Februar 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Fr 1.02.08   9:21

Seit einer Woche rauchfrei und - wie immer - erstaunt, wie einfach das Aufhören ist. Man tut es einfach nicht mehr. Feierabend. Nicht so einfach ist es, nicht wieder anzufangen. Die sich häufenden Rückfälle nach meiner zehnjährigen Rauchabstinenz hatten alle damit zu tun, dass innere Stimmen mein Motiv lächerlich machten und sagten, was soll's denn, du stirbst sowieso. Irgendein Laster musst du haben, sonst wird es langweilig. Mein augenblickliches Motiv ist ähnlich stark wie das, das mich 1995 aufhören ließ. Wir werden also sehen.

In diesem Februar werde ich fünf Mal lesen.
Ich werde eine Woche auf der Insel verbringen, aber zunächst, heute mittag nämlich, werde ich mit Wolfgang Tischer vom Literaturcafé ins Studio fahren.
Er wird dort Zuversicht süße Lüge einsprechen.
Carsten ist Tonmeister, Jan wird die Arbeit filmisch dokumentieren, wenn sie getan ist, werden die Audiodateien bearbeitet und dann im Literaturcafé als Podcasts veröffentlicht. Stück für Stück, sozusagen.

Bin gespannt.
Jetzt aber noch: Wäschwasch und Aufhäng, Spülweg und Staubsaug.

10:32

Da närrische Zeit ist, gestatten Sie einen kleinen Rückblick auf eine der erfolgreichsten Büttenreden des letzten Jahres, hach, was sage ich, der letzten 111 Jahre.

  

Sa 2.02.08    6:03

Wenn man spät abends noch über das Web 2.0 diskutiert und erfährt, dass man mit den Standards, die man nutzt, längst abgehängt wurde, kann es sein, dass einen der Gedanke an einen Relaunch mit dynamischen Seiten aus dem Schlaf reißt und die Nacht frühzeitig beendet. Dass man rotiert wie die Hähnchen vom Hähnchen Maxe, die wir uns gestern nach der Rückkehr aus dem Studio noch kauften.

Aber eine Webseite wie meine verfügt über eine umfangreiche, über die Jahre gewachsene Struktur. In 27 Ordnern befinden sich 1599 Dateien, und die sollte ich dem neuen System anpassen?

Das wäre eine Arbeit für Monate und was wäre gewonnen? - Nein, nein, ich lege mich wieder hin.
Schließlich lautet die Devise der Systemadministators: never change a running system, und ich werde den Teufel tun, das nicht zu befolgen.

Sollen sich die Blogger dieser Welt gegenseitig mit RSS Feeds die Hölle heiß machen, wer Mensing lesen will, kriegt ihn so und nicht anders.


So 3.02.08  15:02

         

Zwei Tage Studioarbeit, nun ist unser Gast und Sprecher dahin zurück, wo er hergekommen war.
Wir haben ein Ergebnis, mein Roman Zuversicht süße Lüge existiert als Audiodatei, interessant, zu erleben, wie ein guter Sprecher einen Text, der fast 20 Jahre alt ist, interpretiert.

Wir hatten währenddessen eine gute Zeit, wir fuhren über Land, wir eilten nicht, nach der Arbeit aßen wir gut und hatten einen Trash-TV-Abend mit unglaublichen Schicksalen und abgehalfterten Stars. Da sie das alles ja freiwillig tun, überschütteten wir sie mit Hohn und Spott.

Dazwischen Werbung.
Mein augenblicklicher Lieblingsslogan: die O (komma) nix Leasing Rate bei Peugeot.

Heute noch ein wenig Sightseeing mit dem karnevalsscheuen Gast.

Muse M. und ich fuhren anschließend in die Kunstakademie, um, wie der Name schon sagt, Kunst zu sehen. Wie Sie zweifellos wissen, ist auch Kunst letztlich nichts als Geschmacksache, daher bitte ich Sie, glauben Sie nichts von dem, was Sie nun lesen, aber dieser Rundgang war nicht mehr als

   

falls Sie verstehen, was ich meine.

A
ls es dann plötzlich auch noch hieß, bitte

 

hatten wir die Nase endgültig voll.

