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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff


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Liebe Annette,

seit ich "Der Dichter" vertont habe, geht es mir nicht gut. Dein Text verfolgt mich. Ich habe es immer geahnt, nein, geahnt ist zu schwach, ich habe es gewusst, die ganze Zeit wusste ich, dass es besser wäre, die Finger vom Dichten zu lassen, es führt zu nichts, und wenn es zu etwas führt, ist es nicht das, was man wollte, falls man überhaupt irgendetwas wollen kann.

Ich glaube nicht an deinen katholischen Gott, ich glaube an überhaupt keinen Gott, aber, und das ist das irre an der Geschichte, ohne ihn kann ich nicht einen Schritt tun. Könntest du, adliges Fräullein, mir nicht mal einen Brief schreiben, in dem steht, dass du die Dornes Spalten doch irgendwie weggesteckt hast mit deinen Schwärmereien für Levin, der auf der Meersburg doch nur Bibliothekar für Laßberg geworden ist, weil du deine Mutter belogen und gute Verbindungen hattest. Er hat dich inspiriert, okay, eine Muse ist unbezahlbar, aber Musen sind flatterhaft, und schließlich hat er ja nicht dich, sondern eine andere geheiratet.

Ich hocke hier und frage mich, ob diese verflixte Dichterei nicht nur ein Vorwand ist, dem "real life" (so nennen wir das) zu entkommen oder ihm den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen, eine obszöne Geste der Gegenwart, Ausdruck tiefer Verachtung, inflationär von jedem und zu jeder Zeit gebraucht. Hattet ihr Biedermeier Gesten, den anderen (oder so gut wie allen) zu zeigen, dass ein Geisteskrösus nichts anderes ist und je war, als ein Mensch, der sich an einen Strohhalm klammert, und will, das man ihn endlich in Ruhe lässt.

Das Glück, Droste, ist immer das Glück der anderen, und wenn es dich erreicht, erschreckst du derart, dass du dein Ende siehst. Liebe Droste, ich wüsste gern, wo ein neuer Anfang ist. Ich rette mich über die Woche, indem ich darauf warte, Gästen im Rüschhaus von dir zu erzählen. There's no business like showbusiness, und es wird auch noch schlecht bezahlt. Ich erzähle ihnen von dir, die ich nur von einigen deiner Texte kenne, also überhaupt nicht. Und du, der ich diese Briefe schreibe, kannst mir natürlich nicht anworten, denn du bist Fiktion und seit über zwei Jahrhunderten tot.

Glück ist posthum. Wie wäre es damit? Glück ist den Lebenden nicht hold, man kann es nicht kaufen, man sollte seinen Namen nicht einmal aussprechen, dann wird schon mal überhaupt nichts damit. Übermorgen also, Freitag ist showtime im Rüschhaus, da verlasse ich mich wieder darauf, dass die Geschichten aus mir herausfließen, als würde ich kotzen. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, Droste, und bin wieder da, wo ich angefangen habe. Ich schau euch zu, wie ihr beim frohen Mahle lacht und eure Blumen zieht in Scherben.
Verdammt, Annette, ich will, dass das aufhört, aber es hört nicht auf, denn einmal dichten heißt immer dichten. Ich hätte es machen sollen, wie die Gärtnertochter, die ich mit 18 geliebt habe. Die ist immer noch glücklich, die kümmert sich um ihre Blumen und um sonst nichts. Wir hingegen trage die Welt auf den Schultern.

Bis bald

Hermann

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