September 2025 www.hermann-mensing.demensing literatur
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Mo 1.09.25 9:00 Regen, mild
Die letzten Tage werden schwer. Wut kocht. Wie kann man uns das antun. Wir sind Menschen in den Siebzigern- Das muss doch verboten sein, sagt die Frau. Sie tun noch viel schlimmere Dinge, sagt der Mann. Sie können das, weil sie die Gesetze gemacht haben. Sie können meine Enkel in den Krieg schicken, wenn sie wollen. Sie können alles. Sie töten und sagen, das musste sein. Anschließend bauen sie Denkmäler.
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Di 2.09.25 7:34 blauer Himmel
Die Ruhe vor dem Sturm. Wir haben früh begonnen, das Leben in Kartons zu packen. Das hat mich beruhigt. Jeder Karton stand für etwas Erledigtes. Nun stehen sie überall und warten. Bärenbande steht drauf. Gründlich, schnell, zuverlässig. Bis Donnerstag leben wir mit zwei Tellern, Tassen, zwei Messer, Gabeln und Löffel. Mehr braucht es eigentlich nicht. Das ist Zen. Und bald werde ich wieder arbeiten. Frauen auf Zebrastreifen heißt der Roman, der geduldig gewartet hat. Den schleife ich zu einem Diamant. Und im März erscheint: "Das grüne Kleid", mein neuer Roman. Und im neuen Garten wartet die Birke. Sie wispert schon. Sie weiß, mit wem sie es zu tun hat. Sie wartet. Bis übermorgen, Birke, ich freu mich. Bis übermorgen, Feldahorn und Buche.
13:40
Gestern ging unser Vailant Boiler überm Spülbecken in der Küche kaputt. Er war von Anfang an nicht richtig in Ordnung. Heute früh nun kein Internet. Außdem habe ich den Anruf vom Telekom Techniker, der in der Flamenstraße den Anschluß legen wollte, nicht bekommen. So muss das wohl sein. Die Systeme wollen, dass wir gehen. Wir gehen ja.
Mi 3.09.25 14:41 windig
Gerade wird die Küche zerlegt. Seit vorgestern haben wir kein Festnetz mehr. Freitag kommt die Telekom. Der Anstreicher hängt hinterm Plan. Morgen abend schlafen wir in der Flamenstraße 22. Mein Elternhaus hatte die gleiche Hausnummer. Alles wird gut klingt beruhigend, ist aber eine dreiste Lüge. Alles wird noch viel besser. Status: fühlt sich fantastisch.
Fr 5.09.22 11:58 wechselnd bewölkt
Die Bärenbande war mehrsprachig, drei kräftige Männer aus der Ukraine, einer, der sich mit Elektrik auskennt, die übrigen Muttersprachler in Roxel geboren oder nah bei. Sie waren jung, freundlich, entspannt. Gegen 17 Uhr war alles im neuen Domizil. 90 Kartons verteilen sich auf einen großen Keller, auf unsere Wohnung, und wer jetzt etwas braucht, sollte wissen, in welchem Karton es steckt. Das wird Detektivarbeit für die Zeit bis zum 16.09., wenn wir nach Avignon fahren. Danach ist es bestimmt auch noch nicht vorbei. Nicht weit von uns gibt es Zur alten Post, eine Kneipe unter drei mächtigen Platanen. Wir haben dort gegessen, wir wurden freundlich behandelt, es scheint einen Stammtisch zu geben, es war gut besucht. Heute früh war ich beim Bäcker ums Eck. Nienberge ist wenige akademisch als Roxel. Um halb zehn war ich im Bett. Das erste, was ich beim Aufwachen sah, war die Birke. Vorhin war die Telekom da. Alles funzt. Unsere Nachbarin heißt Elisabeth, ist Polin und ganz entzückend. Sie hat uns zur Nacht ihren Korkenzieher geliehen.