Wir verfolgen die Rundgänge der Akademie nun seit langer Zeit.
Dieser war, was die Malerei anlangt, der traurigste seit langem.
Schade.

Schlechte Kunst macht schlechte Laune, und ich fürchte, das wird der Soap, die ich heute abend noch sehen werde, nicht unbedingt zugute kommen.

 

Mo 4.02.08   10:29

Dass die extreme Rechte demokratische Medienvertreter nicht mag, ist nichts Neues.
Dass sie sich hinter demokratischen Parolen verschanzt, auch nicht.
Wir sind entsetzt.

 

Di 5.02.08   9:27

Ich habe immer geglaubt, gut Englisch sprechen zu können, aber das stimmt nicht. Gestern abend sah ich seit langer Zeit wieder einmal die Beatles in A hard days night. Jetzt weiß ich, dass mein Englisch höchstens ausreicht, um mit auf mich Rücksicht nehmenden Engländern gepflegte Gespräche über dies und das zu führen, dass ich aber von den Idiomen der working class nur Signalworte verstehe, aus denen ich mir meinen Reim machen muss.

A hard days night ist auch nach fast fünfzig Jahren ein witziger Film, so wie ich nach fast 60 Jahren ja auch noch recht frisch bin, nicht wahr? (beliebte Formulierung der Figur Helena in Das Soap Ding II)

Soll ich noch etwas zur Soap sagen und zu meiner Enttäuschung, dass die Presse nichts merkt?
Nein. Es ist abgemacht. Das Medium ist die Message, der oder die Autoren hinterm Bühnengeschehen sind auswechselbar, es merkt eh niemand.
Hauptsache, das Licht geht aus, ein Vorhang öffnet sich und irgendjemand sagt irgendetwas.


Dankeschön. Bitteschön.
Was haben Sie für schöne bunte Knöpfe an der Uniform.

Und jetzt:
Verlage bemustern. Hoffnungsfeuer schüren. Nicht aufgeben.

18:08

Arbeitskolleginnen meiner Frau, Bekannte und Nachbarn glauben, aus meiner recht häufigen Präsens in der Zeitung schließen zu können, ich sei erfolgreich, auch finanziell.

Ich selbst glaubte bis heute Ähnliches von einer Kollegin, die ich seit über einem Jahrzehnt kenne.

Ich glaubte das, weil sie Preise bekommen hat, für das Goethe Institut liest und bei Verlagen veröffentlicht, bei denen auch ich gern veröffentlichen würde.

In Vorbereitung auf meine Bemusterungsaktion 2008 rief ich sie also heute an, um den ein oder anderen Namen zu erfahren, der mir den Weg in die Lektorate vielleicht ein wenig ebnen, zumindest aber persönlicher gestalten könnte.

Wir tratschten und das Erstaunlichste Ergebnis dieses Tratsches war, dass ich erfuhr, ihre zu erwartende Rente läge noch unter meiner. Als sie erfuhr, wie häufig ich lese, fragte sie, wie ich denn das hinbekäme?

Man lernt eben nie aus.
Vor allem wenn es um Schein und Sein geht.

 

Mi 6.02.08   15:55

Nebelfetzen in den Wipfeln der Buchen des Teutoburger Waldes und Wiehengebirges heute früh, kübelweise Regen auf dem Rückweg von meiner Lesung, die keine schlechte Lesung war, wenngleich von totalem Desinteresse der Lehrer begleitet, was ja nicht neu ist.

Zurück in MS nahm ich ein spätes Frühstück in den Arkaden, ließ paradieren und dachte mir meinen Teil, machte mich noch einmal auf Hosensuche und wurde fündig.

 

Do 7.02.08   9:45

Eigentlich bin ich schon nicht mehr hier.
Eigentlich bin ich auch nicht arm.
Eigentlich ist alles nur Täuschung, denn wie sagte der vor ein paar Tagen verstorbene Guru Maharishi Mahesh Yogi: "Jeder ist zur Freude geboren."

Sogar ich? Ja. Sieh mal an.

