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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff


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Lieber Hermann,

es ist eine Weile her, seit ihr dir geschrieben habe. Das hat Gründe. Du weißt, dass mein Glaube auf eine harte Probe gestellt wurde. Mit einigen deiner Briefe ist es mir ähnlich gegangen. Du sprichst zum Beispiel vom Klimawandel. Meint er das Wetter? dachte ich. Klima? Ich erinnerte mich an die Hungerjahre 1815-1817. An den tiefen Himmel, den fortwährenden Regen, die Abwesenheit der Sonne. Wir wussten ja nicht, was geschah. Wir beteten. Wir entzündeten Kerzen in St. Pantaleon. Die Priester sandten Fürbitten zum Himmel. Nichts half. Nichts wuchs, wie es wachsen sollte. Viele hungerten. Wir waren verunsichert. Die Priester sagten, wir müssten Buße tun, aber viele Menschen flüchteten sich in Irrglauben und absonderliche Phantasien. Du sprichst von Krieg und Zerstörung. Gefahr! sagst du, da, Gefahr, überall Gefahr.

Ach, Hermann, als die Franzosen auf Hülshoff waren und Vater zum Bürgermeister gemacht haben, hat er mich einmal zur Seite genommen und gesagt, Nette, du musst dich nicht sorgen, auch, wenn ringsum Raub, Mord und Plünderei an der Tagesordnung sind, irgendwann wird das vorbei sein. Erinnerst du dich an das Gedicht, das du mir geschrieben hast? Es steht im 36. Brief. Endet das? Du sagtest, ja, das endet. Und das endet auch. Alles endet. Das hat mir gefallen. Aber ob es ein Gedicht ist, weiß ich nicht. Es reimt sich ja nicht. Es hat ein ungewöhnliches Versmaß, falls es überhaupt eines hat. Trotzdem wusste ich sofort, worum es geht und dass es tief ist, sehr tief. Dass es die Hoffnung in jeder Menschenseele entzündet. Ja, ich denke, es ist ein Gedicht, wenn auch keines, das ich hätte schreiben können. Man schreibt zwar über den Horizont hinaus, ist aber dennoch verhaftet in seiner Zeit.

Du bist ein Dichter, Hermann. Du kümmerst dich die Hoffnungen, Weltentwürfe, Schwächen und Zwickmühlen der Menschen.
Das ist es, wofür wir auf der Welt sind. Wofür wir leiden. Sei daher nicht traurig, wenn der Ruhm, nach dem sich jeder Dichter sehnt, sich nicht einstellt. Er hat auch um mich weite Bögen gezogen, und erst, als ich mich meinem Ende näherte, ohne zu wissen, dass es so bald käme, konnte ich ein wenig stolz auf mich sein und die Lautstärke meiner Zweifel übertönen. Adele hat mir oft dabei geholfen. Nette, hat sie gesagt, nimm die Dinge nicht so schwer. Hermann, sage ich, nimm die Dinge nicht so schwer. Ich weiß, dass du es tust. Trotzdem, versuch's. Und was nun die Musik zur todten Lerche angeht - dazu kann ich nun gar nichts sagen. Was höre ich da? Was sind das für Instrumente? Was ist das für ein aufrührender Takt. Ich möchte tanzen dazu.

Bis bald

deine Nette

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