Oktober 2006                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Sa 7.10.06   18:45

Sehn', was der Oktober bringt? Bitte....


So 8.10.06  17:32

Eines seiner Worte endete verkleinernd auf le, ich weiß nicht mehr welches. Wir standen im Flur und der Gastgeber stellte uns vor. Ich rasterte: Schwabe. Untersetzt, ca. 180, dunkle Hose, italienische Schuhe, schwarzer Marken-Sweater mit in Brusthöhe umlaufendem Abnäher. Silberblondes Haar bis knapp auf die Schulter: Sigurd Frisur.

Siegfried, sagte er. Eher schwächliches Händeschütteln. Hermann.

Danach zunächst einmal nichts mehr.

Ich sehe ihn hier und dort stehen, er hält sich an den Gastgeber. Eine Weile später, die Gäste haben an Stehtischen gegessen, sitzt er auf dem senffarbenen Ledersofa im Wohnzimmer, ein Glas Rotwein in der Hand. Ich setze mich zu ihm. Wir kommen ins Gespräch.

Er veranstalte Märchenwanderungen, sagt er, im Schwäbischen.
????
Die Gastgeberin hat eine Ausbildung als Heilpraktikerin und arbeitet als Ernährungsberaterin, eine schlanke Frau Anfang Dreißig, eine Wand des Wohnzimmers ist orange getupft, an einer anderen hängt ein Bild mit Wir-finden-unser Selbst, wenn wir... Text.

Ich zähle Eins und Eins zusammen und habe ein Vorurteil.

Was ich denn mache? fragt er.
Schriftsteller, sage ich. Kinderbuchautor.
Ich solle doch mal eine Geschichte erzählen, bittet er.
Ich erzähle den 10. Mond.
Er fragt, ob ich das Buch schon Playmobil angeboten hätte.
Playmobil?
Ja, ja, das ließe sich doch verkaufen.
Ich erkläre, dass die Rechte längst nicht mehr bei mir lägen.
Wo denn?
Bei meinem Verlag.
Man sollte Rechte nie aus der Hand geben, sagt er.

Dann erklärt er, er sei Medien-Berater. Er bringe Menschen zusammen. Er könne nichts, außer dumm schwätze, aber das könne er gut. Er könne aus mir etwas machen. Er könne mich aufs Podest heben und wir würden Geld verdienen.

Ich höre interessiert zu.

Er hat Pläne in jede Richtung. Ich müsse nur wollen, sagt er. Er hätte da mal einen Maler in der Schweiz gehabt, der habe nicht gewollt.
Ich sage, das Wollen sei nicht mein Problem.
Na also, sagt er. Dann machet mir einen Vertrag.
Langsam, sage ich, er solle sich erst einmal meine Webseite anschauen.
Gleich Montag, verspricht er, und dann melde er sich.

Dann erzählt er von ständigen Sitzungen, auf denen alles zerredet werde und wie leid er die sei. Er sei auf der Suche nach einem zweiten Standbein, da käme ich ihm gerade recht, wie gesagt, ich müsse wollen.
Ich wiederhole, er solle sich erst einmal meine Webeite anschauen.

Er fahre im Jahr 150.000 Kilometer, sei 54, habe Psychologie studiert und brauche eine neue Herausforderung. Nein, er verdiene nicht schlecht, im Gegenteil, aber wenn man ihm 100.000 Abfindung böte, wäre er sofort draußen. Er fahre 260 auf der Autobahn.
Was er denn anziehe auf Meetings?
Englische Anzüge und italienische Schuhe.
Und das Haar?
Trage er wie Lagerfeld.

Dummschwätzer oder nicht???

 

Mo 9.10.06   9:07

Ab sofort führt Herr M. wieder das freie Leben eines Schriftstellers, was sage ich, Schrifstellers (???), Künstlers (!!!), jawohl, Künstlers, das ungebundene, ausschweifende Leben eines Freischaffenden, der sich alles allein überlegen muss.

Schreibt er, schreibt er nicht, was schreibt er, wenn er schreibt?
Mit solchen und ähnlichen Entscheidungen sieht er sich sekündlich konfrontiert.

Und wenn er dann tatsächlich etwas geschrieben hat, war es nicht überflüssig? Wahrscheinlich.
Dennoch tut er es wieder und wieder. Hat schon einen Plan, denn gestern hat er die Durchlaufprobe der zweiten Folge seiner Soap gesehen (Aufführungen Dienstag 10.10. und Mittwoch 11.10. jeweils 20:00 Uhr), war beeindruckt und beschloss, heute die letzte Folge in Angriff zu nehmen.

Also, Herr M., worauf warten Sie?

Sagen sie noch schnell, dass Sie letzte Woche in der Nordsee geschwommen sind, dass sie in kühlem, samtweichen Wasser trieben, sich von den Wellen tragen ließ, dass sie..., nein, das sagen sie nicht, dass sie..., nein, das auch nicht, am Besten wäre, sie hielten ein für alle Male das Maul, statt sich ihre Eitelkeiten aufs Revers zu rotzen.

