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So 1.08.10 9:31

Friesland 3

Der Mann hatte Pflaumenkuchen mit Sahne gekauft, und die Frage stand im Raum, ob die Sahne die bevorstehende Reise nach Emden schadlos überstehen würde. Wenn Gewitter kommt, nicht, sagte die Verkäuferin. Aber es kommt keines, sagte der Mann, der gern über Land gefahren wäre, um einzutauchen in diese nordische Weite, die unter hohem Himmel träumt. Das Navi wurde befragt und prognostizierte eine Reisezeit von zwei Stunden, während es für die direkte Linie über die Autobahn knapp 45 Minuten veranschlagte. Sie dachten an die Sahne, die fortgeschrittene Zeit und entschieden sich für die Autobahn.

Ruhiges Gleiten.
Ein Himmel wie in Heiner Altmeppens norddeutschen Bildern.

Sie sprachen über seine Frau, über den Schmerz, der ein Jahr nach ihrem Tod in ihm wühlt, über das Unfassbare der Existenz und die Unausweichlichkeit dessen, was jederzeit geschehen kann. Nicht, dass ich das nicht schon immer gewusst hätte, sagte er, aber normalerweise geschieht so etwas anderen. Man liest davon in der Zeitung, bis es einen selbst trifft. Sie ist auf der sicheren Seite, sagte der Mann. Ihr kann nichts Böses mehr geschehen. Aber ich muss weiterleben. Weiter leben, ohnen teilen zu können.

Emden am Horizont. Ganz flach ist das Land jetzt, als wollte es, dass niemand es wahrnimmt. Platt wie ne Flunder. Und dann stehen sie vorm Haus ihrer Eltern. Das, mit den blauen Fensterläden. Ein Mann, eine Frau, drei Kinder, die dort groß geworden sind. Eine eingeschworene Gemeinschaft. Liebevoll eingerichtet, vom Keller bis zum Dach voll kleiner und großer Stehimwege, als hätte Ikea hier ein Vesuchslabor für frühes Design. Vieles ist selbst gebaut, selbst installiert, verlegt. Und Bücher, überall Bücher, das gefällt dem Mann. Guten Tag, sagt er und lernt zum ersten Mal die Eltern seiner Freundin kennen, die auf dem Jazz Workshop vor zehn Jahren Saxophon in seiner Gruppe spielte. Eine freche Göre eigentlich, aber sie mochten sich von Anfang an und jetzt, zehn Jahre später, sieht er, dass sie dem Vater ähnelt.

13:56

Friesland 4

Der Mann will das Meer sehen, die Eltern der Freundin werden Essen vorbereiten, eine Stunde wird das dauern, sagen sie, und da machen der Mann und die Freundin sich auf den Weg zum Knock. Der Knock liegt am Dollart, die Ems ergießt sich ins Meer, gegenüber die Windparks in Holland, die Industrieanlagen, am Ufer Schilder, die vor gefährlicher Strömung warnen.

Man könnte den Deich bis zum Ende der Welt gehen, irgendwann wäre man in Norddeich, und von dort ginge es weiter und weiter. Aber das tun die beiden nicht. Sie sitzen auf der Deichkuppe, und wenn sie Glück haben, rotieren die weiten Flügel von zwei, drei, vier Windkraftanlagen für kurze Zeit synchron, ein Windballett, dann ist es schon wieder vorbei, dann wird jedes Flügeltrio wieder eigensinnig und dreht seinen eigenen Dreh. Schiffe fahren hinaus, andere kommen hinein, der Dollart, der Jadebusen, die Deutsche Bucht, der Übergang von Land zum Meer. Der Mann mag diese Gegend und wenn er das Meer riechen kann, wird ihm wohler. Hinterm Deich ducken sich einzelnen Gehöfte und Straßenschilder weisen nach Rysum, Heiselhusen und Hamswehrum.

Friesland 5

Matjes verwehrt man mir. Da ginge nicht an, zur Pasta. Aber Krabben und Lachs, das geht an. Wir essen, wir trinken ein wenig, wir sitzen im Garten und rauchen Zigaretten, der Mann erzählt, was er preisgeben kann und der Abend schleicht langsam an.

Der Trompeter hat Sehnsucht, sagt die Freundin irgendwann, und so steigen wir auf die Räder der Eltern und fahren stadteinwärts. Gleich um die Ecke eigentlich, vorbei an der Kunsthalle, einmal rechts und dann links, und dann sind wir im Einstein, eine Institution.

Da ist halb Emden sozialisiert worden, aber an diesem Abend ist es ruhig, denn an einem Teich irgendwo ist ein Rockfestival. Ein DJ legt auf, viel zu laut, ein eintöniger Mix, als bestünde Musik aus nichts als ineinanderfließenden Tempi mit marschmäßig stumpfem Grundbeat. Der Trompeter erzählt von seiner Goethe-Institutstour durch China. Wie die da klatschen, sagt er, und wieviele Leute da rumstehen, wenn das Equipment auf die Bühne kommt. Aber wenn's dann darum geht, ein Mikrofon anzuschließen, müssen sie jemanden holen. Ein Pianist stößt zu uns. Der Trompeter und er spielen manchmal in Kirchen.

Gegen Mitternacht müssen Fenster und Türen geschlossen werden. Wir wechseln den Ort und landen im Grusewski. Da serviert eine dicke junge Frau mit Nasepiercing, die wenigen Gäste hocken um die Theke. Viele haben Tatoos, zwei, drei sehen aus wie Hardcore Lesben, die Musik wird von wechselnden Gästen auf You Tube gewählt. Das Programm ist um Klassen besser als das des DJ im Einstein. Der Mann trinkt Laphroiag, die anderen Bier, die Zeit tickt in den Morgen.

22:53

Der jüngste Sohn ist aus Bayern zurück, der Vater schickt sich an, hinzufahren.


Fr 6.08.10 10:14

Damals, vor vielen Jahren, vor vielen Jahren im letzten Jahrtausend, als es das, was uns heute verrückt macht, noch nicht gab, als das Verschweigen höher war als der Berg, den ich vorgestern bestieg (wovon ich später berichten werde) und politisch korrekt war, was Aufschwung und Kaufkraft beförderte, stand vorm Schlachthof an der Ochtruper Straße immer ein Mongo.

Für uns Jungen aus der Nachbarschaft einfach Kalli der Idiot.

Wenn unsere Langeweile zu groß wurde, zogen wir los, um Kalli zu ärgern. Wir mussten nur dies und jenes rufen und dazu Gesichter schneiden, dann dauerte es nicht lang, bis Kalli die Fassung verlor, zu etwas griff, das in seiner Nähe lag, um damit zu drohen. Uns Jungen war das nicht genug. Wir legte nach, wir steigerten den Grad der Verhöhnung, wie, weiß ich nicht mehr, aber es gelang jedes Mal. Irgendwann startete Kalli, um seine Idiotenehre zu retten. Natürlich waren wir schneller. Wir waren auch intelligenter als Kalli, schließlich war Kalli der Idiot und nicht wir, und so freuten wir uns, wenn er da mit einem dicken Knüppel, mit einer Schaufel oder einer Harke ungelenk herumfuchtelte, um uns, wenn möglich, zu töten. Wir verhöhnten ihn weiter und verschwanden über Geheimwege, die Kalli nicht kannte.

Heute, wo in konsumtechnischer Hinsicht nichts mehr zu erreichen ist, weil alle längst alles besitzen, heute also, in diesem Jahrtausend, wo das Verschweigen von damals in Entsetzen umgeschlagen ist und die Wortwahl des banalen Alltags überlagert wird von political correctness, heute also, wo niemand mehr Neger sagt, wenn er Neger denkt, und der Mongo als Mensch mit besonderer Begabung verhöhnt wird, einer, der am Down Syndrom erkrankt ist und niemals dazugehören wird, heute also, wo der Mensch, der am Down Syndrom erkrankt ist, nicht mehr an Ecken steht, damit Jungs ihn verhöhnen können, sondern in beschützten Werkstätten der Öffentlichkeit entzogen zu Hungerlöhnen für die Industrie dieses und jenes zusammen schraubt, heute, genauer gesagt gestern am ICE Bahnhof Kassel Wilhelmshöhe, traf ich einen Menschen dieser Spezies.

Er saß mit seiner Mutter, einer sehr feinen Dame, in einem Café, trank Capuccino, war von einem Designer gekleidet, trug eine Frisur, die man Pagenkopf nennt, wobei eine mittlere, gut drei Zentimeter breite Strähne von vorn nach hinten gelegt mit einer Klammer über der Fontanelle gehalten wurde, er saß da mit seinen feinen Schuhen, seiner Sommerhose und einem leichten Pullover und schaute mich an.