Sa 6.09.25 16:02 sonnig
Es wird. Das ist unser Mantra. Es wird. Nicht heute, nicht morgen und auch übermorgen noch nicht, der Maler hat Verpflichtungen. Sein Chef ist krank, die Zeit, die er für uns eingeplant hatte, fehlt. Aber es wird. Irgendwann müssen wir dieses Mantra nicht mehr sprechen. Unsere Nachbarn sind freundlich. Gestern nachmittag habe ich eine Stunde Klavier gespielt. Wir haben gut geschlafen, sind mit Blick auf die Birke erwacht, hinter der dreißig Grad links Sonne und Mond aufsteigen. Morgen ist Vollmond. Das Wetter ist auf unserer Seite. Wir sind modern. Wir praktizieren die Outdoor Küche, und frühstücken draußen, drinnen ginge auch nicht. Er wird. Die Welt steht Kopf, aber es wird. Gestern bin ich mit Fugenritze und einer kräftigen Drahtbürste dem Unkraut zwischen den Platten und dem Moos auf dem Waschbeton zu Leibe gerückt, habe unser Beet von Diesteln und Efeu weitesgehend befreit, heute früh das Chaos der Kartons im Keller ein wenig entzerrt. Ich weiß jetzt, wo dies steht und das. Der vierteilige Kleiderschrank ist montiert, aber es fehlen noch ein paar Böden. Und gerade, als wir einen der Schränke, der kopfunter stand, drehen wollten, rutschte er vom Bett und fiel der Liebsten auf den Fuß. Schreck. Große Klage. Tränen. Eis aus der Aral-Tankstelle besorgt. Die Liebste hat eine Stunde gekühlt. Gebrochen ist nichts. Sie kann die Zehen bewegen. Sie geht. Alles wird. Alles hätte brechen können, alles kann immer noch schlimmer kommen, der Gang durch unser Tohuwabohuu ist lebensgefährlich, aber es wird. Unsere Nerven schwingen im Takt eines Hitchcock Thrillers. Das wird, sagen sie. Als der Schmerz im Fuß der Liebsten nach drei Kühlgängen nachließ, setzten wir uns in den Schatten der Birke. Ich hatte bei unserem Portugiesen in der Stadt Wein und Anis-Sesam-Oliven-Öl Gebäck gekauft, der Maler war mit zweistündiger Verspätung endlich gekommen, es wird, sagten wir, als mir eine auf dem Ast über mir sitzende Taube auf den linken Oberarm schiss. Zwei Eichhörnchen randalierten durch die Bäume. Es wird, sagten sie. Die Birke zischelte mit den schon gelb werdenden Blättern. Sie wolle versuchen, der Taube Flügel zu machen, flüsterte sie. Das wird. Es ist Samstag. Vielleicht fahre ich heute abend in die Stadt. Es ist Schauraum. Kunst, Kultur und Musik überall. Es wird werden.
So 7.09.25 10:39 sonnig
Die Frau richtet ihr Zimmer ein. Ich liege im Bett und habe vor, es vorerst nicht zu verlassen. Ein leichter Wind lasst die Birkenblätter zittern. Zwischen Birke, Feldahorn und Buchen wohnen zwei Eichhörnchen der nichtinvasiven roten Art. Hinter mir, vorm Kopfende des Bettes, steht mein Klavier. All die Jahre hat es vor der Wand gestanden. Als ich es gestern zum ersten Mal spielte, war ich begeistert, voll tönende Bässe, kein Klirren im Discant, die Mitten, in denen ich mich hauptsächlich tummle, voller Leben. Das mittlerweile 80 Jahre alte Klavier ist zu neuem Leben gekommen. Ich erwachte ohne Druck, der mich seit Mai umgetrieben hat. Es ist ruhig hier, fast still, still, denn ich höre nicht mehr im vollen Frequenzbereich, was manchmal lästig, aber im Hinblick auf die laute Welt wohltuend ist. Morgen werde ich Haselnüsse kaufen und von der Birke bis zu unserer Terrasse einen Traumpfad legen. Irgendwann, hoffe ich, fressen sie mir aus der Hand und bringen mir ihre Kinder zum Hüten. Soviel zum Sonntag. The headaches are all gone, and it is morning in this song.
