Februar 2002                                  www.hermann-mensing.de          

mensing literatur

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Fr 1.02.02  8:46  (1.02.1978 Busreise  Mangalore Mysore)

Wer wusste je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?

Ja, der sogar, der ruhig und gelassen,
Mit dem Bewusstsein, was er soll, geboren,
Frühzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muss vor des Lebens Widerspruch erblassen.

Denn jeder hofft doch, dass das Glück ihm lache,
Allein das Glück, wenn's wirklich kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.

Auch kommt es nie, wir wünschen bloß und wagen:
Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache,
Und auch der Läufer wird es nicht erjagen. (1)

flashback: gestern ankunft im hafen von new mangalore. noch weit vor der hafeneinfahrt ging ein schiff der küstenwache längsseits. andreas erklärte, dass ich an land wolle, das boot und sie aber auf dem wege nach sri lanka wären. der offizier nickte und half mir an bord seines schiffes. dort unterzog man mich einer art freundlichem verhör, bot mir tee an, schenkte mir malboro zigaretten, prüfte meine papiere und brachte mich an land. es dauerte fast einen tag, eh meine gleichgewichtsorgane das auf und ab der see vergessen und den festen boden unter mir akzeptiert hatten. suchte mir ein hotel. ließ mir eine frische kokosnuss bringen, die man mit einer machete aufschlägt und mit einem strohhalm leer trinkt. unüberschaubare menschenmengen auf den straßen. langsam jetzt. dies sind die tropen. sie sind schwer wie blei und lauter als je ein jahrmarkt sein könnte. menschen in lumpen. heute, am 1.02.1978, werde ich nach mysore fahren. über stock und stein. acht stunden für 250 kilometer.

17:05

In Nachbars Garten blühen die Winterlinge. Die Schneeglöckchen warten. Und ein Krokus ist auch schon da.   

 

Sa 2.02.02   16:29 (2.02.1978 Mysore)

Frühling. Spaghetti-Eis in der Stadt. Menschen in T-Shirts. 

17:04

Ich gehöre zu einer Generation, die keine Träume hat, sagte X. Ich antwortete, dass keine Generation je Träume hatte. Träume erfände man wie das Leben. Kein Grund also, den Kopf hängen zu lassen. Nie sei es schlechter, nie besser zugegangen. Die Welt habe sich schon immer im Ausnahmezustand befunden.  

 

So 3.02.02  20:09  (3.02.1978 Mysore)

menschen: vornehmlich im freien: als spaziergänger. als radfahrer. als jogger (auf endorphinen schwebend). tiere: vornehmlich hunde als begleiter von spaziergängern. in körben auf rädern, mit im wind fliegenden ohren. als begleiter von joggern. ebenfalls high. sensationen: ein stückchen erdbeer-mascarpone-torte. // und: sechzig kilometer auf dem rad. // wer wusste je das leben recht zu fassen? 

 

Mo 4.02.02    10:15  (4.02.1978 Mysore)

 

 

4.02.1978 mysore -  habe mir die haare schneiden lassen - loch im bauch = brustbeutel 

 

14:29

ich glaube kaum...

15:12

ich denke doch...

16:15

ich wüsste gern...

16:46

Noam Chomsky, amerikanischer Soziologe, beobachtet seit dem 11. September nicht viel Neues. Mit Hilfe der Terrorismus-Definition des US-Strafgesetzbuches beschreibt er die Politik der US-Administration als das, was angeblich nur die anderen sind, als terroristisch und weist darüber hinaus auf den Zusammenhang zwischen den Ereignissen im September und den Verbrechen der  US-Außenpolitik der letzten vierzig Jahre hin. (2)

 

Di 5.02.02    10:37  (5.02.1978 Mysore)

Eile hurtig. Habe Spaß. Schreibe Hörspiel. Was ist was?

17:16

flashback: (mysore 5.02.1978)
Zu Abend spazierten wir zum Palast, von dort die Prachtstraße hinunter zum Markt, in die Außenviertel und wieder zurück. Auf dem Rückweg überraschte uns ein Gewitter. Wir hielten uns dicht an den Hauswänden. Ian war immer ein paar Schritt voraus. Auf halbem Weg fiel der Strom aus. Die Blitze tauchten die Stadt in kaltes Licht, dann wieder war es stockdunkel. Hier und da sah ich die Lichtpunkte der Garküchen am Weg. 
In meinem Kopf kreiste das Gesicht auf dem Foto, das ich mit einem Unbekannten teilte. Es ärgerte mich. Ich hatte noch nie gern geteilt. Als jüngster von vier Brüdern hatte ich immer nur das gekriegt, was die älteren großzügig herausrückten.
So in Gedanken stolperte ich fast über einen Krüppel, der am Markt plötzlich auf einem Rollbrett aus einer Einfahrt auftauchte. Er war in Lumpen gekleidet. Wasser spritzte zu beiden Seiten weg. Er rief irgendetwas. Ian griff in seine Tasche und gab ihm Geld. Im gleichen Augenblick stürzten vier oder fünf andere aus der Einfahrt.
Ich hatte mich an den Anblick von Krüppeln, Blinden, Aussätzigen und halb Verhungerten gewöhnt, ich konnte an ihnen vorbeigehen, ohne über ihr Elend nachzudenken, aber an diesem Abend machten sie mir Angst. Ich drängte Ian, die Straßenseite zu wechseln. Die Krüppel gestikulierten. Dann schlug keine fünf Meter von uns ein Blitz ein. Es krachte ohrenbetäubend, einen Augenblick schien es mir, als sei ich im luftleeren Raum, dann kam ein Sturm auf, als habe sich ein Spalt in der Erde geöffnet, der alle Luft fortsog. (3)
 

22:45

dämliches aus dem hause men-sing

nächtens wenn die zähne wackeln
wenn die eier unruhig schnackeln
wenn die haare still ergrauen
will ich mir kein haus mehr bauen

oder wenn die bieseln tröppeln
wenn die tlötschengreifer klöppeln
wenn das riftgimm schneidlich lödet
und am bach ein fisch verblödet

will ich nicht mehr grade stehen
nie mehr meine zehen sehen
nie mehr etwas wissen wollen
sollen doch die andern sollen

mehr davon

 

Mi 6.02.01   9:19  (6.02.1978 Mysore)

Großes Programm: Riesenvision: Amerika: Waffen: Waffen: Waffen: 

12:12

Alte westfälische Bauernweisheit: as het kümpt, kümpt het alles up eens. Siehe: Auto kaputt € 800. Nachzahlung Miete/Nebenkosten  € 700. Steuern demnächst ca. € ...  noch was???? 

16:31

M. am Nachmittag, Schweres lesend. Dabei lachend.

 

Do 7.02.01  (7.02.1978 Thepakaddu - Bandipur Reservat)

Hätte ich also fragen sollen, die Straßenseite wechseln und sagen, wieso stehen sie splitternackt vor diesem Haus? Hätte ich ihm meinen Mantel anbieten müssen, ihm vielleicht ein Taxi besorgen, ihn in eine Klinik oder nach Hause bringen müssen? Nein, er verschwindet ja wieder im Haus, als er sieht, dass ich näher komme. Ich sehe ihn im Dunkel des Flurs hinter der halb geöffneten Haustür. Hat jemand ihn aus der Wohnung geworfen? Seine Freundin? Seine Frau? Und wenn - warum steht er auf dem Bürgersteig? - Warum bleibt er nicht im Flur und überlegt eine Lösung? -  Er ist Mitte zwanzig,  zwischen 1.80 und 1.90 groß, hat dunkles Haar und ist schlank. Er sieht weder krank noch verrückt aus, sondern wie jemand, der auf der Straße steht und sich umschaut. Einzig seine Nacktheit unterscheidet ihn. Die Hände vor der Scham. Ich gehe weiter. Am Ende der Straße bleibe ich noch einmal stehen und schaue mich um, weil ich sehen will, ob er wieder  auf den Bürgersteig kommt, aber er kommt nicht, und so mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. 