In den Neunzehnhundertsechzigern des vorigen Jahrtausends hatte ich eine Brieffreundin in London. Linda und ich korrespondierten wöchentlich. Unsere Briefe hatten Format. Unter 10 Seiten fingen wir gar nicht erst an. Ich war also stets auf dem Laufenden, was die neuesten Hypes in London betraf.

Als Maharishi den Beatles den Kopf verdrehte, dauerte es nicht lange, bis auch Linda beschloss, sich von ihm initiieren zu lassen. Ganz einfach wäre das, schrieb sie, sie müsse nur Blumen, Obst und ein frisches Handtuch mitbringen, der Guru würde ihr ein persönliches Mantra zuteilen, das sie quasi auf der Stelle ins transzendentale Nichts expedieren würde.

Sie ging mit ihrer Freundin hin. Als beide fertig waren (ich nehme an, mit vor Glück tränenfeuchten Augen), als beide in der ganz und gar untranszendentalen U-Bahn Richtung Manor House saßen und sich über das Treffen mit Maharishi austauschten, kam natürlich die Frage auf, wie denn das Mantra hieße, das die Freundinnen unter dem heiligen Versprechen der Geheimhaltung bekommen hatten.

Die beiden drucksten herum, schließlich hätte es ja sein können, dass die heiligen Silben vom Himmel gefallen waren und die Preisgabe derselben sie in die ewige Verdammnis katapultiert hätte, aber dann überwanden sie diese Scheu und rückten damit heraus.

Und siehe, beide hatte die Silbe Ommmm zugeteilt bekommen, die nun auch mir zur Verfügung stand.

So kam es, dass ich 1967 oft auf dem Sofa unterm Fenster meines Zimmers im Dachgeschoss der Bismarckstraße 22 in Gronau saß, die Beine zum Lotussitz verknotete (was mir auch heute noch ohne großes Reißen im Kreuz gelingt, ich bin eine Naturbegabung) und versuchte, mich mit innerem Ommm-Brummen in einen anderen Zustand zu versetzen, von dem ich nicht genau wusste, was für ein Zustand es überhaupt sein würde.

Möglich, dass ich ihn also überhaupt nicht bemerkt habe damals, auch möglich, dass ich zu ungeduldig war, denn früher oder später schlafen einem die verknoteten Beine natürlich ein und man kommt sich blöd vor, das yogische Fliegen hat auch noch nicht eingesetzt, obwohl man vorsorglich die Fenster geschlossen hatte, es wäre ja möglich gewesen, man wäre hinausgeflogen, man beschließt, aufzuhören und ist sofort wieder zurück in der Wirklichkeit.

Man ist Lehrling im dritten Lehrjahr, man fühlt sich ausgebeutet und fehl am Platz, man weiß nicht, wozu man überhaupt in der Welt ist und wo das alles hinführen soll, man hat große Pläne aber keinen Plan, mit einem Wort, es war damals wie heute, nur dass man damals jung war und noch alles vor sich hatte, während man heute nicht mehr jung ist und auch noch alles vor sich hat.

Maharishi ist tot, man selbst lebt noch.
Morgen wird man drei Lesungen abfeuern, was, wie man weiß, hart ist, sehr hart, aber man wird es schaffen, und dann wird man sich ins Auto setzen und die Insel ansteuern.

Heute scheint (so scheint es) zum ersten Mal seit Jahren wieder die Sonne, die Meteorologen versprechen ein stabiles Hoch, man interpretiert das auf seine Weise so und so und fängt schon an zu packen. Man sagt sich, dass die Welt doch schön ist, dass alle Idioten sind, nur man selbst nicht, ja, und dann fällt einem ein, dass man ja eine Maschine voll Wäsche im Keller hat, die darauf wartet, aufgehängt zu werden. Man stellt sich auch dieser Herausforderung und achtet darauf, sich nicht aus Versehen selbst aufzuhängen.

14:06

Kaffee auf dem Balkon. Ein Versuch. Geglückt.

 

Fr 8.02.08     13:57

Morgens, mit dem Sonnenaufgang hinter mir, finde ich langsam in den Tag und die Laune dazu. Aufsteigend, mit Schlaf kämpfend, darauf achtend, dass mir die Astronauten, die Stoßstange an Stoßstange die Nacht wegschieben, nicht zu nah kommen.