Mo 8.09.25 14:26 milder Regen
Eine der häufigsten Fragen lautet: weißt du, wo .... ist? Nein. Aber ich schwärme aus. Einige Kartons sind schon leer, aber das bedeutet kaum etwas bei 40 Lebensjahren in 90 Kartons, Ich schwärme also, bin glücklich, dass mein Rücken keine Unregelmäßigkeiten meldet, ich bin immerhin 76, aber dafür kann ich nichts, und wenn ich an den vierzigjährigen Bekannten denke, der gerade auf dem Weg war zum Arzt, um sich seine wöchentliche Rheumaspritze abzuholen, bin ich dankbar. Sie hatte die Werkzeugkiste gesehen, ich hatte sie gesehen, aber wo, im Keller vielleicht? Ich hatte die Kellerkartons gestern thematisch geordnet, Stoffe, Stoffe und noch einmal Stoffe, denn die Frau stellt demnächst textile Kunst aus, aber kein Werkzeugkasten. Ich brauchte ihn. Dringend. Ich wollte die Waschmaschine anschließen. Ich kam von Kortenbrede, einem Handwerkermarkt, den ich immer mit leichtem Minderwertigkeitsgefühl betrete, denn wer dort kauft, stellt keine dummen Fragen, und wenn, weiß er, wie das, was er braucht, heißt. Mit Hilfe des Sanitärfachberaters hatte auch ich schließlich etwas gefunden, das Sinn zu machen schien, und tatsächlich, es würde funktionieren, ich musste nur noch den festen Gummistutzen des Abwasserschlauches durch die Krümmung des Rohres bugsieren, und dafür brauchte ich eine schlanke Zange. Der Werkzeugkasten stand schließlich auf dem Balkon. Ich schloss die Waschmaschine an. Die Frau schien endlich glücklich, mehr kann ein Mann nicht erwarten, der ständig etwas gefragt wird und dem schon vor Erledigung irgendeiner Tätigkeit in putativer Nörgelei mangelne Sorgfalt vorgeworfen wird, so dass er sich ganz zurücknehmen muss, um die Frau nicht zu erschlagen, was sie, findet er, zweiffellos längst verdient hätte. Lernen Frauen das von ihren Müttern? Ich weiß es nicht, weiß aber von allen Männern, die mir näher stehen, dass auch sie leiden. Wir sind das zarte Geschlecht. Sie das beinharte.
Di 9.09.25 9:36 strömender Regen
Jede Verkehrsregel missachtend ist der Mann gegen acht mit seiner Aprilia auf nur Fußgängern und Radfahren freigegebenen Wegen am Rüschhaus vorbei zu Hellweg gefahren, um noch 2,5 Kilo Farbe zu kaufen, denn heute soll das Wohnzimmer werden. Dann kann er Möbel stellen. Er hat einen maßstabsgerechten Plan, auf dem er die möglichen Varianten für Regale, Sofa, Vertiko, Tisch, Stühle und Sessel ausprobiert hat, aber die reale Raum ist dann doch anders als der Maßstab. Augenblicklich sitzet er im Bett. Seine klatschnasse Hose trocknet auf der Heizung im Bad, wo der Rest seiner Kleidung steckt, weiß er nicht, hofft aber, sie im Laufe des Tages zu finden, denn er hat mindestens zwei Hosen, das weiß er. Der Schreiner arbeitet hochkonzentriert in der Küche. Mangels Mineralwassers hat der Mann eine Flasche Potts Landbier aufgemacht. Das Leben ist über die Maßen anstrengend und schön. Regen tropft von den Markisen. Er hat das Vogelhäuschen repariert und befüllt, denn gestern flatterten Meisen, ein Rotkehlchen und ein Buntfink durch den Garten. Heute in einer Woche fahren der Mann und die Frau nach Avignon. Später wird man sagen, das haben die beiden gut gemacht, sie haben alle Meinungsverschiedenheiten ohne Streit klären können, ihre Wohnung ist schön, sie ist ruhig, und bietet zum Garten wundervolle Ausblicke. Seit einer Woche hat er nicht mehr Zeitung mehr gelesen. Er weiß um das Morden, er weiß von der lächerlichen Diskussion, ob man das, was in Gaza stattfindet, Völkermord oder Genozid nennen soll, ihm wird schlecht, wenn er daran denkt, deshalb hofft er, dass der Regen sich zum Abend erledigt hat, dann könnte er Tango tanzen. Tango statt Genozid.