21:45

Nachts wachte er oft auf, einen faulen Geschmack im Mund und im Magen bohrende Schmerzen. Ihm war, als sei er innerlich wund. In dieser Zeit grübelte er darüber nach, ob es einen freien Willen gäbe. War nicht alles, was man tat und dachte, notwendig, festgeglegt durch eine Unzahl kleiner, winziger Zufälle, die zusammen eine eiserne Notwendigkeit ergaben, so daß man eben so und nicht anders handeln mußte. Waren nicht auch die Wünsche vorbestimmt aus lauter kleinen Leerstellen des bisherigen Lebens, die man langsam anfüllte, und war mit diesen Wünschen nicht wiederum jede Absicht zu handeln von vornherein festgelegt. (1)

 

Di 10.10.06  10:07

Auf der Insel erwachte ich eines morgens gegen sechs, erledigte dringende Geschäfte, schaute danach aus der Tür und war wie erschlagen von dem mit funkelndem Gold übersäten Himmel. So etwas hatte ich lange nicht mehr gesehen, im letzten Jahr in Griechenland zwar erhofft, aber nicht gefunden. Ich nahm das Fernglas zur Hilfe. Das Funkeln löste sich in Sternhaufen auf. Die Sternhaufen ordneten sich geometrisch. Ich schwankte, wie immer wenn ich in den Himmel schaue, wurde mir schwindlig. Ich stand in Unterhosen vorm Haus und staunte hilflos, denn ich kenne kaum Namen dieser Sternbilder, Galaxien und Nebel. Der im letzten Drittel zunehmende Mond war schon untergegangen, kein Streulicht, deshalb wohl die kräftige Klarheit dort oben. Eine Viertelstunde später fuhr ich mit dem Rad zum Deich am Watt, um von dort weiter zu schauen, aber da breitete sich schon die Dämmerung aus und übertünchte die Sterne.

Gegen halb neun machte ich beim Bäcker im Dorf eine grausige Entdeckung. Auf Glasplatten in der Theke lagen neben den Marzipanfrüchten (Kiwi, Erdbeer, Apfel, Birne) zwei von der Hand getrennte Zeigefinger, einer mit einer klaffenden Wunde im ersten Glied, daneben, säuberlich aufgereiht, Zahnprothesen für den Unterkiefer.

Wünsche einen guten Morgen und hoffe, Sie heute abend bei der zweiten Folge der Soap zu sehen, wenngleich ich gestehen muss, dass es so gut wie unmöglich sein wird, noch Karten zu bekommen, wir sind restlos ausverkauft. Das gilt auch für morgen. Und wenn sie im November dabei sein wollen, sollten sie jetzt Karten kaufen, denn auch da wird es knapp.

13:00

Ein Traum, letzte Woche: ich bin mit dem Auto unterwegs. Der Verkehr ist rege. Der Fahrer eines entgegenkommenden Wagen überschätzt sich während eines Überholvorganges, zwingt mich auf den Seitenstreifen, der entgegenkommende Wagen schlägt gegen die Leitplanken, steigt um seine Achse kreisend hoch wie ein Geschoss, überschlägt sich und landet auf dem Dach eines Wohnwagen. Dieser fliegt auseinander wie von einem Torpedo getroffen. Ich sehe darin vier Menschen um einen Tisch sitzen. Sie trinken Kaffee. Der Traum endet.

Auf der Rückfahrt von Ameland fährt vor mir ein PKW mit Anhänger. Ich muss an den Traum denken und fühle mich unwohl, als ich das Gespann überhole.

 

Mi11.10.06   9:42

Ich habe dieses Leben nie ertragen,
man hat mich nie gefragt, ich war urplötzlich da,
ich fragte schon als Embryo vertracke Fragen,
in wortlos fernem Schweben, wunderbar?

Ich habe nichts und alles fliegt mir zu,
ich kann nichts und ich weiß nicht eine Regel,
ich bin nicht mal mit mir auf DU,
für viele eher ein Flegel.

Ich kokettiere mit der Einsamkeit,
ich bin ein lächerlicher Stenz,
ich kämpfe und ich bin bereit
für jeden hergelaufn'nen Lenz.

Ich trage meine Federn stolz,
und treibe alle auf Distanz,
ich hacke mich durch's Unterholz,
und kürze meinen Schwanz.

Ich säng' danach in höchstem Ton,
ich dächte vielleicht nicht mehr an den Lohn,
bekäme dann doch endlich mal
den 1. Preis für Lebensqual.

Ich spreche nicht von Liebe, nicht von Hass,
ich übe mich in Überlebenskunst,
ich übertreibe, werde blass,
und stolpere durch Dunst.

Ich werd' im nächsten achtundfünfzig,
dann neunundfünfzig, sechzig undsoweiter,
Prognosen für mein Leben scheinen günstig,
und trotzdem steh ich ratlos auf der Leiter.

11:53

Er heißt Ibrahim, kommt aus dem Irak, lebt in Georgsmarienhütte und wurde gestern verhaftet, weil er Videos der Großterroristen Osama bin Laden und weiterer El-Kaida Rädelsführer ins Netz gestellt und verbreitet hat. Die Bundesstaatsanwalt wollte nicht sagen, woher er die hatte.

Liebe Bundesstaatsanwaltschaft,

um Videos, ganz gleich welchen Inhalts, ins Netz zu stellen, muss man nicht als Schläfer im Osnabrücker Land leben und darauf warten, dass nachts Männer kommen und einem geheime Video-Kassetten bringen. Man braucht eigentlich nur Al Dschasira zu empfangen, und das ist ohne größere Verrenkungen möglich.

Auch die öffentlich rechtlichen Fernsehsender übertragen diese Botschaften hin und wieder.
Ist das auch strafbar, oder werden nur Muftis belangt??? -

Mal davon abgesehen, dass die Lage, in der die Welt sich befindet, beängstigend ist, dass die Idioten weltweit die Herrschaft übernommen haben und zur Steigerung ihres Profits keinerlei Skrupel kennen, wertet der Vize-Fraktionschef der CDU/CSU die Festnahme des Irakers als Beweis dafür, "dass wir es nicht nur mit einer ausländischen Bedrohung zu tun haben, sondern auch gegen die inländische Bedrohung durch den Terrorismus zu Wehr setzen müssen."

Dummschwätzer!!!

 

Do 12.10.06   11:58

Die zweite Soap Folge ist abgespielt, beide Male war das Haus bis auf den letzten Platz ausverkauft, die Soap wurde "stürmisch" gefeiert, die Presse ist auf unserer Seite, ich freue mich, und bin doch erschrocken.

In vier Wochen, am 14.11.06 also die dritte Folge. Schon jetzt reservieren.

