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Hermann Mensing

Paradies schöner Frauen

Das Schönste zuerst, damit die, die sowieso nach 20 Sekunden weiterzappen, informiert sind. Es geschah gestern nachmittag gegen 15:30. Wir saßen am Rhein, die Sonne schien, wir tranken Kaffee und schauten. Flüsse sind fast so schön wie das Meer. Den abwärts fahrenden Schiffen kann man zu Fuß kaum folgen, den aufwärts fahrenden schon, wenn man trabt.

Wir sitzen also und freuen uns, dass wir da sind, ein Schiff mit offener Laderaumabdeckung stampft stromauf, als hinter mir plötzlich ein Kind: "Poooo, da, mit Dreck!" ruft. Der Ruf bezieht sich auf das Schiff. Muse M. und ich brechen in wildes Gelächter aus. Genauer hätte man das Schiff und seine Ladung kaum beschreiben können, es sei denn, man hätte gewusst, dass besagter Dreck hochaufgehäufte Kohle war.

Das Unschönste als zweites, aber wahrscheinlich sind Sie eh schon nicht mehr auf dieser Seite, deshalb kann ich damit auch warten.

Der Grund meiner Reise: zwei Lesungen in der Stadtbücherei Siegburg. Heute morgen. Da Siegburg zwei Zugstunden von Münster entfernt ist, hätte ich sehr früh aufstehen müssen, um beizeiten (9 Uhr) vor Ort zu sein. Deshalb fragte ich Muse M., ob Sie nicht Lust hätte, schon am Vortag mit mir nach Siegburg zu reisen, dort im Hotel zum Stern einzuchecken, um danach einen schönen Tag mit mir zu verbringen.

Sie müssen wissen, in nichts sind Muse M. und ich besser, als schöne Tage verbringen.
Wir glauben auch nicht, dass es irgendjemand sonst gibt, der in der Lage ist, ähnlich schöne Tage zu verbringen, ehrlich gesagt sind wir der Ansicht, dass der Rest der Welt eigentlich dahin vegetiert, während es uns dann und wann vergönnt ist, schöne Tage zu erleben.

Verstanden? Also gut.

Muse M. war natürlich einverstanden. Das Hotel zum Stern liegt am Markt, die Stadtbücherei ist keine fünf Minuten Fußweg entfernt, hoch überm Markt liegt eine Abtei, von dort kann man über Land schauen, eine zersiedelte Gegend, in der man nie genau weiß, ist das Troisdorf oder schon St. Augustin, immer noch Siegburg oder schon Bonn. Ein ziemliches Kuddelmuddel also, Flachland zum Rhein, aber im Hintergrund beidseits des Flusses Mittelgebirge. Noch nicht grün, aber das wird nicht mehr lange dauern.

Wir haben ein Raucherzimmer gebucht, Muse M. raucht, ich nicht mehr. Raucherzimmer riechen schlecht, vor allem, wenn sie kaum gelüftet werden. Daher lüfteten wir, und ließen die Fenster auch über Nacht weit offen. Was, wie Sie gleich feststellen werden, ein Fehler war.

Das Unschönste an dieser Gegend (und an unserer Reise) ist nämlich die Flughafen Köln-Bonn, der als einer der wenigen Flughäfen Deutschlands eine Nachtfluggenehmigung besitzt. Abflug- u. Einflugschneise direkt über Siegburg. Kein Wunder also, dass ich keine gefühlten zehn Minuten geschlafen habe in der vergangenen Nacht, wenngleich Muse M. behauptet, sie haben mich schnarchen hören. Ich sie auch.

Gefühlte Nacht aber war das anschwellende Rauschen startender Flugzeuge. Frachtflugzeuge, wie ich heute morgen erfuhr, Frachtflugzeuge aus aller Welt: Rosen aus Nairobi, Tulpen aus Israel, etc. pp., die ganz Nacht über, alle halbe Stunde.

Entsprechend fühlte ich mich heute früh. Eh ich also weitererzähle, kurz zu den Lesungen. Man hatte sich besonders darüber gefreut, dass ich mich nicht scheue, auch vor ersten Schulklassen zu lesen. Viele meiner Kollegen tun das nicht. Aus gutem Grund.