Mi 10.09.25 21:01 ruhiger Spätsomer
Es klart auf. Zwischen zwei der vier Kleiderschränke wurden eine Stange geschraubt, damit die zahllosen Kleider der Frau und die 15 Jacketts des Mannes eine Heimat finden. Ein extra Kleiderständer wurde gekauft, damit auch seine Hemden endlich wieder in der Luft hängen können. Der Mann hat acht von zehn Bücherkartons und drei Kartons Platten ausgepackt und einsortiert, dabei ist das Alphabet durcheinander gekommen, aber bald wird ja Winter. Wo die restlichen zwei sind, konnte er noch nicht feststellen. Auch heute ist wieder kein Blut geflossen ist, wo doch eigentlich immer zunächst Blut fließt und dann die Tat folgt. CD-Spieler und Plattenspieler hatte er längst gefunden, auch die Boxen waren aufgetaucht, nur der Verstärker verbarg sich bis Mittag. Dann ging alles ganz schnell, wurde miteinander verbunden und an den Strom gekoppelt. Der Mann machte es sich an der Spitze des gleichschenkligen Dreieckes bequem, der sich schon seit Ewigkeiten in der Mitte seines Sofa befindet und hörte: ein wenig Stevie Wonder: ein wenig Stevie Windwood: etwas mehr Robert Wyatt und das Michael Wolny Trio, das ihm nach wenigen Takten auf den Nerv ging. Eigentlich war es auch nur eine Hörprobe, um rauszukriegen, ob und wie der Raum klingt. Morgen macht er sich auf die Suche nach den letzten Büchern. Ein Meter Lyrik ist abgängig, aber bestimt in der Nähe. In den Baumarkt muss er auch nochmal. Da die Küche noch nicht eingebaut ist, und vielleicht nie eingebaut werden wird, kennt er schon die meisten Orte, an denen man eine schnelle Mahlzeit bekommt. Den Eintopf vom Metzger, den Döner und die Falafel vom Syrer, das krustige Eisbein vom Wirtshaus zur Post und die Pizza von Della Mamma. Das ist gar nicht so schlecht hier, denkt er, eigentlich ist es ganz gut hier, wenn man bedenkt, dass die Frau und er Zwangsvertriebene sind, lange Flucht etc., von der Immobilienindustrie gefickt.
Fr 12.09.25 9:43 sonnig
Es ist frisch. Wind streicht vom Süden heran, wir hören die Autobahn und deuten sie um. Das ist das Meer, sagen wir, das große weite Meer, über das Schiffe fahren, die uns alles heranschaffen, was wir, als wir jung waren, entweder nicht brauchten oder in der Nachbarschaft kauften. Das globale Meer verstummt, wenn der Wind wechselt. Heute ist Ruhetag. Gestern war Speed. Kleiderschränke auf 4x4 cm große Buchenklötze zu setzen ist nicht ganz einfach. Meine Kleiderkartons sind ausgepackt. Die Lyrik ist aufgetaucht. Die Platten sind alphabetisch geordnet. Im Flur hängen schon Bilder. Im Wohnzimmer liegt ein Teppich. Einen Umzug nach 40 Jahren kann man sich glücklicherweise nicht vorstellen, eh er tatsächlich stattfindet und dann ist es zu spät. Von früh bis spät dreht man auf Touren. Wir rauchen das gute Kraut, das hilft. Wir haben ohne Streit überlebt. Und bald geht das Dichten auch wieder los.
15:40
Sie waren zu zweit. Enddreißiger in Slim-Fit Anzügen, Herr N. zurückhaltend, Herr K. freundlich. Er führte das Gespräch. Gleich zu Anfang sprach er von Einvernehmlichkeit im Sinne aller, das sei Maxime ihrer Unternehmenführung. So könne man Menschen am Besten aufs Kreuz legen, hörte ich im Nachklang ein paar Tage später. Ob er dafür Seminare besucht hat. Herr K. hat Talent, er wirkt authentisch. Wer wollte dagegen was sagen. Können Sie mir das schriftlich geben? hätte ich immer fragen müssen, wenn es um dies geht (können Sie machen, wie Sie das wollen) oder um das (natürlich, einfach wegflexen), aber das würde misstrauisch wirken, das wollte ich nicht, ich wollte es freundlich. Herr N. beobachtete Herrn K. und uns. Hin und wieder unterfütterte das Einvernehmen mit Hinweisen auf dieses oder jenes Gesetz rund um das Verhältnis Mieter:Vermieter. Mir schien, dass er der Aufseher war. Als Herr K. ein paar Tage später allein auftauchte, in der Küche mit uns Kaffee trank, beiläufig ein zu unterzeichnendes Papier präsentierte und sagte, wir wären so entspannt, habe ich ihm tatsächlich geglaubt, während er in Wahrheit die Todesspirale der doppelten Lüge sprang. Hauptsache, die alten Leute räumen die Wohnung. Herr N., erfuhr ich, als ich mir den Briefkopf der Firma ansah, ist einer der Gesellschafter der Firma Hausverwaltungen GmbH & Co. KG. Ich wusste mal mehr über Kapitalgesellschaften, aber persönliche Haftung ist ausgeschlossen.
