaus.

Der Publikum der zweiten Vorstellungen ist anspruchsvoller. Es will erobert werden, und das war gestern nicht einfach. Den Szenen vor der Pause fehlte der Schwung, dennoch war deutlich, dass das Publikum viel aufmerksamer folgte, als am Premierenabend.

In der zweiten Hälfte war der Schwung zurück.
Das Ensemble hatte nicht aufgegeben, sondern nachgelegt. Mit Erfolg. Es gab reichlich Szenenapplaus und der Schlußapplaus kam von Herzen. Hatten wir einen Vorhang, es wären sicher fünf oder sechs Vorhänge geworden.

Jetzt bleiben noch drei Vorstellungen und ich bin auf jede gespannt.
Da habe ich mir was Schönes eingebrockt. Übrigens - der Beleuchter und ich haben noch etwas vor. - Nein, nicht Splatter Movies schauen, ich bin kein Fan, ich habe noch nie ein Splatter Movie gesehen und begreife auch nicht so recht die Faszination daran, nein, wir werden nach getaner Vorstellung beieinander sitzen und den Göttern des Rausches eine Mördertüte weihen.

Also. Wir sehen uns Freitagabend im Pumpenhaus. Das Soap-Ding. Nicht verpassen.

 

Fr 15.09.06   10:00

Ich stand am Transportband der hinteren Kasse des Supermarktes. Vor mir eine kaum 160 cm große, kompakte Frau in den 40ern. Sie trug Jeans und ein mit Lamee-Fäden durchwirktes T-Shirt mit langem Arm, das über ihre Hüften eine Hand breit nach oben gerutscht war. Weißes, fettes Fleisch, grobporig mit Pigmentfärbungen. Auf dem Kopf ein blauer Fahrradhelm. In der rechten Hand hielt sie einen Flachmann. Dann drehte sie sich, sodass ich ihr Profil sehen konnte. Es ähnelte dem eines abnehmenden Mondes. Ihre Augen lagen tief, ihr Kinn war fleischig, ihre Nase breit. Als sie mit der Kassiererin sprach, klang sie nicht dumm, wie ich vermutet hatte.

Gestern traf ich ich Josef.

Als ich ihn vor etwa dreißig Jahre das erste Mal sah, dachte ich zunächst an ein vorbeihuschendes Tier. Es kam aus der Küche einer Landgaststätte und verschwand in einen anderen Raum. Es bewegte sich am Boden, es war schnell und ich hatte es nur aus den Augenwinkeln gesehen.

Wenig später lernte ich Josef kennen. Er war der Sohn des Wirtes, ein Contergan Kind. Beide Arme sind verkürzt, in Höhe der Ellebogengelenke ist je ein Finger, seine Beine enden kurz unterhalb der Kniegelenke. Als Einheimischer genoß er in der Szene in den Baumbergen, in denen es damals viele Wohngemeinschaften gab, Bands, Hippies, Studenten, hohes Ansehen. Er hatte sich einen BMW nach eigenen Plänen so umgebaut, dass er ihn fahren konnte, allerdings hatte die Behörden seinen Bewegungsradius eingeschränkt. Es war ein Erlebnis, mit ihm unterwegs zu sein, es zeichnete einen aus, er fuhr rasant und dass er es überhaupt konnte, war Sensation genug.

17:45

Albert Early Bird und die Working Worms proben nicht, wir haben kein Konzept, es gibt ein paar Stücke, die wir spielen können, der Rest ist Improvisation plus eine gehörige Portion Unverschämtheit, dennoch wird die Band hin und wieder gebucht, im Oktober für den 60ten Geburtstages eines Arztes, der uns im letzten Jahr auf einem Pfarrfest gehört und gesehen hat. Er weiß also, auf was und wen er sich einlässt. Wir werden keinen Deut von dem abweichen. Iss das nich schön, liebe Berta. Es chibbt lecker Essen, es chibbt Bauchtanz, und tüskendoor speelt wee dann: Albert den fröhen Vogel un de arbeidende Wörmkes. Zeggst du so.