17:02

Naive Frage: wer gibt Kommunen, Ländern und Staaten eigentlich unaufhörlich Kredit, bis diese so hoch verschuldet sind, dass sie sich besser umbrächten. Und: ist es nicht eine Illusion zu glauben, man könne Politik gegen diese Geldgeber machen? Und: ist nicht Zeit für die Revolution? 

Ich weiß: ich habe blaue Augen.

Noch etwas: woher haben die Geldgeber ihr Geld????

19:03

Und: Was tut man gegen solche Fragen???

 

Fr 8.02.01  12:02  (8.02.1978 Bandipur Reservat)

Sometimes my burden is more than I can take... (4)

19:08

Konvertiere zum Katholizismus.

Grund? Siehe...

Rezension

Große Liebe Nr. 1

Ein Sechzehnjähriger erlebt bei einem Musik-Workshop in Polen seine erste Liebe.

Wer das kleine Werk in die Hand nimmt, denkt: Nun ja – Jugend, Unterhaltung, Liebe. Aber schnell wird klar: Das Buch hat es in sich. Der 16-jährige Steff erzählt von einem Schlagzeug-Workshop in Polen. Was dabei passiert, das ist die erste große Ablösung von Familie und Freunden, dazu ein großer Hunger, Liebe zu erfahren. Angekommen, schält sich Polen lebensprall aus Steffs Vorurteilen heraus. Dann wächst er aus seinen virtuellen Beziehungen (SMS – Handy) hinein in das hautnahe Erlebnis der Liebe zu Kasia. – Hier wird hörspielartig in hinreißender Subjektivität berichtet: bildhaft, in treffsicheren Worten und kein bisschen cool. Das „heftigst katholische“ Polen, 150 Verrückte, die Musik machen, der auf dem schmalen Grat erster Liebe unsicher balancierende Steff, dazu eine wache und keusche Kasia, das nimmt den Leser gefungen und sollten vielen Jugendlichen angeboten werden. (Hildegard Schaufelberger – Buchprofile für die katholische Büchereiarbeit Jg. 46/2001 Heft 4)  

 

Sa 9.02.02     13:10  (9.02.1978 Bandipur Reservat)

flashback:
Ian und ich wohnten in einem Haus an der Biegung des Flusses. Ein Pfad führte durch lichten Wald zu einer sandigen Straße. Dort markierte ein Schlagbaum das Ende des Bandipur Waldes. In einer Hütte saßen zwei dicke Wachposten. Einer hatte goldene Schneidezähne. Eine Brücke führte über den Fluß; diesseits waren vier Hütten, jenseits war Baba Singhs Tschai-Shop. Jeden Tag ging ich dorthin, um die Ankunft der Busse zu beobachten. Ein Händler schob seinen Karren heran, Wildhüter und Waldarbeiter lungerten auf der Brücke herum, die Wachposten kamen aus ihrer Hütte. So sieht der Ort meiner Geschichte aus. Ein Fluss in einem Land, in dem es außer Sonne, Elefanten, heiligen Kühen, Bettlern, Tempel, von Menschen überquellende Städte und einer Atombombe nichts zu geben schien. An diesem Fluss saß ich und zählte die Sterne. Eine schöne Beschäftigung, wenn man vergessen hat, wieso man eigentlich da ist. Sie beruhigt. Wenn auch nur ein bisschen.
Angefangen hatte alles vor vierzehn Tagen. Ian und ich wohnten im Palace Hotel in Mysore. Wir zahlten 20 Rupien für ein heruntergekommenes Zimmer unter dem Dach. Meist war es so warm, dass wir auf dem Dach schliefen. Ich hatte mir am Morgen die Haare schneiden- und mich fotografieren lassen. Nun saß ich auf dem Dach und beobachtete das Gewirr in der Gasse: Männer, die Karren schoben und Säcke schleppten, Händler vor ihren Geschäften, Ochsenfuhrwerke und bunt bemalte Lastwagen.
Zwischen hoch mit Bohnensäcken beladenen Karren tauchte ein Europäer auf. Er war mittelgroß, hatte schwarzes Haar und ein schmales Gesicht. Vorm Hotel blieb er stehen, nahm seinen roten Rucksack ab, kramte ein Paket Tabak aus der Seitentasche und drehte sich eine Zigarette. Dann schaute er zu mir hoch. Er glich mir aufs Haar!
"Ian!" schrie ich. "Ian, komm, sieh dir das an!"
Ian rührte sich nicht. Er lag auf dem Bett, das Zimmer war abgedunkelt, er hatte ein Gummi zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand gespannt und schoss mit gefalztem Papier auf Gekkos. Ich hastete hinunter auf die Straße. Mein Doppelgänger stieg gerade in eine Rikscha und gab dem Fahrer ein Zeichen. Der Fahrer nickte und strampelte los. Ich pfiff auch eine Rikscha herbei, machte dem Fahrer mit Händen und Füßen klar, worum es ging, aber als er begriffen hatte, war mein Doppelgänger auf und davon. (3)
 

 

So 10.02.02   12:15 (10.02.1978 Ootacamund)

Fiel durch ein Zeitloch. Die Geschichte ist schnell erzählt und ebenso unglaublich wie wahr. Mit M., dem wir zu Weihnachten die Option auf eine Lederjacke geschenkt hatten, waren wir nach Gescher gefahren, eine Stadt im westlichen Münsterland. Das Land wellt sich dort eiszeitlich sanft, ein Flüsschen windet sich durch Wiesen und Felder, Holland ist nur noch ein paar Kilometer entfernt. In G., so hatte man uns gesagt, gäbe es die Halle 15, ein Altkleiderverkauf,  und dort gäbe es genau die Lederjacke, die M. suche. Derb sollte sie sein, nicht im entferntesten an die schicken Lederjacken großer Stars erinnern. Dorthin also waren wir gefahren, hatten eingekauft und wollten uns, da wir nun schon einmal da waren und ich diese Stadt (obwohl sie nur knapp 35 Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt liegt) noch nie besucht hatte, ein wenig umschauen. Berühmt ist sie für ihre Glockengießerei. Das Stadtbild ist eine Mischung aus gutbürgerlicher Architektur der Zwanziger bis zur Jetztzeit, die Glockengießerei liegt im Zentrum,  wir beschlossen, in ein Café zu gehen. Als wir es verließen, fiel mir auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Schaufenster auf. Darin lagen Bücher von Simmel, Konsalik, außerdem Liebes- und Wildwestromane in einem Format, dass es heute nicht mehr gibt.  Ich überquerte die Straße und sah durch das Schaufenster ins Innere. Der Raum war halbdunkel und nicht größer als ein kleines Wohnzimmer, an drei Wänden standen  Bücherregale und in der rechten, hinteren Ecke saß eine alte Frau hinter einer Theke und schien auf Kunden zu warten. Eine private Leihbücherei, so etwas hatte es in meiner Stadt in meiner Kindheit auch gegeben, mit dem gleichen Angebot an Büchern. Die Frau schaute nicht auf. Vielleicht schlief sie? Ich fragte mich, wer hier Bücher ausleiht, oder ob sie einfach dort sitzt und auf den Tod wartet. Ich fragte mich, wie lang sie schon dort sitzt. Ich wollte hineingehen, aber ich traute mich nicht. Zum Trost gibt es deshalb diesen Link zur privaten Leihbücherei meiner Jugend. 