14:42

Besänftigungwalzer

(mit Auftakt - Humptataa, humptataa, humptataaa)

Sag einfach ja zu dir,
stimm froh mit dir ein,
schwimm trunken im gold'nen Bier,
lass Arbeit sein.

Hau ab, wenn du rennen kannst,
nimm niemanden mit,
glaub nicht, dass du Gold gewannst,
denn tief hängt dein Schritt.

Und bist du weit fort von hier,
vielleicht hinterm Meer,
benehme dich wie ein Tier
und spreche nicht mehr.

Sag niemandem, wie du heißt,
sag nicht, wo du wohnst,
und wenn dich die Sehnsucht beißt,
sag, dass sich's nichts lohnt.

Dann hebt sich die Stimmung flott,
der Blick wird getrübt,
du wärest jetzt gerne tott,
aber hast nicht geübt.

Zum letzten Dreivierteltakt,
vorm Ex... sei gesagt,
Besänftigung hat dich gepackt,
gewonnen, gewagt.

 

Fr 13.10.06   11:10

Wildgänse, (???) gestern Abend, einmal kurz nach zehn, dann noch mal gegen elf.

11:50

Wie eine Bühne, ganz gleich wie sie beschaffen ist, Sätzen Bedeutung beimisst, Menschen erhöht oder erniedrigt, je nach Text, den sie sprechen oder Handlungen, die sie ausführen, das ist aufregend und beängstigend. Auf Bühnen wird jede Lüge zur Wahrheit, kein Wunder, dass die größten Lügner der Weltgeschichte sich gern inszenieren.

Ich arbeite an der letzten Folge der Soap. Sie wird zweiteilig sein, wie der Pilot. Den ersten Teil, den vor der Pause, wo Johann plötzlich aufgeht, wer Scholz Mörder ist, es aber noch nicht sagt, weil da die Pause vor ist, habe ich fertig. Las vorgestern ein paar der Publikums-Votes. Der ein oder andere lag richtig mit seiner Vermutung. Ich werde den Mörder natürlich nicht verraten. Es sei denn, Sie böten entsprechende Summen....

 

Sa 14.10.06   22:40

Jeder geringste Kleinigkeit scheint scheint mir heute aus irgendeinem Grunde von unberechenbarer Bedeutung, und wenn Sie von etwas sagen, 'es hänge nichts davon ab', so klingt das wie Gotteslästerung. Man weiß nie - wie soll ich es ausdrücken? - welche unserer Handlungen, welche unserer Unterlassungen lebenslängliche Folgen haben werden. (E.M.Forster, Engel und Narren)

22:52

Armut ist das gefährlichste Land dieser Erde. Ich hörte diesen Satz vorhin in einer Aufführung des Cactus Junges Theater, eine Inszenierung zum Thema RESPECT. Die Teilnehmer kamen aus Argentinien, Bulgarien, Deutschland, Rumänien und Slowenien. Die Aufführung war gut gemeint, mehr nicht. Aber für diesen Satz hat sich der Abend gelohnt.

 

Mo 16.10.06   9:50

Mittwoch steige ich in den Ring und kämpfe vier Mal hintereinander. Belese eine Grundschule von vorn bis hinten, und wahrscheinlich sitzen in jeder Lesung 70-80 Kinder. Das sind die Bedingungen der globalisierten Marktwirtschaft. Zwei Lesungen an einem Morgen wären optimal, aber nun, es war nicht anders machbar, außerdem brauche ich das Geld. Die Sonne scheint, der Hintern juckt, ich könnte Rad fahren, ich könnte die letzten Szenen der Soap schreiben, ich bin in großartiger Verfassung, ganz im Gegensatz zu den letzten Tagen, als ich diese Gedichte schrieb....

14:10

Heute zwei Lesungen und fast 80 Bücher verkauft.
Für einen Montag nach den Ferien nicht schlecht, Herr Specht.

17:00

So, liebe Freunde der Soap. Der Mörder ist gefunden. Die letzte Szene geschrieben. Aber sofort wende ich mich dem Astrid Lindgren Preis zu.

 

Di 17.10.06   8:35

Im Transit. Wenngleich noch 24 Stunden bleiben, sieht es rings um mich aus, als bliebe gerade noch Zeit für einen Kaffee, danach müsste ich raus in die Pausenhalle, für 300 Kinder lesen. Ich habe unveröffentlichte Texte für Erstklässler herausgesucht, denn Erstklässler gelten unter Schriftstellern als Herausforderung Nummer 1. Viele Kollegen lesen gar nicht in ersten Klassen, denn um diese Jahreszeit sind die noch nicht dressiert.

Vor zwei Jahren habe ich in Recklinghausen vor Erstklässlern gelesen, ohne zu wissen, was das bedeutet. Als nach fünf Minuten ein Zappeln und Rutschen einsetzte, als die Lehrerin mir nach zehn Minuten ins Ohr flüsterte, ob ich nicht szenisch arbeiten könne, die seien einfach noch zu klein, wurde mir klar, auf was man sich einlässt, wenn man im Herbst für Erstklässler liest. Ich begann, Voll die Meise mit den Kindern szenisch aufzubereiten, was dazu führte, dass sie die Geschichte total auf den Kopf stellten. Das war nicht weiter schlimm, es war sogar sehr lustig, allerdings gewöhnungsbedürftig, denn ich habe so meine Macken und trenne mich ungern von dem, was ich einmal gedruckt gesehen habe.

Ich bin also gespannt auf morgen, sehr gespannt, zumal man mir als Bonbon erste und zweite Klassen in einer Gruppe präsentieren wird. Die Zappler, die noch nicht können, und die Großen, die unter Umständen unterfordert sind. Explosiv! Morgen berichten wir EXCLUSIV. Ich werde Ukulele spielen, Lieder singen, Kurzgeschichten und Ohrenbären lesen und zwischendurch soviel Radau machen wie möglich.