 

Sa 16.09.06   9:40

Gestern war Das Soap Ding fast ausverkauft. Die Schauspieler waren nicht so aufmerksam wie in der zweiten Hälfte der zweiten Vorstellung, die nach den drei Vorstellungen, die ich bisher gesehen habe, die präzisesten Momente hatte. Die Zuschauer haben davon nichts gemerkt, sie waren amüsiert und unterhalten, und darum geht es dann ja. Für mich ist der Soap-Club ein wenig beängstigend, eine Animations-Vereinigung bestellter Jubler. Scheinbar gehört das dazu. Mal sehn, wie sich die Schauspieler heute abend schlagen.

 

So 17.09.06   10:55

Das Küchenfenster links neben dem Hauseingang stand weit offen, als wir den VW-Bulli schräg vorm Haus parkten, um ihn zu entladen. Am Küchentisch saß eine Frau. Sie trank Kaffee, rauchte, sah aus, als säße sie schon seit Jahren dort und hätte sich seitdem nicht mehr bewegt. Ich grüßte und bestellte eine Kanne Kaffee bei ihr. Ein kurzes Lachen huschte über ihr teigiges Gesicht.

Wir begannen, auszuladen. Das Haus hat einen Aufzug, in den wir die Kartons trugen. Eine Bewohnerin kam die Treppe herunter und mokierte, das sei kein Lastenaufzug, er sei sowieso schon ständig kaputt! Für wieviele Personen der Aufzug zugelassen sei, fragte ich, für vier? Sie nickte unsicher. Dann rechnen sie mal, sagte ich. Vier mal 80 Kilo = 320 Kilo. Wenn wir zehn Kartons im Aufzug stapeln, sind das maximal zweihundert. Dagegen gab es nichts zu sagen.

Eine anderen Bewohnerin kam den Bürgersteig herauf, zwei kleine Hunde an der Leine. Sie war blond, klein, trug Leggins zu einem Arsch dick wie ein Brauerreipferd, darunter zeichnete sich das obere Dreieck eines Stringtangas ab, die Leggins waren voller Hundehaare. Sie sprach mit der Frau in der Küche. Ach, neue Bewohner! sagte sie. Dann ging sie hinein.

Die Frau, die sich über das Beladen des Aufzuges aufgeregt hatte, wurde neugierig. Wer wir seien, woher wir kämen. Sie wollte alles ganz genau wissen. Wir klärten sie auf. Sie lebt seit vierzig Jahren im Haus. Wenig später sprach sie mit der Frau in der Küche über die Frau mit dem Hund. Dass das ja nicht ginge, so. Auf der Dachterrasse wäre überall Hunde-Pipi.

Zu der Frau in der Küche gesellte sich eine jüngere Frau. Ebenso teigig wie die alte. Kaffeetrinkerin. Raucherin. Dann tauchte aus der Tiefe des Raumes noch ein Kind auf, schließlich ein Mann mit nacktem Oberkörper. Sie alle beobachteten uns bei der Arbeit.

11:15

Die Samstagsaufführung war ausverkauft. Schon jetzt ist klar, dass die nächste Folge nicht wie geplant einmal, sondern zweimal gespielt wird. Alle sind gespannt, was mit dem Stück weiter passiert. Das gestrige Publikum unterschied sich sehr vom bisherigen. Waren in den ersten Aufführungen hauptsächlich junge Menschen zwischen 16 und 25, war der Altersdurchschnitt gestern um einiges darüber. Die Schauspieler hatten leichtes Spiel. Sechs Vorhänge.

11:55

Lag noch spät auf dem Sofa, schaute Lost in Translation, hatte mein Gebiss herausgenommen, auf den Bauch gelegt und dachte über das Alter nach. Nein, es stimmt nicht, was alle immer ständig sagen. Das Alter ist nicht komplizierter als jedes andere Lebensalter. Das Alter ist nicht grausamer als andere Lebensphasen.

Natürlich ist das Alter für junge Menschen nicht vermittelbar, wie sollte es auch, aber es ist eben nicht grausam. Oder genauso grausam wie alle anderen Lebensphasen. Ein Beispiel: Ich habe meine letzten Zähne mit 52 eingebüsst. Das ist nicht witzig, aber es ist auch nicht witzig, ein junger Mensch zu sein und noch keine Zähne zu haben. Oder noch keinen Geschlechtsverkehr. Oder sonst irgendetwas.