12:32

Erkläre diesen Sonntag zum Elvis Costello Tag. Werde nichts anderes hören. Werde das laut tun. Gegen den Regen und die Kohlsuppe, die ich seit vorgestern esse. Ja. Es stimmt. Ich mache die "magic soup" Diät. 

14:39

dämliches aus dem hause men-sing:

ängstlich ducken sich die tulpen
wohl aus furcht vor dem verzehr  
durch herrn m., der wegen fastens
jetzt zu allem fähig wär

16:20

Abschaffel legte sich auf die Bettcouch. Er wollte gerade anfangen, sich damit zu ängstigen, dass er eines Tages vielleicht keine Einfälle mehr zur Durchführung seines Lebens haben könne oder, noch schlimmer, dass es vielleicht überhaupt nur wenige Einfälle gebe, mit denen sich das Leben etwas interessanter machen ließ. Vielleicht musste man sich einschränken und lange Zeit in Langeweile und Ereignislosigkeit hinbringen, und es war vielleicht töricht, sich über all das zu wundern. (5)

 

Mo 11.02.02     13:00  (11.02.1978 Ootacamund)

Mit roter Nas' und tiefen Blicken // woll'n alle Mann heut Frauen treffen. 

(Narhalla Marsch)

 

Di 12.02.02     10:21  (12.02.1978 Ootacamund)

Die Planung für meine Telefonlesung am 25. Februar steht. Im Literaturcafe ( www.literaturcafe.de )  wird die Aktion ein paar Tage vorher angekündigt und erklärt. Wer sich dann traut, darf mich an diesem Montag zu einer bestimmten Zeit anrufen.  Bin äußert gespannt, wie das wird. 

14:07

Melde: meine Texte wurden geprüft. Die Frage war: Ist Herr M. jugendfrei? - 195 Dateien wurden auf Worte wie Liebe, Hass, Eifersucht, Ficken, Mord, Küssen und Verlust untersucht. Liebe kam 280 - Hass 21-  Eifersucht 0 - Ficken 3 - Mord 26 - Küssen 7 - und Verlust 2 mal vor. Die  Behörden beschlossen daher, die Lektüre meiner Internet-Notizen sei (auch) Jugendlichen zu empfehlen. 

19:14

(...) wer einmal lebt (e) , muss (te) es ununterbrochen tun. (5)

 

Mi 13.02.02   9:15 (13.02.1978 Ootacamund)

Die erste Amsel, singend, in einer noch kahlen Linde auf dem Domplatz. Animiert (vielleicht) von den warmen Aufwinden der Heizstrahler an den Marktständen. Aber: singend. Froh und laut. 

12:48

Gottes Wort:  Sehet, auch ich habe Erektionsprobleme, darum hadert nicht, ich bin bei Euch alle Tage. 

15:28

Torte gleich, Torte vom weit und breit besten Konditor: zur Feier des Tages: auf ihren Geburtstag und auf die verlorenen drei Kilo.  

16:53

Andere Gottes-Wörter: hier.

18:56

Fort mit dem Müll der Erinnerung. Zertrete das Vorgestern. Schaue zu, wie es zermahlen wird. Gute Aktion. Drei Mann gleich bei ihm. Danke schön. Und weg.....  

 Die Animation stammt von ©. www.eckart-breitschuh.de

 

Do 14.02.02     10:23  (14.02.1978 Cochin)

flashback: verbrachte die Nacht im Gepäcknetz des Zuges von Matapulayam nach Cochin. Tropisch schwere Luft zog durch die geöffneten Fenster. Frühe Ankunft. Cochin, eine Stadt der Lagunen, Palmen, eine Hafenstadt. 

15:37 

Null-Wachstum. Null-Diät. Null-Tag nach Feier. 

18:48

Ich bin's, M: nutzlos. 

 

Fr 15.02.02   00:30  (15.02.1978 Cochin)

Bei dem Versuch eines Deutsch - Deutsch-Jüdischen Dialogs kläglich gescheitert. Fragte unseren Gast, wie deutsche Juden die Politik Israels einschätzen und wurde wie folgt abgemeiert: wieso ich glaube, dass gerade sie eine Position dazu haben müsse? Wieso ich überhaupt eine solche Frage stelle? Wieso ich mich derart ereifere gegenüber Israel? Offenbar sei ich ein Arier. - Mein Einwand, ich wolle nur fragen, wurde nicht akzeptiert. - Ich hätte auch gern gewusst, ob ein Mensch jüdischen Glaubens mir "das gelobte Land" und die daraus gezogene Schlussfolgerung, Juden aller Länder müssten dort siedeln, erklären kann. Auch hier stieß ich auf heftigste Ablehnung. Das "gelobte Land" sei ein christlicher Terminus. Wie es denn mit dem rechtlichen Status Israel stünde, fragte ich noch, wieso Ben Gurion 1949 ohne Mandat der Vereinten Nationen den Staat Israel ausgerufen habe, aber darauf wurde nur geantwortet, auch das sei eine typisch deutsche Frage, man sei oft im Ausland unterwegs, und niemand dort würde so etwas fragen. 

9:33

War das zu viel verlangt? Kann man mit den Nachfahren der Opfer solche Gespräche nicht führen? - Festzuhalten bleibt dennoch, dass es eine Vielzahl Menschen jüdischen Glaubens gibt, die Israels Politik ähnlich kritisch sehen wie ich, und nicht auf den Gedanken kämen, zu sagen, das sei nun aber eine typisch deutsche Position.  

10:40

Ich bin's Hermann, euer Gott. Ihr sollt keine anderen Hermänner neben mir haben. 

17:46

Im Zoo. Kraulte ein Pinselohrschwein. Worauf es sich exstatisch gegen die Zaun warf und niedersank, alle Viere seitwärts gen Himmel gereckt. - Beobachtete die Wachablösung der Erdmännchen. - Staunte über die Leichtigkeit der Nashörner beim Galopp durchs Gehege. - Alles in allem geläutert. Will nur noch, dass die Menschheit endlich verschwindet. 

 

Sa 16.02.02   12:34  (16.02.1978 Cochin)

It ain't me, Sir, it ain't me you're looking for, Sir...

17:12

Nachtrag 1:

Lieber Hermann,
(...)
Ich will noch etwas nachtragen: Ich habe erlebt, wie schnell es mit Serbien und Bosnien hier zuging, dass viele doch gleich wussten, wo gut und böse ist. Ich habe damals viel gelesen und zugehört und kam eigentlich nur zu dem Schluss, da sind überall Menschen, die unendlich leiden und ansonsten bin ich wohl nicht in der Lage, mich so gut in diese Geschichte und Geschichten und Kulturen und Selbstverständnisse hineinzuversetzen, dass ich "urteilen" könnte.

Als deutsche Jüdin bin ich nun qua Amt nicht prädestiniert, israelische und palästinensische und syrische und jordanische Politik und den Islam usw. zu beurteilen. Ich bemühe mich im Augenblick ein Gespür dafür zu bekommen, was sich da in der Welt an Feindbildern verändert und es macht mich stutzig, dass man eine Karte der Kriege und Scharmützel über eine Karte der Begierden und Begehren und Erdschätze legen kann und es stimmt. Ich nehme an, es geht sowieso um ganz andere Dinge, ganz andere als ich erahnen kann.

Natürlich geht es dem einzelnen Selbstmordattentäter gleich welcher Couleur immer um sein Leid, Hass und Rache und je nach Kultur geht das immer weiter.
Ich tue mich aber schon lebenslang sehr sehr schwer mit Ideologien und noch schwerer, wenn sozusagen alles in einem großen Topf landet wie eben Zionismus von 1920 und 1940 (schon allemal drei Paar Stiefel), das biblische gelobte Land (ist ausgerechnet dieser Landfetzen für drei Religionen), die Idee diverser Religionen, die Orthodoxie dieser und jener Religion und Politik, diverse Kulturen, der Faschismus als Begriff und was er abdecken könnte, die Notwehr und der Angriff bzw. umgekehrt... usw. 