Ich bin auf dem Weg nach M., zur dreifachen Lesung.
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr war ich schon einmal dort. Gegen neun wird der Bäcker kommen und belegte Brötchen bringen. Er bringt sie extra für mich, damit ich sie in der Pause essen kann. So ist das in M. an der St. Vitus Grundschule, so etwas erlebe ich nicht allzu häufig, wenn ich lese.

Jetzt habe ich zuende gelesen, ich habe Kaffee getrunken, meine Tasche ist gepackt, das Wetter spielt auf beängstigende Art plötzlich Frühling, aber ich werde es genießen.

 

Mo 18.02.08   11:05

Nach Rückkehr schwer traumatisiert. Daher nur dies.

 

Di 19.02.08   9:05

Man weiß nicht, was man erhält, wenn man Blumenzwiebeln sackweise kauft, man hofft auf die Vielfalt der Blütenfarben, die das Etikett ankündigt und eigentlich hat man auch keine Zweifel. Man gräbt die Zwiebeln ein, es ist Herbst, man vergisst sie, die Zeit fliegt, es wird Januar.

Anfang Februar sieht man erste Spitzen die Krume durchbrechen. Da fällt einem alles wieder ein. Wie man herumgekrochen ist, wie man mit diesem Billigstlochgrabegerät herumgefuhrwerkt und gerade mal ein Loch korrekt hingekriegt hat, eh es sich haltlos verbog, wie man sich ausmalte, das Beet würde von einem bunten Blütenteppich überzogen und man selbst könne daraus Nutzen für's Überleben ziehen, denn schließlich ist jede Frühlingsbotschaft eine gute Botschaft und gute Botschaften sind besser als schlechte Botschaften und man erinnert sich, dass die Welt per Defintion eine schlechte Botschaft ist und freut sich diebisch, ihr ein Schnippchen geschlagen zu haben.

Und Mitte Februar dann das: müdes Dottergelb wohin man schaut. Ausgebleichtes Elfenbein dazwischen.

So ist er also, der niederländische Krokus, denkt man, er geizt.

12:10

Der Hase führt ein armseliges Leben.
Statt sich, wie das Kaninchen, eine vernünftige Höhle zu bauen, in der es warm ist und trocken, in der man geschützt liegen und schlafen kann, tut der Hase nichts dergleichen, warum auch immer.

Ich sah auf Ameland einen Hasen, der auf einer Wiese - groß wie ein Fußballfeld - eine Krähe jagte. Die Krähe saß im Mittelkreis, als der Hase auftauchte. Die Krähe hatte Fressbares im Schnabel. Der Hase jagte direkt auf sie zu, die Krähe erhob sich, flog in nicht mehr als einem Meter Höhe davon, der Hase verfolgte sie bis an Ende der Wiese. Dann kehrte er um und machte sich daran, zwei Bussarde, die das alles, an der rechten Seitenauslinie auf einem Zaun sitzend, beobachtet hatten, zu vertreiben. Auch sie stiegen auf, auch ihnen folgte er eine Weile, dann sah ich ihn nicht mehr.

Dummer Hase.

Von H. hörte ich, dass es sich um einen männlichen Hasen gehandelt haben könne, der, so H., in der Paarungszeit nicht zögere, allem, was sich bewegt, hinterher zu rennen, in der Hoffnung, es rammeln zu können.

Sagte doch: dummer Hase.

12:27

Und nun Bild und Ton. Man staunt.

 

 

 

Mi 20.02.08   10:17

Ich weiß nicht, wie die Maschine heißt. Ich weiß auch nicht, wo sie steht. Ich weiß nur: ich stehe vor dieser Maschine. Ich hat weder Alter noch Tageszeit. Ich steht nur da und schaut auf diese Maschine. Ein Laufband transportiert Dinge heran. Ich weiß, was das für Dinge sind. Es sind Dinge, die Verstorbenen gehört haben. Es sind prächtige Dinge und schäbige, je nachdem. Manche glitzern verführerisch, sodass Ich sie einstecken möchte, aber das darf es nicht. Ich muss nur vor dieser Maschine stehen und zuschauen, wie die Dinge vorbeigleiten und am anderen Ende in einem Loch in der Wand verschwinden.