Nicht, wie man sich anschaut, wenn man sich irgendwo flüchtig begegnet, nein, er schaute mich an, als sei er an mir interessiert und ich dachte, gibt es denn Menschen mit Down Syndrom, die homosexuell sind? Ich weiß das ja nicht, ich weiß nicht, wie solche Menschen ticken, gar nichts weiß ich, weil ich ja nicht mit ihnen zu tun habe. So verwirrt schickte ich der großen Tochter in München, bei der ich die letzten Tage verbrachte, eine SMS. Sie hat schließlich lange mit solchen Menschen zusammen gearbeitet. Ihre Antwort: weißt ja, es gibt nichts, was es nicht gibt. Und als ich dann wieder zuhause war, las ich eine Besprechung zu einem spanischen Film. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem jungen Mann mit Down Syndrom, einer, der einen Universitätsabschluss mit Auszeichnung gemacht hat, und mitspielen will im Alltag der Normalen. Aha, dachte ich, also ist das durchaus möglich. Ich schämte mich ein wenig, wo ich doch hätte wissen müssen, dass alles möglich ist.

12:57

Als ich in den ICE nach München stieg, den Wagen mit reserviertem Sitz schließlich gefunden hatte, saß da ein sehr korpulenter Mann. Er sagte, Sekunde, ich mache mal Platz. Ich sagte, danke. Er war aber sehr korpulent, so dass es nicht ganz einfach war, an ihm vorbei an den Fensterplatz zu gelangen. Er fragte, geht's und ich antwortete, nun ja, Sie sind halt ein Mann mit großem Volumen, solange sie nicht auf meinem Schoß sitzen, wird es schon gehen. Ich fahre ja nur bis Dortmund, sagte er, aber als er in Dortmund dann ausstieg, hatte es mir schon das Kreuz ein wenig verrissen, denn er belegte eineinhalb Plätze, und da es mir unangenehm war, seine fleischigen Seite zu spüren, war ich fortgerückt, und hatte es mir mit dem Rest bequem zu machen versucht, erfolglos.

Zugfahren, sagen die Leute, sei schön, und eigentlich finde ich Zugfahren auch schön, denn man sieht Städte und durchfahrene Landschaften aus gänzlich anderen Perspektiven. Nicht schön, weil nicht wählbar, sind die Mitreisenden. Zum einen, weil sie ständig telefonieren und interessante und weniger interessante Interna ihre Lebens in die Welt posaunen, zum anderen, weil auch Konflikte auf engstem Raum ausgetragen und von den übrigen ausgehalten werden müssen.

Ab Dortmund war das eine Frau mit zwei unleidlichen Kindern, wovon eines einen etwa dreiviertelstündigen Wutanfall erlitt, der durch nichts zu mildern war. Da mich in Zügen immer sehr schnell eine schwer erklärbare Müdigkeit anfällt, die aber leider nie in erlösenden Schlaf mündet, sondern mich nur in einen halbwachen Zustand katapultiert, der zudem durch fehlende Beinfreiheit und/oder geschilderte Nachbarn zusätzlich gestört wird, ist Zugfahren vielleicht doch nicht so schön. In Ulm, die Kinder waren längst wieder freundlich, stieg die Mutter aus.

Der ICE aber jagt unbeirrt von all dem über Land, und wenn die Trasse dann parallel zur Autobahn verläuft, wird einem bewusst, wie schnell diese Züge unterwegs sind, denn die PKW da draußen scheinen zu stehen.

18:22

Sie tragen schwarz, schwarz wie Kohle sind die Tücher, in die sie sich gewickelt haben, aber ihre Gesichter sind frei. Sie sprechen eine Sprache, die der arabische Mobiltelefonhändler nicht beherrscht. Die Frauen sind aufgeregt. Ihre Augen blitzen mit dem Gold an ihren Fingern um die Wette. Sie reden auf den Mann ein und jedes Wort ist mit Gesten unterlegt, als sprächen sie Gehörlosensprache. Das sieht entschlossen aus und ein wenig gefährlich. Der Händler ist ratlos. Er geht in ein kleines arabisches Restaurant nebenan und bittet einen Gast, den er mit Namen kennt, den Frauen zu erklären, warum ihre Mobiltelefone sich nicht aufladen lassen. Ein Server ist überlastet, sagt er und bittet eindringlich, den immer wilder gestikulierenden Frauen das zu erklären.

München Bahnhofsviertel 17:15 Montag 2.08.2010


Sa 7.08.10
12:18

Jasmin und ich wollten Salsa tanzen. Auf der Praterinsel spiele eine Band, hatte sie gesagt. Es war mild und es regnete. Die Praterinsel liegt zwischen Isar und Isarkanal nicht weit vom Deutschen Museum. Wasser rauschte über ein Wehr. Bis auf ein paar Lichter im Hinterhof eines großen Gebäudes war alles dunkel. Wir umrundeten es, sahen eine Tanzfläche am Isarufer, aber keine Menschen. Musik war zu hören, ein Strand war aufgeschüttet, so etwas braucht der moderne Städter zur Linderung seiner Sehnsucht. Drinnen saßen sehr gut gekleidete Menschen an langen Tischen. Sie aßen und tranken. Wir fragten, ob dies der Ort wäre, an dem Salsa getanzt würde. Ein Kellner in Weiß (wie alles in diesem Club weiß war) verneinte. Wo denn, wenn nicht hier, fragten wir. Der Kellner meinte, im Obergeschoss, dies sei der Nektar Beach.

Wir umrundeten das Gebäude erneut, standen vor mehreren Eingängen, alle waren verschlossen. Jasmin spannte ihren Schirm auf. Wir liefen flußaufwärts, überquerten eine Isarbrücke und kamen zur Muffathalle. Dort spielen oft Bands, es ist eine Industriehalle, ein Wehr auch hier, die rauschende Isar, eine Hoftür geöffnet, kein Licht, bis auf einen schwachen Schimmer aus einer geöffneten Hintertür. Jasmin war neugierig, also gingen wir über den Hof in die Halle. Zwei Bühnentechniker standen an einer Theke, rauchten und tranken Bier. Sie hatten Feierabend. Sie hatten den ganzen Tag eine Tribüne gebaut und Stühle gestellt, demnächst sei hier ein Tanzfestival, modern Dance, sagten sie.

Wir gingen weiter. Wir näherten uns dem Zentrum. München ist eine schöne Stadt. Auch bei Regen. Sie erinnert mich an Wien. Überall kleine Cafés, das da gehöre Iris Berben, munkele man, sagte Jasmin, aber es interessierte uns nicht. Wir schlenderten durch die Regennacht, wir unterhielten uns über Chris und unsere Liebe zu ihr. Wir weinten. Wir fanden ein indisches Restaurant. Ein Kellner stellte uns einen Tisch vor die Tür. Wir aßen eine Kleinigkeit. Wir unterhielten uns über Chris und unsere Liebe zu ihr. Wir weinten. Und irgendwann fuhren wir heim.



So 8.08.10
11:18

Zu Mittag war noch nichts klar. Der Mann wusste nicht, wohin mit sich und seiner Einsamkeit. Am Mühlenhof wurde die zweite Runde der Affentennisweltmeisterschaft ausgetragen, dorthin vielleicht, hatte er gedacht, er würde Bekannte treffen, im Schatten sitzen, mit diesem und jenem plaudern und sich amüsieren über dieses vor fünf, sechs Jahren in einem Berliner Park erfundene Spiel, dessen offizielle Spielsprache Niederländisch ist. Ein Jux junger Menschen. Let op, snelle ball, let op, tennisball, let op strak, rufen sie und versuchen die entsprechenden Bälle aus einiger Entfernung in ein rechteckiges Feld zu werfen, das in drei Zonen aufgeteilt ist. Jede Zone steht für eine bestimmte Punktzahl.

Das also hätte er tun können, stattdessen checkte er den Facebook Account des Gitarristen von Pendikel, eine Band, die er mag und erfuhr, dass sie auf einem Festival in Osnabrück spielen. Er hatte sie schon lange sehen wollen. Ihr Gig vor zwei Jahren in Münster, den seine Frau und er sich hatten ansehen wollen, war geplatzt. Letztes Jahr war
dann sein Leben in Stücke gefallen, seitdem rennt er hierhin und dorthin und kann nirgendwo anlegen. Vielleicht dort, dachte er.

Pendikel und er haben eine Geschi
chte. Der Mann hatte sie im Plattenladen entdeckt. So etwas hatte er noch nie gehört. Ihre CD beginnt mit Dead City. "Alles was wir so tun ist sinnlos, unsere Zeit ist eine der düstersten Epoche und wir fühlen uns oft so alleine." Genau, hatte der Mann gedacht, die CD gekauft und Kontakt aufgenommen zum Gitarristen. Sie verstanden sich und vereinbarten, sich irgendwann einmal zu treffen.

Gestern war es so weit. Das LOKPOP Festival. Sein letztes Festival liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück. Eher zwei oder drei. Pendikel spielten als Opener um halb drei. Indie Noise Pop nennt man das, was sie spielen, aber das ist nur eine Kategorie, eine der vielen Schubladen, in denen wir denken und fühlen sollen. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug. Sehr laute, energiegeladene Musik.

Der Mann fühlte sich ein wenig fremd. Wieder einmal der älteste unter jungen. Er weiß auch nicht, wieso er immer bei den jungen Menschen landet. Vielleicht, weil sie noch Hoffnung haben. Vielleicht, weil in ihnen noch Reste der Rebellion lodern. Kann aber auch sein, dass er das alles nur hofft und wünscht, denn vieles an ihnen kommt ihm vor wie ein Aufguss von längst Vergangenem.