Es ist noch kühl, die Sonne wirft lange Schatten, möglich, dass ich gleich mein Rad ins Freie trage und davon fahre.

16:50

Eine Gruppe französisch sprechender Afrikaner im Media Markt, zwei Männer, eine Frau, alle Mitte 30, sehr sorgfältig gekleidet, geradezu königlich unter den schlampigen Schnäpchenjägern unseres GEIZGEILEN Proletariats, das es ja eigentlich nicht mehr gibt, eine Halle von beängstigenden Ausmaßen gleich nebenan, was das wird, weiß ich nicht, eine ungepflasterte Straße am Bahndamm, ein Teller Bandnudeln mit Kichererbsen, Möhren und fremdem Gewürz im Pepperoni zu Mittag, bei Axel, der nur noch im Rollstuhl sitzt, doch den Kopf nicht hängen lässt, zurück durch den Sonnenschein, Jochen beim Aufbau seines Verkaufsstandes, einst Hippie, Silberschmuckdreher, über die Jahre zum Kirmesbeschicker mutiert, außer sich, denn man hat ihm den Standplatz vertauscht und jetzt kann er nicht, wie er will. Es gibt Schlimmeres, sagt er zum Abschied. Es gibt Schlimmeres, Leute.

Mi 18.10.06   13:05

EXCLUSIV meldet: Mensing haut eine Lesung nach der anderen raus. Er springt, singt, hüpft und macht unanständige Geräusche, er improvisiert sich in Teufels Küche, und die Kinder, vier Lesungen, vier Klassen, die 3ten Klassen um acht, die er das Gruseln mit der Sackgasse 13 lehrte, die Erstklässler hinterher, mit denen er Lieder sang und denen er von weggezauberten Eltern erzählte, nach der Pause die zweiten Klassen, denen er aus dem 10. Mond vorlas und schließlich die vierten, Mensing hatte schon Schaum vorm Mund, denn man hatte Zugabe Zugabe geschrien, Mensing las Das Vampir Programm, es war mucksmäuschenstill, das alles an einem Morgen, man war platt.

Schönstes Erlebnis: die Diskussion darüber, wieviele Monde es gäbe. Wir hatten vorher über Mondphasen gesprochen, über Möglichkeiten, den zunehmenden Mond zu identifizieren, indem man den rechten Arm in seine Beuge legt, und bei abnehmendem den linken.

Schätzungen zu der Häufigkeit des Vollmondes reichten von einmal die Woche, alle vierzehn Tage, jeden Tag, Montag, eh wir schließlich über das Abzählen der Monate eines Jahres (erste Schätzung: zehn) schließlich zum korrekten Ergebnis gelangten, um daraus zu schließen, dass, wenn es einen Vollmond pro Monat gibt, es durchaus sein könne, dass es dann im Jahr zwölf davon geben müsse und das Buch Der zehnte Mond im Oktober spiele.

Basisarbeit.

Dass Kinder in dritten Klassen so etwas nicht wissen, hat mich schon einmal hart getroffen. Liebe Curricula-Entwerfer: denkt an den Mond. Vergesst die Sonne nicht. Auch nicht die Sterne. Macht eine schöne Geschichte daraus, wenngleich ich zugebe, dass die Schöpfungsgeschichte schön ist, vielleicht für Kinder noch eher zu begreifen, als eine naturwissenschaftlich fundierte.

Wichtig aber auf jeden Fall: erklärt ihnen die Welt. Schließlich leben sie hier.

FAZIT: vier Lesungen hintereinander sind machbar, erleichtert wurde das Engagement allerdings dadurch, dass jede Gruppe nur 45 Minuten hatte. In der Regel nehmen meine Lesungen zwei Schulstunden in Anspruch, davon lese ich eine, die zweite verplaudern wir. Heute blieb zum Plaudern keine Zeit. Schneller Gelderwerb also.

Jetzt lege ich mich aufs Ohr.

Das noch: wieso, fragte ich in der Lesung für 3te Klassen, ist denn das Kaninchen mit allen Wassern gewaschen? Und was bedeutet das eigentlich, mit allen Wassern gewaschen sein? Ein Junge mit offenem, runden Gesicht meldet sich und sagt, dass die Seeleute, die früher unter schweren Bedingungen die Meere überquerten, Stürme durchstanden und alle Art Wetter, als Menschen galten, die "mit allen Wassern gewaschen" waren, Menschen mit Erfahrung also, Menschen, die sich so leicht nichts vormachen lassen. Woher er das wisse, fragte ich begeistert, denn ich wusste die Herleitung nicht. Aus dem KIKA, dem Fernsehen also, Kinderkanal, das soll einer sagen, Fernsehen bildet nicht.

Nacht.

17:45

Gerade rief die Lehrerin an, mit der ich die Lesungen vereinbart hatte. Auf meiner Rechnung hatte ich Fahrtkosten aufgeführt. Wir hatten aber anderes vereinbart. Darauf wollte mich die Lehrerin aufmerksam machen. Sie druckste herum, als Kundin wahrscheinlich gewohnt, dass Kundenfreundlichkeit bei vielen noch immer ein Fremdwort ist. Man löst so etwas, indem man "kein Problem" sagt, "mein Fehler" sagt, sich entschuldigt und schon sind alle wieder glücklich. Jetzt streicht sie den Betrag von der Rechnung, fertig.

 

Do 19.10.06   13:37

Wie reagiert man, wenn eine CD, die im CD Geschäft auf dem Player läuft, so anfängt: Alles was wir so tun ist sinnlos. Unsere Zeit ist eine der dunkelsten Epochen, und wir fühlen uns oft so alleine...

Hmmm?

Wegrennen, okay, könnte man machen.

