Skulptur Projekte 2017                       www.hermann-mensing.de      

    

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Subjektive Begegnungen
/ status nascendi

10.06.17

Nicht, dass Sie glauben, Sie seien auf der offiziellen Seite der Skulptur Projekte 2017, nein, nein, dies ist nichts weiter als die Fortschreibung dessen, was ich vor 10 Jahren schon einmal versucht habe. Näher kann ich dieser Standortbestimmung zeitgenössischer Kunst, die zeitgleich mit ähnlichen Versuchen in Kassel und Venedig stattfindet, nicht kommen. Kunst entsteht immer im Auge des Betrachters, ist also eine höchst subjektive Angelegenheit, und das ist schon fast das Schönste an ihr.

Dem einen öffnet sie sich, dem anderen nicht. Es gibt keine allgemein gültige Lesart, also lassen Sie sich kein X für ein U vormachen, treten Sie jeder Arbeit, die Sie in und um Münster sehen, auch denen, die von vorherigen Skulptur-Projekten stehengeblieben- , von der Stadt angekauft und längst akzeptierter Teil des Stadtbildes sind, so arglos gegenüber, als wären Sie ein Kind und dürften jede Frage stellen. Fragen sind eine universelle Strategie, den Dingen auf den Grund zu gehen, insofern ist jede Frage subversiv. Fragen Sie. Wenn die Anwort sich in Fremdworte flüchtet, bitten Sie um Hochdeutsch. Wenn Ihnen Hochdeutsch verweigert wird, gehen Sie davon aus, dass Sie es mit Idioten zu tun haben. Von denen werden Sie nichts erfahren, die gehen auf Nummer Sicher. Jetzt aber wünsche ich Ihnen viel Vergnügen, denn darum geht es bei der Kunst unter anderem auch.


12.06.17

Natürlich weiß auch ich nicht, was der Fall ist. Das wusste nicht einmal Wittgenstein. Ich kann nur sehen. Vom Hörensagen weiß ich das ein oder andere, ich lese, aber ich lese nie zu viel, zu viel lesen macht dumm. Ich sitze am Tag der Eröffnung auf der Terrasse des Museumscafés, drinnen halten die Verantwortlichen ihre Reden, hier draußen flanieren die, die es wegen Überfüllung nicht hinein geschafft haben. Verschiedene Sprachen, modische Extravaganzen, Männer, Frauen, Junge, Alte, eine mit Händen zu greifende Arroganz, Sonne.
Vor einer Säule zum Aufgang ins Patio des Museums steht ein älterer, grauhaariger Mann in schwarzem Anzug und Reiterhelm. Mit links hält er an eine mehr als mannshohe Stange mit einem Durchfahrt Verboten Verkehrszeichen. Darauf steht:

Staat US(Dollarzeichen) Quo

Der Mann steht auf einer rechteckigen, rotweißen Bodenplatte. Freiheitsschutzzone steht darauf. In der rechten Hand hält er eine Reitgerte, die er regelmäßig durch die Luft zischen lässt. Vorwärts! ruft er den Vorbeigehenden zu. Vorwärts! Vorwärts! Rückwärts! Irgendwann nimmt er den Hut ab, legt das Schild schräg über die Freiheitsschutzzone, den Reithelm und die Gerte daneben, schaut zu mir herüber und sagt, ein alter Mann muss auch mal sitzen. Dann geht er an einen Tisch, trinkt und raucht.

Cosima von Bonin / Tom Burr

Benz Bonin Burr

Vorm Museum steht eine Henry Moore Skulptur. Sie ist Teil einer Retrospektive des LWL, und hat mit den Skulptur Projekten nichts zu tun. Tom Burr, ein amerikanischer Künstler, der augenblicklich im Kunstverein ausstellt, und Cosima von Bonin haben sie als Bezugspunkt einer eigenen Arbeit im Rahmen der Skulptur-Projekte gemacht.

Es handelt sich um einen Tieflader. Er steht parallel zur Straße und zum Vorplatz des Museums. Am Ende der Ladefläche steht eine große schwarze Box, ein Container, der groß genug scheint, die Moore Skulptur darin zu verpacken. Den LKW sah ich schon vor etwa einer Woche. Die Black Box stand noch nicht auf der Ladefläche, und ich dachte, der LKW habe etwas angeliefert, wenngleich mir seine Parkposition ungewöhnlich vorkam. Dann kam die Black Box hinzu, die Eröffnung der Skulpturen näherte sich, und ich ahnte, dass ich es mit Kunst zu tun hatte, nicht mit einem LKW, der etwas liefert, abholt oder als Prellbock gegen terroristische Anschläge bei der Eröffnungsfeier fungiert.

Was "Benz Bonin Burr" genannt zu Kunst macht? Woher soll ich das wissen? Die Tatsache vielleicht, dass sie im öffentlichen Raum im Kontext einer alle zehn Jahre stattfindenden Show zu sehen ist? Das wäre ein bisschen wenig. Faktisch steht da ein Tieflader von Mercedes Benz, ein großer LKW, der bis in den Oktober dort stehen wird und sich nicht artgerecht verhält. Man kann ihm zugute halten, dass er in dieser Zeit keine Schadstoffe ausstößt. Ob diese Installation, Skulptur ist das nicht, ein Kommentar zu Henry Moore ist, eine Aufforderung etwa, die Skulptur zu entfernen, oder ein Aufatmen, weil sie endlich angekommen und aufgebaut ist, wer weiß. Was sonst könnte ich mir erklären? Dass der Tieflader, die auf der Ladefläche stehende Black Box und seine Position zwischen Straße und Vorplatz (den Fußgängerbereich nicht verengend) den Raum definiert, die Sichtachsen verändert, Fragen stellt? Bitte ja. Das alles wäre möglich. Hatte Kunst nicht immer etwas Postfaktisches?

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Ken Hamazaki

The Red Tea Ceremony

Ich sitze wieder da, wo ich vorgestern saß, um vorm Heimfahren noch einen Cappuccino zu trinken und die Kunsttouristen zu beobachten, ganz Japan scheint unterwegs. Zwei Männer kommen heran. Auch sie - Japaner. Einer ist rot gekleidet, kahlköpfig und weiß geschminkt. Der andere geht hinter ihm und zieht einen Koffer. Die beiden verschwinden hinter der Fahrerkabine. Nach einer Weile werden Dinge auf die Ladefläche des Tiefladers gelegt. Jetzt kann ich die beiden Männer auch wieder sehen. Der, der den Koffer zog, trägt einen blauen Kimono. So ein Arbeitshosenblau. Sie legen einen großen roten Sonnenschirm, eine Thermoskanne, lackierte und goldene Gefäße, eine Klangschale, einen Quirl, Matten und rote Kissen auf die Ladefläche. Der weiß geschminkte Mann klettert hinauf und arrangiert alles mit mit großer Sorgfalt.