Wenn dann herauskommt: wieso wollen die Juden ins gelobte Land, Israel ist doch ein faschistischer Staat, also sei mir nicht böse: da kann ich wirklich nur in die Knie gehen und um einen bitte doch friedlichen Abend bitten, denn wo soll man da anfangen sich zu besprechen, wer sind die Juden. Natürlich kenne ich die Auseinandersetzung, auch gut bei Amon Oz nachzulesen: dass Israel vermutlich dringend auch eine neue Staatsidee benötigt usw. usf. Es ist ja alles sehr, sehr, sehr kompliziert. Auch mit dem Faschismus. Und so kann ich mich weder auf diese oder jene Seite schlagen und sehe dazu im Augenblick auch keine Notwendigkeit.

Ich habe nur unendliche müde machende Erfahrungen hinter mir und stelle mich manchmal wirklich um des lieben Friedens willen tot: weil es nur in diesem deutschen Lande so schwierig mit dem Diskutieren mancher Themen ist. Das ist nicht nur meine Erfahrung alleine. Im Spaß gesagt. ich bin ja auch nicht für Klezmer zuständig.

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende und grüße bitte herzlich...

17:49

Miniatur: ja, die Straße ist besenrein, Sauberfrau - Badewannen-Jupps Ehefrau - hat sie in einen Zustand versetzt, der reiner nicht sein könnte, aber nun hat sie ein Problem: ein Häuflein zusammengefegter Schmutz ist noch da: Zigarettenkippen, Bonbonpapiere, kleines Dies und Das. Wohin nun damit? Ganz einfach: das Häuflein wird vom Rinnstein auf die Straßenmitte gefegt. Dann tritt man ein, zwei Meter zurück, schaut auf den Besenstil gestützt wie ein Auto herankommt und das Häuflein in den Rinnstein des Nachbars weht. Dann geht man zufrieden ins Haus.  

 

So 17.02.02   17:12  (17.02.1978 Cochin)

Es war ihm noch nicht gelungen, die Hoffnung ein für allemal und endgültig in sich abzuwürgen. Noch immer meldete sie sich mit merkwürdigen Vorschlägen. (5)

17:29

Nachtrag 2:

hi f...
we had a somewhat strange meeting with X last night. it started of rather relaxed, turned into a political discussion about Israel, which ended in X saying, I had no right to speak about Israel the way I did, whereas I tried to explain, that my main interest was to know, how does a German with Yewish grandparents think about Israel. Well, after that we had to take a few deep breaths and kept on with the evening in more shallow fields.
took a few pictures to send to you
have a nice weekend
love
hermann

Nachtrag 3:
I probably would have been in your camp on the Israel discussion. Perhaps there is some truth in the saying 'victims make other victims'.
Ein schöner Morgen hier, aber jetzt wolkig und kalt.
Now it's back to the novel. F...

Nachtrag 4:

warum ist angeblich in deutschland so schwer zu dikutieren? hat sie/haben wir einen filter im kopf? ist scharon nur wegen unseres filters ein arschloch?
      grüsse m...


Mo 18.02.02  
  8:37 (18.02.1978 Kottayam)

Die Nacht voll namenloser Dämonen. Schon in der zweiten Nacht in Folge. Verschwindet! Ich will euch nicht. VERPISST EUCH!!!

Nachtrag 5:

being German isn't funny at all, F.,
it started of being strange when I made it a habit to spend my weekends in Holland. They sometimes used to greet me with "Heil Hitler". (which last happened when our boys were 12 and 8), it went on being even tougher, when I came to England in 1967. 
My pen-pal Linda, who lived in London by the time, was Jewish, which I didn't know.
She was the first Jew I met. I stayed with her for about a week and on a sunday afternoon we were scheduled to meet her brother. We got there, the tv was on and while we were having tea the telly in the background showed pictures of Auschwitz. I was 17 by that time, I was very aware what had happened, but praise Linda, she just switched the tv of and said something like, don't worry, hermann.
 
The next encounter was in 1971, when I went to Israel to work in a Kibbuz. I had gone there to suffer, I had gone there to pay my dues to the Jews, I had come to show them that I was a different species, and to my surprise nobody really cared about me being German. 
Then, only three years later, I met this lawyer in Alexandria/Egypt. I was sitting on a beach there doing nothing, when we came to talk to each other. A conversation with ended in handshakes and compliments for me being a German, because we had killed 6 millions. I tried to vanish, I tried to become invisible, but I couldn't. Then came the time I travelled in the USA, Japan and South America. At some places (especially in Japan and South America) they thought we must be a very brave kind of people, at other places they rather greet the old "Heil Hitler".
 
Why do I tell you all this?
Well, I was very happy to find you on my side, although I do understand X, but when she called my an "Arier" and said, I do not ask you, where your father has been during the war (I answered Poland and Africa),  again I was about to desintegrate which I couldn't, of course.
Well, that was that.
I hope, you are doing well with your novel.
I am transforming "Sackgasse 13" into a radio play at the moment, and after that, I don't know yet.
love
hermann
 
17:33

Es ist die Gewissheit der Nichtigkeit, Dr. Troogenbuck, das ist es. (5)

23:59

Nie ist etwas richtig, und wenn es richtig ist, ist es auch falsch. 


Di 19.02.02   
  10:01  (19.02.02 Kottayam)

Mein grandioser Frohsinn der letzten Tage scheint auf der Lektüre von Genazinos "Abschaffel" Trilogie zu gründen. Empfehle das Buch dennoch dringend.  Vorübergehende Stimmungsbrüche wären rein zufällig und vom Autor gewollt.  

 

10:40

Auch möglich, dass das Warten auf den Frühling so an den Nerven zerrt. Aber immerhin, Rettung naht: am Donnerstag werde ich in vier Klassen aus der "Grossen Liebe" lesen. Am folgenden Montag lese ich auf Anruf, und am Tag darauf in der Stadtbücherei Hattingen. Raus aus meinem Loch, hinein in die Welt, die doch schön ist. 

11:40

Melde Titelschutz für mein Projekt "Heute ist alles prima" an. Lieblich peitscht Schneeregen schräg gegen Krokus, Hauswand und eilenden Mensch, prächtig auch Sturm, schmeichelnd sein kräftig Gebraus, himmlisch das Poltern des Donners. Forsch! Hebt euch hinweg, Mächte der Niedergeschlagenheit, her mit euch, Hüter des leichten Lebens im westlichen Falen, hebt die Röcke der Damen, versteift die ihr wisst schon der Herren, macht, dass ein jeder den Tag nach seiner Fasson umdeute. Los, worauf wartet ihr, macht schon. Heute ist alles prima.

14:18

Tatsächlich: die Sonne scheint.

18:59

Hier:
Flaschenbierverkauf



Mi 20.02.02    13:04  (20.02.1978 Kottayam)

flashback: liege auf dem dach des bootes, das zwischen kottayam und allepey verkehrt. habe kein ziel, reise nur hin und her, weil die strecke mich tröstet. ein kanal, manchmal von palmen so dicht gesäumt, dass man durch einen tunnel fährt. das sich brechende licht in den palmblättern leuchtet goldgrün. hinter den deichen erstrecken sich reisfelder. wasserbüffel im geschirr. menschen knietief im feuchten schlamm. weiße vögel, die schreiend aufsteigen und gegen die sonne verschwinden. die wasseroberfläche ist grün von entengrütze. das boot schneidet eine spur hinein, die sich hinterm boot schnell wieder zusammenzieht. kinder baden. frauen schöpfen wasser. menschen steigen aus und zu. dies ist kerala. hier weht die grüne fahne der muslime neben der roten der kommunisten. ich reise allein. und versuche zu sehen. 