Mo 15.09.25 9:26 sonnig
Heftiger Regen gegen halb sieben. Unsere Umzugskartons standen unter der Markise vorm Schlafzimmer. Gegen neun kam der Spediteur, um sie abzuholen. Er war ein wenig vergrätzt, einige waren nass geworden. Morgen hauen wir ab. Der Schreiner hat versichert, dass die Küche fertig ist, wenn wir Samstag zurück sind. Was für ein Ritt, diese letzten Wochen. Ich würde gern wieder etwas schreiben, was ich nicht verstehe, aber so weit bin ich noch nicht. Ich muss mich erst mal erholen.
21:17
Zwei Bananen, zwei Boskoop, eine Ritter Honig-Salz-Mandel, paar Bütterken, Rauch- und Rauschkraut, Kulturtasche, T-Shirt und Unnerbuchsen und das, was man auf der Haut trägt, mehr braucht der Mann nicht, die Frau hat auch alles beisammen, nur ihre Unterhosen hat sie finden können in den Restkartons, sie wird in Frankreich wohl welche kaufen. Der Reiseplan steht. 9:40 Bus zum HBF Münster, IC nach Köln, EST zum Gare du Nord, TGV vom Gare de Lyon nach Avignon, sur le pont, aber wir sind wegen Anselm Kiefer dort. Wir müssen La Ribaute sehen. Geld flattert in alle Richtungen wie die kleine Samenhubschrauber der Buche durch unserem Garten. Es war stürmisch heute, der heftige Regen der Nacht hat unsere Wassertonne auf der Veranda wieder bis an den Rand gefüllt. Wir glauben an eine gute Reise. Kann aber auch sein, dass das Universum beschließt, den TGV bei dreihundert Sachen aus den Schienen springen zu lassen, weil ihm diese Geradeaus-Raserei nicht mehr gefällt, weil ihm langweilig ist, weil er mehr vom Land sehen will, auf einen Kaffee in einem Bistro. Alles kommt, wie es kommt, und wir nehmen es, wie es ist. Bis bald, Liker und Nichtkäufer meiner Arbeit, die eine gute Arbeit ist, ihr werdet schon noch drauf kommen und dafür bezahlen.
So 21.09.25 12:45 bedeckt, mild
Die Küche ist großartig. Paar Sachen noch mit der Elektrik, die rote Wand links und die Stirnwand hätten grau sein sollen, da hat der Maler gepennt, ein einfach strukturierter Mann, muss er also noch mal ran, hilft nix. Hach, ist das schön, wieder zuhause zu sein, sagt die Frau. Der Mann weiß nicht, ob er das sagen kann nach 40 Jahren und 9 Tagen. Er könnte sagen, schön, dass wir wieder da sind, wo es für uns neu beginnt. Aber er sagt nichts. Er ist müde, er will nicht sprechen, er will nichts hören. Das Meer rauscht, ein Speedboot heult über die A1 Richtung Münster Süd. Die Rückfahrt von Avignon hat geklappt wie am Schnürchen, sogar der Transfer vom Gare de Lyon zum Gare du Nord, ein beeindruckendes Gebäude. Zum Fürchten, wenn man zum ersten Mal durchgeht auf der Suche nach einem Bahnsteig, aber wir hatten schon auf dem Hinweg die Ehre, ich hatte mir einiges gemerkt, so dass wir nicht wie Trottel herumirrten. Paris ist Stress. Um ihn zu vermeiden, ist es ratsam, schon im Zug Metro-Tickets zu kaufen, denn vor den Ticketautomaten stehen lange Schlangen gestresster Touristen, der Sprache nicht mächtig und den Automaten hilflos ausgeliefert. Wir tranken Cappuccino gegenüber vom Gare du Nord, paar Passanten grüßten, Blickkontakte, es regnete, ein Zehnjähriger, vielleicht von der Stadt überfordert, schrie wie am Spieß, wir kauften im Supermarkt Sandwiches und setzten uns um zu verabredeten Zeit in den Eurostar nach Köln. Anschluss Münster. Die R72 nach Nienberge war gerade auf und davon und die nächste fuhr erst um 21:05. Der Mann hatte das zwischen Paris und Brüssel recherchiert, seinen ehemaligen Lieblingsnachbarn angerufen, der würde sie abholen, aber nachdem das geregelt war, sagte die Frau, das wäre doch irgendwie unverschämt. Also gecancelt. Wir würden stattdessen