Als er fertig ist, kniet er auf einem der Kissen nieder und wird bewegungslos. Plötzlich erscheint eine Frau mit Barret und kniet sich ihm gegenüber. Die beiden verbeugen sich. Eine Teezeremonie beginnt. Als die Frau den Tee getrunken und die goldene Schale wieder abgesetzt hat, schlägt er gegen eine Klangschale. Man verbeugt sich, die Zeremonie ist beendet. Die Frau steigt von der Ladefläche, hakt einen Mann unter und geht lachend mit ihm fort. Der nächste Zuschauer steigt auf die Ladefläche, ein Japaner. Danach eine Japanerin und noch eine. Jeder Handgriff des rotgekleideten Mannes ist choreographiert, jedes Mal machte er die gleichen Griffe. Jetzt will ich aber. Ich steige auf die Ladefläche und knie mich hin. Wir verbeugen uns, er reicht mir eine kleine rote, viereckige Schachtel. Ich nehme und öffne sie. Es ist ein kleiner Kuchen darin. Er bedeutet mir, ihn zu essen, was ich auch mache. Dann nimmt er eine rote Stoffserviette, die links hinterm Hosenbund steckte, faltet sie zu einem Dreieck, streicht mit dem Zeigefinger von einem zum anderen Ende, faltet sie noch einmal, streicht wieder darüber, rollt sie zusammen, zieht einen Bambuslöffel aus dem Oberteil seines Anzugs, streicht damit über die Serviette, reinigt ihn damit, und öffnet eine lackierte Schale, in der grünes Pulver ist. Mit dem Bambuslöffel schaufelt er etwas Pulver in eine Messingschale, gießt aus einer roten Thermoskanne heißes Wasser darüber, nimmt einen Bambusquirl, dessen äußere Borsten länger sind als die inneren, und quirlt das grüne Pulver kräftig auf. Das Pulver war giftgrün. Er stellt den Quirl auf einen kleinen Ständer, reicht mir die Trinkschale und verbeugt sich. Ich verbeuge mich ebenfalls, trinke und setze die Schale ab. Er schlägt gegen eine Klangschale. Nochmalige Verbeugung. Dann nimmt er die kleine rote Schachtel und faltet die Außenseite nach innen. Jetzt ist sie eine weiße Schachtel mit Ohren. Your are God, steht darauf. Dann gibt er mir eine Autogrammkarte.

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Aram Bartholl

Beim Pumpenhaus ist eine kleine städtische Grünanlage als Atempause am viel befahrenen Lublin- bzw. Niedersachsenring. Ganz hinten im Eck hat Aram Bartholl eine Feuerstelle eingerichtet. An dieser Feuerstelle sitzt jemand, der das Feuer in Gang hält, ohne das diese Installation keinerlei Sinn machte. Das Feuer als Katalysator für die menschliche Entwicklung liefert Wärme=Energie, und ist ein Ort, an dem Menschen gern zusammenkommen. An drei Orten der Stadt hat Bartholl Installationen eingerichtet, die Feuer in elektrische Energie umwandeln, mit jeder bezieht er sich auf diese Orte. Man kann mit der erzeugten Energie Handys aufladen, über WLan in einen Server gelangen, der nicht ans Internet angeschlossen ist, aber Auskunft über ein Leben ohne Internet gibt, in einem Tunnel wird mit Teelichtern Energie für Kronleuchter erzeugt.

Am Morgen, als ich am Feuer war, fanden sich leicht mehrere Menschen, die miteinander ins Gespräch kamen, was etwas sehr Schönes ist. Was aber nun die Kunst anlangt, da weiß ich auch hier wieder keiner Rat, denn dieses Projekt arbeitet mit physikalischen Grundprinzipien, die man in Physikbüchern nachlesen kann, wo niemand auf den Gedanke käme, er habe es mit Kunst zu tun. Ich bin auf diesen Gedanken auch nicht gekommen. Mein Begleiter, jemand, der nach einem Schlaganfall seit 12 Jahren im Rollstuhl sitzt, fragte, nachdem ich seinen Rollstuhl in Stellung gebracht, sprich, so nahe wie möglich an die Feuerstelle bugsiert hatte, und wo ist die Skulptur? Dort, sagte ich, aber es ist eine Installation. Haben wir es also mit einem Künstler oder mit einem Installateur zu tun? Sie werden sich diesen und ähnlichen Fragen aussetzen, wenn sie die Skulpturen Projekte in Münster besuchen. Sie tun das freiwillig. Die Fachjournaille sagt, Münster sei spannender als die Dokumenta. Auch das müssen Sie selbst herausfinden. Ich hadere noch. Ich nehme mir natürlich Zeit, ich bin ja vor Ort, ich muss nicht alles an einem Tag sehen, manches habe ich im Vorüberfahren wahrgenommen, aber Begeisterung hat sich noch nicht eingestellt, wenngleich der Ort für 100 Tage ein gänzlich anderer ist, was, denke ich, auch Kunst ist.

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Emeka Ogboh

Passage thorugh Moondog / Quiet Storm

Angenommen, die Dinge verwirrten sie, ein Zustand, der so beunruhigend wie anregend sein kann, wäre er von eben dieser schwer greifbaren Kunst hervorgerufen, und das bewiese, dass zwischen den Skulpturen- Installationen- Projekten und Ihnen etwas vorgeht. Was, wissen Sie nicht, aber etwas geht vor. Möglicherweise Kunst. Lassen Sie das auf an einem keinen Steinwurf von der Feuerstelle entfernt stehenden kleinen, grün gestrichenen Holzkiosk auf sich wirken, denn hier gibt es ein Bier, das speziell für die Skulpturen-Projekte 2017 gebraut worden ist. Es heißt Quiet Storm. Ich habe es noch nicht getrunken, werde es aber als nächstes tun. Wie das ausgeht, erfahren Sie oder auch nicht.

Emeka Ogboh hat aber nicht nur Bier gebraut, sondern auch den Hamburger Tunnel mit Lautsprechern versehen, die er mit Soundscapes, Musik und Gedichten von Moondog bespielt. Im Tunnel ist immer viel los, Menschen mit Rollkoffern, Straßenmusiker und Bettler. Der Hauptbahnhof wurde in den letzten zwei Jahren umgebaut, so dass alle, die mit dem Bus kamen und mit dem Zug weiterfahren wollten, hier durch mussten, Heute wird der neue Hauptbahnhof eröffnet, und ich nehme an, ab sofort wird dort ruhiger, so dass man mehr Muße findet, sich einzuhören in die Soundscapes von Ogboh.

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Nairy Baghraman


Beliebte Stellen / Privileged points

Baghramians Skulptur ließ mich spontan an einen durchgeschnittenen Wurm oder eine Raupe denken, deren Teile mit an die von Orthopädie benutzten Klammern bei schweren Ober- oder Unterschenkelbrüchen gehalten wird. Von dieser sich mir aufdrängenden Assoziation ist in den Erklärungen nur teilweise die Rede, aber Assoziationen sind an sozio-kulturelle Hintergründe und Erfahrungen gekoppelt und so individuell wie der Betrachter einer Skulptur.