Das Leben ist, ganz gleich wie man es dreht, tödlich. Also. Was soll das Jammern? Das Leben ist trotzdem großartig, unter anderem, weil wir nur eines haben. Lassen Sie sich also nichts einreden.

 

Mo 18.09.06   10:45

Noch immer nikotinfrei. Ich habe das Gefühl, diesmal klappt es.

13:12

Guten Tag Herr Papst,

dass Sie schon als Kind nach Altötting gepilgert sind, weiß man nun. Auch, dass Sie als hervorragender Theoretiker gelten. Leider imponiert mir das nicht. Ehrlich gesagt imponiert mir kaum etwas, aber das ist eine andere Geschichte. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass mir übel wird, wenn ich Sie mit seltsamem Hut und eher schwulem Umhang, devot gefalteten Händen, umringt von ähnlich gekleideten Greisen und karrieregeilen Jungpfaffen durch Kirchen schreiten oder in inbrünstiges Gebet vertieft sehe. Ich mag auch ihre Stimme nicht. Und ich finde es ganz und gar unmöglich, dass Sie sich als moralische Instanz einer Organisation aufspielen, die zweitausend Jahre viel Blut vergossen hat.

 

Di 19.09.06   8:15

Guten Tag Herr Ober-Mufti,

dass Sie nur darauf warten, ihre Muselmanen endlich mit Hacke, Eispickel und Sprengstoffgurt in den heiligen Krieg zu schicken, spricht nicht für Sie. Am Besten wäre, Sie, der Herr Papst und noch ein paar andere Seelenfänger verzögen sich mit ihnen ergebenen Gläubigen in eine weltferne Gegend, wo Sie täglich und ohne Folgen für andere auf die reine Lehre pochen und darauf warten könnten, dass Ihnen entsprechende Privilegien zuteil werden, als da wären: das ewige Leben, 77 Jungfrauen und was dergleichen Unsinn ihre heiligen Lehren noch hergeben. Und glauben Sie bloß nicht, Sie sähen besser aus als der Herr Papst. Sie, die Vertreter der drei Großen: Christen, Juden und Muslime, sind nicht mehr als Schießbudenfiguren im Modekabinett für gefährliche Verdummer.

11:32

1Live hat gerade über unsere Soap berichtet und wir sind ausverkauft. Das freut den Autor.

12:12

Lassen Sie uns über Sex sprechen, ein geradezu glorifizierter Zeitvertreib. Für mich, der ihn seit 39 Jahren betreibt, bedeutet er Stress. Vorm allerersten Mal prahlte jeder dahergelaufene Idiot, er hätte schon mal, sodass ich mich mangels Information für einen Kretin hielt. Nach dem ersten Mal hielt ich mich tatsächlich für einen.

Oder musste das so?

Heute nehme ich an, meine aus archaischen Zeiten stammenden Gene stimmen mit der Gegenwart nicht überein. Ich will immer begatten (schließlich muss es getan werden, es ist für die Art), danach aber lieber schnell fortlaufen. Ich will mich auch nicht lange aufhalten dabei. Wer weiß, wer hinter der Ecke steht? Sex ist gefährlich, auch heute noch. Man kann davon sterben. Wenn er einem aber gelingt, ist er wunderschön.

13:17

Lesen Sie unter Verlust des Baculum ( hier),was das Weibchen vom männlichen Sexualorgan hielt und hält und weshalb ich mit meiner Einschätzung richtig liege.

 

Mi 20.09.06 9:32

Ich heiße Hermann Mensing, bin 57 Jahre alt und habe eine Soap geschrieben.
Das Ensemble umfasst 17 Menschen verrschiedenen Alters (ab 17 aufwärts), wovon ich der älteste bin. Das lässt vermuten, dass es hin und wieder gekracht und gedonnert hätte, hat es aber nicht, es ist erstaunlich friedlich abgegangen.