Was dahinter ist, weiß Ich nicht.

Vielleicht fallen da all diese Dinge in ein großes Loch, könnte sein. Könnte auch sein, dass ein anderes Ich, genau so eines wie Ich, hinter diesem Loch an einer Maschine steht und nicht weiß, wie die Maschine heißt. Es weiß auch nicht, wo sie steht. Es weiß nur: Ich stehe vor dieser Maschine. Auch dieses Ich hat weder Alter noch Tageszeit. Es steht nur da schaut auf diese Maschine. Ein Laufband transportiert Dinge heran.

Ich weiß, was das für Dinge sind.

Als etwas verführerisch glitzerndes herangleitet, steckt Ich sich das Ding ein. Steckt es ein, schaut sich um und überlegt. Was, weiß es nicht. Es weiß nur, dass es Ich ist und träumt. Das jedenfalls weiß es ganz genau. Und es ahnt auch, dass es gleich aufwachen wird.

Es wird aufwachen, weil jemand zu ihm sagt, ich sollte dich erinnern.
Ach ja, sagt Ich, das gerade noch träumte und jetzt wach werden soll. Ach ja. Danke.

Aber es steht noch nicht auf. Es vergewissert sich nur der Tageszeit, rollt sich aufs Ohr und versucht noch ein wenig zu schlummern. Anderen Ichs mag so etwas gelingen, meinem Ich selten bis nie. Mein Ich hört alles. Während sich ein vom blassrosa Himmel über die weiß gefrorenen Dächer schiebt, zerren die Geräusche der Autobahn an meinem Innern. Sie sind genauso laut oder leise wie das Meer, aber im Gegensatz zum Meer tun diese weh, so weh, dass Ich schließlich aufstehen muss.

Und das sieht es, genauso....

11:43

Man höre und staune noch einmal....

 

 

Do 21.02.08    2:56

Schade, den ganzen Abend war der Mond klar zu sehen, jetzt, wo er sich zu verschatten beginnt, ziehen von Nordwest Wolken heran und verdichten sich.

3:07

Der Mond ist nicht dumm.
Er baggert sich Löcher frei.
Ich bleibe dran.

3:19

Würde sagen, mehr als ein Viertel ist weg.
Sagen wir, drei Achtel - neun Vierundzwanzigstel ....

Aber: wieder mehr Wolken.

3:22

Schiet, nun ist dicht. Gute Nacht.

13:35

Hallöchen,
ich bin's, ein Wartender der Unterhaltungsindustrie.
Was kann ich für Sie tun?
Darf ich Ihnen in den Arsch kriechen?
Möchten Sie, dass ich einen dreifachen Rückwärtssalto springe und dabei Gedichte aufsage?
Natürlich.
Gern. Immer gern. Zu jeder Zeit.
Lassen Sie es mich einfach wissen, Sie Arschloch.

13:47

Liebe Amy,
lass dich bitte nicht kirre machen.
Dein Heini kommt sicher bald aus dem Knast, und dann geht es dir besser.
Ich drücke dir ganz fest die Daumen.
Dein dich liebender Hermann.

 

Fr 22.02.08   11:00

Normalerweise nagen gern Zweifel an mir.

Das ist auch gut so, denn Zweifel halten wach, während allzu positive Bestärkung leicht einschläfernd wirken kann. Heute aber, nach Hören meines Hörbuches Zuversicht süße Lüge (eine wunderbare Tätigkeit, man liegt zusammengerollt unter einer Decke, während jemand einem ins Ohr flüstert) bin ich ganz und gar auf der Seite der Nicht-Zweifelnden, auf der Seite derer, die wissen, dass Sie gewinnen werden.

Falls nicht heute, dann irgendwann, später.

Posthum wäre gemein, denn ich hätte dann ja nichts mehr davon, schließlich lebe ich das Leben eines Unterhaltungskünstlers, ich will Leser, Preise würden das vielleicht befördern, aber ich will Leser, keine Preise, während viele meiner Kollegen anders denken, sich für etwas Besseres halten, das per Gesetz geschützt, gehätschelt und gepflegt werden sollte.