Tatsächlich wird im Begleittext von einer sich auf den Raum beziehende und auf dort platzierte, frühere Arbeiten gesprochen. Diese ist aus Bronze, was durch die Lackierung nicht offensichtlich wird, und die so, wie der Betrachter sie vorfindet, nicht vollendet ist. Nicht vollendet will heißen, sie würde erst nach Ankauf zusammengeschweißt, aber das sieht man nicht, das muss man nachlesen. Hinterm Erbdrostenhof finden sich weitere Elemente, diese sind weiß.

Dass sich die Elemente vorm Erbdrostenhof auf den Raum beziehen, mag rechnerisch richtig sein, sichtbar ist es nicht. Dass sie sich auf Serra (1997) und Siekmann (2007) beziehen, ist noch wieder etwas anderes. An Siekmann habe ich keine Erinnerung, sehr wohl aber die Skulptur von Serra, eine der schönsten, die im Rahmen der Skulptur Projekte bisher in Münster zu sehen waren. Bei Serra wurde mir sofort klar, worauf sich seine Skulptur bezieht. Wenn Skulptur den Raum in neue Sichtachsen teilen- oder die Beziehungen zwischen ihr und den umliegenden Gebäuden interpretieren und neu definieren will, und dies nicht durch die Kraft ihres Materials und ihre bloßen Existenz, sondern nur durch das Lesen des beigefügten Textes schafft, habe ich ein Problem. Bei Serra hatte ich keines. Bei Serra fügten sich Raum, im Hintergrund liegendes Gebäude (Erbdrostenhof), Material und Form zu einer mich überzeugenden Arbeit. Baghramian erzeugt ein diffuses Gefühl, vielleicht sogar ein latentes Unwohlsein, möglich auch, das einer Bedrohung durch eine eher außerirdische Lebensform, einen eher ekelhaften Wurm oder war immer das auch sein mag.


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Gintersdorfer/Klaßen

Erniedrigung ist nicht das Ende der Welt

Ein afrikanische Schauspieler, Dr. Bier Bier genannt, hat die Bühne schon vor einer Weile verlassen. Er hat viel erzählt. Er hat versucht, seinen absurd langen, bis auf den Boden reichenden, mehr als handbreiten Schlips in ein Bierglas zu versenken, hat über Claude Ahmed erzählt, den christlichen Muslim, hat von Afrika gesprochen und dass jetzt alle kommen. Dann hat er sich umgedreht und ist gegangen. Sein deutscher Kollege hat ihr gemeinsames Staunen über- ihre Furcht vor - und ihr Fremdsein in diese(r) Welt weiter getrieben, verhackstückt und vertanzt. Falls das Tanz war.

Und dann ist auch er hinter den beige und schwarzen Stellwänden (über Eck gestellt) aus gefaltetem Leichtmetall, (rechteckig, innen hohl) verschwunden. Ratlosigkeit ringsum. Kommt noch was? Klatscht man? Darf man Kunst beklatschen? Ist die Perfomance beendet? Das war es doch, oder, eine Performance? Oder war es Theater über eine Welt, von der jeder weiß, dass sie verloren ist, niemand Schuld hat, weil alle schuldig sind, und man so viele Namen nennen kann, wie man will, alle sind schuldlos und in Gottes Namen Verbrecher.

Egal was es war. Kein Wunder jedenfalls, dass es gibt, was es gibt auf der Welt. Alles geschieht uns recht. Alles ist Kunst und auch wieder nicht. Die größte Kunst wäre die Abschaffung derselben, aber das traut sich niemand. Wollen wir also weiter über Kunst sprechen? Darüber, was sie ist und kann? Kann sie dank ihrer gestalterischen Kraft wahrheitsgetreu spiegeln, was der Fall ist, oder ist sie nur eine weitere Form der Unterhaltung für reisefreudige Menschen aus aller Welt, vor allem solcher aus Japan? Ich hätte nichts dagegen, wenn sie Letzeres wäre, dann hätten die geschwollene Reden über Kunst endlich ein Ende.

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Zwischentext aus gegebenem Anlass

Bazon Brock: Theorie der Avantgarde

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Jeremy Deller

Speak to the Earth and it Will Tell You

2007 verteilte Jeremy Delle im Rahmen der Skulptur-Projekte Tagebücher an münsteraner Kleingartenvereine, und bat sie, über die nächsten 10 Jahre aufzuschreiben, was in einem Kleingartenjahr alles getan werden muss, wie es wächst, ob es zu warm, zu trocken, zu kalt, zu nass oder sonst etwas war. Jetzt, zehn Jahre später, liegen über dreißig dicke grüne Tagebücher in einem Garten der Kleingartenanlage Mühlenfeld aus, eine Anlage, kaum zweihundert Meter vom Pumpenhaus entfernt. Der Verkehrslärm des Lublinringes liegt über den Gärten, und erst, wenn man in die Tiefe der Anlage vordringt, ebbt er langsam ab. Das Mühlenfeld ist sehr ordentlich. Gleich zu Anfang ist ein Kinderspielplatz, dann kommt eine Kneipe, breite, schnurgerade Wege, Flaggen an Masten, die Fenster mancher Gartenhäuser vergittert, ich nehme an, man hat Erfahrung mit Nachtschwärmern.

Ich grüße einen Mann Ende Siebzig, der sich in einem Garten zu schaffen macht, und gerate über seine gut im Wuchs stehenden Kartoffeln in ein Gespräch. Ob es nicht zu trocken sei, frage ich, und er sagt, eigentlich könne er nicht klagen, er habe kaum mehr wässern müssen als in anderen Jahren, und ich denke, vielleicht liegt das daran, dass die Anlage parallel zur Aa liegt, also mehr Grundwasser hat als andere Gärten. Von den Kartoffeln hätte er schon welche ausgemacht, sagt er, wunderbar wären die, nur die Möhren, die kämen nicht dieses Jahr.

Die Tagebücher liegen in einem roten Gartenhäuschen aus. Zwei Japanerinnen, die ich an Bartholis Feuerstelle und im Pumpenhaus sah, sind auch schon da. Ein Regal steht darin, auf dem alle Tagebücher geordnet stehen, ein kleiner Tisch, damit man lesen kann, vorm Häuschen eine Veranda, ein Tisch und Stühle. Der Schrebergarten ist etwas sehr deutsches, und ich nehme an, die Japanerinnen haben so etwas noch nie gesehen. Man hört, dass japanische Metropolenbewohner zuweilen stundenlange Anfahrten in Kauf nehmen, um irgendwo ein kleines Stück Land zu beackern, ähnlich dem, was in Deutschland Grabeland genannt wird, eine Fläche, die temporär zur Verfügung steht, aber nicht bebaut werden kann. Da sitzen sie also, ratlos. Ich nehme an, sie haben einen Tag, um alles zu sehen, und einen, um woanders alles zu sehen, und blättern in einem Tagebuch. Ich hätte gern gefragt, was sie denken, ließ sie aber in ihrer Verwunderung in Frieden.