in Bahnhofsnähe einen Wein trinken und führen nach neun. Vorher aber eine Schale Fritten. Als wir mit den Fritten draußen sind und uns auf die Bank der Bushaltestelle setzen wollen, sehe ich eine 5. Sie ist abfahrbereit. Wir steigen ein und eine halbe Stunde später beim Supermarkt im Dorf wieder aus. Wir sind gespannt auf die Küche. Ja. Die Küche ist fein. Sie macht Sinn. Auf engstem Raum hat der Schreiner (www.werner-haremsa.de) herausgeholt, was möglich war. Sie ist ergonomisch bestens durchdacht, man arbeitet quasi im Kreis und erspart unnütze Wege. Morgen gibt es Bratkartoffeln. Und Cappuccino. Morgen gibt es alles, was das Herz begehrt. Der Alltag beginnt.
Do 25.09.25 7:50 frisch u. windig
Das Schreiben hat noch nicht wieder begonnen. Das Nachdenken hat nie aufgehört. Alles ist noch zu frisch. Der Abschied, die Ankunft, die 90 Kartons, das Kreisen um ein noch zu lösendes Problem. Ich erwache, es ist noch dunkel, aber ich kann die Birke sehen. Sie winkt. Sie wird bald gelb. Der Blick vom Bett in den Garten erübrigt alle zukünftigen Urlaube. Was soll denn noch kommen? Langwieriges Herumfahren, Übernachtung in Hotels, die kaum unter 100 Euro zu haben sind. Alles kostet. Hier auch, aber deutlich billiger. Und bequemer. Im Rücken habe ich dicke Kissen und mein Klavier. Der Rechner steht auf dem Schoss, ich will heute nicht aufstehen, ich bleibe auf der Nord-Südachse liegen.
21:08
Die Sonne ist vor einer halben Stunde verschwunden. Möglich, dass sie dem König der Niederlande heimgeleuchtet hat, der war heut in der Stadt. Ich war mit dem Rad unterwegs, um neuen Visitenkarten in Auftrag zu geben, die alten sind alle, pünktlich zum Umzug. Was drauf stand, stimmt auch nicht mehr. Als ich mich Schloss Wilkinghege näherte, die Steinfurter Straße war in beide Richtungen gesperrt, Autos mit mürrischen Terminabhängigen standen Stoßstange an Stoßstange und fluchten, kam von Schloss Wilkinghege eine pfeilförmige Motorradeskorte mit Blaulicht, dann zackzackzack schwarze Limousinen in Eile. Beim nächsten Polizeiwagen fragte ich, was los sei. Der König sei in der Stadt, antwortete man. Welcher? Der Niederlande. Auf Höhe des Leonardo Campus durfte ich die Straße nicht überqueren, denn nun rückte er an, der König, Prins Pilsje. Die gleiche Choreographie wie für die Granden der ersten Kolonne, Steinmeier etc. Dem König aber hatten sie noch einen Krankenwagen beigeordnet, darin möglicherweise der königliche Leibarzt, auf jeden Fall aber Reanimierungsgerät. Als die schwarzen Limousinen heran waren, winkte ich, wenngleich niemandes Untertan, hoog leeve de Koning, oude Klootzakk! rief ich. König Willem Alexand ließ anhalten, streckte die Hand aus dem Fenster und ich wusste nicht recht, was zu tun wäre, schütteln, küssen, abhacken? Daag mijnheer, sagte ich, wat moie, je ook een keer te ontmoeten, waroom heb je Maxima niet meegebracht? Die had geen zin, sagte der König, die is altijd.... Die Protokollbeamten im Königsautomobil wurden unruhig. Sie mögen unkalkulierbare Annäherungen an das Volk nicht. Schon Willem Alexanders Großmutter Juliana hatte es geliebt, mit dem einfachen Volk einfache Sätze zu sprechen. Der König zuckte die Achseln. Tot ziens, sagt er. Tot kijk, sagte ich. Dann rauschte die Kolonne davon. Armer König. Immer Termine, immer nutzloses Gerede. Was so ein Besuch wohl kostet, dachte ich, schließlich zahle ich das. Jetzt sitze ich auf meinem Sofa und bin allein zuhaus. Ich habe zu Essen, zu Trinken, zu Rauchen, ich habe Bücher, ich habe alles, und taste mich zurück in ein Leben nach dem Umzug. Ich schaffe das, aber es wird dauern.
