Januar 2009                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Do 1.01.09  15:39

Als wir um 23:15 durch knöcheltiefen Sand zum Strand hinunterstapften, wurden wir überrascht. Rings um die Fundamente des über den Winter abgebauten Strandcafé Nord hatte jemand Windlichter bis fast hinunter zum Wasser aufgestellt, eine junge Frau hockte im Schatten der Düne und singsangte vor sich hin, der Strand schien verzaubert und die Kälte des Nachmittags war dahin.

Kein Wind wehte. Wir freuten uns.

Wir freuten uns, dass wir uns trotz des langen Spazierganges am Mittag, trotz unserer Müdigkeit und der schweren Glieder noch einmal aufgemacht hatten, vorm Jahreswechsel frische Luft zu schnappen, und als wir da, wo während der Badesaison das Hauptstrandcafé steht, den Strand wieder verließen, hatten wir einen Entschluss gefasst.

Wir würden den Jahreswechsel am Strand erwarten.

Ich lief zum Hotel und holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank. Als ich zurückkam, machte Frau M. den Vorschlag, Stühle von der Terasse eines der Restaurants oberhalb des Strandes mit hinunter zu nehmen. Ich hatte, als ich losging, um Sekt zu holen, die gleiche Idee gehabt. So ist das mit uns. Wir denken und fühlen sehr oft synchron.

So kam es, dass wir gegen 23:30 allein und höchst exklusiv auf zwei bequemen Stühlen am Wasser saßen, Sekt tranken und das Jahr ausklingen ließen. Nach und nach kamen mehr Menschen, ließen japanische Heißluftballons steigen, draußen im Dunkel sahen wir die Lichter eines Fischerbootes, um Mitternacht tutete das Schiffshorn, ringsum knallte und zischte es, die Explosionen hallten wie Peitschenschläge von der vor uns liegenden Sandbank zurück, Sterne und knisternder Funkenregen am Nachthimmel erleuchteten den Strand wieder und wieder für Momente taghell.

Vor unserem Hotel standen Menschen, im Frühstückraum war ein Buffet aufgebaut, es gab Champagner und Ölkrapfen, wir prosteten einander zu, sprachen mit diesem und jenem und gingen ins Bett irgendwann.

Schöne Tage am Meer waren das. Jetzt sind wir zurück in Westfalen.

 

Fr 2.01.09   9:42

Das Zimmer ist warm. Kaffee steht auf dem Schreibtisch, die Zeitungen sagen, die Hellseher für das vergangene Jahr hätten versagt. Kein Wunder, das tun sie immer.

Eh das neue Jahr Fahrt aufnimmt,
schaue ich zurück, denn in der Retrospektive lässt sich oft erkennen, wie sich ein Jahr aus dem Nichts neu erfand, das beruhigt.

Im Januar war ich über beide Ohren mit einem Roman beschäftigt. Er heißt Das schwarze Buch. Ich hatte im Oktober des Vorjahres damit begonnen, und war kurz vor seiner Fertigstellung. Mittlerweile stehen die Chancen nicht schlecht, dass er noch in diesem Jahr erscheint.

Im Februar ging ich ich mit dem Leiter des Literaturcafés ins Studio, der meinen Roman Zuversicht süße Lüge als Hörbuch einsprach. Die Ergebnisse lassen sich hören, er ist ein sehr guter Sprecher, dennoch dümpelt das Projekt seitdem vor sich hin. Grund? Der Sprecher, der auch die Veröffentlichung realisieren wollte, schwächelt, will nicht, kann nicht, oder hat vielleicht nur die Hosen voll, ich weiß es nicht.

Im März begann ich Das erste Haus links, ein Hörspiel.
Es schmort seit seiner Fertigstellung in der Redaktion eines großen deutschen Senders.
Außerdem kaufte ich mir eine Digitalkamera, was dazu geführt hat, dass meine zu verwaltende Datenmenge sich fast täglich vergrößert.

Ach ja, und dann erhielt ich diesen Brief von Elena.
Lesen Sie selbst...

Im April war ich in Mensingeweer, eine sehr schöne kleine Reise war das, nur leider wurden der Fotograf und ich keine Freunde. Im Hot Jazz Club sah ich eines der besten Konzerte, das ich je gesehen habe: Michael Landau spielte.

Im Mai begann ich, Die Prinzessin zu schreiben und als Kurzhörspiel selbst zu produzieren.
Nach fünf oder sechs Fassungen war die Arbeit getan. Ich bewarb mich damit um den Hörspielpreis der ARD.