Wie sie da stehen und sich nicht trauen, zu springen, zu toben, sich auszulassen. Wie auch bei ihnen das Fest erst beginnt, wenn die Zeit fortgeschritten ist, wenn sie getrunken haben, wenn sich die Masse verdichtet und sie eins werden können mit anderen. Das scheint universell und nicht an das Lebensalter gebunden.

Der Mann saß einfach da und schaute zu. So viele hübsche junge Frauen. Das sticht alten Männern ins Herz. Sie laufen Gefahr, sich lächerlich zu machen, wenn sie nicht acht geben. Es ist wie ein Tanz auf der Slack Line, den der Mann auf der Affentennis-WM ausprobiert hatte und gar nicht mal schlecht.

Während schwerer Regen fällt, denkt der Mann, es war gut, hinzufahren. Schließlich hat er immer noch Ferien, Tage, die oft so leer und bedrückend sind, dass er nicht weiß, was als nächstes zu tun wäre. Er wartet darauf, dass jemand sagt, dein letzter Roman ist ein guter Roman oder ein schlechter, wenngleich er weiß, dass es ein guter Roman ist. Leckt mich, denkt er und sehnt sich und sehnt sich, aber sie kommt nicht zurück, sie ist tot.

15:40

Man glaubt, man schleicht, aber der ICE rauscht mit 130 durch dieses dicht bewaldete Tal, bis es sich öffnet und er wieder 200 fährt. Das Land wird flach. Es regnet und Tropfen tragen Rennen aus, manche, die längst abgeschlagen geglaubt sind, holen plötzlich auf und erreichen vor allen anderen das Ende der Scheibe. Dann sind keine Tropfen mehr da, wir sind unter Wasser. Und als es aufhört zu regnen, zieht ein graublauer Streif parallel zur Bahntrasse. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Ständig huschen Bäume ins Sichtfeld. Aber der Streif ist da und irgendwann weiß ich, dass es Wasser ist. Die Donau? denke ich. Gestern habe ich mich kundig gemacht. Es war die Donau. Es war schön sie zu sehen.

17:41

Man verlässt die Stadt Richtung Garmisch und sie tauchen auf. Sie verstellen den Horizont. Ich habe höhere Berge gesehen, Berge, die aussahen, als könne man von ihrer Spitze den Himmel betreten, aber diese sind auch nicht schlecht. Auf einen werden wir steigen. Auf den Jochberg bei Kochel am See. Ein Glück, dass ich noch nicht weiß, wie anstrengend so etwas ist. Zudem werde ich der einzige sein, der keine Bergschuhe trägt. Ich trage Bert Brecht Sandalen. Durch anfangs dichten Wald geht es steil. Ich atme kurz und schnell, obgleich wir langsam gehen. Die erste halbe Stunde fürchte ich, dass ich den Gipfel nicht erreiche. Dann pausieren wir, der Rucksack wechselt von mir zu Jasmin, und als ich wieder an der Reihe bin, habe ich meinen Rhythmus gefunden. Als ich sage, schau, Jasmin, der Wald lichtet sich, sind wir noch längst nicht da. Als wir da sind, warte ich auf den Stolz, den Jasmin prognostiziert hatte, und er kommt tatsächlich. Ich bin stolz. Ich kann fast alle Seen zwischen hier und München sehen. Jasmin kennt ihre Namen. Ich sitze unterm Gipfelkreuz. Wir sind allein mit einem älteren Paar, bis eine Gruppe Erwachsener mit Kindern kommt. Ein Junge sagt, er wolle etwas ins Gipfelkreuzbuch schreiben (das dann, das stelle ich später fest, gar nicht in dem Metallkasten ist, der unten am Kreuz angebracht ist). In diesem Augenblick kippe ich in maßlose Trauer, weil ich weiß, was ich ins Gipfelkreuzbuch schreiben würde. Jetzt sind mir die Berge egal. Es dauert, eh ich mich fange. Jasmin legt mir die Hand aufs Knie.


Mo 9.08.10 10:15

In einer Astgabel der japanischen Kirsche haben Tauben ein Nest gebaut. Immer wieder fliegt eine fort. Wenn sie zurückkehrt, gurrt die im Nest zurückgebliebene. Ich mag das laute Flügelschlagen. Das Nest ist eine architektonische Katastrophe, dennoch hält es.

12:24

Kurz vorm Gipfel schnaufte ein Jogger heran. Er hatte ein Klapprad auf dem Rücken. Wenig später kam er uns darauf entgegen. Ich dachte, die werden immer verrückter. Andererseits ist so etwas wohl nur eine Meditationsvariante. Man tut, was man kann, um nicht denken zu müssen. Ich tu das nicht. Ich bin faul. Ich denke mich blöd.

23:10

... begann ich über das Leben des Schriftstellers nachzudenken. Es ist ein Leben voller Drangsal. Im Anfang leidet er unter Armut und unter der Gleichgültigkeit der Welt; dann, sobald er ein gewisses Maß von Erfolg erreicht hat, muss er gute Miene zum bösen Spiel machen. Er hängt von der Laune des unbeständigen Publikums ab. Er ist auf Gnade und Ungnade preisgegeben den Journalisten, die ihn interviewen, den Fotografen, die ihn fotografieren, und den Redakteuren, die von ihm einen Artikel wollen, den Steuerbeamten, die eine hohe Einkommenssteuer von ihm erpressen, den einflußreichen Persönlichkeiten, die ihn zum Lunch bitten, den literarischen Gesellschaften, die ihn um einen Vortragsabend bitten, den Frauen, die ihn heiraten, und den Frauen die sich von ihm scheiden lassen möchten, den Jünglingen und Jungfrauen, die ein Autogramm von ihm erflehen, den Schauspielern, die eine Rolle, und den Fremden, die ein Darlehen verlangen, den überspannten Damen, die seinen Rat in ihren Ehekonflikten einholen wollen, und den ernsten jungen Leuten, die um eine Kritik ihrer schriftstellereischen Versuche bitten, dann noch den Agenten, Verlegern, Impressarios, Langweilern, Bewunderern, Rezensenten und schließlich - seinem eigenen Gewissen. Aber es gibt etwas, das ihn für alles entschädigt: Wenn ihn irgend etwas bedrückt - ein quälender Gedanke, Gram über den eines Freundes, unerwiderte Liebe, verletzter Stolz, Zorn über den Verrat eines Menschen, dem er nur Gutes erwiesen hat, kurz, jede Gefühlsaufwallung oder jeder verwirrende Einfall -, so braucht er es nur schwarz auf weiß niederzuschreiben, es als Thema einer Geschichte oder als Schmuck eines Essays zu verwenden, um seine Last abzuwerfen. Er ist der einzig freie Mann. ( W. Someset Maugham, Rosie und die Künstler, Diogenes)

Di 10.08.10 9:00

Ich leide immer noch unter der Gleichgültigkeit der Welt. Aber da ich begonnen habe, die Menschen zu lieben, was nicht leicht fällt, aber unabdingbar ist, wenn man weiterlebt, freue ich mich auf den Rest. Für mich besteht Hoffnung. Davon lebe ich.

10:42

Kaum hatte ich die Autobahn verlassen, um stadteinwärts zu fahren, hupte mich jemand an. Die Ampel war noch nicht grün. Arschloch, dachte ich. Wenig später das gleiche. Scheißstadt, dachte ich. Und beim dritten Mal war ich geneigt, Osnabrück in Bausch und Bogen zu dissen. Als ich das LOKPOP Festival verließ und zum Auto kam, sah ich, dass meine Tankklappe nicht verschlossen war. Also meinten es alle nur gut? Wie man sich täuschen kann, dachte ich und schalt meinen Mittelfinger, den ich dreimal gereckt hatte. Zu spät, sagte er. Ich fuhr über Land. Ich querte den Teutoburger Wald, der so idyllisch ist, dass man aussteigen und Urlaub machen möchte, ich kreuzte die Autobahn einmal von links, dann wieder von rechts, war schließlich zu hause und dachte, das war eine gute Idee. Ich hatte mit Carsten gesprochen. Carsten hatte mir von Pendikel erzählt und der neuen CD, die gerade entsteht, wir hatten uns auf Anhieb verstanden und sind nun für den November verabredet, wenn er und die Band diese CD vorstellen.

11:33

Sitze und unterfüttere gerade den Schluss meines neuen Romans (Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich, Verlag Jungbrunnen, Wien, Januar 2011), mache mir einen Kaffee, schütte schon mal geschäumte Milch und Zucker in die Tasse, trage alles zum Arbeitsplatz, trinke und denke, schmeckt komisch, bis ich feststelle, dass ich den Kaffee vergessen habe.
11:40

Kurz vom Gipfel des Jochbergs /1565 Meter ü. NN.



22:31

Sekunde, eh Sie ausstellen, hätte ich noch eine Frage. Ja? Ach doch nicht.