Ich finde, dass nur ein Gesetz gilt: gut oder schlecht.
Ich finde, dass das Schlechte in die Schredder gehört, aber die Wirklichkeit ist nicht so.

Der Unterhaltungssüchtige (häufig der, der sich nach seinem Feierabend sehnt) neigt eher zum Schlechten als zum Guten. Was bedeutet, dass die nötige Penunse, die von meinem Konto direkt nach Liechtenstein fließen sollte, damit der Fiskus mich nicht unnötig schröpft, meistens auf den Konten derer landet, an denen meine Zweifel selten bis nie nagen.

Was also macht mich heute so fröhlich?

Nun, für einen Schreiber ist es so gut wie unmöglich, einen einmal fertiggestellten Text wie einen Fremdtext zu lesen. Es geht nicht. Man kann es drehen und wenden, wie man will, man kann den Text Jahre lang irgendwo zwischenlagern, es kann sogar sein, dass man ihn gänzlich vergisst und nur durch Zufall wieder darauf stößt, gleich der erste Satz katapultiert einen zurück in die Rolle des Urhebers.

Aber nun hat jemand Zuversicht süße Lüge eingelesen, aus dem Text ist ein Hörbuch geworden, eine bescheuerte Bezeichnung, aber so sagt man nun mal, also ist es ein Hörbuch. Es ist etwa zweieinhalb Stunden lang.

In diesen zweieinhalb Stunden ist es mir gelungen, den Text zu hören, als stamme er nicht von mir.
Als wäre es ein Text aus einer anderen Welt. So großen Abstand hatte ich noch nie. Ich schreibe das Wolfgang Tischer zugute, dem Sprecher. Der hat seinen Job gut gemacht. Ich staune, wie gut. Glückwunsch, Wolfgang.

Aber hören Sie selbst. Hier kommen die ersten vierzehn Minuten.
Den Rest werden wir in Kürze im Literaturcafe veröffentlichen.

 

 

Sa 23.02.08   14:19

Nur Schisser im Netz, die abgreifen wollen. Mit denen ist kein Staat zu machen.

 

So 24.02.08   16:40

Als ich ihn vorletztes Jahr traf, war er Medienberater.
Er hatte hoch fliegende Pläne mit mir.
Er sagte, einmal schon habe er versucht, einem Maler den Weg zum großen Geld zu ebnen, aber der habe das nicht gewollt.
Wie es denn mit mir stünde?

Ich hatte damals gesagt, er solle sich erst einmal mit meiner Arbeit vertraut machen, dann würden wir weitersehen. Und hatte dann nichts mehr von ihm gehört.

Als ich ihn gestern traf, war er Verkaufsleiter Süd.
Verkaufsleiter Süd für einen ostdeutschen Franchise-Anbieter, der Meerrettich Eis herstellt, Karotten Eis auch, Spirulina, Liebesperlen, Möhre Nuss und und und....

Große Sache, fand der Verkaufsleiter Süd, und: er habe eine Vision: in zehn Jahren solle diese Firma so groß sein wie McDonalds. Auf dem Weg nach Münster habe er plötzlich an mich denken müssen. An mich und an meine Märchen, deshalb schlage er mir folgendes vor: die Eisfabrikation solle, das habe er schon mit dem Besitzer so abgesprochen, zur Corporate Identity eine Figur erhalten. Er denke da an einen Pinguin mit Zylinder, und ich, ich solle die Geschichte dazu schreiben. Die Geschichte dieses Pinguins. Und dann käme später noch ein Zeichner dazu, der jeden Monat in Zusammenarbeit mit mir einen Pinguin Comic herausbrächte, der dann in jeder Filiale der Eiszauberei ausläge.

Ob ich mich noch an Lurchi erinnere?
Natürlich, sagte ich.
Ja, so in etwa solle das sein.

Und - was sagst du? fragt er.
Ich anworte. Ich sage, weißt du was, Siggi, ich glaube, du bist wahnsinnig.