Im Mai brach sich mein jüngster Sohn den Arm.
Ich fuhr in die Schweiz, um meine Reisegefährten aus Südamerika, Jon und Bruno, zu treffen.

Im Juni beendete ich Die Prinzessin.Außerdem erbrach ich mich nach einer Rock n Roll Party im Wald, was auch sein Gutes hatte, denn einen Tag später begann ich, Pop Life zu schreiben.

Den ganzen Juli über saß ich von früh bis spät vor meinem Rechner und schrieb, bis ich fertig war.
Pop Life erscheint im März dieses Jahres.

Im August wurde ich dabei belauscht, wie ich in tiefem Traum Ich bin ein kleiner Nikolaus sang.
Außerdem begann ich ein sehr schönes Projekt: Das Lied für die Schule. Zwei Monate später starb es wegen unüberwindbarer Differenzen mit der Musiklehrerin der Schule, für die es gedacht war. So etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt.

Außerdem hatte ich dieses seltsame Herzrasen mit zeitweilig synkopiertem Stolpern, unterzog mich einem Rundum-Check, der jedoch keine Auffälligkeiten zutage förderte. Gleich danach hörte das Herzrasen auf und ist seitdem auch nicht wieder aufgetreten. Glück gehabt, könnte man sagen. Ich beschloss, das Rauchen ein für alle Male aufzugeben.

Im Blumenbeet vor unserem Balkon wurden Sonnenblumen von Nacktschnecken überfallen und skelettiert. Wir rächten uns mit Meersalz und freuten uns über zahllose Schneckenleichen.

Im September traf ich mich mit Musikern, mit denen ich in den Mittsiebzigern die Band Korn gründete. Wir spielten eine ganze Nacht und schworen, uns ab sofort häufiger zu sehen.

Im Okober dann die Nominierung für Die Prinzessin. Leider gewann jemand anders den Preis. Aber zum Glück passierte auch noch das: ein junger Wiener Verlag zeigte Interesse für Pop Life.

Im November flog ich nach Wien, um den Vertrag zu unterzeichnen.

Im Dezember beschlossen ein junger Regisseur und ich, aus der Sackgasse 13 einen Film zu machen. Seitdem schreibe ich das Drehbuch. Außerdem durfte ich verkünden, dass ich Opa werde.

Man sieht, alles bewegt sich, und ich nehme an, auch dieses Jahr wird mich bewegen.
An mir jedenfalls soll es nicht scheitern. Ich bin rauchfrei und zuversichtlich.

16:04

Offenbar sind das viele andere auch, denn im heimischen Supermarkt gibt es die ersten gefärbten Eier.


Sa 3.01.09   14:42

Wenn einer umzieht, wenn Freunde helfen, wenn der Wagen vorm Haus steht und die Kartons darauf warten, hinunter getragen zu werden, wird innerhalb kurzer Zeit klar, wer wie tickt. Deshalb helfe ich gern bei Umzügen. Die jungen Frauen, die heute halfen, waren fleißiger als die Männer. Die Männer standen gern und schauten, tranken etwas, redeten, während die Frauen trugen und trugen. Ein Mann war ganz besonders faul. Ich hatte ihn vorher schon einmal auf einer Geburtstagsfeier gesehen, ganz geheuer war er mir schon damals nicht, heute aber verlor er meine letzte Sympathie. Er verschwand hierhin und dorthin, um zwischendurch mal mit irgendeinem lächerlich kleinen Karton, einem Küchenmülleimer oder ähnlichem aufzutauchen und so zu tun, als wäre er schwer beschäftigt. Wäre ich Arbeitgeber, wäre er arbeitslos.


So 4.01.09
12:52

Die spirituellen Energien, von denen ich sprach, sind so gut wie aufgebraucht, man könnte also annehmen, dass das Leben mit dem vierten Tag des neuen Jahres langsam wieder in Gang käme, aber das stimmt nicht. Gestern waren wir eingeladen, mit Freunden von deren Vorrat spiritueller Energien zu profitieren, was, wie wir aus Erfahrung wissen, immer Grenzen überschreitet und in der Regel zu Kopfschmerz und leichtem Unwohlsein führt.

Zum Glück wohnen diese Freunde ein wenig außerhalb, sodass wir, wenn der Abend vorüber ist, gut zwanzig Minuten durch finstere Nacht laufen müssen, eh wir unsere Schlafhöhlen erreichen. So etwas kühlt, klärt die verworrenen Gedanken und bereitet vor auf   a: tiefen Schlaf  b: plötzlichen Herztod   c: (selbst ausfüllen).