Wenn's gleich darauf aber hymnisch wird, wenn Pathos tropft und noch nicht überstandene Pubertät dem Texter/Sänger die Feder führt, wenn's kitschig ist und kracht und scheppert, wenn man Eleanor Rigby zu hören glaubt, Frere Jacque und die Internationale, wenn das alles auf einmal kommt mit oft komplex gebauten Songs, orchestral plus Mellotron, dann ist man bei Pendikel, eine Band, die seit zehn Jahren existiert und bei Blunoise veröffentlicht. Meine Frau mag sie nicht. Mir sind sie, wie geschildert, durch Zufall zu Ohren gekommen, und dann habe ich sie gekauft.

Vielleicht ist die Band sehr deutsch und gefällt mir deshalb.
Ich weiß es einfach nicht, aber ich höre sie jetzt seit zwei Tagen, vorhin sogar beim Bügeln, es gibt einen Kracher, die Zitatmaschine, ja, sie sind wohl sehr DEUTSCH, aber das bin ich ja auch.

Empfohlen demnach, oder? - Ja.

 

Fr 20.10.06   9:45

Vorgestern las ich dort, heute schon ist die Gage auf meinem Konto.
So etwas nenne ich prompt, so etwas macht gute Laune, genauso zahle auch ich meine Rechnungen, aber man hört, dass die Zahlungsmoral vieler anderer nicht so ist. Schade.

Alles redet von Unterschicht. Ich glaube, wenn es um Geld geht, um zur Verfügung stehendes Geld pro Monat, waren wir schon immer eher Unterschicht. Was uns unterscheidet, ist ein bescheidenes Maß an Bildung. Wir gehen ins Theater. Wir lesen Bücher. Wir gehen ins Kino. Wir lesen Tageszeitungen, nicht die Bild. Wir gestatten uns eine Meinung.

 

Sa 21.10.06   10:45

Eine Strickjacke der Marke Esprit hat die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. In einem Katalog der Firma sind an der Jacke nämlich Knöpfe mit einem dem Hakenkreuz ähnlichen Muster zu sehen. "Wir prüfen, ob wir ein Verfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen einleiten", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Entscheidend sei nun, ob das Muster vorsätzlich verbreitet wurde.

Auch ich trage Nazi-Symbole!!!
Schon seit Jahren. Eigentlich immer schon.
Mein Lieblingstrenchcoat hatte solche Knöpfe, meine Lederjacke hat auch so welche.
Was soll ich tun?
Muss ich mich jetzt selbst anzeigen?
Ich fürchte ja.
Schließlich bin ich ein guter Deutscher.

14:00

Weiß auch nicht, wie es dazu kam, aber nach mehreren Kaffees, nach dem Einkaufen und noch mehr Kaffees landete ich vorhin bei Max Webster, eine meiner Lieblingsbands in den Siebzigern, die ich gern laut und noch lauter hörte.

you can't make the world to order
like a hotel services food
take the sixties as a movier
take the seventies as a fuel
you've got a reason to be endless
because your mood is summer cool
let deliverance be existence
before this song becomes your fool (von: Max Webster "Mutiny up my sleeve" Capitol Records 1978)

 

Mo 23.10.06   9:28

Ein Glück, dass wir uns nur noch selten mit Turboprop-Flugzeugen in den Himmel schrauben wie vor Minuten hier überm Haus, das in der Abflug- und Anflugschneise den Flughafens Münster-Osnabrück liegt, eines, Gott sei's getrommelt und gepfiffen, nicht übermäßig betriebsamen Flughafens, aber wenn es so ist, vibrieren Himmel und Schreiben und was sonst auf gleicher Frequenz innerlich tobt, bis der Flieger schließlich gen Südost verschwunden ist.

Ich wollte aber von Theo erzählen. Theo ist sechzig geworden, Theo wollte ein Fest feiern mit Freunden und Bekannten, alle die kämen, sollten ihm nicht Geschenke bringen, sondern für Ärzte ohne Grenzen spenden. Das war sein Plan.

Theo meinte es gut.

Er ist groß gewachsen, er hat die typisch leichte Krümmung der oberen Halswirbel, mit der große Menschen sich unbewusst ein wenig kleiner zu machen versuchen, er hat einen grauen Schnauzbart, er hat freundliche blaue Augen und eine Tochter, die ihn beherrscht.

Das jedenfalls schien mir so, als wir, die Musiker der von ihm für diesen Abend gebuchten Band, das libanesische Restaurant betraten. Die Tochter diktierte gerade, wer neben wem sitzen sollte und warum. Wir begrüßten einander, wir besprachen den Ablauf, wir bauten unsere Instrumente auf.

Gleich neben der Tür war ein Dreier-Tisch für uns reserviert. Auf Tischkärtchen stand JAZZ LOMBO, ein Verschreiber, der im Verlauf des Abends noch an Bedeutung gewinnen wird. Wir, die Band, waren gebucht, weil Theo uns vor einem Jahr bei einem Fest der Marien-Kirche gesehen und gehört hatte. Als wir einander begrüßten, sagte ich ihm, dass ich ihn für diese Entscheidung bewundere, schließlich wisse er, was für eine Band wir wären, worauf er lachend antwortete, es kämen ja noch ganz andere Sachen.

Mit den anderen Sachen meinte er u.a. seinen besten Freund Harald (auch Mediziner), der angekündigt hatte, er wolle auf seiner Geige das ein- oder andere Stück zu Gehör bringen. Diesem Harald, da waren wir uns als Band recht schnell einig, war es zu verdanken, dass uns schon nach den ersten Tönen, die wir spielten, Einwände betreffs Lautstärke erreichten.

Sie erreichten nicht nur uns, sondern später auch die Betreiber des Restaurants, die in Zeiten, in denen weder Harald klassisch fidelte, noch die beiden "jungen Musikstudenten aus Detmold" auf E-Piano und Posaune Lieder aus Musicals darboten, oder, noch schlimmer und von allen bejubelt, Sangesgut aus den goldenen Zwanzigern (Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln....), das Restaurant mit arabischer Musik bespielten.