 

Mo 25.02.08   11:59

Einmal im Jahr fahre ich auf der N35 durch Marienheem. Ich bin dann auf dem Weg zur Insel. Unspektakulär, eigentlich, wäre da nicht eine Erinnerung, die jedesmal wiederkehrt, wenn ich diesen Ort passiere. Die Erinnerung geht zurück auf das Jahr 1985/86, vielleicht auch noch zwei, drei Jahre früher.

In Marienheem gibt es nichts zu sehen, jedenfalls nichts, von dem ich wüsste. In all den Jahren habe ich dort nicht ein einziges Mal angehalten. Und doch ist da dieses Bild. Ein unauslöschliches Bild.

Es ist ein früher Morgen im Herbst. Vielleicht ist schon Reif auf den Wiesen. Es dämmert. Ich durchfahre das Dorf, von dem von der N35 nicht mehr als die Kirche rechterhand und ein paar Häuser beidseitig zu sehen ist. Am Ende des Dorfes links steht ein Haus mit einem großen Schaufenster.

Es ist das Schaufenster einer Metzgerei.

Als wir das Haus passieren, betritt ein groß gewachsener Mann mit weißer Schürze die Metzgerei durch eine Tür neben der Ladentheke. Das Licht in der Metzgerei ist noch aus, trotzdem scheint Licht herein. Vielleicht kommt es von einer Nachtbeleuchtung. Der Mann hat ein großes Messer in der rechten Hand. Er geht hinter die Theke. Wahrscheinlich wird er etwas abschneiden, durchschneiden, aufschneiden, wir wissen das nicht, wir sehen ihn nur vom Auto aus und sind schon wieder fort, haben das Dorf verlassen, sind auf freier Strecke.

Dieser Mann steht immer noch da. Die Metzgerei ist längst geschlossen. Der Verkaufsraum ist jetzt ein Wohnzimmer. Im fahlen Licht jenes Herbstmorgens aber steht dort noch immer ein Mann mit einem Messer in der Hand. Er trägt eine bleiche Schürze, eine Gummischürze vielleicht. Vielleicht trägt er auch ein weiße Metzgerkappe.

In diesem Augenblick setzt Musik ein.
Das Stakkato der Streicher, eh der Duschvorhang zur Seite geschoben wird und das Messer zusticht.

So viele Dinge habe ich vergessen, all die Städte und Länder, die ich bereist habe, kommen mir manchmal vor, als hätte ich sie nur geträumt, aber dieses Bild wird bleiben.

 

Di 26.02.08   15:53

Auf der Hinfahrt nach Löhne/Westfalen hatte ich sie nicht gesehen, wahrscheinlich, weil ich noch schlief. Auf der Rückfahrt aber sah ich sie überall: die Helden des Straßenbegleitgrüns. Stolz reckten sie sich zwischen den Mittelleitplanken der von mir befahrenen Autobahnen A 30 und A 1, grün grüßend zwischen sich noch bedeckt haltenden Kollegen, heroisch im Fahrtwind der vorüberrasenden PKW und LKW. Schön, denn sie nähren die Hoffnung auf ein Danach.

 

Mi 27.02.08   10:04

Wir sprachen über Träume gestern, das Land der unbregrenzten Möglichkeiten, die Kinder berichteten von ihren Lieblingsträumen. Als ich einen Jungen fragte, was er denn träume, schaute er mich ernst an und sagte, er habe nur Albträume. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte keinen Trost. Ich hatte das Gefühl, der Junge braucht Hilfe. Als ich nach der Lesung mit einer Lehrerin über den Jungen sprach, erfuhr ich, dass seine Mutter die Familie verlassen hat.

13:39

Eine halbe Stunde vor meiner ersten Lesung aus Gustav der Gedankenleser, ein Roman, der gerade erst fertig geworden war, fiel mir auf, dass der Titel zuviel verrät. Das war Anfang Februar in der Stadtbücherei Werther. Ich trank eine Tasse Tee, überlegte und nannte das Buch: Das Geheimnis der schwarzen Kladde. Schon viel besser, wie ich fand.

Dann kamen die Kinder und ich begann vorzulesen. Aber schon nach drei oder vier Seiten, ich hatte eine Frage zum Text gestellt, wurde mir klar, dass niemand wusste, was eine Kladde ist. Wir diskutierten hin und her. Schließlich schlugen die Kinder vor, statt Kladde Notizbuch zu sagen.