Kein Wunder, dass Herr M. heute nicht wie geplant aufs Eis geht. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, tiefer Frost ist vorausgesagt, und da Herr M. schon immer gern Schlittschuh gelaufen ist, wird er morgen oder übermorgen seine Kreise ziehen.

Er muss das tun, denn statistisch friert der Aa-See nur alle sieben bis zehn Jahr verlässlich zu, Herr M. darf also davon ausgehen, dass er, wenn er diese Chance nicht nutzt, bereits Ende Sechzig sein wird, wenn es das nächste Mal so weit wäre. Und ob er dann noch aufs Eis möchte oder kann, wissen die Götter.

Es ist grau, leichter Schnee taumelt in Wirbeln, da hinten ist das Sofa, man könnte dort liegen, Skispringen schauen, lesen oder den Tag verdämmern, alles ist möglich, also tut man das ein oder andere.

16:22

Eine Seite Drehbuch entspricht in etwa einer Minute Film. Stimmt diese Rechnung, nähere ich mich einer knappen Stunde. Morgen geht es weiter. Morgen muss ich eine Gruselparty inszenieren, die alle für einen großen Spaß halten, obgleich das Monster tatsächlich auftritt. Sie aber halten es für einen gelungenen Gag.

 

Mo 5.01.09 10:01

Soviel zum Krieg.

16:39

Und soviel zum Frieden?

 

Di 6.01.09   11:47

Der Parkplatz war perfekt. Keine hundert Meter bis zum See. Dort waren Bootsstege. Ich nahm meinen Rucksack und lief los. Als ich auf dem Steg war, überkamen mich Zweifel. Es waren zwar Menschen auf dem Eis, aber das Eis sah nicht vertrauenserweckend aus. Hier und da stand Schmelzwasser. Längs des Steges besonders viel. In den Schnee getretene Fußabdrücke voller Wasser. Außerdem war die Oberfläche des Eises sehr unregelmäßig. Ich beschloss, nicht Schlittschuh zu laufen. Vielleicht morgen, dachte ich. Nun ist morgen, ein strahlender Frosttag, aber heute früh bekam ich das lektorierte Pop Life Manuskript, das ich prüfen muss, Endspurt also, am 20. Februar werden die fertigen Bücher geliefert, außerdem will ich ja mit dem Drehbuch voran kommen, da bleibt in den nächsten Tagen kaum Zeit.

17:56

Zwei Lesungen verkauft. Das Jahr darf so weitermachen.

Mehr als zwei Monate hatte ich Probleme mit meinem rechten Auge. Morgens war es verkrustet, wenn ich an die frische Luft ging, begann es zu tränen, und manchmal war das Weiße blutunterlaufen. Immer dachte ich, morgen gehe ich zum Augenarzt, aber ich ging nicht. Irgendetwas war immer, und wenn es nur so war, dass das Auge gerade mal nicht tränte und ich es für ein paar Tage vergaß. Aber dann ging es wieder los. Vor einer Woche fiel mir ein, dass man ja gegen Bindehautprobleme das Auge früher, als ich noch Kind in der Bismarckstraße war, mit Kamille gespült hat. Ich tat das gleiche. Und siehe da, ich bin geheilt. Manchmal muss man offenbar warten, eh einem die vernünftigste Lösung einfällt. Und die Billigste dazu, denn ein Arzbesucht hätte zehn Euro gekostet, plus irgendeine Salbe, die ich höchstwahrscheinlich auch selbst hätte zahlen müssen.

20:39

Manuskript durchgearbeitet. Ja, ja, ich bin schnell.

 

Mi 7.01.09   10:30

Gern fragen sich Pädagogen, ob ihre emanzipatorischen Erziehungsmethoden zu friedlichem Miteinander und allgemeiner Völkerverständigung Früchte tragen. Seit heute kann man diese Frage unumwunden mit ja nein beantworten, denn ein Vierjähriger im US Staat Ohio hat aus Wut auf seinen Babysitter, der ihm versehentlich auf den Fuss getreten hatte, die Schrotflinte seines Vaters aus einem Wandschrank geholt, auf den jungen Mann geschossen und ihn dabei leicht verletzt.