Gestern haben wir den Piloten zum letzten Mal gespielt. Das Haus war mehr als ausverkauft, und jeder denkt, wir könnten noch zwei Wochen so weitermachen. Das aber geht wegen der Belegung des Hauses nicht. Es gibt schon Stimmen, die fordern, wir sollten den Organisatoren die Pistole auf die Brust setzen, um mehr Spiel-Termine zu bekommen.

Aber so funktioniert das Off-Theater nicht. Wenn es so wäre, wenn der, der Erfolg hat, alle Termine bekäme, bliebe kein Platz für all die ambitionierten Projekte, die ständig im Pumpenhaus aufgeführt werden. Wir werden uns also bescheiden müssen. Das Off-Theater ist geschützter Raum, und das ist gut so.

Ein wenig benommen noch. Benommen vom Erfolg?

Das Ensemble hat jetzt drei Wochen Zeit, die nächste Folge einzustudieren. Ich bin sehr gespannt, ob das geht.

 

Do 21.09.06   8:56

Aß ein dickes Eisbein
trank vier Lagerbier
wollte danach eins sein
mit dem Jetzt und Hier.

Störend nur die Knochen
unverzehrt das Fett
werde wohl noch Wochen
grunzen im Falsett.

 

Danke.

 

Fr 22.09.06   13:02

Gronau. Westfalen. Heute gegen 10:00 im Café Extrablatt.

Acht junge, gut gekleidete Frauen verlassen das Café. Sie ziehen Rollkoffer hinter sich her. Jede trägt eine grün-rote Plastiktröte am Band um den Hals. Jede einen handbreiten Gürtel mit Schlaufen, in denen rundum kleine, verschiedenfarbige Flaschen stecken. Die Frauen gehen ein paar Schritt, stellen sich auf dem Platz vor Rathausturm im Kreis auf, eine verteilt Plastikbecher, eine andere schenkt Sekt ein. Eine spricht einen Trinkspruch, die andere sprechen nach. Eine Weile stehen sie da, dann gehen sie Richtung Bahnhof davon. Zwei türkische Patriarchen kommen ihnen entgegen. Beiden mit mächtigen Schnauzbärten und Gebetsketten in der Hand.

P.T. der Nuttenmörder unterhält sich mit einem Mann über das Wunder der billigen Flugreise. Er zahle 35 Euro, um mit dem Taxi nach Ahaus zu kommen, ein Flug mit Ryan-Air nach Mailand koste 9 Euro, wie sich das rechne, solle ihm mal jemand erklären.

Eine Frau meines Alters ruft von weitem "Herr Mensing, richtig!" und kommt zu mir an den Tisch. "Ja", sage ich, habe aber nicht den blassesten Schimmer, wer das ist. Werde gefragt, ob ich Heimweh hätte. Nein, sage ich. Ich sähe dem Vater so ähnlich, sagt sie. Ich kann noch fragen, wer sie sei (Frau Göters), erkläre auch noch, dass ich im Studio gewesen wäre, aber da ist sie schon wieder fort.

13:25

Der Soap-Club ist ausverkauft. Wir kriegen Zusatztermine. Es läuft wie geschmiert.

14:22

Die Erfolgsstory geht weiter. Jetzt trifft sie den Autor frontal.
In einem 4-seitigen Schreiben teilt ihm die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder heute folgendes mit (Zitat):

Sehr geehrter Herr Mensing,

mit diesem Schreiben erhalten Sie den Nachweis über Ihre bisher insgesamt erworbene Anwartschaft auf Betriebsrente wegen Alters (Paragraph 51 VBL - Satzung/VBLS). Unter Berücksichtigung der für Sie gemeldeten und gespeicherten Versicherungsdaten ergeben sich zum 31. Dezember 2005 insgesamt 0,11 Versorgungspunkte (vergleiche Anlage 1). Bei einem Wert (Messbetrag) von 4 Euro je Versorgungspunkt beträgt Ihre Anwartschaft auf Betriebsrente wegen Alters zum 31. Dezember 2005 monatlich 0,44 Euro. (usw. usf.)