Mi 11.08.10 14:26

Nichts erlebt? Nein. Gespürt wenigstens? Doch. Was denn? Schmerz.


Do 12.08.10 19:34

Natürlich fragt sich der Mann, was das soll. In zwölf Tagen jährt sich sein Webtagebuch (englisch: weblog = neudeutsch: blog, das ) zum 10 Mal, zehn Jahre Text, zehn Jahre radikale Entäußerung, denkt der Leser, aber er täuscht sich. Er hat vergessen, dass Literatur der Wahrheit nur durch gezielte Lügen auf die Spur kommen kann. Macht er nun weiter? Man wird sehen. Jetzt jedenfalls legt er sich aufs Sofa und liest. Schließlich hat er Ferien. Und das auch noch bezahlt. In seinem Alter. Wer hätte je so etwas gedacht.


Fr 13.08.10 00:19

In der Küche von Freunden sah er ihr Foto. Sie war jung, als das Foto gemacht wurde. Der Mann kannte sie damals schon, aber sie war noch nicht seine Frau. Er wusste, wie schön sie ist und sie wusste vieles von ihm. Aber eh sie ein Paar wurden, musste er erst noch fort.

Er beginnt zu begreifen, was er verloren hat. Das Begreifen hat nichts mit dem Akzeptieren der Fakten zu tun. Das hat der Mann längst hinter sich. Er weiß, dass daran nicht zu rütteln ist. Wahrscheinlich ist es wie mit allem, dachte der Mann. Man kann es nicht begreifen. Es ist größer als alles.

Auf dem Heimweg hielt der Mann Ausschau nach den Plejaden. Wenn er den Kopf in den Nacken legt, wird ihm sofort ein klein bisschen schwindlig. Fahrradfahren ist dann nicht mehr so einfach, und er legte sich eine Erklärung zurecht, falls die Polizei auftauchen und ihn wegen seiner Fahrweise anhalten würde. Aber der Weg nach Hause war kurz und die Polizei kam nicht.

Immerhin, er hatte zwei Sternschnuppen gesehen und beide als Gruß gewertet. Der Mann ist nicht gläubig. Der Mann ist sentimental. Er hört Lieder und weint. Laaten wij dansen, liefste, dansen an zee... Er hört das Lied wieder und wieder. Das Lied legt einen Schalter um. Er ist dann am Meer. Es ist Silvester. Sie sitzen am Strand und trinken. Laaten wij dansen... Der Mann liebt das. Er hat viel geweint im letzten Jahr, aber noch lang nicht genug. Laaten wij dansen, liefste...




Sa 14.08.10 12:55

Die Frage war (der aufmerksame Leser erinnert sich), stimmt der Mensch mit der von ihm gewählten Inszenierung überein. In dem vor etwa vierzehn Tagen erörterten Fall ging es um eine sehr schlanke, immer in tiefstes Schwarz gekleidete Salsa-Tänzerin. Sie ist über fünfzig, aber noch keine sechzig, ich hatte sie als abweisend geschildert.

Als ich mit ihr tanzte, war mir ihr Akzent aufgefallen. Kein außergewöhnlicher Akzent, nur eine örtliche Färbung, die jedoch überhaupt nicht zu der von ihr gewählten Inszenierung passte.

Vorgestern traf ich sie wieder. Sie saß an der Bar. Ich grüßte und fragte, ob sie aus Coesfeld käme? Sie nickte. Sie nickte auf eine Art, die klar machte, dass sie sich ertappt fühlte. Ihre Inszenierung war durchgefallen, das gefiel ihr nicht. Mir aber hat das sehr gefallen. Ich war stolz, dass ich Recht gehabt hatte. So gibt es auch im Alltag immer wieder kleine Dinge, die Freude machen.


Do 19.08.10 20:11

Falls Sie sich fragen, wo er läuft (ja wo läuft er denn?), wo er war oder ob er noch irgendwo ist, hier die Antwort.

 

 






So. Und nun dürfen Sie raten.

Mehr erfahren Sie morgen, übermorgen, vielleicht aber auch nie, denn Sie müssen wissen, dass es möglicherweise kein morgen gibt. Also genießen Sie die Gegenwart. Fühlen Sie sich beschenkt. Es kann jeden Augenblick vorbei sein.


Fr 20.08.10 9:23

Wildwechsel 1

Wildwechsel könnte seine Geschichte heißen. Wildwechsel, denn Wild wechselt, wann es will, und die Frage lautet: können Sie jetzt noch bremsen? Der Mann weiß es nicht. Er weiß nicht einmal, ob er bremsen will. Das Wild ist aufgetaucht, hat ihm in die Augen geschaut und das reichte.

Wildwechsel heißt sie aber auch, weil der Mann noch nirgendwo so viele Hinweise auf Unfälle mit Wild gesehen hat wie in den Elbauen. Überall an den Straßen stehen rostrote Tripods aus Kantholz mit Hinweisen: Wildunfall. Datum.

Wald, so viel Wald, dass dem Mann endlich klar wurde, warum die Eiche so deutsch ist. Aber nicht nur Eichenwälder gibt es, auch Buchen und Fichten, in denen das Wild rumort. Keiler, Dammwild, Füchse, Hasen. Maisfelder rollen über das eiszeitliche Geschiebe und Weizen, der zur Ernte ansteht. Das zu großen Rollen gedrehten Stroh, das nach der Ernte herumliegt, ist reizvoll. Landart nennt der Mann das. Irgendwann wird es abgeholt, zu Halden gestapelt oder in stillgelegten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufbewahrt auf der anderen Seite der Elbe.

Die Elbe führte Hochwasser. Als er ankam, fiel ihm ein, dass er auf den Tag vor fünf Jahren auch dort am Anleger stand. Hinüber schaute und sich vorzustellen versuchte, dass das einmal die Grenze war zwischen Ost und West und dass dort geschossen wurde.

Als er damals dort stand, war sie noch nicht fort. Sie stand neben ihm.

Jetzt war er allein, überquerte den Fluss mit der Fähre und fuhr nach Stiepelse, ein Dorf hinterm Deich. Kopfsteinpflaster, eine kleine Kirche, eine Hand voll Häuser, eine Gaststätte, die Seeräuberkate. Der Mann frühstückte, Radwanderer kamen den Elbweg entlang, hochgerüstet auf High-Tech Rädern, jeder von ihnen, gekleidet, als striche er Sponsorengelder ein und wolle die Tour de France gewinnen. Der Mann würde anders aussehen. Er säße auf seiner alten Gazelle.

Der Wirt briet Spiegeleier mit Speck und duzte ihn nordisch. Dem Mann gefiel das. Er mag Norddeutsche. Sie sind herzlich und kühl, höflich und direkt und ihren Akzent hört er gern. Das kommt davon, weil er als Kind immer das Ohnsorg Theater im Fernsehen schauen durfte.

14:50

Wildwechsel 2

Ein schwarzer Milan strich einen pfeilschnellen Bogen unter die anthrazitfarben und weißen Wolken, ritzte das Blau des Himmels und der Mann dachte, mein zweiter Milan. Den ersten hatte er in Carona gesehen, hoch überm Luganer See. Er kraxelte den Deich hinunter zur überfluteten Aue. Da hinten waren Störche, vor ihm war Zukunft und er kam auf die Idee, seine vierte Reise dieses Sommers nach Hamburg auszuweiten. Vielleicht hatte er Wild gerochen, vielleicht stand schon alles in diesem Plan, dessen Existenz von niemand bewiesen, dessen Wirken er jedoch oft schon beobachtet hatte.

Wer weiß, niemand weiß.

Er rief einen Freund an. Wie wäre das, wenn ich mal rumkäme? sagte er. Wann, fragte der Freund und der Mann sagte Mittwoch. Da spielt Jamie Cullum im Stadtpark. Wow, sagte der Mann, gibt es noch Karten? Der Freund sagte, ich erkundige mich. Wenig später kam Nachricht. Die Karten wären ausverkauft, aber er könne doch trotzdem kommen. Ich komme, sagte der Mann. Ich komme da schon irgendwie rein, ich habe Erfahrung mit dem Überwinden von Sperren auf Open-Air Konzerten, das passt schon.

Stieg in sein Auto, kreuzte durch das ihm immer noch seltsam fremd vorkommende Land, das jetzt Bundesrepublik heißt und nicht mehr Deutsche Demokratische Republik, wenngleich er am Tag darauf, er war über kilometerlange Eichenalleen nach Schwerin gefahren, auf einem Fahrgastschiff auf dem Schweriner See von einem Matrosen erfuhr, dass das alles gleich wäre, damals wie heute, nur die Namen, die hätten sich geändert.

Der Mann dachte sich seinen Teil und wartete höflich, bis der Matrose die Geschichte zuende erzählt hatte. Er sei nämlich an Bord gewesen, als "Erich" die Stadt besucht hatte und eine Runde über den viertgrößten deutschen Binnensee drehte. Da hätten Sie mal sehen sollen, was hier los war! Schon vier Tage vorher seien Sicherheitskräfte gekommen, hätten ums Schiff getaucht und jeden Winkel durchsucht, als hätten wir Sprengstoff an Bord. Wir doch nicht. Wir waren doch auch nur Menschen und nicht jeder war in der Partei.