So etwas lesen wir gern, wissen wir doch seit langem, dass es nichts Niederträchtigeres gibt auf der Welt, als vierjährige Jungen. Allerdings weisen wir darauf hin, dass der Umgang mit Waffen sorgfältiger trainiert werden müsste, denn so wie in Ohio geschossen wurde, zeitigt das natürlich keine vorzeigbaren Ergebnisse. Wir schlagen daher vor, Waffenkunde schon im Vorschulalter neben Englisch, Russisch, Spanisch und Latein auf den Lehrplan der lieben Kleinen zu setzen, damit sie der Globalisierung nicht unbewaffnet ausgesetzt sind.


Do 8.01.08   10:24

Der größte Wahnwitz eines Krieges ist die Feuerpause.
Die gab es schon immer. Schon immer setzten sich die höchsten Spitzen oder deren Abgesandte irgendwann kurz zusammen, neuerdings werden sie telefonieren oder SMSen, und verhandelten.
Sagten so etwas wie: morgen zwischen 12:00 und 15:00 ist Feuerpause.
Da liefern wir Cola und lecker Esssen. Oder zu Weihnachten oder so.

Wie sie es wohl am Sabbat halten?
Wo sie doch den Sabbat so heiligen.

Wir werden sehen.

Was man sonst von diesem Wahnsinn halten kann, kann man nachlesen.

Shulamit Aloni zum Beispiel hat 2003 darüber veröffentlicht, es gibt eine UN-Resolution, die Israel nie erfüllt hat, und es gibt diesen kurzen Text.

Schließlich wollen wir doch auch 2009 gute Antisemiten sein, nicht wahr.

But now to something completely different.

Der ein oder andere wird sich an die spirituellen Energien erinnern, von denen ich in den letzten vierzehn Tagen hin und wieder gesprochen habe. Nun, Restbestände stehen noch auf dem Balkon, augenblicklich der beste und denkbar größte Kühlschrank, den man sich vorstellen kann.

Gestern gegen 22:30, ich war auf den letzten 30 Seiten des Romans Hochzeit in Zandvoort von Pieter Waterdrinker, erschienen im Aufbau Verlag, der Roman war spannend, ich hatte Durst, erhob mich vom Sofa und trat hinaus in die Eiseskälte, um mir eine kühle Bionade zu holen.

Es war sehr dunkel, auf der Bionadekiste stand eine bis auf den Grund durchgefrorene Plastikflasche Mineralwasser, die, weil ich sie nicht sah, als ich mich hinunter beugte und nach der Bionade suchte, umkippte und zu Boden fiel. Dort zerbarst sie mit einem böllerschlagähnlichen Knall.

Das ist die Stelle, die ich erzählen will.

Ohne wissentliche Aufforderung reisse ich in diesem Augenblick die Arme hoch und schütze meine Augen mit den Händen.

Das ist doch toll, oder?
Da hat mein System einfach nur das getan, was das Vernünftigste war.
Über die Wunder des Alltags kommt man manchmal mit Staunen gar nicht mehr nach.

12:36

Hier ein kleiner Überblick über die Bewaffnung Israels, der einzig funktionierenden Demokratie im Nahen Osten.


Fr 9.01.09   11:24

Heute nun zur Hamas, die genau so verbohrt ist wie Israel.
Während Israel glaubt, aus der Thora historische Ansprüche auf das gelobte Land geltend machen zu können, glaubt die Hamas, aus dem Koran ableiten zu dürfen, dass besagtes Land rein muslimisches Land sei. Ich nehme an, wenn sich noch einige Gruppen aufmachten, territoriale Ansprüche aus religiösen Texten heraus zu lesen, könnte die Ordnung der Welt leicht völlig in sich zusammen brechen.

Aber was kümmert mich das eigentlich.

Die Ethnien, die sich in Israel und Palästina bekämpfen, bekämpfen im Grunde sich selbst, denn beide Seiten sind ja Semiten. Beide Seiten haben gemeinsame religiöse Wurzeln, es scheint eher ein Bruderkampf als ein Kampf Fremder gegeneinander, aber die Geschichte ist derart verzwickt, dass ich nicht wüsste, wie das ausgehen sollte.

Deshalb endet meine Empörung über die Dummheit der Menschen.
Es ist letztlich die Empörung über mich selbst.

Da ist es doch vielleicht viel interessanter zu erfahren, dass ich letzte Woche die Zählmeditation ausprobierte. Ich hatte gelesen, um besser einzuschlafen solle man von 1000 herunterzählen.

Raten Sie, wie weit ich gekommen bin? -

Nun, zwischen 660 und 670 musste ich mehrfach neu ansetzen, weil ich den Faden verloren hatte. Danach erinnere ich mich an nichts mehr. Womit mal wieder klar geworden ist, dass der hinterletzte Blödsinn zur Meditation taugt.