Ich nahm das Buch der Kleingartenanlage "Am Kinderbach" aus dem Regal, und setzte mich nach draußen.

28. Juni 2008: Wir werden versuchen, unsere Beobachtungen zu Papier zu bringen. 8 Kirschen haben uns die Vögel auf dem Baum gelassen. Im letzten Jahr waren es gar keine. Die Radieschen im Hochbeet wachsen granatenmäßig. Dafür wqollen die Kartoffeln am Boden gar nicht kommen. Erstmalig in diesem Jahren probieren wir es mit Winterporree. Die Witterung ist günstig: mal Sonne, mal Sprühregen.


Im Tagebuch der "Wienburg" fand ich folgenden Eintrag.

Wienburg 28.10.2011 Heute wurde unser Garten Nr.4 begutachtet. Für uns gehen 30 Jahre Kleingarten zu Ende. Unsere Kinder sind groß, und auch die Arbeit wurde schwer und zuviel. Die gesamte Zeit möchten wir nicht vermissen, denn viele Freundschaften werden weiter Bestand haben. Auch darauf freuen wir uns. Allen Gärtnerinnen und Gärtnern wünsche wir guten Zusammenhalt, getreu dem Motto: Alle können voneinander lernen.


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Ayse Erkmen, Pierre Huyghe, Oscar Tuazon

Ich weiß, es geht drunter und drüber, aber so ist es nun mal, man nähert sich der Kunst immer auf dem Weg, der sich ergibt und einem am natürlichsten erscheint, an jenem Tag, zu jener Stunde, an jenem Ort. Ich kam von der Überwasserläufern, Jesus und Kneipp-begeisterte Kunstsinnige. Das einzige, was ich mir von dieser Installation erhofft hatte, war, das jemand ins Wasser fiele, aber ich wurde enttäuscht. Vorher war ich in der Eishalle. Der Pfau, von dem ich gehört hatte, das poetischte Element der diesjährigen Skulpturen, das mir bisher untergekommen wäre, sieht man von der Red Tea Ceremony ab, war nicht da. Er hatte die Beklemmung, das Klima und die nicht vorhandene Vegetation in Pierre Huyghes Installation nicht vertragen. Nicht, dass er tot umgefallen wäre, nein, das wohl nicht, aber es sei "nicht gesund", hieß es.

Naturgemäß brauchte ich danach etwas Heiteres. Der Steg, den ein weiblicher Guide zu retten versuchte, indem sie erklärte, die Menschen liefen nicht über's Wasser, diese Illusion sei nicht intendiert, wie fälschlicherweile auch im Skulpturen-Plan zu lesen, vielmehr habe Erkmen analog zu Mimigernaford, wie die verstreuten, zugigen Hütten mit Außentoilette an einer Furt durch die Aa hießen, als Luitger begann, die dort lebenden Heiden zu christianisieren, eine Furt gebaut, die zwei voneinander getrennte urbane Räume miteinander verbinde. Aha, gut, toll.

Sofort war mir wieder nach etwas Trostlosem, noch trostloser als Mika Rottenbergs Asisashop an der Gartenstraße, und da kam Oscar Tuazon mit seiner auf einer kanalnahen Industriebrache unterhalb der Brücke am Albersloher Weg gebauten Betonskulptur "Burn the Framework" (Verbrennt die Verschalung) gerade richtig. Ich zitiere: Tuazons skulpturale Konstruktionen aus Holz, Beton und Stahl bewegen sich an der Schnittstelle zur Architektur. Sie entstehen in Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Ausstellungskontextes sowie provisorischen Außenraumstrukturen. Auf einer Industriebrache an Kanal platziert er ein zylinderförmiges Betonobjekt, das all öffentliche Feuerstelle, Grill, Aufwärmsplatz und Aussichtsturm dient.

Von Erkmens Steg kommend fuhr ich an einem Gefahrgutlager (Kein Rauchen, kein offenes Feuer) vorbei und kam schnell in unkontrolliertes, wildes Land. Ich nehme an, die Investoren scharren längst mit den Hufen, aber noch gibt es dort nichts außer Büschen, zwischen denen Obdachlose Zelte aufgebaut haben, aufgebrochene Betonböden und Müll. Und eben da steht dieser Turm - ein Türmchen eher, aber alles andere als lieblich. Wenn Kunst nun eine Metapher wäre, was ich insgeheim glaube, wäre diese gut gewählt. Feuer, eine gegrille Wurst, Wärme und ein bisschen Aussicht können nie schaden. Wenn Kunst also eine Metapher wäre, hätte ich keine Einwände. Wäre sie keine, schlüge ich vor, die im Titel geforderte Verbrennung der Verschalung auf den sofortigen Abriss des Ganzen zu erweitern. Das wäre zur eine Metapher, die den Kunstmarkt entlarvte. Aber so weit wollten die Skulptur-Projekt Organisationen die Sache offensichtlich nicht treiben.


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Aram Bartholl

Nun habe ich auch die zweite Arbeit von Aram Bartholi gesehen, Kronleuchter, deren LED-Lichter von durch Teelichter erzeugten Strom erhellt werden. Sie hängen in einem Tunnel, der vom Schlossplatz zum H1, einem Hörsaal, führt. Er ist schon lange nicht mehr in Gebrauch. Da unten ist es beklemmend, und das nicht, weil die Kronleuchter nur gedämpftes Licht geben, nein, es ist einfach ein trostloser Tunnel, aber die Kronleuchter wirken festlich. Man geht hindurch. An einem Ende sitzt eine Aufsicht. Ich sage, da haben Sie sich einen düsteren Arbeitsplatz ausgesucht. Sie lächelt. Ein älterer Mann fotografiert einen Kronleuchter, wie überhaupt überall Kunst fotografiert wird. Mit Smartphones zumeist, die glänzende Abbilder suggerieren, in Wirklichkeit aber oft flach sind. Wie zuhause diese digitalisierte Kunst wirkt, die, aus jedem Zusammenhang gerissen, keine Kunst mehr ist, weil sie nicht mit ihrer Umgebung interagieren kann, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wird man sich fragen, was man da fotografiert hat. Ich weiß aber, dass das Fotografieren von Landschaft, Stadt oder - wie in diesem Falle - Kunst, ein sehr schwieriges Geschäft ist, das nur von wenigen beherrscht wird. Und natürlich, wie bei all diesen Skulptur-Projekten in der Stadt, was zum Teufel hat das mit Kunst zu tun.

Ich habe begonnen, mich über die Hintergründe der einzelnen Arbeiten umfassender zu informieren. Mein Antrieb dazu war die Frage, ob diese Kunst nur dann Kunst ist, wenn man sich mit dem Künstler, mit dieser und seinen früheren Arbeiten auseinandersetzt. Macht die Summe all seiner Arbeit die Kunst der Gegenwart? Legitimiert sie sich durch Kontinuität? All das weiß ich nicht, weil ich mich schwer tue mit einer Kunst, die Erklärung benötigt, statt auf ihre Wirkung zu vertrauen.