14:44

Alter, verschissenes Alter. Liegend in Träumen von gestern, um nur nicht die Zukunft zu sprechen, die nur das eine Wort kennt: Tod. Alter, mit Krümeln am Mund und mit kindlichem Trotz Speisen ausspuckend. Alter: nur Tage um Tage sein und sein müssen. Nimm hin, Gott, nimm bitte hin. Lass sein, Gott, ich verstehe die Gnade nicht. 

17:42

Ich wünsche einen guten Abend.

 Die Animation stammt von ©. www.eckart-breitschuh.de

22:39

I just don't see why // I should even care // it's not dark yet // but it's getting there... (Bob Dylan 1997)


Do 21.02.02   15:22  (21.02.1978 Kumily)

Schon beim Hereinkommen ist klar, dass ich leichtes Spiel haben werde. Ort: ein Gymnasium im Westfälischen. Zeit: 7:45 - Zu früh für den Dichter? - Nein. - Man steht auf und begrüßt einander. Ich bin gekommen, um mit Schülern von zwei siebten Klassen über die "Große Liebe Nr.1" zu sprechen, daraus vorzulesen, zu diskutieren. Sie waren sowieso hier, ob sie nun wollten oder nicht. Ihre Lehrerin hatte mein Buch zur Klassenlektüre gemacht. Also. Erste Amtshandlung: ich zeichne einen groben Plan der Stadt Chodziez - Polen. Damit sich zu der Fiktion auch eine räumliche Vorstellung des Ortes gesellt und man Wege gehen kann, die der Held der Geschichte gegangen ist. - Hier ist das Kulturhaus. Hier der Tunnel. Hier der Kiosk. Etc. etc. - Und der See, an dem Steff mit Doro saß? - Den hatte ich nicht eingezeichnet, der lag zwei Meter über der Tafel, irgendwo da oben. - Die Klasse hatte sich mit allen Wassern der Textanalyse gewaschen. Beziehungsgeflechte hergestellt. Nachgedacht. Weitergedacht. Mir Löcher in den Bauch gefragt, was rundum wundervoll war. Ständig waren Finger in der Luft, so dass die Doppelstunde eigentlich zu kurz war. Was alle interessierte: Kommen Steff und Kasia wieder zusammen? - Könnte ich nicht eine Fortsetzung schreiben? -  
Zu den nächsten zwei Siebener-Klassen kam ich nach der großen Pause. Der Raum war der gleiche, aber die Schüler waren von anderen Lehrern vorbereitet. Und auch hier zeichnete sich schon beim Betreten des Klassenraumes ab, wie die Stunden verlaufen würden. An der Stirnseite saßen Schüler auf Tischen, die Füße auf den davor stehenden Stühlen. Kein Zeichen gegenseitigen Respekts, erst nach meiner Aufforderung, man möge sich bitte so setzen, dass Stürze unmöglich sind, begann ein allgemeines Hin- und Herrutschen. Womit die ersten fünf Minuten hingingen. Ein Begrüßen war als Ritual nicht einstudiert. Und statt ständig gereckter Finger meldeten sich diesmal immer wieder die gleichen zwei, drei, vier  Schüler. Ohne Begeisterung das alles, wenn auch nicht ablehnend.  - 
So habe ich an diesem Morgen einmal gewonnen und wäre einmal besser zu Hause geblieben. Und alles, weil einmal sorgfältig gearbeitet, vor-gearbeitet und einmal  weniger sorgfältig vor-gearbeitet worden war. Ergo stand- steht und fällt alles mit dem Engagement des Lehrers für seine Schüler, für sein Fach, für dieses oder jenes Buch. Mir soll niemand erzählen, man könne bestimmte Dinge mit den Schülern von heute einfach nicht mehr machen. - Man kann! - Ich habe es heute wieder erfahren, ich wusste es vorher, ich weiß es aus den Berichten von Lehrern, die ich kenne. Alles steht und fällt mit dem Lehrer/der Lehrerin etc. pp. Also hört auf zu klagen, arbeitet lieber. Arbeitet mit Herz. Arbeitet. Es geht. Und es lohnt sich. Es lohnt sich so sehr. Mal davon abgesehen, dass Schüler ein Recht auf Lehrer haben, die nicht "im Stehen schlafen."
Nicht verschweigen will ich, dass siebte Klassen noch zu jung für die "Große Liebe Nr.1" sind. Achte Klassen wären besser gewesen. Neunte ideal.

22:20 

Gottes Wort:  
So sprich mir denn nach: 
Ich  - Ich - Ich Hermann Mensing - Ich Hermann Mensing - Ich Hermann Mensing will - Ich Hermann Mensing will - Ich Hermann Mensing will Kreisposaunenwart werden. - Ich Hermann Mensing will Kreisposaunenwart werden. 
So gehe denn hin und fülle zudem den Posten des Synodalbeauftragen für das Bläserwesen aus.
Das Bläserwesen, oh Herr!!! 
Das Bläserwesen, ja. Freust du dich?
Ja Herr!!!
Dann blase uns einen!
Uns Herr???
Du hast schon verstanden, mein Sohn...


Fr 22.02.02   10:37  (22.02.1978 Kumily)

Auch dieser beschissene Tag will geliebt werden. Also.

11:40

Cut ruft man. Wie beim Film. Und hat sie endgültig vernichtet. Ihre Straße existiert nicht mehr. Ihre Stadt ist vom Erdboden verschwunden. Ihre Namen hat es nie gegeben und niemand erinnert sich an ihre Gesichter. Ihre Welt hat sich aufgelöst. Niemand atmet. Niemand hat je geatmet. Alles war eingebildet.  

12:51

Ich bin immer wieder erstaunt und wundere mich, noch die Kraft zu haben, irgendetwas zu wünschen, denn im Prinzip ist man als vernünftiger Mensch überzeugt, dass alles Unsinn ist. (17.11.1946)  (6)

13:49

flashback: der regen kommt gegen vier. er ist dick und schlägt hart auf das wellblechdach meines hotels. es ist undicht. ich habe eimer aufgestellt. ich liege auf meinem bett und höre dem trommeln der tropfen zu. das fenster zum hof ist vergittert. ich versuche, hinaus zu spucken, bleibe aber an einem der stäbe hängen. hinterm regen ist es grün. hier ist das land, wo der pfeffer wächst. im turmhohen bambus hängen flughunde. es gibt tiger und elefanten. und am ende des dorfes beginnt tamil nadu. 

16:27

Mich heute in der Kiemenatmung versucht. Bedingt erfolgreich. Am Wasser kann es nicht gelegen haben. Das ist reichlich vorhanden.  


Sa 23.02.02    13:40  (23.02.1978 Kumily)

Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass heute nicht mehr mit Sinnvollem zu rechnen ist. In Notfällen wenden Sie sich bitte an Peter Handke, George W. Bush oder einen Seelsorger ihrer Gemeinde. 


So 24.02.02     13:33  (214.02.1978 Kumily)

Bis morgen will ich nicht mehr an das Heute denken
bis gestern blieb ich still
ab übermorgen werde ich dir Zweifel schenken
und denken, was ich will.

17:13

Ich habe meinen Arsch nicht bewegt. Du hast deinen Arsch nicht bewegt. Wir werden ihn nicht bewegen. 


Mo 25.02.02    9:40 (25.02.02 Kumily)

MENSING-TAG 
www.literaturcafe.de/anruf 
Mit leichtem Bauchgrimmen warte ich, dass die Zeit vergeht. Ab 14 Uhr lese ich jedem vor, der mich anruft. Und warum? Aus Eitelkeit? Geltungssucht? Aus Liebe zu den Menschen?