Gut.

Also improvisierte ich Notizbuch, wenn im Text Kladde stand.
Aber sollte ich das Buch: Das Geheimnis des schwarzen Notizbuches nennen?

Neee, also, neee.
Gestern kam ich auf diese Lösung: Das Geheimnis des schwarzen Buches.

Mal sehn, ob es dabei bleibt.
Sollten Sie Vorschläge haben, immer gern....

 

Do 28.02.08  11:16

Ich wollte eine Sechsfachsteckdose kaufen, sie hatten nur Fünffachdosen, ich kaufte einen Fahrradsattel, hatte die Schlüsselgrößen bis 12 und ab 14 aufwärts, brauchte jedoch Größe 13.

So ist der Alltag, meine Damen und Herren, dabei wollte ich heute nur sinnfrei sprechen.

16:24

Aber: zwei Lesungen verkauft.

 

Fr 29.02.08   11:57

Kundenbindung nennt man das, und man freut sich, wenn der Kunde gebunden ist, wenn der Kunde zufrieden ist und nach einem Jahr wieder anruft und nachfragt, ob man nicht noch einmal lesen wolle. Natürlich will man. Man will doch nichts anderes.

Man hat das ständige Warten so satt, dass man längst Gefahr läuft, darüber krank zu werden. Man tut doch nichts anderes, als sitzen, vor lauter Langeweile einen Roman nach dem anderen zu schreiben, manchmal denkt man, jetzt kriegt man bald auch Herzrhythmusstörungen wie andere, und dann ist da auch noch dieser Baustellenlärm, der seit September letzten Jahres anschwillt und abschwillt, je nach Tätigkeit der Helden der Arbeit.

Heute ist es besondern schlimm, heute werden direkt vor der Tür Steine zersägt. Da bleibt einem nichts, als sich Ohrenstöpsel in die Ohren zu stecken, denn der Lärm des Steinezersägens schlägt sich direkt und am Puls ablesbar, an den Kontraktionen des Magens beweisbar, an der Unfähigkeit, auch nur einen Gedanken zu Ende zu denken im System nieder, da kann er machen was er will.

Er sehnt sich danach, endlich wieder Zigaretten zu rauchen, das wäre immerhin eine Tätigkeit, die ihn über den Lärm und das Warten hinwegtäuschen könnte, eine Tätigkeit, die seine Zweifel in Rauch aufgehen ließ, aber er hat ja aufgehört, und er will auch, dass das so bleibt. Oder?

Er weiß nicht, er weiß nicht, er weiß nicht.

Er isst etwas, er geht in den Keller und trommelt ein bisschen. Er könnte das Badezimmer neu streichen. Das Badezimmer muss dringend gestrichen werden, aber er denkt sich: später. Alles später. Lieber weiter warten bis jemand das erlösende Wort sagt.

Aber was wäre das erlösende Wort?

Gestern zwei Lesungen.
Heute die Option auf eine, und beide zum regulären Preis.
Immerhin.

Manchmal glaubt er, dass es ihm gar nicht um Literatur geht, sondern um Geld und Ruhm.

Literatur?
Mit so etwas Eitlem will er nichts zu tun haben.

Mit etwas, wovon viele gut leben, nur die Urheber nicht, von so etwas sollte man die Finger lassen. So etwas ist ungesund. So etwas raubt den Schlaf, so etwas macht herzkrank, magenkrank, drogenabhängig, depressiv, so etwas ist eine biblische Plage.

Es ist Freitag, man bindet Kunden, man bindet sie mit unsichtbaren Tauen an sich und ist zuvorkommend, höflich, witzig, und die ganze denkt man: zu spät. Viel zu spät. Sie gehen auf die sechzig zu. Hinter ihnen stehen tausende Jüngere, und jeder dieser Jüngeren verkauft seine Seele, wenn nur einer mit der Option auf eine Veröffentlichung winkt, alle sind korrupt, jeder einzelne hat seinen Preis und der Preis der Schriftsteller ist erschreckend niedrig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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