Wie überrascht war ich zum Beispiel, als ich erfuhr, dass es Ayse Erkmen war, die 1997 eine Madonnenskulptur unter einem Hubschrauber hängend um die Innenstadt und den Dom kreisen ließ. Ich erinnere mich, dass mir das damals sehr gefiel.
Und 2017 nun dieser Steg. Gewinnt der, wenn ich weiß, dass Frau Erkmen vor zwanzig Jahren die Madonna fliegen ließ? Man muss sich entscheiden. Man muss die Worte abwägen. Aber letzten Endes bin ich dann wieder da, wo ich anfing.



Justin Matherly

Nietzsches Fels

Nietzsches Fels steht auf einer Wiese, um die gern Tagträumer sitzen und trinken. Das Denkmal für die Deutsche Einheit steht auf derselben Wiese. Ich war auf der Promenade unterwegs und wusste, dass da etwas ist, hatte es aber noch nicht gesehen. Als ich es sah, dachte ich , aha, da ist etwas, das ich erkennen kann. Etwas, das mir bekannt vorkommt. Das mich an etwas erinnert. An einen Fels. Ich fuhr also hin, ich umkreiste ihn, ich stieg ab und klopfte drauf, weil ich wissen wollte, woraus er gemacht ist.

An seiner Nordflanke standen Menschen und ließen sich den Fels erklären. Das also ist Nietzsches Fels, den es im Oberengadin tatsächlich gibt, und man sagt, dort sei Nietzsche die Idee von der Wiederkehr des ewig Gleichen gekommen. Ideen kommen und gehen, da ist es schön, wenn man sie mit einem Fels am See in Verbindung bringen kann. Und dass dann auch noch Kunst draus wird. Also ich hatte so eine Idee noch nicht. Ich gehe davon aus, dass Herr Matherly Gründe hatte, den Fels gerade hier aufzustellen. Seine Skulptur macht es mir im Vergleich zu dem, was ich bisher gesehen habe, leicht. Das könnte Kunst sein, sage ich, weil ich etwas erkenne und in seiner Form wertschätze.

Befiehlt oder aber rät man mir, erklärende Text zu Rate zu ziehen, bocke ich. Ich finde, Kunst hat Text nicht nötig. Dennoch aber ist überall Text, begleitende Sätze zur Kunst, aber übersetzt man sie in Deutsch, verschwindet schnell jede Magie und Strahlkraft. Es sei denn, der Text wäre Literatur, aber das ist er nicht, er besteht aus Kunsthistoriker-Lingo. Möglich, dass so etwas im Kontext der Skulptur-Projekte nötig ist, weil Idioten wie ich Kunst eh nur als solche erkennen, wenn sie bekannte Muster bedient. Das gilt nicht nur für die Skulptur-Projekte, sondern ist ein eher allgmein zu beobachtendes Phänomen des Konservativen in mir. Dieser mir innenwohnende Geist fühlt sich wohl, wenn er Nietzsches Fels sieht. Er denkt, na ja, immerhin, während ihn die Arbeit von Michael Dean im Lichthof des LWL Museums eher ratlos macht. Immer noch, auch nach Lesen des Textes. Und wenn ich mich umhöre in Gruppen vor den unterschiedlichen Arbeiten, stoße ich auf große Bereitschaft, ins Gespräch zu kommen. Die Ratlosigkeit ist allgemein groß und man hat es gern, wenn einem jemand beipflichtet, damit man nicht allein als Idiot auf der Wiese steht.




Intermezzo mit verschiedenen Künstlern

Wenn eine Stadt wie Münster das Risiko einer Standortbestimmung gegenwärtiger Kunst wagt, kann man gratulieren, man kann den Kopf schütteln und sich fragen, wer verrückt sei, die, man selbst, oder alle, man kann fragen, ob das weg könne oder Kunst sei, man kann sich die Köpfe heiß reden, festzustellen ist, dass sich die Stadt zur Zeit in einem wundervollen Ausnahmezustand befindet. Überall gibt es Fragen, und wo es Fragen gibt, gibt es Hoffnung.

Wenn ich den Bus in die Stadt nehme, höre ich immer folgende Ansage: Wilhelmstraße. In der Nähe Skulptur-Projekt von Hervé Youmbi. Im Vorbeifahren habe ich schon oft gesehen, dass zwischen den Bäumen auf einem alten Friedhof etwas hängt. Voodoo Masken, denke ich immer, habe also eine Ahnung davon, was es ist oder sein könnte, Gedanken aber habe ich mir noch keine darüber gemacht. Das kommt noch, die Skulptur-Projekte sind ja kaum vier Wochen alt, ich habe also Zeit und will vor allem nicht drängen. Kunst braucht Zeit.

So, und ähnlich, geht es mir mit einigen Skulptur-Projekten, ich sehe sie im Vorbeifahren, vielleicht bin ich schon einmal neugierig drumherum gegangen, ohne mir einen Reim darauf machen zu können, bei allen aber ist eines gleich: ich habe keinen Impuls gefunden, darüber zu schreiben. Bei Lara Favaretto etwa. Ich habe am Vorabend vor der Eröffnung der Skulptur-Projekte gesehen, wie dieser monolithische Fels aufgestellt wurde, ich radle fast täglich dort vorbei, aber es stellt sich kein Text ein. Bei anderen Projekte, etwa solchen, über die ich schon geschrieben habe, mit denen ich aber noch nicht fertig bin, warte ich darauf, dass sie sich zurückmelden.

Das passierte heute, als ich mir die Video-Installation von Hito Steyerl in der LBS anschaute. Ich kam mit einer Finnin ins Gespräch, eine junge Frau, wir wechselten ein paar Sätze über Roboter, über die Relevanz ihrer zentrale Achse für das Gleichgewicht und über Tango. Dann traf ich sie draußen wieder, wo wir unsere Fahrräder abgestellt hatten. Ich fragte sie, ob sie schon ein Lieblingsprojekt habe.

Sie antwortete: Pierre Huyghe.

Sie erinnern sich? Die Eishalle am westlichen Stadtrand. Huyghe hat die mit Markierungen für Hockey und Eishockey versehene Betonfläche nach einem Plan aufgesägt, spitze Winkel ragen hinein, dazwischen hat er Schluchten gegraben und zwei termitenbauähnliche Hügel errichtet, in denen Bienen leben. Ich hatte mich schon beim Eintreten unwohl in dieser Halle gefühlt, und erzählte der Finnin, dass ich ein älteres Ehepaar beobachtet hatte, das sich das Projekte anschaute. Sie hatte sich auf die Bänke am Hallenrand gesetzt, wo man früher seine Schlittschuhe schnürte, geseufzt und gesagt "geh du man". Er war hinab gestiegen, herum gelaufen, und hatte an der gegenüberliegenden Tribünenseite zielsicher ein Absperrseil überstiegen, um sich die ganze Sache von dort anzuschauen. Sofort war ein Ordner bei ihm, der ihn zurück bat. Der Mann aber ging einfach weiter und blieb vor einer schwarzen Apparatur am Spielfeldrand stehen. An der Apparatur war ein rotes Licht. Sie arbeitete also, war an. Der Mann fragte den Ordner etwas, dann ließ er sich zurück führen. Als er zu seiner Frau kam, sagte er: "Hab keine Ameisen gesehen."