11:41

Alles was lesbar ist, liegt bereit. Die Zweifel wachsen. 

14:05

Einige Aufregung im Vorfeld, denn ich habe unser uraltes Telefon angeschlossen, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Akkus unseres mobilen Gerätes versagen. Und - funktioniert das alte noch? - Ja. Das Freizeichen ist da. Ich führe ein Gespräch mit meiner Frau. Die Verständigung ist tadellos. - Wird jemand anrufen? - Ich zweifle. Die Zugriffe auf meine Webseite haben sich - seit unsere Aktion vor fünf Tagen auf der Webseite des Literaturcafés angekündigt wurde - nicht wesentlich erhöht, obwohl doch die tägliches Zugriffe auf die Seite des Cafés um ein vielfaches höher sind, als die monatlichen auf meiner. - Das also ist gesicherte Erkenntnis. - Und hier sitze ich nun, Prinz  auf der Erbse und warte, ob sich die Spanner des Internets aus ihren Verstecken trauen.

14:12

Heute erscheint die Welt in Mausgrau, die vorsichtigste aller Farben, die sowohl bei Tag als auch bei Nacht Schutz bietet. Hinzu kommt feiner Regen. 

14:25

Der Tisch war schon vor Stunden gedeckt. Die Anthologien liegen im Halbkreis vor mir, meine Geschichten darin mit Lesenzeichen markiert. Meine bei Ueberreuter erschienenen Romane liegen rechts, die unveröffentlichten auf meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Außerdem habe ich eine Liste vorbereitet, in die ich Anrufer eintragen werde. Zeit. Name. Text. 

14:44

Der Wartende bevorzugt die Horizontale. Er ist das Warten seit langem gewöhnt, aber dieser Fall ist ein besonderer Fall. Dieses Warten gilt dem Verborgenen. Das alltägliche Warten dem Offensichtlichen: dem Verrinnen der Zeit.

15:00

Die erste Stunde ist vorüber, meine dunklen Ahnungen scheinen sich zu bestätigen. 

15:10 

Während die Zeit tropft, übe ich professionelles Abheben des Hörers. Ja. Mensing. Sie sind gar nicht dran? Sie wollen nicht hören. Na bitte! Ich wusste es doch. Danke. Auf Wiederhören. 

15:20

Sind Schriftsteller gefährlich? Muss man fürchten, eines Vergehens überführt zu werden, wenn man sie anruft? Muss man der Wahrheit ins Auge blicken oder schreckt schon die Vorstellung, dass es lebende Schriftsteller gibt, dass nicht alle längst unter der Erde vermodern? - Wer weiß. Hier sei gesagt, dass lebende Schriftsteller nur darauf warten, dass man sie liebt. 

16:05

Die ersten eineinhalb Wartestunden  ins Netz gestellt. Rechtfertigungsstrategien entwickeln sich. Etwa: ist der gemeine Internet-Spanner nicht in Wirklichkeit nachtaktiv? Nach dem Abendessen etwa, wenn er seiner Frau weis macht, er habe noch zu arbeiten? Und ist nicht statistisch verbürgt, dass mehr als 90% aller Internet-Zugriffe Mördertitten, feuchten Mösen, geilen Hausfrauen von nebenan und blonden jungen Studentinnen gelten? - Ja, das ist verbürgt. Wo, fragt man sich, bleibt da der literarisch interessierte Internet-Spanner (der natürlich auch Sex-Surfer sein kann)? Bevorzugt auch er späte Stunden? Ist er Lehrer, der graue Nachmittage für sein Leben gern verschläft? - Ich weiß es nicht. Ich hoffe. Und so hoffe ich mich in die dritte ereignislose Stunde. Einem grandiosen Misserfolg entgegen.

16:20

Seit etwa 17 Monaten bin ich mit meiner Webseite on-line. 3205 Menschen haben sie seitdem besucht, aber das feedback darauf ist an zwei Händen abzählbar. Das hat mich von Anfang an erstaunt und erstaunt mich noch immer. Stützt das meine These des gern anonym bleibenden Internet-Spanners? Des flüchtigen Betrachters? Ist jeder Text im Internet also ein verlorener Text, sei er noch so groß geschrieben? Geht es im Netz nur um Bilder? Ist die Weigerung des Internet-Surfers, seine Anonymität zu verlassen, der Beweis, dass das Buch nicht zu schlagen ist? - 
Zweieinhalb Stunden sind vorüber. Das Kribbeln im Bauch hat nachgelassen. Ich bin bester Stimmung. Ich sitze die Zeit ab, ohne bezahlt zu werden, ich reihe einen Satz an den nächsten und freue mich auf den Dienstag. Morgen nämlich lese ich vor lebenden Menschen. 

16:50

Der einzig Sprechende in diesem Raum ist unser Wellensittich. Auch er, wie ich, Wartender. Seit sieben Jahren hockt er auf seiner Stange, balzt einen Spiegel an und vergisst Mal um Mal, dass Sex mit Spiegeln unmöglich ist. Gerade aber habe ich mit ihm eine Vereinbarung getroffen. Sollte das Telefon, auf das ich nun seit fast drei Stunden starre und das offenbar seine Sprache verloren hat, heute tatsächlich noch zu sprechen beginnen, wird er für mich antworten. Was immer der Anrufer sich auch wünschen wird, die Geschichte, die unser Wellensittich ihm vorliest, wird heißen: Komm Karli. Karli Karli komm. 

17:12

Man müsse doch mal bedenken, wer denn eigentlich zu Lesungen gehe, sagt meine Frau, offensichtlich bemüht, mich aus dem düsteren Tal der Enttäuschung zu befreien. - Niemand, antworte ich gut gelaunt, oder so gut wie niemand. - Siehst du, sagt sie, und deine Telefon-Aktion ist ja noch zehn Nummern härter. Hier ist man mit dem Autor ja sozusagen allein. - Ja, sage ich, klar, Härtegrad III, aber wann hat man sonst schon einmal diese Gelegenheit? - Meine Frau lacht. Ist er denn gar nicht enttäuscht, denkt sie, und weil ich alles, was sie denkt, längst weiß, greife ich ihr an ihre Lieblingsstelle. Worauf wir lachen. - 
Ja, ihr Weicheier, mit euch hatte ich auch nicht gerechnet. - Aber wo bleiben die Hartgesottenen? Die Ausgekochten? Die sich vor nichts fürchten? If life get's boring - risk it!!! 

17:30

Karli Karli ist bereit.  

17:59

Seit niemand mehr anruft, hat sich die Geburtenrate im vereinten Deutschland ein wenig erholt. Bedeutet das, dass alle es tun, während ich hier wie blöde sitze, es nicht tue und darauf warte, dass die andern endlich aufhören es zu tun, und mich anrufen??? - Wenn es so ist, will ich gern noch einen Augenblick warten. Aber hecheln Sie mir nicht ins Ohr, ja!!!

18:04

Nennen werde ich die Chronik der laufenden Ereignisse nicht etwa 'Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich!!!' - nein, ich werde den Schwarzen Peter verschieben. Das hält mich schuldlos, und beschämt die anderen. Titel daher: Von der Feigheit des Internet-Spanners. 