So kam es, dass wir, u.a. gebucht, um "Auferstanden aus Ruinen" oder die "Internationale" zu spielen, eher unbeachtet und so leise wie wir nur konnten vor uns hinspielten, um uns wenig später erneute Blicke von Harald einzufangen, einem akademischen Arschloch, das ohne Noten keinen selbständigen Ton spielen kann, ein Phänomen, das man bei fast allen klassisch gebildeten Musikern beobachten kann. Nehmt ihnen die Noten weg, und sie verstummen.

Nichtsdestotrotz (oder gerade deshalb) ist ihre Arroganz frei spielenden Musikanten gegenüber groß. Wir vermuten einen tief sitzenden Stachel des Neides, während wir eine ähnlich tief sitzende Abneigung gegenüber diesen akademischen Eisblöcken hegen, es beruht also auf Gegenseitigkeit.

Was immer wir unternahmen an diesem Abend, wir kamen zwischen 19:30 und 24:00 auf nicht mehr als sechzig bis siebzig Minuten reine Spielzeit, Applaus kam währenddessen so gut wie nicht vor. In den Zwischenzeiten (Essen, Bauchtanz, Harald mit Geige, etc....) saßen wir an unserem Dreiertisch und formten auf JAZZ LOMBO Sprüche wie: Lazy old Madam behaves oddly, Lästige Oberweiten mit Büstenhalten organisiert undsoweiter.

Die Köche und das Thekenpersonal hatten sich längst mit uns verbündet. Ich stand in engem Blickkontakt mit einem gut aussehenden, großen, sehr schlanken Koch. Wir sandten wahlweise Bestätigungen über die superbe Qualität des Essens bzw. über die ebenso superbe Qualität unserer Musik aus.

Als wir schließlich aus unserem Engagement entlassen wurden, es war kurz nach Mitternacht und unserem Gitarristen hätte man nicht noch einmal sagen dürfen, er spiele zu laut, zudem sich der Verdacht erhärtet hatte, Harald könne den Sound eines Keyboards nicht einmal von dem einer elektrischen Gitarre unterscheiden, schenkte uns der Chef des Restaurants eine Flasche Wein.

Theo, so vermute ich, hatte das alles ganz anders gewollt. Als er uns unsere Gage auszahlte, sagte ich ihm, wir hätten aber doch noch gar nicht die Internationale gespielt und würden das gern noch tun. Darauf antwortete Theo, die Gäste, für die dieses Lied bestimmt gewesen wäre, seien schon gegangen.

Wir fürchten nun, Theo hat sich dem Diktat des akademischen Harald, der womöglich die 68-Vergangenheit Theos schon nicht gutheißen mochte, nicht entziehen können, hat sich das Heft quasi aus der Hand nehmen lassen, was einem, wenn man seinen 60ten Geburtstag feiert, eigentlich nicht passieren sollte. Vielleicht hat er seine Gäste auch überschätzt. Vielleicht hat er geglaubt, dass sie für diesen Abend doch alle noch einmal 68er wären.

So war denn der Auftritt von Albert Early Bird und den Working Worms ein Reinfall erster Güte, nicht zu vergleichen mit unserem Auftritt in Siegen im vergangenen Sommer. Und es lag, wie geschildert, nicht an unserem Unvermögen, verschiedene Lieder swingend oder rockend darzubieten, sondern an Haralds Ignoranz. Tötet Harald, kann ich da nur ausrufen, tötet alle Haralds dieser Welt, denn sie leiden unter zu festen Stühlen, sie leiden unter Ordnungswut, sie leiden an Allergien und was der Plagen sonst noch sein mögen.

11:19

Im Übrigen aber war es ein Wochenende mit unerwarteten Höhepunkten.

 

Di 24. 10.06 9:10

Die Wetterfrösche künden vorübergehenden Herbst. Mir ist das lieb. Die Milde der letzten Wochen war mir nicht angenehm, wenngleich es wundervoll war, dass ich vor knapp drei Wochen auf der holländischen Insel Ameland noch im Meer schwimmen konnte. Dennoch. Mein westfälisches Herz sehnt sich nach Regen und Wind. Beides, sagen die Frösche, komme heute mit Macht.

12:30

Bringe meinen Roman "Der Vogel und der Zauberer" noch heute auf den Weg nach Hamburg, damit er den Astrid Lindgren Preis abräumen möge. Wahrscheinlicher aber ist, dass er auf dem Stapel "sehr gut, aber fällt zu sehr aus dem Rahmen" landen wird, wofür ich schon einmal einen bescheidenen Preis erhielt, den "Fällt aus dem Rahmen Preis" der Zeitschrift Eselsohr für den Roman "Flanken, Fouls und fiese Tricks". Er war damals mit 5 Milliarden Euro datiert, deshalb habe ich diesen ganzen Scheiß sowieso nicht mehr nötig.

13:28

Für die Liebhaber unter Ihnen ein Schmankerl, die Stationen meiner Lesetour 2005.

 

Mi 25.10.06   10:50

Endlich! Der ersehnte Preis.

Hermann Mensing
Der Schriftsteller verkörpert den Inbegriff der Männlichkeit - so hat es jedenfalls das Internet Magazin Ask-Men.com entschieden und den Star am Dienstag zum "Botschafter des männlichen Geschlechts gekürt. Auf der Basis von Leservorschlägen erstellte das Magazin eine List von 49 besonders männlichen Männern. Die Leser sollten dabei auf untrügliche Indizien achten wie Integrität, Charisma und Intelligenz. Hinter Mensing folgen auf den nächsten Plätzen der Rapper Jay-Z, Abenteurer Richard Branson, Radrennfahrer Lance Armstrong und Designer Tom Ford. Ex-US Präsident Clinton kam auf Platz 10, Golfer Tiger Woods auf Platz 13. Ganz schön männlich sind laut Magazin auch Rockstar Bono (27.), Appel Chef Steve Jobs (29.) und Regisseur Martin Scorcese (46.).