Ich habe auch keine gesehen, auch keine Bienen, aber ich erfuhr erst später bei meinem Besuch, dass die schwarze Apparatur ein Inkubator ist, in der sich menschliche Krebszellen vermehren. Die biotechnischen Vorgange dort steuern Anlagen in der Halle. Als ich das erfahren hatte, war mir noch unheimlicher. Und als ich das der Finnin erzählte, sagte sie, dass auch sie die Eishalle "eerie", gruselig also, gefunden habe. Womit Pierre Huyghe abgeschlossen ist. Ich habe einiges über seine Arbeiten gelesen, seine Projekte sind komplex. Wenn ich wüsste, was Kunst ist, wüsste ich natürlich auch, was keine Kunst ist, aber da ich nur weiß, dass ich nichts weiß, bleibt die Entscheidung darüber an Ihnen hängen.


Kunst und Humor


Psychologen sprechen gern von paradoxen Interventionen. Man tut etwas Unerwartetes, Widersprüchliches, um sein Gegenüber aus der Reserve zu locken. Wach zu kitzeln. Zu provozieren. Zu Einsichten zu bringen. Witze funktionieren auch oft nach diesem Muster. Kunst auch, wenn sie es ernst meint, aber die Kunst ist kein Witz und Künstler, deren Arbeiten Humor zeigen, laufen Gefahr, geringer geschätzt zu werden als ihre schlechter gelaunten Kollegen. Warum das so ist, weiß ich nicht, vermute aber, es hat mit dem Kunstmarkt zu tun und der Überhöhung desselben. Vielleicht fühlt der Sammler sich ernster genommen fühlt, wenn er nicht lacht.

Also, gehen wir's an, machen uns auf die Suche nach Humor. Nach verstecktem Witz. Zumindest nach einem Lächeln. Steckt in einem Tieflader, der mit einer großen, schwarzen Kiste beladen auf dem Bürgersteig vorm LWL Museum parkt, Humor? Gut, er steht im Parkverbot steht, und wird nicht abgeschleppt, das finden viele nicht lustig. Sie dürften das nicht, sagen sie, stimmt, aber in diesem Falle ist Kunst der Fall. Eine paradoxe Intervention. Ob sie äthetische Qualitäten hat? Sicher haben sich die Designer von Mercedes Mühe geben. Und die Kiste darauf? Nun ja, eine Transportkiste eben. Und all die mitgedachten Verbindungen zur Skulptur von Henry Moore? Da muss man erst einmal nachlesen. Wir tun das und finden leichte Spuren von Humor. Für ein Lächeln reicht es.

Aram Bartholl's Versuch, Kunstbetrachtern mit Hilfe seiner physikalischen Versuchsanordnungen begreiflich zu machen, dass es im Hinblick auf die Ressourcen der Welt schlecht bestellt ist, entbehrt jeden Humors. Das ist leider so. Die Welt ist Ja oder Nein, Friss oder Stirb, alles andere ist gut gemeinter Diskus, und da ist für Humor wenig Platz. Was mich als Betrachter angeht, ich hatte ein interessantes Gespräch, als ich dort war. Der Witz liegt vielleicht hier: Und wo ist die Skulptur? fragte T., mit dem ich unterwegs war.


Den Steg von Ayse Erkmen finde ich albern. Ob man bei Kunst überhaupt etwas finden darf. Kunst ist ernst, und Ernsthaftes findet man nicht, für Ernsthaftes muss man hart arbeiten. Über Albernheiten kann man kichern, wenn man 13 ist oder bekifft, aber beides bin ich nicht. Dass Ayse Erkmen bei den Skulptur-Projekten 2007 oder 1997 eine Marienskulptur unter einem Hubschrauber hängend um den inneren Stadtkern kreisen ließ, fand ich außerst humorvoll. Darüber konnte ich sogar laut lachen, aber ihren Steg werde ich nicht einmal überqueren, ich muss nicht übers Wasser gehen, ich schwimme lieber.

Nietzsches Felsen hingegen hat Potenzial. Ich weiß nicht warum, vielleicht liegt es an den verbauten Gehhilfen. Humor ist still, laut, Humor ist alles mögliche, gern auch tief tief schwarz. Dieser ist eher still, ein schmunzelnder Verweis auf den Übermenschen, der über den eigenen Wahn arbeitsunfähig wurde.


Sany


Es gibt eine Arbeit, über die ich mich, seit ich sie wahrgenommen habe, schmunzle. Oder - schadenfroh lache? Man findet sie an Hauswänden an sechs verschiedenen Stellen der Stadt. Auf denen, die ich gesehen habe, sind nach Art von Comics gezeichnete Lebewesen, die mit Karacho vom Himmel fallen. Das ist tragisch, aber auch komisch.

Kunst und Humor
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Nairy Baghramian


Um aus Nairy Baghramians Arbeit Gewinn zu ziehen, eine Erkenntnis, oder noch lieber - eine Erfahrung, muss man von weit her kommen, sonst findet man diesen anthrazit - und hinterm Erbdrostenhof liegenden weißen Würmern (Wurm), die an zwei Stellen zerschnitten sind, nicht im Geringsten von Lebensfreude berührt, da ist nur Trauer. Aber zu jeder Trauerfeier gehört Lachen.

Michael Dean

Michael Dean macht Müll zu Kunst. Müll ist ernst. Müll versaut die Erde, deshalb kann man Müll natürlich zur Kunst machen. Man muss wahrscheinlich sogar, alles ist letztlich Kunst, aber am meisten Kunst ist es, wenn niemand sagt, dass es Kunst ist, und es trotzdem leuchtet. Müllkunst leuchtet nicht. Sie muss das auch nicht, sie muss sein, sie ist notwendig, sie ist im Augenblick neu, aber morgen ist auch sie alt und niemand hat sie je angelächelt. Wenn ich dann aber lese, worum es geht und was Dean intendiert, weiß ich sofort, aha, ich bin ein Depp, ich habe nichts verstanden, wahrscheinlich habe ich nur die vollgestopften Mülltüten gesehen und mit der Aufseherin geflirtet. Deshalb mache ich mir jetzt einen Cappuccino.


Intermezzo

"Kunst hat sich im Altdeutschen aus dem Partizip zum Verb kunnan, das erkennen, wissen, kennen bedeutet, gebildet. Kunnan wiederum ist aus der indogermanischen Wortwurzel (außerhalb Deutschlands wird indogermanisch als indoeuropäisch bezeichnet) gen- bzw. gno- entstanden, dessen Bedeutung wissen, kennen, erkennen war und das sich nicht nur bis ins Altdeutsche durchgesetzt hat, sondern auch im Altgriechischen und Lateinischen und in deren Nachfolgesprachen anzutreffen ist.