18:05

Rrrrrrrrrinnnggg!!!! - Ja, Mensing. - Ach, Sie? - Ich hatte schon gar nicht mehr mit Ihnen gerechnet. Ja. Gern. - 
Fake oder Nicht-Fake??? 
Fragen stehen im Raum. Große gewichtige Fragen. Etwa: soll ich den berühmten Kreuzschnitt ansetzen? Soll ich den Doppelknoten knüpfen, den nächsten Dachbalken suchen, schließe ich mein Bügeleisen kurz oder stürze ich mich in die eisigen Fluten des Meckelbaches? - Noch weiß ich nicht, wofür ich mich entscheide oder was wahr oder unwahr ist. - Gesichert ist nur, dass die fünfte Stunde begonnen hat.  Macht bisher € 1024. 
PS. 
Es ist dunkel. Sie können ihre Deckung verlassen. 

18:25

Die Welt bereitet sich auf den Abend vor. Ich werde umziehen. Ich werde den runden Tisch im Wohnzimmer verlassen, den ich seit 14:00 besetzt halte und mich in meinem Arbeitszimmer verbarrikadieren. Dort werde ich mich für eine der oben genannten Todesarten entschließen. Neu hinzugekommen sind: Tot-Kiffen. Tot-Saufen. Tot-Ficken. Tot-Onanieren. Nicht ganz ohne Reiz, das werden Sie zugeben müssen. Aber wir werden sehen. Bis dahin, aloha!!!!

19:02

Die letzte Stunde. Die Stunde des Abschieds. 
Meine sehr verehrten Damen und Herren! 
Still und zurückgezogen verbrachte Herr M. die letzten Stunden seines sinnlosen Lebens in Treue fest an der Seite seines geliebten Telefons. Mit ihm wird man ihn nun kremieren. Seine Asche wird man auf der Nordseeinsel Ameland verstreuen. Darauf freut er sich schon. Wie er als weiß-grauer Staub für Augenblicke über den in den Sandstrand gestanzten Wellen schwebt und im Nichts verweht. Das wird schön. 

19:21

Drei Gold: Drei Silber: Drei Bronze: Für M. Wer wollte da klagen. Wer wollte da behaupten, niemand habe angerufen. Alle haben angerufen. Ununterbrochen klingelte das Telefon. Nur die Hartnäckigsten kamen durch. Nur die Mutigen, die Wagemutigen ertrugen die Nähe des Dichters M. Und noch ist Zeit. Noch bleiben 39 Minuten. Also....

19:40

Außer Konkurrenz (da bekannt) riefen an: Wolfgang T., Betreiber des Literaturcafés. Ich las Seite 13-15 aus der "Sackgasse 13". Gleich darauf Stefan V.  Mache manchmal Musik mit ihm. Las aus "Meier der Große". Vor wenigen Augenblicken dann noch Gesine R. Las den Anfang von "Flanken, Fouls und fiese Tricks". Und alle wollten mich trösten. Dabei brauche ich gar keinen Trost.  

19:54

Verschwiegen bleiben 4000 Anrufer, die ich mit Texten aus zwanzigjähriger Arbeit verwöhnte. Manchem flüsterte ich nur das Wort "Literatur" zu, mehr Zeit blieb nicht. 

20:00

Der Vorhang fällt und alle Fragen bleiben offen.  


Di 26.02.02   17:56  (26.02.1978 Kumily)

Lesung in Hattingen 

6:50 -  9 Grad Celsius - Regen. Ich flöte gegen die mich umgebende Verzweiflung des frühen Morgens. Aber jeder sieht, dass ich nur flöte, weil ich nicht jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr um dies Zeit unterwegs sein muss. Ich enttarne mich selbst. Meine gute Laune ist die gute Laune der Ausnahme, nicht des Alltags. Aus allen Richtungen kommen sie, mit kurzen Blicken gelingt den meisten die Navigation, niemand rempelt den anderen an, nur als als ich Straße überquere, wird spürbar, wie gern die wartenden PKW Fahrer jetzt auf die Tube drückten, um störende Fußgänger zu Brei zu fahren. 
Ich bin unterwegs. Zwei Lesungen in Hattingen an der Ruhr. Vierte Klassen. "Sackgasse 13"  Lebendige Menschen.

7:08

Zum Trost singt die Bahnhofsamsel, die (ich habe es selbst schon gehört) auch im tiefsten Winter nicht verstummt. 

9:08

Zwischen Essen Kray und Hauptbahnhof werfe ich einen Blick auf den Sokrates Grill. Alle sind da, haben ihre Tuniken gerafft, jemand mit der Leier steht neben der Fritteuse und spielt früh-griechischen Sirtaki, während die Herren beraten, ob das Sein dem Nichtsein vorzuziehen sei, oder man besser doch erst eine Dose Bier zischen sollte. 
Das Folkwang Museum kündigt eine Max Beckmann Ausstellung an. Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken werden gezeigt. Titel: "Spektakel des Lebens." Das passt. Ich befinde mich mittendrin. 

12:20

Hattingen - Einkaufsstraße "Euphrat - Döner". Der jammernde Gesang des Orients begleitet die Zubereitung eines Döners, den ich gleich essen werde. Alle Gassen der Altstadt streben zum Talgrund. Fachwerk und Schiefer. Der Geruch alten Fetts und geschliffenen Metalls.
Eine Eule ziert den Eingang eines Fachwerkhauses von 1728 in der Johannistraße. Frau Palkin wohnt hier, eine alte Dame, die auch im Kirchenrat ist. Jedenfalls sagt das ein Passant, den ich frage, ob er wisse, was es mit der Eule neben der Tür auf sich habe. Er sagt, jetzt, wo Sie es sagen, sehe ich sie zum ersten Mal. Aber ich kenne die Dame. Wir könnten schellen und fragen. Ach nein, wiegle ich ab.
Im Restaurant "Odeon" an der Eschstraße gibt es frischen Zander, Wels, Lachs und Steinbeißer. Bis auf den Lachs könnten diese Fische Bewohner der Ruhr sein. - Entschuldigen Sie, stammen Sie aus der Ruhr?
Das 'Haus der evangelischen Kirche' ist bis zum Kragen mit Schiefer verschindelt und hat giftgrüne Fensterläden. Der Kirchturm der gegenüberliegenden Kirche ist fast so schief wie der Turm von Pisa. Hinter der Kirche sind ein paar Gräber. Hinrich Arnold liegt da, am 3. September 1744 gestorben. Wilhelmine Blumroth auch. 
Und aus diesen Häusern treten sie dekoriert, die Orden wechseln, aber sie liegen immer stolz auf der Brust, Orden von diesen und jenen  Herrschern, ich dachte an braunes Gebrüll, das sich in dieser von einer Stadtmauer geschützten, heimeligen ur-deutschen Stadt vielleicht besondern gut machte, damals, wer weiß.
Die Familie Hildebrand hat hier ihren Stammsitz, was zunächst nichts weiter sagt, wenn aber aus Hildebrand Hill wird, bin ich schnell bei dem ersten Supermarkt meiner Kindheit. Er war auf der Neustraße, die auch in meiner Stadt einmal Adolf Sie Wissen Schon Straße geheißen hat. 
Alkoholiker mögen nicht, dass man sieht, wie sie saufen. So lange es geht, wahren sie die Fassade. Und so steht dieser im Eingang des Mediterrano Internet-Cafés neben der Woolworth, steht mit dem Gesicht zur Wand, links durch vorspringende Mauern gedeckt, holt ein Fläschchen Magenbitter aus seiner Manteltasche und kippt den Inhalt in sich hinein. 

ca. 13:10

Zwischen Bochum Dahlhausen und Hattingen tritt die Ruhr über die Ufer. Ein Regentag noch und die Campingplätze melden Land unter.
Felder knöcheltief im Matsch, glänzende Flächen trotz grauen Himmels am Morgen. Dito die weiten, noch nicht mit Automobilen vollgeparkten Flächen um einen Supermarkt, die ich auf der Hinreise sah. Dass dies kein See ist, erkenne ich erst auf den zweiten Blick an den Parkmarkierungen. 
Nun aber Schwäne auf überfluteten Ruhr-Wiesen.
Texturen: Grün mit sandfarbenen Grasköpfen. Inseln gleich, nicht mehr lange, und sie saufen ab. 
Bochum Dahlhausen schenkt mir einen Regenbogen, eine Röhrenfabrik und ein wärmeisoliertes Holzhaus links von der Bahn.  Birken fingern auf Schotter nicht mehr befahrener Gleise. 
An manchen Stellen ist die Ruhr doppelt und dreifach so breit wie normal. 
Die Ansage im Zug ist lustig. Statt nächster Halt sagt eine überaus freundliche Männerstimme "Nächster Hahalt ....". Wusste nicht, dass ein einsilbiges Wort zweisilbig so viel Freude verbreiten kann. 
Essen-Steele: härtere Klientel steigt ein. 