16:36

Ich hatte angekündigt, mich der Politik zu enthalten, aber so einfach geht das wohl doch nicht, denn deutsche Soldaten singen beim Abschied wieder "Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus..." Solche und ähnliche Lieder haben sie schon immer gesungen; häufig war das auch das letzte, was man von ihnen hörte. Nun will ich den Teufel nicht an die Klagemauer malen, aber ich bin natürlich dagegen. Ich bin gegen alles. Vor allem aber gegen den Auftrag, ein Land zu schützen, das ständig gegen UNO Resolutionen und Menschenrechtsvereinbarungen verstößt.

 

Sa 23.09.06   13:14

"Und erst jetzt, die Trossen waren schon losgeworfen, die Kapelle spielte: "Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus - ( ...) hatte Gottschalk plötzlich den Wunsch, wieder auszusteigen. Da wurde ein Krieg geführt, der ihn, genaugenommen, doch gar nichts anging. Wie war er nur auf den verrückten Gedanken gekommen, sich freiwillig zu melden?" (1)


Mo 25.09.06   9:20

Beherzter Schnitt: weg ist die Illusion,
wir wussten schon seit langem, dass sie uns befallen hatte,
auf unsrem bangen Ritt durch Spott und Niedriglohn.

Wir jammern nicht: wir nehmen hin.
Wir klammern nicht: wir überlassen Sinn
dem, der noch Sinn sieht: Tralala.
und präsentieren einen Montag aus der Tombola.

12:37

Alles hatte damit begonnen, dass ein älterer Herr das gern gesungene Fußball-Lied "LR Ahlen, Stadt der Asylanten in Westfalen" ähnlich abscheulich fand wie das Affengebrüll bei Auftritten schwarzer Fußballer. Ein jüngerer Mann entgegnete, man könne das nicht vergleichen.

Der ältere Herr sagte: Oh doch! und: Nie würde er derartigen Prollgesang von sich geben. Es wäre ihm peinlich. Damit, ereiferte sich der jüngere Mann, beleidige er seine Freunde: Türken, Jordanier, Albaner und Deutsche, die allesamt dieses Lied sängen, überdies habe er, der ältere Herr, nicht die geringste Ahnung, wie es in Fußballstadien zugehe.

Das gebe er gern zu, antwortete der ältere Herr, aber da war der jüngere Mann längst in eine Art geistige Umnachtung gefallen, in der der ältere Herr deutliche Analogien zu Vorfahren erkannte, die ihrerseits gern den Kopf verloren, um später peinlich berührt nach Ausreden zu suchen.

Ein Wort gab das andere. Der jüngere Mann hatte nun Schaum vorm Mund und behauptete, der ältere Herr sei er bei der WM auf Seiten Italiens gewesen und unterstütze den FC Bayern, zudem sei er ja wohl auch als Hippie nicht zurechnungsfähig. Um seinen Thesen zusätzlich Dramatik zu verleihen, sprang er dabei im Zimmer herum.

Der ältere Herr wendete ein, dass es wichtig sei, das eine vom anderen zu unterscheiden, aber das war vergebene Liebesmüh, denn nun verspürte auch er steigende Wut über soviel Dummheit von jemand, der es eigentlich besser wusste, der tausendmal klüger war, als die von ihm verehrten Prolls, sich aber immer gern auf der Seite der Unterprivilegierten sieht.

Der ältere Herr beendete die kurze, auf hohem intellektuellen Niveau geführte Auseinandersetzung mit einem beherzten "Verpiss dich!", worauf der jüngere Mann verunsichert pfeifend noch ein paar Dinge zusammen raffte und die Wohnung verließ.

Die Stimmung war flöten.

Der ältere Herr verdächtigte die ältere Dame der Parteinahme und da auch er nun an Verstandestrübung litt, hätte er nichts gegen eine sofortige Trennung gehabt, mehr noch, hätte man ihn vor die Wahl gestellt, er hätte sein ganzes Leben rückgängig gemacht und wäre vielleicht als verblendeter Hare-Krishna Jünger in einem Ashram geendet.

