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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

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Liebe Annette,

der Himmel zieht zu, es ist schwül, Schwalben sicheln und im blühenden Rotdorn vor Egberts Gaststätte bei St. Pantaleon hocken Tauben und picken - was, ist nicht zu erkennen - Blattläuse vielleicht, Blattläuse, die in diesem trockenen Frühjahr besonders häufig sind? Ich weiß es nicht. Die Gaststätte, vor der wir sitzen und eine Kleinigkeit essen, gab es auch schon zu deiner Zeit. Egbert war ein Fassbinder. Das Haus, in dem er sein Gewerbe betrieb, war bei einem Brand 1717 zerstört und mit anderen, rings um St. Pantaleon, die ebenfalls dem Feuer zum Opfer gefallen waren, neu aufgebaut worden.

Warum erzähle ich dir das? Nun, die Verehrung, die man dir entgegen bringt, treibt manchmal seltene Blüten, denn auf der Speisekarte der Gaststätte, die heute Zur Guten Quelle heißt, offeriert man einen Drosteteller. 2 Schweinemedaillons mit Kroketten, Gemüse und Sauce Hollandaise. Das hättest du jetzt nicht gedacht, oder? Dabei hast du doch so gern Leber gegessen.

Gestern hat man mich gefragt, ob ich am Freitagabend mit Gästen einen Teil des Lyriksweges gehen könne, der seit etwa einem Jahr den Weg nachzeichnet, den du gegangen bist, wenn du vom Rüschhaus zur Burg gingst oder von der Burg zurückkehrtest. Überall sind Stationen angebracht, an denen die auf deinen Spuren wandernden Menschen Informationen zur Landschaft, zur Natur und zu deinen Gedichten, die sich darauf beziehen, erhalten. Am Freitag bin ich verhindert. Ich habe aber diesen Weg schon im letzten Jahr zurückgelegt. Man muss gut zu Fuß sein, man darf nicht eilen, je langsamer man unterwegs ist, desto größer die Chance, einzutauchen in dieses Westfalen, das noch immer Zauber bereithält. Nächste Woche sehen wir uns im Rüschhaus. Ich freue mich.


Bis bald, Annette

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