Als das Schiff Kaninchenwerder anlief, eine dicht bewaldete Insel mitten im See, erfuhr der Mann noch eine Geschichte, ebenso interessant wie die vorherige, eine Geschichte über die Dummheit der Menschen. Auf jener Insel nämlich hatte jemand im frühen 18. Jahrhundert eine Zieglei errichtet. Da so eine Ziegelei Brennstoff benötigt, hatte man begonnen, die Bäume der Insel zu schlagen. Kaninchenwerder ist nicht groß, man umrundet sie in einer gemächlichen Stunde. Kein Wunder also, dass der Baumbestand nach knapp einem Jahrhundert vernichtet war. Die Ziegelei hatte sich zielgenau in den Ruin gefällt, wurde aufgegeben, schließlich geschleift, die Insel wurde vom Herzog nach den Regeln englischer Landschaftskunst wieder begrünt und sieht heute so aus, wie sie vor der wirtschaftlichen Nutzung ausgesehen haben mag.

Das Schweriner Schloss ist ein Märchenschloss. Die Schweriner Innenstadt wirkt nordisch, geradezu schwedisch, was nicht verwundert, ist das Land ringsum doch dem gegenüberliegenden Ufer der Ostsee auch ähnlich.

Als das Schiff Kaninchenwerder verließ, dachte der Mann, er hätte die Frau, die in Ziependorf zustieg und auf Kaninchenwerder wieder von Bord ging, ansprechen sollen. Ich bin allein, hätte er sagen sollen, Sie sind allein, hätten Sie etwas gegen meine Gesellschaft. Er hatte das nicht getan, was, wie sich bald zeigen wird, auch im Plan war, denn noch ist nichts entschieden und ob sich etwas entscheidet, weiß niemand. Schließlich ist der Mann allein und darf alles tun. Alleinsein ist nämlich schrecklich und schön und man kann sich an beides gewöhnen.

18:32



Er ist ein begnadeter Sänger und Interpret, der größte Klavierspieler ist er nicht.

20:48

Wildwechsel 3

Ein sanfter Abend. Wie schon am Mittwoch singt Jamie Cullum, aber das Wild zögert. Es hält sich verborgen in diesen Wäldern, während auf den Wiesen milchweise Kühe grasen und Störche aufmerksam den Boden beobachten. Kein Lüftchen regt sich. Der Mann sitzt auf dem Balkon, ein Hund bellt, der Mann ist zuhause. In seiner Straße, in seiner kleinen Stadt, die einer größeren westlich vorgelagert schlummert und wartet, dass etwas passiert.

He kills himself for recognition.

Er will nicht, dass andere auf diesen Zug springen. Ersparen Sie sich diesen Schmerz, Sie haben schöne Augen, sie haben ein freundliches, offenes Lachen, Sie haben ein Leben, das Sie nicht begreifen, was wollen Sie mehr, lassen Sie mir doch den Schmerz.

Der Nachbarjunge tritt auf den Balkon, sein tatöwierter Vater lacht im Hintergrund und raucht Filterzigaretten. Einer fährt auf dem Rad in den Schlummer. Der Mann denkt, dass der Sommer ein guter Sommer war. Vier Destinationen, vier Himmelsrichtungen, eine in Holland, die übrigen in Deutschland. Ein grausamer Sommer voll nicht beantworteter Fragen, ein wundervoller Sommer voll freundlicher Worte, ein schrecklicher Sommer ohne Wild, das mit ihm wechseln wollte, ein herrlicher Sommer mit Menschen, die der Mann mag, wenn nicht liebt, wenngleich (aber das wussten Sie längst) Liebe ein Konstrukt ist, dass wir Menschen erfanden, um den Verstand nicht vollends zu verlieren.

Die Elbe vom Weinberg hoch über Hitzacker betrachtet züngelt ins Land und wäre längst fort, hätten die Menschen nicht Deiche gebaut. Ein Stück Apfelkuchen mit Sahne wird gebracht, ein Capuccino dazu, den Fluss herab Fluss kommt ein Kajak. Bald darauf legt es an. Ein junger Mann steigt aus. Er kommt auf die Terrasse. Kommen Sie von weit her, fragt der Mann. Der junge Mann nickt. 65 Kilometer sei er heute gefahren. Mitten auf dem Strom, sagt der Mann, ist das nicht gefährlich? Der junge Mann verneint. Der Mann staunt. Er hätte die Traute nicht, soviel ist klar. Aber er muss das ja auch nicht. Er muss überhaupt nichts. Er muss versuchen, dem Wild klar zu machen, dass keine Gefahr besteht. Es kann jederzeit zurück in den Wald.


Sa 21.08.10 11:25

Wildwechsel 4

Er hatte das ja alles gewusst, trotzdem berührt es ihn, dass in den Blumenkästen Geranien blühen, dass sie die Rasenmäher schieben und Hecken stutzen, dass sie auf zwei Beinen laufen und sprechen, das alles hatte er immer gewusst, aber getraut hatte er ihnen nie.

Die Grenzübertritte hatten ihn gelehrt, vorsichtig zu sein. Die unverhohlene Macht ihrer olivgrünen Uniformen und die seltsamen Mützen auf ihren Militärschädeln hatten ihn abgestoßen, als sie mit dem Auto vor Magdeburg liegen blieben und die Volkspolizei sie irgendwie zurück brachte an die Grenze, aber nicht, um sie einfach auf die andere Seite abzuschieben, nein, sondern um sie sich nackt ausziehen zu lassen, als wären sie üble Verbrecher, um ihnen Fragen zu stellen, als hinge an ihnen Verrat, um sie zu fotografieren und Dossiers anzulegen, als stünde der Weltfrieden nur auf ihren Gesichtern und sie wären der Krieg, seit damals also (und das ist lange her) hatte er ihnen mißtraut.

Schon als er den Fluss überquerte, spürte er, dass sein Herz schneller schlug. Da vorn stand noch einer dieser Türme. Dahinter, vorm Deich also, begann das fremde Land. Da war Sperrzone damals, heute war da das weite Nichts mit Wiesen und Trauerweiden in den Auen, und Höfen und fremd klingenden Dorfnamen. Es waren kaum Menschen unterwegs. Kaum Autos auf den schnurgeraden, dann wieder gewundenen Straßen, die er parallel zur Elbe befuhr.

Dies war sein erster Ausflug, er wollte vorsichtig bleiben, man konnte nie wissen, auch nach zwanzig Jahren konnte man doch nie wissen, was die vorhergegangenen vierzig mit den Menschen gemacht hatten.
So beladen mit Vorurteilen fuhr er herum und liebte das Land auf der Stelle. Er liebte es wegen des hohen Himmels, er liebte es der Leere wegen, er liebte es wegen der Alleen und beschloss, mehr zu erfahren. Er hatte ein Auto, er hatte Geld für Benzin, er hatte Ferien und ein Herz.

Dass es drei Tage später auf die Probe gestellt würde, konnte doch niemand ahnen. Aber so wird es sein. Der schwarze Milan hatte es in den Himmel gesichelt, die Störche hatten davon geklappert und der Fluss wisperte es in jede Stromschnelle. Da kommt er, da fährt er und weiß noch nichts, sollen wir es ihm sagen?

13:47

Wildwechsel 5

Als er sich Schwerin nähert, hat er die Furcht hinter sich. Hier ist Norden, sagt er sich, das ist Norddeutschland, die erinnern mit ihrem Sächsich wie Walter nicht an diese Zäune und Mauern und Hunde und geharkten Todeszonen, wenngleich manche Hüte tragen wie Mielke, aber das ist eine Geschmacksfrage und darüber will er nicht streiten, schließlich trägt er selbst Hüte und Mützen.

Die Stadt scheint groß. Wie alle Städte ist sie häßlich am Rand, Platte und Industrie. Wäre die Platte nicht, könnte das überall sein. Aber dann geht es links auf eine eine breite, leicht abfallende Allee und dann rechts und noch einmal links und da gleißen schon goldene Türme und Türmchen des Schlosses, dreihundert angeblich, aber das weiß niemand genau, dem Herzog in Ludwigslust war langweilig damals und da hat er sich halt so ein Schloss bauen lassen.

Der Mann parkt, der Mann macht ein Foto von sich, aber was ist schon ein Foto, auf dem niemand steht außer ihm und den Fremden im Hintergrund, eine Gruppe Chinesen, die um die Welt kreisen, nichts sehen, heimkehren und sich fragen, wo sie dieses und jenes Foto gemacht haben.

Das Schloß schaut er sich nicht an, es reicht, dass es da steht und glänzt und Gloria ruft, er dreht auf dem Absatz stadteinwärts, landet in einem Suppenrestaurant und isst eine Soljanka. Sehr lecker, aber als er sie isst, fällt ihm ein, dass die Suppe, die er erwartet hatte, Fassolka heißt, die hatte er immer in Polen gegessen. Er sitzt im Hof im Schatten einer großen Kirche. Drinnen sitzen Mütter mit Kleinkindern und fachsimpeln über Kleinkinder.

