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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

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Liebe Annette,

es ist Pfingsten, er regnet ein wenig, die Gerste steht kniehoch, und wenn Wind drüber streicht, wogt sie wie ein Meer. Abends setze ich mich manchmal aufs Fahrrad, radle durch den Brook auf die Baumberge zu und lasse die Gedanken schweifen. Wenn mir einer gefällt, merke ich ihn mir, oft aber löst er sich beim nächsten Abzweig in Luft auf. Früher hat mich das beunruhigt, mittlerweile hat mich meine Arbeit gelehrt, dass Gedanken Zeit brauchen zur Reife. Die mit Substanz tauchen meist von selbst wieder auf, manche nach Tagen, andere erst Wochen später. Im Angesicht dessen aber, dass in weiten Teilen der Welt Unterdrückung und Hunger herrschen und der Krieg in der Ukraine unvermindert wütet, scheint mir das Schreiben banal, nutzlos und eitel. Ich schweige, obwohl ich viel lieber schriebe, denn das ist die Zeit, in der ich mich mit mir und der Welt eins fühle. Das Schweigen schmerzt. Ich spiele kaum noch Klavier. Ich sorge mich. Der Welt hängt mir zum Hals heraus. Wundere dich also nicht, wenn du eine Weile nichts von mir hörst.

PS.

Die Gans, die an der Böschung der Gräfte auf fünf Eiern brütete, hat nun zwei Küken. Was mit den übrigen geschehen ist, weiß ich nicht, vielleicht hat ein Fuchs sie geholt. Vorgestern habe ich auf einer Bühne in Münster Menschen meine Gedichte vorgelesen. Das hat mich besänftigt und meinen Zweifeln kurzzeitig das Maul gestopft. Die Zeit rast, ich lebe mein 74zigstes Jahr und weiß, dass ich endlich bin. Zum Glück bin ich gesund. Am nächsten Sonntag bin ich wieder im Rüschhaus, darauf freue ich mich.


Bis dahin, Annette, dein erschütterter Hermann

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