Um zu retten, was zu retten war, fuhr man in die Stadt. Sollte der jüngere Mann doch sehen, dass er etwas zu Essen bekäme. Man landete an einem Tisch vor der Frauenstraße 24, eine Kneipe, in der die Gäste nach wie vor Peter Weiss "Ästethik des Widerstands" lesen. Man wollte dort essen und später dem Gitarristen John Abercrombie zuhören, der im Hot Jazz Club auftreten würde.

Die Laune des älteren Herrn war immer noch düster. Die ältere Dame versuchte ihn zu erheitern, was aber misslang. Dann trat Samu auf den Plan, ein 53jähriger aus Gronau, intelligent, ein Verehrer Dostojewskis, dessen Leben aus dem Ruder gelaufen war. Er lebt als Patient im betreuten Wohnen der Psychiatrie, streicht 600 Euro im Monat ein und hob im Verlauf zu einer Klage darüber an.

Der ältere Herr schnitt ihm auf der Stelle das Wort ab und bemerkte, er, der sich seit Ewigkeiten den Arsch für die Literatur aufreiße, würde froh sein, regelmäßig 600 Euro pro Monat erlösen zu können.

Samu ist ein grundguter Mensch, er meinte das nicht böse und ebenso wenig böse war seine kurz darauf gestellte Frage, ob man ihn nicht zum Essen einladen könne.

Die ersten Biere wurden gebracht, als ein Freund Samus die Szene betrat, ebenfalls Patient, nennen wir ihn Jürgen. Sein Begrüßungssatz lautete in etwa: Ich habe die Schnauze voll, Raimund (so heißt Samu offiziell), heute noch schneide ich mich auf etc. pp.

Samu antwortete ganz ruhig, Jürgen solle sich gefälligst davonmachen, er sitze hier mit Freunden und habe keine Lust, sich derartiges anzuhören, zudem tue er ja doch nie, was er ankündige. Nein, nein, rief Jürgen darauf, diesmal mache er Ernst, nahm ungefragt eines der auf dem Tisch stehenden Biere und trank davon. Was das denn nun solle! rief der ältere Herr.

Mittlerweile war der Wirt auf Jürgen aufmerksam geworden. Jürgen hatte wohl schon seit längerem Hausverbot. Er schritt ein. Jürgen solle sofort gehen, forderte er. Jürgen weigerte sich. Er habe das Recht hier zu sein etc. pp. Der Wirt drohte mit der Polizei.

Genau das hatte Jürgen wohl hören wollen und setzte nun zu einer hämischen Rede über den Wirt im Allgemeinen und die Kneipe im Besonderen an. Dann aber machte er sich trotzdem davon. Wenig später tauchte er erneut auf, ging schnurstracks in die Kneipe und begann zu randalieren. Es dauerte keine Minute, bis ein kräftiger Türke Jürgen abführte. Er hielt ihn mit einer Art Polizeigriff, die Arme auf dem Rücken, den Kopf nach unten gedrückt. Ein zweiter Türke folgte und trat nach, worauf es dem älteren Herrn endgültig zu bunt wurde. Er rief: Lass ihn, hör auf!, worauf man von Jürgen abließ. Der eilte davon.

Der ältere Herr und die ältere Dame, beide seit 30 Jahren in ein unentwirrbares gemeinsames Schicksal verstrickt, aßen noch, zahlten Samu noch das ein oder andere Bier und fuhren dann zum Hot Jazz Club. Es war noch früh. Bis zu Beginn des Konzerts würden noch zwei Stunden vergehen.

Als es schließlich so weit war, spürte der ältere Herr, dass es besser gewesen wäre, nie hierher zu kommen. Der Club war brechend voll, die Luft schlecht, die Musiker, weltweit gerühmte Instrumentalartisten, gingen ihm am Arsch vorbei und so sagte er in der ihm gewohnt freundlichen Art: "Lass uns abhauen."

Nun schnappte die ältere Dame ein, was dazu führte, dass man die nun folgende 7,8 Kilometer bis Erreichen der heimatlichen Wohnung in tiefem Schweigen zurücklegte.

Was für ein erlebnisreiches Wochenende!!!