Ausführlich wird dargestellt, wie sich das altdeutsche Wort kunnan über Jahrhunderte hinweg zu den Begriffen können, kennen, künden, Kunde, kundig, kündigen, ferner Kunst, künstlerisch und künstlich hin entwickelt hat. In dieser Zeit verschob sich die inhaltliche Bedeutung des Wortes kunnan in seiner Wandlung zu können vom ursprünglichen Inhalt wissen immer stärker zum Begriff Befähigung durch Anwenden von Wissen = können hin. Während können ursprünglich, nämlich als kunnan, ausschließlich wissen bedeutete, liegt das Schwergewicht von können heute auf dem Sinn fähig sein.

Sprachlich leitet sich das Wort Kunst aus den Begriffen kennen, wissen, erkennen ab, nicht aber von können oder künden, doch ist es mit letzteren beiden verwandt. Der Ausspruch „Kunst kommt von Können, und wenn man’s kann, ist es keine Kunst“ stammt vom österreichischen Mundartdichter Johann Nepomuk Nestroy, durch ihn ist die Meinung so nachhaltig verbreitet worden, dass das Wort Kunst von Können stamme.

Der Autor des vorliegenden Buches räumt mit dieser Auffassung auf, Kunst kommt weder etymologisch, noch inhaltlich von Können. Er untersucht, ob es in den modernen romanischen und anderen germanischen Sprachen eine ähnliche Formulierung wie Kunst kommt von Können gibt und zeigt, dass den Menschen dieser Sprachen eine solche Denkungsweise, wie sie hinter der deutschen Formulierung steht, völlig fern liegt und als absurd empfunden wird, etymologisch wie inhaltlich. In einem Anhang wird die Verbreitung der alten Sprachen, die sich aus der indogermanischen Sprache gebildet haben, ausführlich dargestellt und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen diesen Sprachen werden aufgezeigt. Weiters findet man eine Darstellung der Verbreitung der modernen Sprachen, die sich aus dem Indogermanischen ableiten. " (Wilhelm Kufferath von Kendenich "Zur etymologischen Entwicklung des Wortes Kunst"


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Zu Christians Odzucks OFF OFD kam ich nach Feierabend. Die Manfred von Richthofen Straße liegt abseits des Kunstradars der meisten Stadtbesucher. Ich stieg die Treppe hinauf, lief über die freie Dachfläche bis zum Ende und zurück, schaute über die Brache, notierte, dass mir diese architekturale Simulation gefiel, mehr konnte ich nicht sagen, denn was bedeutet es, wenn einem etwas gefällt? Als mir im Nachhinein bemerkte, dass ich an diesem Abend an diesem Ort meine Unterlagen, die ich vom Steuerberater abgeholt hatte, verloren hatte, musste ich lächeln, schließlich war hier die Oberfinanzdirektion. Zwei, drei Tage hoffte ich, jemand würde die Unterlagen in einen Umschlag stecken und mir zuschicken, dann hörte ich auf zu hoffen.



To buy or not to buy, that is here the question

Bei der Kunst entscheidet sich oft erst beim Ankauf, ob es sich um Kunst, oder um den Zeitvertreib eines quer denkenden, nicht dem Mainstream verpflichteten Menschen handelt. Die Skulpturen-Projekte haben fast die Hälfte ihrer Laufzeit hinter sich, die Arakawa Arbeit ist nicht mehr vollständig, ein LED Panel wurde gestohlen, einer Figur der Eisenman Arbeit wurde der Kopf abgeschlagen, was ihr, wie ich finde, eine Brisanz und Schärfe verleiht, die sie vorher nicht hatte, ob Frau Eisenman das ähnlich sieht, weiß ich nicht, aber sie hat verfügt, alles so zu belassen, wie es jetzt ist, das spricht für sie.

Ich bin bei dieser großstädtischen Perfomance nur die Stimme eines Betrachters und erhebe keinerlei Anspruch auf Wahrheit. Nicht einmal Vollständigkeit kann ich für mich beanspruchen, bin aber im Gegensatz zu vielen anderen gänzlich frei von Verpflichtungen, kann also sprechen, wie mir der Schnabel gewachsen ist.

Heute werde ich das zum letzten Mal tun. Ich habe mittlerweile eine Menge gesehen, und beschlossen, alle Arbeiten auf ihren möglichen Ankauf durch die Stadt herunterzubrechen. Wird sie gekauft - ja oder nein? Handelt es sich, wie intendiert, um eine vorübergehende, dem Ort verpflichtete Skulpur, oder erlebt sie das Glück der zweiten Geburt, und die Stadt pflegt sie bis ans Ende ihrer Tage.

Ei Arakawas LED Panels stehen an idyllischem Ort, entfalten bei Dunkelheit ihre Leuchtkraft, werden aber um 20 Uhr abgeschaltet, falsch geplant irgendwie, was ich schade finde. Die Arbeiten sind fragil, einen Winter würden sie nicht überstehen, und ich glaube nicht, dass die Stadt sie kauft.

Der Ankauf von Nairy Bahramians Arbeit wird an ihrem Standort scheitern. Nicht einmal Trunk von Richard Serra wurde angekauft, obwohl diese Arbeit auf dringlichere Art mit dem Erbdrostenhof korrespondierte, als das Bahramians Arbeit vermag.

Aram Bartholys Arbeiten - Versuchsanordnungen eigentlich - gehören in die Physikbücher geschrieben.

Cosima von Bonin und Tom Burrs Benz Bonin Burr hat ebenfalls keine Chance auf Ankauf. Warum auch, es gibt genügend LKW auf der Straße. Wollte man jedem zuschreiben, er korrespondiere mit einem in der Nähe stehenden anderen Kunstwerk, hätte man viel zu tun.

Andreas Bunte könnte eine Chance haben. Er ist so schön modern mit seinen QR Codes, über die man Filme abrufen kann, andererseits hat heute nicht jeder fünfzig Kanäle zum Filme anschauen zuhause?

Gerard Byrnes
Installation in der Stadtbücherei hat mir gefallen, aber auch sie wird keine Chance haben. Sie ist, was sie ist, vorübergehend, und das ist konsequent.

CAMP, die Installation am Theater Münster, ist witzig, aber als Gesamtkonzept nicht realisierbar, ergo nicht käuflich.

Bei Michael Dean hoffe ich, dass niemand auf die Idee kommt, die Arbeit im Lichthof des Altbaus des LWL Museums zu belassen.

Jeremy Deller und die seit den letzten Skulpturen 2007 laufende und nun abgeschlossene Dokumentation über den Jahresablauf von über dreißig Kleingartenanlagen hätte eine Chance. Zumal Deller mittlerweile Turner-Preisträger ist, man müsste nur einen Ort finden, an dem die Bücher einsichtbar wären.

