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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

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Lieber Hermann,

ich freue mich sehr über deine Briefe.

Du tust dem Rüschhaus gut, du erfüllst es durch deine Erzählungen vor den Gästen mit Leben. Du fühlst dich ein in die Dinge und Zeiten, und du kommst meinem Denken und Wähnen immer ein Stück näher.

Ich schätze es auch sehr, dass du mich vor den Männern verteidigst. Niemand sage, dass ich dies zu deiner Zeit nicht mehr nötig hätte! Mir gefällt besonders, wie du im Schneckenhaus von der Intrige am Bökerhof erzählst; und es schmerzt doch noch immer.

Auch auf der Hülshoff-Burg machst du dich auf die Suche nach mir. Lustig finde ich, wie du auf die Schiller-Fenster-Ritzung im Großen Esszimmer reagierst und mir hier einen emanzipatorischen Akt zuschreibst. Allerdings muss ich deine Recherche etwas korrigieren:

Sprickmann hatte mir das Gedicht „Der Antritt des neuen Jahrhunderts“ von Schiller, das dieser wohl schon 1801 verfasst hat, einmal mitgebracht; insofern ist es auch kein Aphorismus, wie auf dem Zettel in eurem Büro vermerkt ist. Mir gefiel die letzte Strophe besonders, und deshalb habe ich sie in die Fensterscheibe meines Jugendzimmers geritzt. Aber meine Abschrift von Sprickmann war fehlerhaft: Es fehlte im dritten Vers der bestimmte Artikel (in dem Reich). Somit habe ich den dadurch holprigen Rhythmus durch das veränderte Verb korrigiert. Später, als ich eine neuere Ausgabe mit Schiller-Gedichten zur Verfügung hatte, stellte ich fest, dass Schiller das Metrum durchaus beibehalten hatte. Insofern gilt es, ihn hier zu rehabilitieren.

Lieber Hermann, halte durch, vertraue deiner Intuition weiterhin, schöpfe in deinem Erzählen aus dem Moment und aus meinem Geist in den Dingen. Ich freue mich über weitere Briefe.

Gehab’ dich wohl

Annette

(alias R. S. aus Emmendingen, am 13.08.19 im Rüschhaus)

Zur Ursache für Annettes Replik: Brief 19

 

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