 

Di 26.09.06 13:30

Der Oetinger Verlag hat einen Astrid Lindgren Preis ausgeschrieben. Er sucht ein Manuskrip für sechs- bis zwölfjährige Leseratten. Erfuhr gestern davon und habe heute begonnen, eine Figur, die schon lange in den Tiefen meines Rechners ruht, zum Leben zu erwecken und zum Mittelpunkt eines kleinen, witzigen Romans zu erklären, den ich ins Rennen um 10.000 Euro schicken kann. Ich wünsche, dass man mir Daumen drückt.

 

Mi 27.09.06   9:10

Habe gestern Proben zur zweiten Folge der Soap gesehen. Die vor den Schauspielern stehende Arbeit ist immens, so dass ich fast nicht glauben kann, dass sie es bis zum 10.10. schaffen. Aber die Stimmung ist hervorragend. Der Erfolg hat alle beflügelt, daher nehme ich an, dass er sie auch weiterhin trägt.

Man munkelt von Star-Allüren beim ein oder anderen, auch Autogramme müssen hier und da schon gegeben werden, man registriert das alles mit einem eher amüsierten Lachen, aber die Eitelkeit ist, wie wir seit biblischen Zeiten wissen, einer unserer größten Feinde, daher ist Vorsicht angebracht.

Ich schalte langsam zurück.
Morgen lese ich in Bocholt, übermorgen mache ich die Wohnung für unsere Abreise fit, dann geht es auf die Insel.

 

Do 28.09.06   18:00

Lesungen erden mich. Vorher scheiße ich mir fast in die Hosen, frage mich, ob das alles richtig ist, vor allem, wenn ich eine Weile (seit der vorletzten Ferienwoche) nicht mehr gelesen habe, ich komme in die Schule, ich schaue mich um, ich rieche, ich denke mir meinen Teil, man bietet mir einen Kaffee an oder nicht, ich sitze im Lehrerzimmer und erzähle oder erzähle nicht, die Kinder versammeln sich, ich seh sie herankommen, ich rieche, ich denke mir meinen Teil, ich beginne und weiß nach spätestens fünf Minuten, ob ich gewinnen kann oder nicht.

Fuhr nach der Lesung über Land nach Winterswijk, ein Städtchen in Holland, kreuzte von der dort durchs Achterhoek (die hinterste Ecke, die ich mit unserem großen Sohn schon mal mit dem Rad durchquert habe) nach Vreden (BRD), von dort nach Ahaus, besuchte Carsten im Studio und kann jetzt beruhigt fahren.

Das Schönste ist: alle fahren mit.

Erstaunliches übrigens: die Presse, die, wenn sie denn kommt, in der Regel uniformiert und in Zeitdruck meist nicht mehr will, als ein Foto des Autors inmitten glücklich lachender Kinder, blieb heute bis zum Autogrammschreiben und (ich kann das kontrollieren) hat dann gleich danach auf meiner Webseite recherchiert. Warum kann ich das kontrollieren? Meine Statistik sagt mir, wer wann online war, und wenn jemand einen eigenen Server hat (Zeitungen z.B.), zeigt meine Statistik das an.

Gut. Feierabend jetzt.
Ich habe nichts verlernt.
Ich glaube, man kann das, was ich mache, gar nicht verlernen.
Es ist wie Radfahren. Zudem mag ich Kinder.

18:25

PS. Hinzuzufügen ist, dass man das, was ich mache, auch nicht lernen kann.

 

Fr 29.09.06   13:40

Während meines Studiums war Kurt Vonnegut Jr. einer meiner Lieblingsautoren. Ich las damals alles von ihm. Die Panther Taschenbücher stehen noch immer in meinem Regal. Ich mag sie nicht wegwerfen, obwohl sie braun werden und die Bindung sich löst.
Letzte Woche geriet ich an einen neuen Vonnegut.
Ein Buch, das 2005 erschienen ist.
Daraus möchte ich zitieren:

Glaubt ihr, Araber wären dumm?
Von ihnen haben wir unsere Zahlen.
Versucht mal, mit römischen Ziffern schriftlich zu dividieren. (2)

 

 

 

 

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1. Uwe Timm: Morenga, Roman, DTV // 2. Kurt Vonnegut Jr. Mann ohne Land, Pendo Verlag, 2006 //

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