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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff


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Liebe Annette,

gestern hatte ich viel Freude bei meinen ersten, allein verantworteten Führungen durch das Rüschhaus, ich musste nicht einmal auf meine Moderationskarten schauen, nur der Safe im Keller, den ich morgens öffnen muss, um die Wechselkasse herauszuholen, hat mir einigen Widerstand geleistet, und die Registrierkasse im Kavaliershäuschen hat jede Eingabe mit dem Hinweis auf "Eingabefehler" verweigert. Und dann war da noch diese Frau, die hatte Karen Duves Roman über dich mitgebracht, in dem lauter Merkzettel steckten. Sie wollte unbedingt mit mir darüber reden, was ein Schriftsteller darf und was nicht. Sie war empört, was sie da alles über dich gelesen hätte, das stimme doch nicht. Ich sagte, ich hätte den Roman nicht gelesen, wäre mir aber sicher, dass ein Schriftsteller eine historische Figur in einem Roman so bearbeiten darf, wie es ihm gefällt. Das krauste ihre Stirn.

Eine andere trug eine beigen Pullover und eine geblümte Hose, war mittelgroß, untersetzt, hatte blondes, glattes Haar mit Mittelscheitel, eine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, und einen Gesichtsausdruck, bei dem ich nicht recht wusste, ist sie naiv, dreist, eine Landfrau, die sich aufgebrummt hat, oder alles zugleich. Ich schätze, sie war etwas jünger als ich, aber nicht viel. Kaum bin ich mit ihr und den anderen in der Küche des Rüschhauses, hat sie schon einen Teller aus dem Schrank genommen und schaut darunter. Ich weise sie nicht ohne ironischen Unterton darauf hin, was ich tun werde, wenn sie nicht aufhört, Gegenstände anzufassen. Kaum fünf Minuten später öffnet sie die Tür der auf der Diele stehenden Kutsche. Ich sehe es, ich sage, normalerweise stünde die Kutsche unter Starkstrom, sie habe Glück gehabt. Sie lächelt entschuldigend, was sie aber nicht davon abhhält, sich im italienischen Zimmer auf einen historischen Stuhl zu setzen.

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