Der Mann verschickt eine SMS, virtueller Ersatz ihrer Anwesenheit, traurig wie alles, was er nicht anfassen, nicht küssen, nicht lieben, nicht mitteilen kann, aber besser als nichts. Als er dann auch noch die große Schwester anruft, fühlt er sich halbwegs stabil. Strolcht vom Zentrum die Puschkinstraße hinab, an der Schelfkirche vorbei links in die Gaußstraße und fährt mit einer kleinen Fähre über den Pfaffenteich.

Außer ihm ist nur eine Oma mit Enkelin an Bord, die von der Oma das Mobiltelefon bekommt, die mit den Eltern gesprochen hatte, und jetzt spricht das Mädchen mit ihnen und winkt zu ihnen herüber am gegenüberliegenden Ufer und ruft, dass sie gleich kämen.

Der Pfaffenteich ist mit Leinen und roten Bojen für eine Regatta gerüstet.

18:38

Wildwechsel 6

G. wollte nach einem Rezept ihrer Mutter einen Braten zubereiten. Die Mutter hatte zum Schnellkochtopf geraten, was dem Mann spanisch vorkam. Das sei effizienter, habe die Mutter gesagt, sagte G. Der Topf stand auf dem Herd, sie hatte Öl hineingegossen, Sonnenblumenöl, nicht das Bratfett, das sie normalerweise verwendet, hatte den Herd angestellt und begonnen, zu telefonieren.

G. telefoniert gern. Ohne Flatrate wäre sie längst verarmt, aber an diesem Abend hätte ihr die Flatrate auch nichts mehr genutzt, wenn schief gegangen wäre, was gerade schief zu gehen begann. G. schrie um Hilfe. Der Mann saß mit den Hunden auf der Terrasse und nahm ihr Geschrei zunächst nicht ernst. Dann aber doch. Er stand auf und sah den Topf mit lichterloh brennendem Öl. G. hatte ihn auf den Tisch gestellt. Der Mann rannte hinein, nahm ihn, brachte ihn nach draußen und verschloss ihn mit seinem Deckel. Glück gehabt, sagte alle Anwesenden, gratulierten G., dass sie nicht den Kardinalfehler gemacht und versucht hatte, das brennende Öl mit Wasser zu löschen. Auf dem Tisch war ein schwarzer Fleck. Die Hunde näherten sich dem Topf. G. scheuchte sie fort. Der Mann öffnete den Deckel. Dicker Rauch quoll empor. Er roch schlecht. Dann, der Mann war gerade ein wenig zurückgetreten, gab es einen kleinen, explosionsartigen Knall und das Öl begann erneut lodernd zu brennen. Diesmal löschten sie die Flammen mit einem alten T-Shirt.


So 22.08.10 10:36

Wildwechsel 7

Die Gefahr war gebannt, das Braten des Bratens wurde auf den nächsten Abend verschoben, man fuhr zu einem Restaurant, passierte auf dem Weg ein Schiffshebewerk und geriet in heftige Diskussion über dessen Größe. Das Größte sei das, sagt F., aber der Mann bestand darauf, dass Henrichenburg größer sei. So ging das hin und her, ein Spaß unter Freunden, und als alle wieder daheim waren in diesem kleinen Dorf am Rande der Elbauen, beschloss der Mann, Wildwechsel 6 mit dem Google Translator ins Chinesische und von dort wieder ins Deutsche zu übersetzten. Das ist das Ergebnis:

Wildwechsel 6 revisited

Gramm einer Mutter Rezept, das Sie wollen einen Braten kochen. Die Mutter hat den Schnellkochtopf, der den Mann in Spanien passiert informiert. Dies ist effizienter, eine Mutter sagte: "Der Topf ist G, der Herd, goß Öl, Sonnenblumenöl, anstelle von Speiseöl, normalem Gebrauch, schalten Sie den Ofen und fing an zu rufen.

Grams rufen Sie an. Sie hatte keine Flatrate erschöpft, sondern dass sie auch nachts benutzt einen Pauschalbetrag von nicht mehr, wenn es ein Problem ist, das ist der Anfang von Problemen. Gramm um Hilfe schreien. Der Mann setzte sich zusammen, und der Hund weint im Hof ihres ersten ist nicht seriös. Aber immerhin. Er stand auf und sah den brennenden Topf mit Öl heller. Gram hat seine auf dem Tisch. Der Mann lief zu ihm, außer ihm, und verschloß ihn und seinen Hut. Glücklicherweise, daß alle Anwesenden zu gratulieren Gramm, sie hat keinen größeren Fehler und versuchte, die Verbrennung von Öl und Wasser zu kämpfen. Der Tisch ist ein schwarzer Fleck. Diese Hunde in der Nähe von Topf. G um sie zu entfernen. Der Mann öffnete den Deckel. Rauch quoll. Er roch schlecht. Dann wird der Mann nur ein bisschen resigniert, gibt es eine kleine Explosion Dynamit und Verbrennen von Öl fing wieder an zu brennen. Diesmal legte sie aus den Flammen und dem alten T-Shirt.

13:46

Wildwechsel 8

Eh er das Dorf Richtung Hamburg verlässt, wo das Wild nichtsahnend wittert, noch ein Wort zu den Hunden des Hauses, mit denen der Mann tagsüber allein war. Ein niederländischer Hütehund, Eira, und Holli, ein Hündchen, vanillefarben mit leichtem Roststich, Mischung komplizierter Verhältnisse, hochintelligent. Der Mann brauchte mit seiner rechten Hand nun von oben nach unten über die Nase zu fahren, dann machte Holli das nach. Natürlich tat er das nicht umsonst. Er erwartete Leckeres und bekam es. Eira kann den Hundetanz, Eira fällt bei Peng um und spielt tot, und auch sie hat Erwartungen.

Die Elbauen waren erkundet, Schwerin nicht mehr terra incognita und nachdem der Mann durch Verbindung zu F., der Kulturredakteur der Lüneburger Zeitung ist, noch eine Karte für Jamie Cullum im Hamburger Stadtpark bekommen hatte, machte er sich auf den Weg. Er war voller Freude. Er würde bei Freunden wohnen, er mag Jamie Cullum, und er hatte gute Erinnerung an diese Stadt.

Nur über die Autobahn wollte er sich ihr nicht nähern. Er würde sich über Bundesstraßen heranschleichen, er wollte sehen, wie sie sich langsam verdichtet, wie das, was gerade noch Geesthacht hieß, plötzlich Hamburg wurde.

Zunächst aber fuhr er nach Lauenburg. Eiszeitlich hockt die Stadt auf Ausläufern des Gestrückens überm Fluss, aber unten, in der Altstadt, ist sie ihm fast ausgeliefert. Da fließt der Strom und da er Hochwasser führte, konnte der Mann sich vorstellen, wie es aussähe, wenn noch mehr Wasser käme und noch mehr. Er stieg vom Hügel durch einen Park hinab, schlenderte die Elbstraße runter und rauf, sah links die St. Pauli Flagge gehisst und keine zwanzig Meter weiter rechts die vom HSV, kehrte im Restaurant Zum Rufer ein, saß auf der Terrasse, Verkehr brandete über die urtümliche Stahlbrücke, und als er getrunken und gegessen hatte, fragte er die Bedienung, eine blonde Mittdreißigerin, hören Sie, wenn ich Sie jetzt fragte, soll ich mir Geesthacht anschauen oder direkt weiter nach Hamburg fahren, was würden Sie antworten. Fahren Sie nach Hamburg, sagte sie, und der Mann war überzeugt.

Dass aber Hamburg eine so große Stadt ist, hatte der Mann nicht gewusst. Er war schon in Bergedorf und dachte, jetzt kann es ja nicht mehr lange dauern, dennoch zeigte sein Navi an, dass noch zwanzig Kilometer zurückzulegen wären, und das mochte der Mann kaum glauben. Aber das Navi behielt Recht. Der Mann fuhr und fuhr, bis ihm schließlich etwas bekannt vorkam, rechts, halblinks, die Anweisungen des Navis wechselten im Minutentakt, der Mann aber wusste jetzt, wie zu fahren war, er hätte sein Ziel auch ohne Navi erreicht, und da war er auch schon, der Klosterstern, sein Hafen für die nächsten zwei Tage.

Das Wild hob den Kopf und schaute, aber zu sehen war nichts. Das Wild witterte. Es ahnte nicht, was noch am gleichen Abend geschehen würde. Ebensowenig, wie der Mann etwas ahnte. Und doch würde es geschehen. Das Wild würde ihm in die Augen schauen und er ihm, das würde reichen. Aber wofür?


16:45

Wildwechsel 9

Und weil das so schön war, dieses Transferieren von einer in die andere und wieder zurück in die eine Sprache, beschloss der Mann, den Wildwechsel 8 diesmal zunächst ins Arabische und von dort wieder ins Deutsche übersetzen zu lassen.