Ich stelle mir vor, Nicole Eisenmann ist bei der Suche nach einem geeigneten Standort für eine Arbeit an der Promenade vorbeigekommen, hat die dort auf den Wiesen sich sonnenden jungen Menschen gesehen und gedacht, gut, hier baue ich einen Brunnen. Sie nennt die Arbeit Skizze für einen Brunnen, und ich mag sie nicht. Sie ist mir, trotz der augenscheinlichen Verfremdungen, zu kitschig, ich weiß auch nicht, warum.

Ayse Erkmens Steg gehört in einen Vergnügungspark.

Lara Favaretto und ihr Monolith, der sich durch die Nähe zu einem Ehrenmal mit sozialer und politischer Bedeutung auflädt, und in den man zudem durch einen Schlitz Geld werfen kann, das am Ende zu gutem Zweck verwendet wird, kann nicht aufgekauft werden, denn es wird zum Ende zerstört. Das ist ehrenwert, mehr aber auch nicht.

Hreinn Friodfinnson viertes Haus der House Serie seit 1974 hat eine Chance, wobei sich mir nach Ansicht der Skulptur die Frage aufdrängte, was er in all den Jahren seit 1974 getan hat.

Ludger Gerdes Angst, eine Leuchtschrift an der Fassade des Aegidii Marktes, kommt aus Marl und wird dorthin zurückkehren.

Die Theater Performances von Gintersdodrfer/Klaßen im Pumpenhaus sind amüsant, aber eben einmalig, so etwas kann man nicht kaufen.

Pierry Huyghes Arbeit ist von allem, was ich gesehen habe, das Eindringlichste, vielleicht, weil sie so groß, wahnwitzig und beunruhigend ist, aber sie wird natürlich nicht gekauft werden, die Stadt wird den Teufel tun und sich eine ehemalige Eishalle in ausgewiesenem Gewerbegebiet ans Bein binden.

Die Wasserwage von John Knight tut niemandem weh, sie setzt sich laut Auskunft des Künstlers mit dem institutinellen Rahmen von Museen und Galerien auseinander, sie ist zudem signiert, also, kauft Leute, kauft.

Nietzsches Fels von Justin Matherly auf der Wiese an der Promenade am Ende der Von Fincke Straße ist einer meiner Favoriten. Man darf gespannt sein.

Christian Odzucks
Arbeit, die sich mit der abgerissenen Oberfinanzdirektion auseinandersetzt, gefällt mir ebenfalls sehr, wird aber bestimmt nicht gekauft.

Die "Passage trough Moondog/Quiet Storm" von Emeka Ogboh hat vielleicht eine Chance, ähnlich der Klanginstallation von Susan Philipsz (ebenfalls Turner Preisträger) unterhalb der Tormin-Brücke, die im Augenblick wieder aktiv ist.

Peles Empire
(Künstlerinnenduo Barbara Wolf u. Katharina Stöver) lässt mich völlig kalt, und ich glaube nicht, dass sie aufgekauft wird.

Alexandra Pricicis Perfomane im Friedenssaal habe ich noch nicht gesehen, kann aber auch nicht gekauft werden.

Mika Rottenbergs Asia Shop ist klaustrophobisch und bejammernswert, eine gute Arbeit, die aber sicher nicht bleibt.

Sany (Samuel Nyholm) und seine vom Himmel fallenden, auf Holzpaneele gebrannte Comic-Figuren haben, glaube ich, gute Chancen.

Gregor Schneiders
Installation, die Wohnung eines imaginierten N. Schmidt, eher nicht. Ich habe sie aber auch noch nicht gesehen. Ich sehe nur immer Schlangen von Wartenden davor und denke jedes Mal, kommt doch zu mir zum Kaffee, ich habe auch eine Wohnung, aber ich behaupte nicht, sie sei Kunst.

Nora Schultz Installation im LWL Museum habe ich noch nicht mit Verstand betrachtet, gehört oder wahrgenommen.

Der Nuclear Temple von Thomas Schütte könnte Chancen haben, wenngleich natürlich schon eine andere Arbeit von ihm, die Kirschen gegenüber der Raphaelsklinik, von der Stadt nach den Skulpturen 2007 aufgekauft worden ist.

Michael Smith hat ein Tatoostudio eröffnet. Es scheint, er lebt dort seine Alter-Egos aus.


1.08.2017

Willkommen zum Ende

Hito Steyerl ... und alle anderen, die ich nicht mehr erwähne, mögen mir verzeihen. Ich habe ihre Arbeiten gesehen oder auch nicht, aber jetzt bin ich es müde, mir weiter Gedanken zu machen. Das sollen die anderen tun, und Besucher sind zahlreich. Sie geben Geld aus. Sie zählen sich zu einer Elite. Aber auch bei Eliten herrscht Ratlosigkeit, sie wird aber selten eingestanden, lieber zitiert man Kluges. Was in der Zeitung steht, weiß ich nicht, denn ich lese die Stadtzeitungen nicht. Ich wüsste aber von keinem Skandal. Einmal wurde eine der sieben grob gerasterten LED Arbeiten von Arakawa gestohlen, ein andermal der Kopf von einer der Gipsfiguren Frau Eisenmanns abgeschlagen. Von den Tätern keine Spur, glaube ich.

Die Menschen, die ich als Kutscher treffe, sind nicht unbedingt wegen der Skulpturen in die Stadt gekommen, ich glaube, das ist nicht die Kutschenklientel, obwohl schon zwei, drei dabei waren. In der Regel sind Erstere ratlos bis belustigt, Letztere höchst interessiert und neugierig. Empört war noch keiner. Manchen versuche ich nahe zu bringen, dass Ratlosigkeit auch genossen werden kann. Dass sie dazugehört und akzeptiert werden will.

Letzte Woche nun hörte ich Tim Ullrichs zu, der in der Freien Gartenakademie bei Wilm Weppelmann hauptsächlich über sich und die Skulpturen sprach. Dass er hauptsächlich über sich sprach, macht ihn mir sympathisch, denn das tue ich auch. Vielleicht ist das die Freiheit, derentwegen einer Künstler wird. Ich mag Ullrichs aber auch wegen seines vorweggenommenen Überkopfgrabes in Kassel und einer Aktion, bei der er bei heftigem Gewitter halbnackt mit einer um die Hüfe befestigte, mehrere Meter hochragende Metallstange über ein freies Feld lief.

Ullrichs findet die Skulpturen mehr oder weniger nichtssagend. Er riecht im Hintergrund Kungelleien und argwöhnt, dass das Stadtmarketing zunehmend Einfluss nehmen will oder längst hat. Er hinterfragt den Sinn solcher Veranstaltungen. Sie werden auch in meinen Notizen zu den Skulpturen Zweifel bemerkt haben. Das ist nicht weiter schlimm. Kunst muss auch Zweifel auslösen, was wäre sie, wenn sie das nicht täte. Und wer wäre ich, zu sagen, dass es keine Kunst sei, Das hieße ja, ich wüsste, was Kunst ist. Also willkommen zum Ende (dem, das wissen Sie, immer ein Anfang innewohnt)