13:22

Die Proben zur dritten Folge der Soap haben begonnen. Gestern abend schaute ich zu. Die Stimmung war gelöst. Die Schauspieler arbeiteten in Gruppen, die einen übten Texte, mit anderen wurden Szenen inszeniert. Einer unserer Regisseure, der, den im Sommer der Blitz traf, der danach tot war, drei Minuten lang mausetot, reanimiert wurde und danach vier Wochen im Koma lag, ist jetzt wieder der alte, will sagen, er hat nichts als Unsinn im Kopf und inszenierte eine Szene bis an den Rand des für mich erträglichen.

Ich habe dennoch nichts gesagt, weil ich gelernt habe, dass Texte eine Sache, und Inszenierungen eine andere sind. Bisher sind meine inszenierten Texte erfolgreich, wir sind ein Team, und werden sehn, wo wir letztendlich landen.

Anschließend im Hot Jazz auf einer nicht sehr erfreulichen Session. Dieser blutleere Sänger war da, den ich zum ersten Mal vor zwei Jahren in Dortmund hörte. Er hatte My funny Valentine ins Deutsche übersetzt und wollte, dass wir das Lied in einer Salsa-Version spielten. Bitte sehr.

 

Do 26.10.06   8:30

Die Aussage „Soldaten sind Mörder stammt aus der Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“, die Kurt Tucholsky in der Zeitschrift Die Weltbühne Nr. 31, vom 4. August 1931 publizierte. Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel schrieb er:

„(...) Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. (...)“

75 Jahre später. Soldaten sind Aufbauhelfer mit internationalem Mandat. Der ein oder andere mag sich an den Kopf fassen und fragen, wie er in die zu befriedenden, weltfernen Regionen geraten ist. Afghanistan zum Beispiel, ein Land, in dem Großbritanniens Kolonialisierung zwecks Ausbeutung scheiterte, ebenso wie es Russland fast ein Jahrhundert danach nicht gelang, das Land unter Kontrolle zu bringen.

Dann aber fasste sich Amerika ein Herz.

Schließlich ging es gegen die Taliban und deren wahnwitzige Pläne, die westliche Welt zu terrorisieren.
Rumms wurden Streubombenteppiche gelegt und wenig später waren auch Deutsche Soldaten im Einsatz.
Frieden sichern. Straßen bauen. Etc.

Natürlich schießt man auf sie, hin und wieder. Und natürlich schießen unsere Soldaten zurück!!!
Was sollte Soldaten auch anderes tun. Die, die in Afghanistan Dienst tun, sind jung. Land, Sitten, Kultur, Infrastruktur, nichts hat mit dem zu tun, was ihren Alltag auszeichnete. Alles ist anders. Und zuhause feiert man Love Parades, Sozialabbau und die Globalisierung.

Soldaten fahren frühmorgens Patrouille und finden in einem Land, in dem seit fast 30 Jahren gemordet wird, was das Zeug hält, einen Totenschädel. Vielleicht haben sie ihn auch ausgegraben. Sie machen Fotos. Geschmacklose Fotos.

Die Fotos erscheinen in BILD (dir eine Meinung)

Alle politischen Volksvertreter äußern sich: "Unverantwortlich und unentschuldbar", "inakzeptabel", "eine Schande", "entsetzlich und ganz schlimm." etc.p.p.

So weit so gut.

11:30

Nachdem Sie nun Kaffee getrunken haben und es auf Mittag zugeht, sollten Sie entscheiden, was pervers ist: der schießende Soldat, der geschmacklose Soldat mit Totenschädel und präsentiertem Glied (Gewehr), die Fahnenweihe (oder wie das heißt), der Orden für Tapferkeit, George Bush...

Auch Mehrfachnennungen sind möglich.

14:10

Der Urin ist goldgelb, der Stuhl sämig, was will ein Mann meines Alters mehr....

16:23

Nun, er könnte sich outen. Er könnte sagen:

pervers, abscheulich, unentschuldbar, inakzeptabel ist das Töten von Menschen.
pervers, abscheulich, unentschuldbar, inakzeptabel ist, dass täglich tausende Mensche verhungern, verdursten, an Aids krepieren, während ich (vielleicht auch Sie) verfette(n) und zuschaue(n).

Reicht das? Danke.

 

Fr 27.10.06   14:20

Die wunderbare Warenwelt hat erneut Pforten für den geizgeilen Konsumenten eröffnet. Seit gestern früh 6 Uhr wird in Münster zurückgeschossen. Hunderte standen vor der Tür der neuen Saturn Filiale. Ich trat erst heute ein, vorbei an glatzköpfigem Security Personal, geradewegs in die Tiefen eines lautstark beschallten Verkaufsraum mit allem, was niemand braucht.

Die Stimmung sei gut, las und hörte ich gestern, der Konsum habe angezogen wie lange nicht mehr, so strich ich also herum und überlegte, ob nicht auch ich etwas kaufen könne, was ich nicht brauche. Eine Weile stand ich vor Prepaid Handys, eine Weile vor externen Festplatten, während zwei Gänge weiter unzählige LCD und Plasma Bildschirme ihren Vormittags- und Mittagsmüll aussonderten, für den die Sender nicht einmal bestraft werden.

Bedauernswerte Verkäufer, schlecht bezahlt zudem, werden tagein tagaus Belastungen ausgesetzt, die der Beschreibung spotten. Die Reduktion des Menschen auf den Konsum nimmt täglich absurdere Formen an, sodass es am Besten wäre, sich zu bescheiden und gar nichts mehr zu kaufen, bis auf das, was man isst oder hin oder wieder verschenken möchte.

Dieses Verhalten aber wird demnächst unter Strafe gestellt, man wird das Grundgesetz ändern.

