Philosophischer Judenhass

Ein Brief von Micha Brumlik an den Suhrkamp Verlag

In der Jubiläumsreihe "40 Jahre edition suhrkamp" ist soeben ein Band des kanadisch-britischen Philosophen Ted Honderich mit dem Titel: "Nach dem Terror. Ein Traktat" erschienen. Honderich, der an verschiedenen Universitäten in London, Yale und New York Philosophie gelehrt hat, unternimmt darin den Versuch, die Frage nach gutem und schlechtem Leben im Zeichen des 11. September zu stellen. Die Originalausgabe hat bereits in den USA und in Kanada eine Debatte über antisemitische Passagen des Textes ausgelöst. Der Autor weist in einer Fußnote der deutschen Übersetzung selbst darauf hin. Im Folgenden drucken wir einen offenen Brief von Micha Brumlik, Leiter des Frankfurter Fritz Bauer Instituts, an den Suhrkamp Verlag.


An die Leitung des Suhrkamp Verlages

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wähle diesen formlosen Weg, weil ich kurz vor meinem Urlaub stehe, aber gleichwohl meiner Empörung Ausdruck geben und Sie dessen versichern möchte, dem folgenden Vorgang demnächst weiter nachzugehen.

Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich in dem in manchen Aspekten durchaus lesenswerten, soeben publizierten Buch von Ted Honderich Nach dem Terror. Ein Traktat Auslassungen über den Staat Israel und den Zionismus lesen musste, die alles, was der inzwischen zu Tode gekommene Jürgen Möllemann von sich gegeben hat, bei weitem übertreffen.

Mir schwante schon Übles, als ich auf Seite 51 so hanebüchenen Unsinn lesen musste, wie die Behauptung, dass zwischen 1989 und 1991 (!) also in zwei Jahren, 250 000 bis 400 000 sowjetische Juden auf arabischem (!) Land angesiedelt wurden. Als ich dann auf Seite 53 lesen musste: "So wie die Dinge liegen, wurde der Zionismus zu Recht von den Vereinten Nationen als rassistisch verurteilt ..." war bereits klar, worauf dies alles hinauslaufen musste.

Honderichs subjektiv redliches Bekenntnis auf Seite 236 war gleichwohl nicht zu erwarten: "Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, um den prominenten Fall zu nehmen, dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben."

Nachdem der Suhrkamp Verlag mit Martin Walsers Tod eines Kritikers einen antisemitischen Roman publiziert hat, veröffentlicht er jetzt in seiner Jubiläumsreihe (!) einen politisch-philosophischen Traktat, der antisemitischen Antizionismus verbreitet, dabei die Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel rechtfertigt und so - gemäß der strengen moralischen Logik des Autors Honderich - eben dies Tun auch zur Nachahmung empfiehlt.

Man kann sich nur noch an den Kopf greifen angesichts des Umstandes - und mag es auch nicht mehr wiederholen - dass ein Verlag, der - um nur einen Zionisten zu nennen - Gerschom Scholem verlegt hat und einen Jüdischen Verlag sein eigen nennt, der einen anderen berühmten Zionisten, Agnon, verlegt, philosophischen Judenhass publiziert. Was soll all das Gerede vom deutsch-jüdischen Geist, was die Verbindung Ihres Hauses mit Amos Oz, wenn sie derlei veröffentlichen? Oder weiß die Linke nicht, was die Rechte tut? Gibt es überhaupt noch eine verantwortliche Kontrolle über das Lektorat?

Das Fritz Bauer Institut, das ich leite, setzt sich nicht nur mit der Geschichte des Holocaust, sondern auch mit dessen Folgen auseinander und sieht sich dabei insbesondere Ihrem Hausautor Adorno verpflichtet, der als höchste praktische Maxime postuliert hat, dass sich Auschwitz nicht wiederholen dürfe. Dabei hat Adorno gewiss nicht nur Hass und Mord an Juden angesprochen, aber dass er das auch gemeint hat, dürfte einem Zweifel nicht unterliegen.

Ich fordere Sie daher auf, das Buch von Ted Honderich unverzüglich vom Markt zu nehmen.

Hochachtungsvoll

Prof. Dr. Micha Brumlik

Micha Brumlik ist Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust und seiner Wirkung.

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