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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff


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Liebe Annette,

Klima, Wetter, Frieden, Krieg, lebendig, tot, Himmel Hölle. Gott, mit dem ich Absprachen treffe, weigert sich, einzugreifen. Das müsste jeder selbt tun, sagt er. Und was die Vermarktung deiner Literatur angeht, die sowieso. Als ich zum ersten Mal mit einem Lektor sprach, war ich noch keine 30. Die Reise nach Hamburg konnte ich mir gerade so eben leisten. Wir hatten halb zwölf abgemacht. Er kam gegen eins, tat so, als wär nichts, ließ sich Kaffee machen, rauchte, legte meinen Roman auf den Tisch, und sagte, du schreibst gut, aber das interessiert niemand. Wieso er mich duzte, wusste ich nicht. Wir kannten uns doch gar nicht. Heute duzt jeder jeden. Da schrillen bei mir die Alarmglocken. Noch vorsichtiger werde ich, wenn man mich lobt.

Ich höre jeden Tag mit dem Schreiben auf, und fange am nächsten Tag wieder an. Jedes Wort, das ich nicht aufschreibe, scheint mir verloren. Ich hatte nach dem Studium alles sausen lassen, um Schreiben zu können. Ich wollte nutzlos sein. Nicht arbeiten. Ich erwartete, auf der Stelle berühmt zu werden. Ich hätte mir sofort einen grünen Jaguar gekauft, so einen wie Steffi hatte. Ich dachte weit in die Zukunft. Schreiben kann ich bis ich umfalle, dachte ich, das gefiel mir. Jetzt fällt drei- viermal pro Jahr jemand um, den ich kenne, kannte, den ich mal gesehen oder von dem ich gehört hatte.

Die Gästeführungen geben mir Rückhalt. Da bin ich in meinem Element. Ich habe eine Nase für das, was geht und was nicht. Aber meine Stimmbänder fangen nach zwei Führungen an zu kratzen, und wenn Feierabend ist, bin ich ein wenig heiser und todmüde. Wenn ich die Beine hochlege und Youtube Clips gucke, in denen Warane mit Schlangen kämpfen oder ein Leopard seine Beute gegen eine Horde angreifender Hyänen verteidigt, habe ich sofort ein schlechtes Gewissen. Ich war Protestant. Ich muss immer leisten.

Gut, sage ich, ich bin der beste Schreiber, den ich kenne, aber das weiß außer mir niemand. Also schreibe ich so lange, bis es jemand bemerkt. Übermorgen lese ich auf der Burg. Ich werde deine vertonten Gedichte vortragen und aus unseren Briefen lesen. Es ist kalt geworden. Der Walnussbaum an der Westseite des Rüschhauses wirft seine Früchte ab. Ich sammle sie. Die Eichhörnchen auch. Wir stehen im Wettstreit. Es gibt viele Quitten dieses Jahr. Auch die werde ich ernten, aber jetzt ist es noch zu früh.

Ich halte Dichtung für eine unheilbare Krankheit, und wie jede Krankheit, die nicht behandelt wird, führt sie zum Tod. Schöne Aussichten. Übrigens, die englische Königin ist gestorben. Sie hieß Elisabeth II. Ganz England steht Kopf. Als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Ich verstehe das alles nicht. Ich habe es noch nie verstanden. Meinst, dass wir deshalb Dichter geworden sind? Ach, und weiß du was, bei meiner nächsten Führung verkaufe ich den Gästen eines meiner Gedichte als deines. Mal sehn', ob sie es bemerken. Auflösen werde ich den Fake erst zum Schluss.

Bis bald

Hermann

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