Ich stand heute morgen zweimal vor 1. Schulklassen. Die Gruppe um 9 war lebendig, aber zur Kooperation bereit. Da hatte ich kein Problem. Ich las Mopsi. Die Gruppe um 10:30 jedoch bestand aus lern- und verhaltensgestörten Kindern plus Kindern aus einer Schule, die klassenübergreifend arbeitet, 1. und 2. Klassen also, eine sehr engagierte Schule. Die einen können, die andern eher nicht.

Es gab Momente der zweiten Lesung, wo ich gern den Klassiker "so kann ich nicht arbeiten" gerufen und schnurstracks den Raum verlassen hätte. Ich habe das nicht getan, ich habe mich durchgekämpft, fühlte mich danach als Versager und schuldig, traf Muse M. im Café vor unserem Hotel, trank noch einen Kaffee mit ihr, dann machten wir uns auf den Heimweg.

Jetzt aber nur noch Schönes. Angenehmes.

Vielleicht zunächst das Paradies schöner Frauen. So nämlich könnte dieser Reisebericht heißen. Wir waren, das wissen Sie schon, gestern sofort nach dem Einchecken an den Rhein gefahren. Nach Königswinter, um genau zu sein. Ich wollte Muse M. auf den Drachenfels führen.

Als ich fünf oder sechs war, war der Drachenfels eines meiner allerersten Reiseerlebnisse. Meine Eltern und ich hatten meinen Onkel in Köln besucht, waren auf einem Dampfer flussaufwärts nach Königswinter gefahren, dort an Land gegangen und dann hatten meiner Eltern einen Esel gemietet, um mit mir den Drachenfels zu erklimmen. Ich weiß nicht mehr, ob wir je oben angekommen sind, aber ich weiß noch, dass der Esel ein sehr störrisches Tier war. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir aufgesteckt haben, ist also groß.

Dieses Mal fuhren wir mit einer Zahnradbahn hinauf. Von dort oben kann man weit in die Eifel hinüber schauen, man folgt dem Fluss aufwärts und abwärts, man schaut den übrigen Touristen zu, die zwar da, aber noch nicht so zahlreich waren, wir trafen die vier coolen Japaner wieder, die uns schon am Fluss aufgefallen waren, und irgendwann machten wir uns zu Fuß auf den Weg nach unten.

Je weiter wir kamen, desto seltsamer verhielt sich die Zeit, bis der Weg plötzlich mit kleinen Buden gesäumt war, die direkt aus den Fünfzigern stammten. Darunter auch dieser Automat.

Ich hätte nie hineingeschaut, Muse M. aber war sofort hellauf begeistert. Sie warf 20 Cent ein und jubelte vor Vergnügen. Also schaute auch ich hinein und muss sagen, ich habe es nicht bereut. Sollten Sie also irgendwann zu Fuß den Drachenfels erklimmen oder von dort herunterstolpern, nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit. Sie werden die schönsten Frauen in wundervollen Badeanzügen und entzückenden Dekorationen sehen, das alles in Drei-D und Technicolor.

Zurück in Königswinter verließen wir den Haupttrampelpfad der Touristen, kamen an Dennis russischem Restaurant vorbei, wurden von einer Dicken, die aufgestützt im Fenster lag, mit mißtrauischen Blicken verfolgt, bogen um eine weitere Ecke und waren plötzlich da, wo Einheimische wohnen.

Mein Magen hatte sich längst gemeldet, aber alles, was wir bis jetzt gesehen hatten, roch nach Touristennepp. Dann aber standen wir vor einem kleinen Restaurant des Weinguts Pieper, schauten uns die Speisekarte an und gingen hinein. Wurden freundlich begrüßt, aßen hervorragend, tranken leckerste Weinschorle, hätten gern richtigen Wein getrunken, aber ich musste ja fahren.

Muse M. probierte vom selbstgebrannten Trester der Familie, Hund Timo präsentierte uns sein Quietscheschwein in der Hoffnung, wir würden danach greifen, damit er es knurrend hin- und herschleudern konnte, wir fühlten uns pudelwohl, kauften eine Flasche Trester als Souvenier, hatten das Gefühl, eine Entdeckung gemacht zu haben, in die wir vielleicht noch einmal zurückkehren werden, wer weiß.

Ab hier beginnt wieder der unschöne Teil der Erzählung, die tatsächlich Paradies schöner Frauen heißt. Sie wissen schon: Nachtflüge aus aller Herren Länder mit Waren, die niemand braucht.

 

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