Darauf freue ich mich. Ich werde dann endlich strafrechtlich verfolgt, wie es mir zusteht, denn so kann das nicht weitergehen. Ich kann mich nicht länger sträuben, ich muss endlich auch einmal Verträge abschließen, die mich über Jahre an ein Geldinstitut binden, ich muss endlich auch einmal spüren, wie es ist, wenn die Schuldnerberatung mir Vorschläge unterbreitet, wie ich meinem Elend entrinnen kann.

Bis dahin träume ich weiter meine kleinen Traum von einer Welt gegenseitigen Respekts und sehe zu, dass ich über die Runden komme.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz sehe ich reihenweise junge Menschen, die nicht einmal Zeit haben, ihren Kaffee, eigentlich untrügliches Zeichen für eine notwendige Pause, im Sitzen zu sich zu nehmen. Stattdessen balancieren sie heiße Pappbecher mit schlechtem Kaffee durch die Innenstadt, fahren Rad dabei, telefonieren sich in die Grauzone des Bankrotts und glauben, das alles müsse so sein.

Manno, bin ich kritisch heute.

 

Sa 28.10.06   9:25

Gebt mir Feedback......(Fall B. Pendikel, Don't cry Mondgesicht, Blunoise Records, kaufen....)

15:45

Aus Gronau zurück. Mein altes Gronau. Anlass der Reise war die Präsentation eines Buches über das musik-kulturelle Leben der Stadt der letzten 100 Jahre. Heimatkunde. Was es da alles gab! Deutsch-niederländische Operettengesellschaften, Chöre, Sänger, Orchester, Jazz-Bands, häufig sind die Musiker von beiden Seiten der Grenze.

Die Nazi-Diktatur macht vielem ein Ende, deutsche Musiker ziehen sich über den Grenze nach Enschede zurück, wenn sie Jazz spielen wollen, dann kommt der Krieg, beide Städte werden von Luftangriffen schwer getroffen, danach geht es langsam bergauf.

Wieder Tanzorchester, Säle auf dieser und der anderen Seite der Grenze, die alten Freundschaften existieren noch oder werden wiederbelebt, neue entstehen, der Jazz bringt Menschen zusammen, Udo, unser Udo, taucht auf und ist schon bald fort, die Beat-Szene ist lebendig.

All das wird in diesem Buch dokumentiert. Also liebe ich Gronau doch.

 

So 29.10.06   11:00

Klick an. Zitatmaschine: Wer will schon bleiben? Kalt, nass, elend; furchtbares Essen, entsetzliche Zeitungen - wer will schon bleiben? In einem Land, wo man nie willkommen ist, nur geduldet. Bloß geduldet. Als wärst du ein Tier, das endlich stubenrein geworden ist. Wer will schon bleiben? (2)

 

Mo 30.10.06   9:00

Alle sind bedeutend, ich nicht. Deshalb zünde ich einen Bus an. Erschlage einen Neger. Ersteche einen Mann. Schiebe einen Rollstuhlfahrer über die Klippe. Erschieße einen Lehrer. Entführe einen Kindergarten. Vergewaltige eine Bundestagsabgeordnete....

Auch Sie sind unbedeutend?

Dann vervollständigen Sie bitte diese Liste....

10:10

Eigentlich hatten wir Hackfleisch kaufen wollen, als wir Samstag aus Gronau zurückkehrten, aber dann stand im Extra Markt dieses kleine Radio und da ich die Aufrufe zur Rettung der Welt durch Konsum noch im Ohr hatte, habe ich es gekauft. Es funktionierte. Es spielte Cassetten und CD's, es sah gut aus und ich war zufrieden. Am nächsten Morgen funktionierte es aber schon nicht mehr, und so habe ich es heute früh zurückgebracht. Schade, denn ich hatte angefangen, es zu mögen.

 

14:02

Tja, was soll ich sagen, nach dem Tausch bin ein wenig traurig nach Hause gefahren, habe entschieden, dass der Roman, den ich im Kopf habe, mich heute kreuzweise darf, wäre, hätte ich Mut, in eine Metropole gefahren/geflogen, sagen wir, Madrid, da war ich noch nicht, da ich aber ein eingeborener Schisser bin und mich für meine Privilegien schäme, musste es eine andere Stadt sein, eine, die auch mit M beginnt, aber mit Ünster endet. Die erreichte ich per Rad über Umwege und Zwischenstationen, um schließlich ein neues Radio zu erstehen. Es sieht genauso aus und nun hoffe ich, dass es drei Jahre hält. Falls nicht, Prozess am Hals...

 

Di 31.10.06   9:35

Um zu demonstrieren, das alles fließt und eins zum nächsten führt, diese kleine Geschichte. Nachdem ich mir das Radio zum zweiten Mal gekauft hatte, stellte ich es auf meine Fensterbank und machte mich über meine Cassetten-Sammlung her, grob geschätzt etwa 100 Cassetten, die letzten zu Ende des vorigen Jahrhunderts aufgenommen, darunter eine, die ich lange nicht mehr gehört hatte, eine Live-Aufnahme von Katamaran, eine Band, mit der ich in den Siebzigern gespielt habe: der Mittschnitt eines Gigs im Quartier Latin Berlin im Juni 1976. Während ich die Cassette spielte, surfte ich ein wenig im Netz und stieß beim Googlen unter Katamaran Jazz Rock auf diese Webseite. Ich schrieb Tom eine Mail, heute früh schrieb er zurück, mal sehn, was aus diesem Kontakt wird.

11:59

Hach, ich bin so traurig heute,
gestern war ich doch noch froh,
jedem bin ich leichte Beute,
und ich sehn mich so...

Sehne mich, wonach, ich weiß nicht,
freue mich, worüber denn,
hätte gern, ich schätze, mehr Licht,
wenn ich durch mein Dunkel renn...



 

 

 

 

 

 

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1. Uwe Timm, Morenga, Roman, dtv 2006, Seite 332 //  2. Zadie Smith, Zähne Zeiten, Roman, Knaur 2002, Seite 483 //

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