So 28.09.25 23:00
Der erste Tag, ohne an die nächste Aufgabe denken zu müssen. Der erste seit Wochen. Die Ungewissheit, die seit dem Auftritt der Immobilienbranche auf uns lastete, ist vorbei. Heute hat das Leben in der Flamenstraße begonnen. Es fühlt sich gut an. So gut, dass ich es kaum zu glauben wage. Fakt ist: ich sitze im Wohnzimmer, ich habe Wein, die Frau schläft, ich gehe auch gleich ins Bett, es ist wahr. Wir haben in Roxel gewählt, wir haben unsere Pflanzen besucht, die noch zwei, drei Wochen Oktober brauchen, ich war Tango tanzen, ich habe gut gegessen, ich fühle mich gut. Hier werde ich alt.
Mo 29.09.25 13:00 kühl heute früh, jetzt mild
wenn einer sagt
so geht es
sage ich gut
ich probier's
aber es geht so nicht
noch nie ist es so gegangen
es ist immer anders gekommen
alles ist anders gekommen
deshalb frag ich erst gar nicht mehr
ich mache es fertig
es wird dann so oder so
ich werde dann sehen
wie immer werde ich's sehen
das öffnet mir die türen zur
großen illusion
die einer leben nennt
und die es vielleicht auch ist
Di 30.09.25 19:56
Zu Anselm Kiefer komme ich noch. Ich habe La Ribaute besucht, aber das ist kein Atelier mehr, es ist ein Museum, das ist etwas anderes. Auch zu allem anderen komme ich noch, im Augenblick aber bin ich froh, wenn ich dann und wann zu mir komme, die Birke beobachte, den Kleiber, der kopfüber und kopfunter den Stamm absucht nach Essbarem, dem Rotkehlchen zuhöre, das auch ein Zaunkönig sein könnte, das weiß die Stimmenapp nicht so genau, die Eichhörnchen beobachte, die zu zweit rund um den Stamm rauf und runter jagen. Vorhin schaute eines beim Basilikum und bei der Petersilie nach, sauste am Ständer des Vogelhäuschen hoch, prüfte kurz, nix dabei und war weg. Wenn ich dazu komme, bin ich froh. Am liebsten gehe ich früh ins Bett und schaue Tierdokus. Ich habe vier Wochen um die Uhr gearbeitet, mit dem Kopf und mit den Händen. Da ist es gesund, wenn der Apparat sagt, leg dich weg, zu den dir liebsten Dingen kommst du noch. Die Frau ist da, der Alltag ist zurück, eure Wohnung, von deren Balkon du Birken, Feldahorn und Buche siehst, wo der Specht nach dem rechten sieht, der Admiral auf den Blüten des Efeu sitzt und mit den Flügeln Beifall klatscht, von so einer Wohnung hast du nicht träumen können in vierzig Jahren Dorffeldstraße, das war Heimat. Hier ist neue Heimat. Der Admital klatscht, weil unsere Nerven nicht gerissen sind, diese hochsensiblen Stränge, die zum Zerreißen gespannt waren und jetzt langsam entspannen. Sehr langsam. Dennoch erinnere ich mich, dass das Leben schön ist, dazu komme ich jederzeit, das ist meine Lieblingsillusion, die funktioniert. Zum Dreck der Welt will ich nicht kommen, da könnte ich kotzen, entführen, erschießen. ELIMINIEREN. Schöner Tag. Er begann neblig und endete sonnig.