Wildwechsel 8 revisited

Bevor er verlässt das Dorf Hamburg, wo der Geruch des Hirsches nicht wissen, ein einziges Wort über Hunde des Hauses, wer der Mann allein im Laufe des Tages wurde. Niederländische Schäferhund, Ira, und Holly, ein Hund Vanille Farbe, mit leichten Stich Rost, und die Beziehungen komplexes Gemisch und sehr intelligent. Der Mann nahm seine rechte Hand nun von oben nach unten durch die Nase zu bezahlen, ging dann zu Holly. Natürlich tat nichts. Er erwartete etwas Leckeres und ich bekam es. Ira ist die Hunde, Tanzen und Ira ist auf den Toten befindet und ein Spiel auf Peng, und es ist den Erwartungen.

Gold war in den Alpen suchte, ist Schwerin nicht mehr terra incognita, und nach, dass der Mensch durch die Verknüpfung zu F, Redakteur Kultur und Nniburg Zeitung, erhalten eine Karte und einen für Jamie Cullum im Garten und Hansestadt Hamburg, auf seinem Weg. Es war voller Freude. Er würde mit Freunden zu bleiben, und er mag Jamie Cullum, und er hatte gute Erinnerungen an diese Stadt.

Nur auf der Autobahn, wird es nicht nähern. Er sagte, er wollte schleichen sich auf den Autobahnen, zu sehen, wie sie langsam zu verdichten, und was war immer noch nur eine Geesthacht, Hamburg, und plötzlich.

Aber ging zum ersten Mal für Lauenburg. Ice Age, einer Stadt in den Ausläufern oben Gestrückens liegt der Fluss, sondern in der Stadt, und sie empfinden es fast geliefert wird. Da der Strom fließt, und führte auch die Überschwemmungen, und der Mensch kann sich nur vorstellen, was das wäre, wenn es wird mehr und mehr Wasser zu suchen. Zunahme des Verkehrs und kam von der Unterseite des Hügels durch den Park, Festlegung der Elbstraße und bis schlenderte, links schaute, der Flagge von St. Pauli zu erhöhen, keine zwanzig Meter nach rechts von Hamburg, das Restaurant, das er zu schreien ging, saß ich auf dem Balkon, über den Antrag primitive Stahlbrücke, und wenn er in sei getrunken und gegessen, sagte er den Prozess, blonde Mitte der dreißiger Jahre, und hören, wenn ich Sie gefragt, jetzt, und ich möchte Geesthacht, oder direkt sehen, gehen nach Hamburg, sie beantworten kann. Sie sagte, nach Hamburg zu gehen, und der Mann war überzeugt.

Und Hamburg, aber das ist so eine große Stadt, kannte die Menschen. Er war bereits in einem Bergdorf, das Denken, und jetzt kann es nicht lange dauern, jedoch wies auf das Navi, und ich werde zwanzig Kilometer zu gehen, und kann es kaum glauben, dass der Mensch. Aber die richtige Navi. Der Mann geführt wurde und er führte in das Ende, dass etwas klingt vertraut, rechts, linke Hälfte, auf Weisung des Navis wechseln jede Minute, aber der Mann, er wußte jetzt, was er trieb, erreicht er sein Ziel ohne Navi, und auch jetzt, dass der Stern Kloster und Häfen für die nächsten zwei Tage.

Raised das Spiel den Kopf und sah, aber da war nichts zu sehen. Der Geruch der wilden. Sie hatten keine Ahnung, was am Abend passieren wird am selben Tag. Nein, denn ein Mann von etwas verdächtig. Nachdem das passiert. Das Spiel wird in seinen Augen, dass er sich freuen, und die Reichen. Aber warum?


Mo 23.08.10 19:50

Wildwechsel 10

Ein Summen liegt in der Luft. In zwei Räumen stehen Computer, Mischpulte und Monitore. In Regalen im Flur liegen
Kabel, Platinen, Zubehör. Hier arbeitet der Meister. Der, der das alles erfunden hat, der, der damals, als der Mann und er noch gemeinsam in einer Land-WG wohnten, schraubte und tüftelte, was niemand außer ihm verstand.

Jetzt ist er Millionär und der Mann ist Dichter. Er wird für zwei Tage hier unten wohnen. Er hat ein Bett, er könnte kochen, es gibt eine Bar, er könnte drei Tage durchtrinken, aber das tut er nicht. Er sitzt mit dem Meister vorm Mischpult und hört Musik. Musik, die sie selbst gemacht haben. Alte Männer, die sich hin und wieder zum Vollmond treffen. Die beiden lachen. Sie könnten ewig so sitzen und Neues entdecken, die Festplatten des Meisters sind voll, aber die Zeit drängt ein bisschen.

Das Jamie Cullum Konzert beginnt bald. Und mit ihm beginnt ein neues Kapitel. Der Mann wird es aufschlagen, aber er ahnt es noch nicht. Er wird in Augen schauen, Rehaugen, sagen manche, aber das ist ja nicht ungewöhlich für Wild. Er wird eine Hand halten und wieder loslassen, er wird geradeaus gehen, anstatt links abzubiegen, um zu folgen, er wird denken, wie dumm kann man sein, aber als er dann pudelnass wieder in der Wohnung des Meisters ist, schickt er eine SMS, und seitdem jagt eine Nachricht die andere. Manchmal fühlt er sich wie ein Verräter. Aber kann er jemand verraten, den er liebt und der tot ist?


Di 24.08.10
16:03

Wildwechsel 11

Auf der A1 zwischen Hamburg und Bremen fließt kein Verkehr, der Mann weiß das. Deshalb hat er sich entschlossen, Hamburg über Bundesstraßen Richtung Buxtehude zu verlassen. Er will Buxtehude sehen, warum weiß er nicht, es liegt wohl am Klang dieses Namens. Er kreuzt durch den Freihafen, den Ölhafen, riesige Kräne stehen am Weg, Brücken heben und senken sich und er weiß ungefähr, wo er ist. Über ihm ist Himmel, vor ihm LKWs, links und rechts ist Hamburg von seiner proletarischen Seite, hier geht es rund um die Uhr um Ausladen, Umladen, Einladen. Dann taucht Övelgönne auf, das Land streckt sich ein wenig, Hamburg ist Vergangenheit, vor ihm liegt Zukunft. Ein Glück, dass er davon nichts weiß. Und dann kommt er nach Buxtehude, und findet nichts, was die Schönheit des Namens rechtfertigt.


Mi 25.08.10 16:08

Wildwechsel 12

Es gibt ein Kaufhaus Stackmann in Buxtehude, das ein Parkhaus besitzt, offenbar ein Ortsmonopolist, der Mann weiß das nicht, aber der willige Konsument wird mit kostenfreiem Parken geködert. Da hinein also steuert der Mann sein Auto, immer noch guter Hoffnung, dass Buxtehude seinen Namen rechtfertigt, aber kaum ist er auf der Einkaufsstraße, vergeht ihm sämtliche Lust, weitere Entdeckungen zu machen.

Gut, denkt er, der Name ist außergewöhnlich, die Häuser sind nachempfundene Giebelkreationen aus rotem Backstein der Siebziger mit Betonsimsen und so ordentlich trist, dass der Mann beim ersten Imbiss gegen den Frust etwas essen muss. Kartoffelsuppe mit Würstchen wird annonciert, das wäre immerhin etwas, denkt er, jetzt, wo er Hamburg hinter sich hat und das Alte Land vor sich, den Weg nach Worpswede mit Birkenalleen und Obstplantagen und weitem, sanft rollenden Land, so als liefen Wellen darunter, das wäre doch was, denkt er, geht hinein und bestellt, aber leider, Suppe sei zwar noch im Topf, aber die Kartoffeln wären aus, nur noch Wurst und Gemüse, "die geb ich ihnen für zwei Euro", sagt die norddeutsch sprechende Türkin. Der Mann ist einverstanden.

Woher der Parkautomat des Kaufhauses weiß, dass er nicht konsumiert hat, was zu kostenfreiem Parken berechtigt hätte, bleibt ein Rätsel. Der Mann wirft einen Euro ein, verläuft sich auf den Parkdecks, findet schließlich sein Auto, setzt sich hinein und fädelt sich ein in das beschriebene Land.

Gottverlassene Dörfer. Wie schön, wenn man stark genug ist, es in so einer Einöde auszuhalten. Da gäbe es sicher Häuser für'n Appel und Ei zu mieten. Worpswede übrigens ist auch nicht zu empfehlen, wenngleich er dort ein sehr freundliches, für die Umstände geradezu persönliches Gespräch mit der Bedieung eines Gasthauses geführt hat, was ihn mit der Welt versöhnte, woran man sehen kann, wie wohltuend es ist, Menschen zu treffen.

16:29

Würstchen, Pizza, Limonade


Wohnte ich in Buxtehude,
kaufte ich ´ne Würstchenbude
mit ´nem Schild an dieser Bude:
"Würstchenbude Buxtehude".

Wäre ich ein Bürger Nizzas,
stellte ich mich um auf Pizzas
mit dem Hinweis: "Meine Pizzas
sind die besten Pizzas Nizzas."