13:28

Im Zug zurück. Zwei Reihen hinter mir knattert die tamilische Zunge einen Konsonanten nach dem nächsten, eine vor mir schwelgt die türkische in Vokalen. Schön, diese klangvollen Sprachen, nicht auszudenken, wenn auch sie der Globalisierung zum Opfer fielen und alle schließlich nur noch die Sprach der GUTEN sprächen oder sprechen müssten.
Eine rote Bahn fährt auf einem Nebengleis ein. LTU Express: nächster Halt Mallorca steht drauf.
Jeder ist eine Nachricht. Nicht leicht zu lesen, noch schwerer zu deuten, aber es gibt Hinweise, die Vermutungen nähren und oft sogar bestätigen. 
Von weitem sieht ein jeder schon da kommt a Depp daher, von weitem sieht ein jeder schon, dös is a Depp. (Haindling in den 70ern)
Ein Glück.
Zur Lesung reicht dies: Gelungen. Schweißgebadet. Glücklich. 
Und was geschah, als ich das große Kaufhaus in M. betrat, um eine neue Glühbirne für unsere Halogenlampe zu kaufen? - Nun, ich kaufte mir einen Anzug und vergaß darüber die Glühbirne. Ging dann aber zurück und erledigte mein ursprüngliches Vorhaben dennoch. 

19:05 

Ich wünsche mir, dass die Christdemokraten an ihren eigenen Ausdünstungen ersticken. 


Mi 27.02.02   13:14 (27.02.1978 Thekkady Wild Life Reservat)

Der Wind streicht in Eile die Flächen blank und kraust alle Wasser. Treibt Wolken zu Rudeln her und davon, lässt tiefes Blau leuchten und zaubert pladdernden Regen in Nullkommanichts. Das ist der Tag. Und hier bin ich.  

14:19

Meine Frau und ich fahren am Samstag mit der Deutsch-Russischen Gesellschaft  zur Ilja Repin Ausstellung in Groningen. Da Russen herzlich und trinkfreudig sind, werden wir im Bus mit einer Tasse Wodka begrüßt, die bis Groningen immer wieder gefüllt wird. Bei Ankunft stürzen sich drei mutige Moskowiter unter anfeuernden Rufen der durch das schlechte Abschneiden bei den Olympischen Spielen stark gefrusteten Russen in die Gracht hinterm Museum und beginnen ein früh-märzliches Triathlon. Die übrigen marodieren durch das Museumsgebäude, erbrechen sich in die Cafeteria, fordern entsetzte Niederländer zum Kasatschok auf oder tun beides gleichzeitig. Nach einer Verschnaufpause, die hinterhältige Calvinisten nutzen, um die Polizei zu benachrichtigen, entsteht ein erbitterter Kampf um die Wodkavorräte. Am späten Nachmittag reisen wir zurück ins heimatliche Münster. Dort müssen wir den Russen versprechen, sie gleich morgen zu besuchen, um das Fest in anderer Umgebung weiter zu feiern. Wir freuen uns schon. 

15:50

Mein rebellischer Fan aus Österreich hat sich wieder gemeldet. 
ich bins mal wieder. ich weiß, ich belästige sie nur, aber
ich schreib ihnen trotzdem. ob sie antworten oder nicht,
weil ich sie mit meiner meinung beleidigt haben sollte, bleibt
allein ihre entscheidung. wollte aber trotzdem nochmal
versuchen, ihnen etwas zu entlocken *g*. denn wie gesagt,
ich finde ihre bücher echt toll (jedenfalls die zwei, die ich kenne)
und sie persönlich eigentlich echt nett. aber okay, wenn sie glauben,
ich sei ein aufdringlicher, frecher, kleiner bengel, dann ist
mir das ehrlich gesagt scheiß-egal. denn ich ich kann auch ohne sie.
ob sies glauben oder nicht. aber (ich muss mich wiederholen) es wäre echt
toll, und ich wäre total froh, wenn sie mir noch schreiben würden.
ihr benny.

17:18

Ich
setzte mich zurück an den Schreibtisch und tat, als könne ich mir selbst Gewalt androhen. Ich wusste nicht, um welche Gewalt es sich dabei handelte und wo sie herkam. Es war ein Spiel mit hysterischen Gebärden, eine Art innerer Krieg, in dessen Verlauf ich mehrmals vor mich selbst hintrat und die Drohung ausstieß, dass ich, Hermann Mensing, in spätestens zwei Monaten als verlauster Penner der Fürsorge zum Opfer fiele, wenn ich nicht sofort den nächsten Satz schrieb. Und die Drohungen halfen.
(6)  Kursiv: Änderungen von mir.


Do 28.02.02   12:05 (Thekaddy Wild Life Reservat)

dämliches
aus dem hause men-sing:

heftig hebelt meister m.sing
einer dame hoch das kleid
während wie benebelt sie singt
ist es endlich bald so weit  
gute frage, spricht herr m.
please bedenken sie - die jahre
ach, Sie sind ja wohl plemplem  
haucht sie aus, die wunderbare  
m. flieht daraufhin den ort
und geht fort
nie mehr will er liebe machen
es gibt doch auch andre sachen
nie mehr ruft er kikerikiiii
schaut, der alte sack ist hie.

mehr davon

13:23

flashback: Am Morgen gehe ich durch den Wald. Affen folgen mir in den Kronen der Bäume. Am See ist ein Gästehaus der Regierung. Von dort fahren Boote ins Reservat. Zu siebt haben wir eine lodge gemietet, ein Bungalow, umgeben von einem tiefen breiten Graben, der uns die Tiger vom Hals halten soll. Dort wollen wir die nächsten Tage verbringen. K.K. Raghavan, ein Wildhüter, begleitet uns. Er ist ein guter Geist, der auch kocht und tut, was wir wollen. Unser Sklave, aber keiner von uns nennt das so. Schließlich sind wir  Vertreter der Love and Peace Generation. Ein verkiffter Haufen, der sich in den indischen Busch verkrümelt, und hofft, nicht von Tigern gefressen zu werden. Aber sehen würden wir schon gern so ein Biest.  

20:08

Und fror so. Und wünschte sich weit fort so. Und sonnte sich in seinen Träumen so. Und träumte sich in einen warmen Wiesengrund. Und blieb so.  
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1. "Wer wusste je das Leben recht zu fassen" August von Platen /1796-1835 // 2. Noam Chomsky  "The Attack. Hintergründe und Folgen." Europa Verlag Hamburg 2002 // 3.  Hermann Mensing "Zuversicht süße Lüge" Roman (unveröffentlicht) , Hermann Mensing, 1988  // 4. "Not dark yet" von "Touched by an Angel" Bob Dylan 1997 // 5. Wilhelm Genazino "Abschaffel" Eine Trilogie Rowohlt 1977 // 6. Max Beckmann Tagebücher // 6. Wilhelm Genazino "Fremde Kämpfe" Roman Rowohlt 1984 //

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