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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

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Liebe Annette,

es war frisch heute. Beweisen kann ich es nicht, weil ich nicht vor der Tür war, aber ich habe vom Sofa aus eiskalte Regenschauer und tief liegende Wolken gesehen. Sicher hast du bei so einem Wetter auch oft in deinem Schneckenhäuschen gesessen, warst allein mit dir, der Welt und den störrischen Worten. Draußen war Westfalen, und es ging einiges vor. Wälder wurden gerodet. Mechanische Webstühle machten den heimischen Webern Konkurrenz. Franzosen kamen. Der Vormärz zog herauf. Warst du beunruhigt? Wo war Jenny? Schon verheiratet? Und deine Mutter - auf Reisen im Französischen Königreich Westphalie, in dem Napoleons Bruder als König in Kassel regierte? Mochtest du die Franzosen? In Münster, sagt man, habe man ihnen applaudiert, als sie einmarschierten.

Übrigens, dein Canapé sieht nicht gemütlich aus. Ich weiß noch nicht viel über das Biedermeier, aber es hat keinen guten Ruf. Alles scheint so steif. Du solltest mein Sofa mal sehen, da ist Platz für zwei, du bist herzlich eingeladen. An meinen Wänden hängt Kunst, du würdest staunen, und die Regale sind voller Bücher. Da kann man liegen und Tage ohne Bewegung vertrödeln, was allerdings nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Aber schön ist es doch. Morgen komme ich dich besuchen. Hast du mein Gedicht gelesen? Wie findest du es?

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