Jetzt betreibe ich in Stade
einen Stand für Limonade.
Nur das Schild an der Fassade
ist noch nicht ganz fertig, schade!

(Günther Nehm)


Do 26.08.10
17:16

Wildwechsel 13

Es regnete in Strömen. Der Mann parkte sein Auto, stieg aus, spannte den Schirm auf und lief los. Er fragte sich, wo das Künstlerdorf wäre. Da vorn war nur ein Aldi. An Straßenecken standen Hinweisschilder zu Ateliers und Galerien. Das Dorf war langweilig. Da hatten ihm die Dörfer auf dem Weg besser gefallen.

Er ging in den Aldi und kaufte eine Tüte Studentenfutter. Die Kassiererin erzählte einer Kundin von ihrem Kind und was es schon alles kann. Der Mann zahlte, kreuzte den Aldi-Parkplatz und lief zum Dorfrand. Auch dort nichts Idyllisches, nichts, was wie Worpswede aussah, wenngleich das auf dem Ortsschild stand.

Was erwartete er denn? Bärtige Männer, überkandidelte Frauen? Er ging zurück, bog rechts ab, da war ein Buchladen, der sehr alternativ aussah, mehr aber nicht, ging ein Stück bergauf und wieder bergab und gelangte in den alten Teil des Dorfes.

Kopfsteinpflaster, Eichen, eine Hand voll uralter Bauernhäuser. Aha, dachte er. So hat das also mal ausgesehen. Er ging die Straße hinab und hinauf, in einem Vorgarten standen Skulpturen, die man ihm hätte schenken können, eine Busladung Rentner kam ihm entgegen. Sie sahen noch ratloser aus als er selbst. Zumindest für die sollte man doch einen Künstler auf dem Rad durchs Dorf jagen, dachte der Mann. Oder irgend so etwas, er wusste auch nicht was.

Dann ging er in dieses Café und setzte sich unter einen großen Sonnenschirm. Der Regen hatte aufgehört. Die freundliche Bedienung, von der er schon die Rede war, erzählte von einer Reisegruppe, die vorhin, als es noch regnete, da gewesen wäre, und die wären zusammen gerückt und hätten viel Spaß gehabt.

Ja, ja, sagte der Mann, wenngleich es gesprochen sicher anders klang, aber der Tenor dessen, was er sagte, verwies darauf, dass man das Leben jeden Augenblick lieben kann, wenn man nur weiß, wie es geht. Da war die Bedienung sofort einverstanden und der Mann hob aus Gründen, die nur mit Zuneigung erklärt werden können, seine linke Hand mit den beiden Eheringen.

Die Bedienung hatte sie längst gesehen, dachte, er wäre zweimal verheiratet, vielleicht, das könne sie ja nicht wissen, trägt man das heute so? Der Mann verneinte und sagte Witwer. Ooo, sagte die Bedienung und dann spannen sie ihren Gesprächsbogen weiter und blieben dabei: das Leben sei schön, sagten sie. Später zahlte der Mann, ging, eh er sich auf die Heimreise machte, nochmal auf die Toilette, und als er da rauskam, stand die Bedienung im Vorgarten und sagte, ach da sind Sie, ich wollte Ihnen nochmal zulächeln, eh sie fahren. Und lächelte, weshalb der Mann sich sehr freute.


So 29.08.10
20:05

Das Auge kann ja nicht nah und fern zur gleichen Zeit sehen. Sieht es nah, so wie vorhin, als der Zug durch die Nordheide brauste, ist alles Busch, Strauch und Baum in horizontalem Geflirre. Sieht es fern, etwa, wenn Busch, Strauch und Bauch weichen und den Blick dahinter frei geben, ist es vor Glück kaum noch zu bändigen, will, dass sein Körper die Reise sofort unterbricht und aussteigt und geht und immer weiter geht, durch dieses flache grüne Land.

Es macht viele seltsame Sachen. Gestern sah es ein Gesicht. Das Gesicht war ganz nah. Es schaut das Gesicht an und plötzlich verschwimmt das Gesicht mit zwei anderen Gesichtern, die es sehr gut gekannt hat und der Mann, dem die Augen gehören, weiß nicht mehr, ob er träumt oder wacht, er weiß nur, dass in diesem einen realen Gesicht die anderen ebenso sind. Er erschrickt und ist glücklich, die beiden anderen Gesichter sind ja Vergangenheit, dieses ist Gegenwart. Da kann sich der Mann schütteln soviel er will, das Auge sieht, was es sieht und verknüpft Vergangenheit und Gegenwart. Wie schön das Grauen ist, manchmal, oder umgekehrt, das weiß er nicht, seine Welt steht Kopf.

Der Zug rast weiter, Wolken türmen sich am Horizont, dass es Herbst ruft, so früh schon Herbst, denkt der Mann, sogar hier, dabei hatte er vorhin gedacht, das ist nur die große Stadt, die schon Herbst hat, aber dann lehnt er sich zurück, wieder in Gedanken und geht im Stadtpark spazieren. Er hört eine Stimme, die warm ist und knochentrocken. Sie sagt Beruhigendes, er weist auf ein Café, dorthin gehen er und die Stimme, essen eine Kleinigkeit, sprechen über Bäume und die Stimme sagt, dass sie Kiefern so mag und er fragt, ob sie Ulmen kenne, er kenne nur die üblichen Bäume, aber Ulmen, fragt er, könntest du Ulmen erkennen? Die Stimme verneint. Im Stadtparksee schwimmt ein Mensch und die Stimme sagt, da wäre ein magischer Ort am Kinderspielplatz, gleich da vorn. Sie gehen hin, aber der Platz ist nicht mehr aufzufinden und die Hacken des Mannes schmerzen wegen der neuen Schuhe.

22:54

Der Mann hat Kuchenteig angerührt, in eine Form gefüllt und in den Ofen geschoben. Er ist wieder zuhause, aber die große Stadt tönt in ihm nach. Es ist eine schöne Stadt und er mag die Menschen dort. Er hat mit drei oder vieren gesprochen, en passant.

Mit einem, der sein Auto von gefallenen Lindenblättern in der Schumann-Siedlung reinigte, über den Herbst. Mit einem anderen, der vor einem griechischen Restaurant rauchte, über den Regen und die Flucht, die er morgen antreten will. Er fliegt nach Keffalonia. Der Mann kennt die Insel und da fiel das Gespräch um so leichter. Der Mann hat jedoch nicht verraten, dass die Menschen auf Keffalonia nicht vergessen können, was unsere Väter dort angerichtet haben während des schrecklichen Krieges, in den sie geschickt worden waren.

In Schüttlers Bar sprach er mit einem Mann über seine Liebe zu Westfalen und sein Staunen über die Stadt, denn das hat er gelernt an diesem Wochenende: die Stadt erstaunt ihn. Sie fasziniert auch, aber die Einsamkeit dort ist noch größer als da, wo er lebt.

Später, der Mann war mit einem Hund unterwegs, geriet er in eine Konditorei voll köstlichsters Baisers und kaufte eine kleine Pfaumentorte. Als er danach um die Ecke auf die Fuhlbütteler Straße Straße bog, sah er Schuhe im Fenster, die ihm gefielen. Er probierte sie an, während der Hund neben ihm saß und ihn beobachtete. Die Schuhverkäuferin war entzückt. So gut erzogen, sagte sie. Sie war klein, blond und aus dem Osten: Polen oder Russland. Beim Bezahlen kam er über den Hund ins Gespräch mit einer Bayerin, die gerade gesagt hatte, man solle ihre Schuhe nicht in einen Karton tun, eine Tüte genüge, sie sei selbst eine alte Schachtel. Dabei war sie noch gar nicht so alt. Vierzig vielleicht, oder ein bisschen älter. Die fand den Hund umwerfend und da dachte der Mann, wenn er Menschen kennen lernen wollte, sollte er sich einen Hund anschaffen. Die Frauen sind wie vernarrt in hübsche Hunde und der Hund, den der Mann ausführte, ist hübsch.


Mo 30.08.10
19:05

Fadenlang Regen. Regenbögen. Regen. Gespräche über Regen. Regenlaune.


Die 31.08.10
17:09

Jetzt bin ich wieder unterwegs. Ein Landei auf dem Rad, mit nichts im Kopf als Sehnsucht und in den Augen die Wolken. Ich betrete die Schule. Ich spreche mit diesem und diesem, mit jenem und jenem. Ich fühle mich wohl, aber ich weiß nichts. Ich ahne, wie es sein könnte, aber konkret ist nichts. Und wenn ich dann heimfahre, später, bin ich so müde, dass ich nur schlafen will. Und die ganze Zeit ist mein Kopf voll. Mein Kopf ist so voll und ich weiß nicht ein und nicht aus. Das also ist der letzte Tag im August. Statt den späten Sommer zu feiern, fröstle ich im frühen Herbst. Und denke, ob wir zusammen wegfahren? Egal, wohin. Hauptsache wegfahren. Ich starte den Rechner. Ich hoffe auf Nachricht. Ich sitze. Ich erwärme ein Dinkelkissen, um meinem Rücken ein wenig Entspannung zu geben. Ich will alles.











 

 



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