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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

Annette Brief 50

Liebe Hermann,

warum verachtest du mich? Weil ich Angehörige der Aristokratie war? Dafür kann ich nichts. Ich bin hineingeboren in eine Familie, wie jeder in eine Familie geboren wird, der er sich verbunden fühlt, mit der er streitet, in die er sich einreiht, um seinen Platz einzunehmen. Glaub mir, das war nicht immer einfach. Hinzunehmen, dass mein Bruder nach dem Tod meines Vaters der "Chef des Hauses" wird, obwohl ich älter war als er. Es sind immer die Männer, die in der Aristokratie bestimmen. Du weißt, dass ich mit meinen Ambitionen als Dichterin des 19. Jahrhunderts hintan stehen musste, oft belächelt, und erst spät ernstgenommen wurde. Ich nehme an, du beurteilst die Aristokratie aus anderem geschichtlichen Hintergrund. Ich habe ja mitbekommen, wie man uns nach den Franzosenkriegen die angestammten Rechte beschnitt, das hinzunehmen war auch nicht einfach. Ist es Neid? Bist du neidisch auf unsere Privilegien? Wie dem auch sei, ich hoffe, dass deine Verstimmung nur eine vorübergehende ist, und du dich nicht von mir abwendest. Vielleicht hilft es, wenn ich dir sage, dass mir dein Gedicht über das Eichhörnchen gefallen hat. Ich habe sie zu meiner Zeit auch oft über den Hof eilen sehen und mich an ihnen erfreut.

Bis bald

Annette

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