Hermann Mensing

Das Vampir Programm

Otto sitzt vor seinem neuen Computer und fummelt mit der Maus rum. Manchmal kichert er. Oder er schimpft oder beides. Oder er springt auf.
"Mach schon, Blödmann!", ruft er.
Rudi steht hinter ihm. Am liebsten würde er Otto wegzerren, um selbst fummeln zu können, aber Otto ist größer als er. - Außerdem gehört ihm der Computer.
Er hat ihn geschenkt bekommen. Vorletzte Woche hatte er eine Uhr gefunden - ganz aus Gold mit prächtigen Diamanten. Er hatte sie zum Fundbüro gebracht. Drei Stunden später war eine Frau gekommen, die sie vermisste. Die Frau war dünn wie ein Besenstiel. Und weil sie so froh war, die Uhr wiederzukriegen, hatte sie Ottos Adresse erfragt, ihn besucht und gesagt: "Du darfst dir was wünschen!" Ihre Stimme klang spitz und schrill.
Otto hatte "Computaaa!" gerufen, wie im Märchen, in dem man einen Wunsch frei hat.
Er hatte gedacht, ein Computer kann alles!
Aber Computer sind doof! Man muss ihnen ganz deutlich sagen, was sie tun sollen, sonst tun sie gar nichts. Eine falsche Taste gedrückt, schon ist alles futsch!
"Futsch, futsch, futsch!", kreischt eine Stimme.
"Wie bitte?" Otto glaubt, dass er träumt, denn dass Computer nicht sprechen können, weiß ja wohl jedes Kind.
"Futsch!", wiederholt die Stimme drohend. "Du. Futsch!"
Otto jagt den Mauspfeil auf Datei Beenden und klickt, aber nichts geschieht.
"Aus!", sagt er wie zu einem Hund.
Der Computer sprüht seltsame Funken.
"Aus!"
"Zzzzzzzzzzzzt", macht der Computer. "Zzzzzzzzt."
Schon wieder Funken!
Otto starrt verzweifelt auf den Bildschirm, Otto stöhnt, seine Hände sind eiskalt und seine Haare stehen zu Berge.
Vielleicht sollte er jemanden um Hilfe bitten.
Rudi hat Erfahrung und würde gern helfen. Max, Rudis bester Freund, hat nämlich auch einen Computer und die beiden sitzen oft davor. Man könnte sagen, Max und Rudi sind Spezialisten.
"Soll ich dir helfen?"
Otto tippt sich gegen die Stirn. Er und sich helfen lassen vom kleinen Bruder. Er ist doch nicht blöd!
"Na bitte - dann nicht!"
Rudi zuckt die Achseln und geht. Soll er doch weiter rumzappeln, das Brüderchen! denkt er. Ein Handgriff und das Problem wäre erledigt.

"Mama, ich geh Max besuchen", sagt Rudi.
"Okay", sagt seine Mutter.
Rudi wirft Otto noch einen Blick zu.
Otto sieht und hört nichts. Der Computer hat all seine Aufmerksamkeit. Es sieht aus, als würde er Otto gleich fressen.
"Tschau!", ruft Rudi.
"Hmmmmmm, hmmm, hmmmm", brummt Otto.
Rudi wirft die Tür hinter sich zu und tritt hinaus auf die Straße. Die Sonne scheint. Die Nachbarn haben ihre Autos aus den Garagen geholt. Staubsauger heulen. Alle putzen wie wild.
"Morgen!", sagt Rudi.
"Morgen Rudi!", rufen die Nachbarn.
Stenz hockt bei den Müllcontainern. Er ist Breakdancer. Er kann sich auf dem Kopf stehend wie ein Kreisel drehen, sein Haar ist schwarz gefärbt, letzte Woche war es orange.
"Hi, Rudi!", sagt er cool und zieht an seiner Zigarette.
"Hi", sagt Rudi und sieht zu, dass er Land gewinnt.


Max heißt Max Murke und wohnt im Eichenweg.
Er ist so alt wie Rudi, kugelrund und freundlich.
"Tag, Rudi!", ruft er, als Rudi um die Ecke biegt. Er sitzt auf der Gartenmauer vorm Haus - sein Lieblingsplatz.
"Tag, Max!"
Rudi ist froh, Max zu sehen. Max ist gut für die Seele.
Vor allem, wenn einem der große Bruder auf die Nerven gegangen ist.
"Na", sagt Max, "was wollen wir machen?"
"Computern", sagt Rudi.
"Computern geht nicht! Papa sitzt dran. Papa hat Wichtiges zu tun."
"Schade. Ich hatte einen Plan!"
"Einen Plan? - Lass hören!"
Rudi erzählt von Ottos neuem Computer und wie blöd Otto ist, weil er nix damit machen kann.
"Zu Anfang ist jeder ein Doofmann", sagt Max.
"Aber nicht so doof wie mein Bruder!"
"Möglich", sagt Max. "Aber du hattest doch einen Plan!"
"Stimmt! - Letztens, an deinem Computer, weißt du noch?"
"Nööö. - Wann denn, was denn?
"Vor ein paar Tagen - weißt du doch, dieses Programm, das du hast. Das einen Computer krank machen kann."
"Ach so!", sagt Max. "Das Virus-Programm?"
"Ja", sagt Rudi aufgeregt, "genau das!"
"Was ist damit?"
"Ich dachte …", sagt Rudi.
"Was?"
"Man müsste das Programm kopieren und den Computer von meinem Bruder damit krank machen. - Ginge das?"
"Natürlich!"
"Ohne dass er es merkt?"
"Ob er's merkt, liegt an dir!", sagt Max. "Aber was soll das alles?"
"Ich dachte, ich kopier Otto das auf die Platte. Weil er doch keine Ahnung hat! Er ist so blöd mit seiner Britzelkiste und stellt sich so an. Niemand außer ihm darf da ran."
"Ach so!", sagt Max. "Kapito! Sein Bildschirm wird schwarz und er glaubt, dass sein Computer kaputt ist!"
"Genau!", sagt Rudi. "Und dann komme ich und rette ihn."
"Gebongt!", sagt Max. "Lass uns das machen!"


Wenn es um wichtige Dinge geht, sagen wir, die Welt muss gerettet werden, Max braucht Extra-Geld oder Ähnliches, ist sein Vater leicht rumzukriegen.
"Ach so!", sagt er. "Hmmmm, ja, das kann ich verstehen. Gut, Jungs, dann macht mal! Dauert es lange?"
"Nö, nö", sagt Max.
Er hat seinem Vater zwar vom Kopieren erzählt, aber wofür, warum, weshalb, hat er nicht gesagt. Er wollte seinen Vater nicht anlügen. Und Kopieren ist nun mal Kopieren.
Computer-Kids wissen, wie einfach das geht. Man klickt die Datei an, die man kopieren will. Man sagt dem Computer, dass man sie kopieren will und wohin. Man bestätigt den Auftrag, Befehl heißt das im Computer, die Diskette im Laufwerk britzelt, fertig ist die Geschichte.
"Das ging aber schnell!", sagt Max' Papa. "Ich hatte ja nicht mal Zeit, ein Auge zuzumachen."
"Gekonnt ist gekonnt", sagt Max, nimmt die Diskette aus dem Laufwerk und steckt sie ein. -
Hat er denn nichts gemerkt?
Hat er nicht gehört, wie es so komisch britzelte? Und hat er den Blitz nicht gesehen, der über den Bildschirm zickzackte wie ein gefährliches Zeichen? -
Nein, hat er wohl nicht.

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