Hauptsache, man schaltet das Denken aus.

Amen.

Wenn ich ab jetzt, 11:44, bis heute abend ununterbrochen Amen murmelte, wie manche Mönche Mantren murmeln, wäre ich wahrscheinlich schwerst entspannt.
Aber das mache ich nicht. Ich habe ja auch noch andere Dinge zu tun.

 

Sa 10.01.09   16:28

 

Es flatuliert im grünen Rock
trotz
schweren Frosts Herr Rodenstock ...

17:49

Ein Löwe frisst einen weißen Missionar.
Danach leckt er sich eine halbe Stunde den Arsch.
Warum?

Für eine Antwort sende Sie bitte eine E-Mail an die bekannte Adresse.

 

So 11.01.09 11:51

Nun, ich habe viele E-Mails erhalten.
Ich habe noch nie so viele E-Mails erhalten wie in den letzten zwölf Stunden.
Quasi unzählbar die Masse und erstaunlichste Antworten sind eingegangen.
Eine will ich zitieren, denn sie greift weit über alles hinaus, was dieser Witz sagen will.

Die katholische Kirche hat ja noch nicht endgültig entschieden, aus
welchem Loch die Seele entfleucht (während ihr Gewicht bekannt ist, denn
nach dem Tod ist ein Mensch um 21 Gramm leichter - wer auch immer das
erforscht hat!). Außerdem weiß man in informierten Kirchenkreisen, dass
die Seele innerhalb der ersten halben Stunde den Körper verlässt!

Also: da sich der Mönch nun im Verdauungstrakt befindet, wird des Mönchs
Seele den Löwen durch das Arschloch verlassen müssen, egal, aus welchem
Loch sie beim Mönch kriecht/krabbelt/huscht/verdampft oder wie auch
immer. Und da unser Löwe all das weiß, möchte er als vernünftiges Tier
eine Wiedergeburt oder Fleischwerdung oder Wiederauferstehung des Möchs
verhindern, indem er sich auch noch die Seele schnappt! Dann ist Ruh!

Sehen Sie, da wären Sie nicht drauf gekommen, obwohl Sie alles ausgelotet hatten.
Malte B. aber hat messerscharf geschlossen, und ich gebe zu, mit so einem Protagonisten bietet sich eine derartige Deutung durchaus an.

Was Sie nicht wissen: ich habe nur eine entschärfte Version dieses Witzes wiedergegeben. Ich war feige, ich wollte nicht in falschem Licht erscheinen, deshalb habe ich überlegt und dachte, Neger geht nicht, dann nehme ich eben einen weißen Missionar.

Muse M. aber meinte, mit einem weißen Missionar funktioniere der Witz nicht.
Ich solle doch zitieren, dann wäre ich aus dem Schneider. Das leuchtete mir sofort ein.
Daher hier nun der tatsächliche Witz, ein Zitat aus dem Roman Die Hochzeit von Zandvoort, Pieter Waterdrinker, Aufbau Verlag 2007, Seite 361 ...

Gespanntes Kichern kam auf, denn man spürte, dass jetzt etwas käme.
Und mit todernster Miene erzählte der Kellner, dass Löwen in Afrika sich oft stundenlang den Hintern leckten, wenn sie einen Neger erwischt und verschlungen hatten.
"Ah ja", murmelte Jan, der darauf hereinfiel. "Warum das denn?"
"Um den Geschmack aus dem Mund zu kriegen!"

Sie sehen, manchmal stellt einen das Leben vor furchtbare Alternativen.
Wenngleich ich natürlich nicht verhehlen kann, dass ich mich vor Lachen gekugelt habe.


Um Ihnen, die Sie menschenfreundlich, antirassistisch und emanzipiert sind, den Tag nicht restlos zu versauen, wird es wohl das Beste sein, ich füge noch ein Foto hinzu, das ich gestern gemacht habe. Es wird beweisen, dass ich ein guter Mensch bin.




14:56

Im Mai letzten Jahres fuhr ich zu einem Stoppok Konzert nach Nordhorn. Meine Digitalkamera steckte in der linken Jackentasche. Als ich vor der Bühne stand, die Kamera herausnahm und fotografieren wollte, zeigte das Display nur zur Hälfte das, was eine funktionierendes Display gezeigt hätte.

Ich reklamierte die Kamera und bekam eine neue.
In der Zwischenzeit war ich zu der Überzeugung gelangt, dass der Sicherheitsgurt meines Autos Druck auf das Display ausgeübt und beschädigt hatte, denn die Kamera befand sich nicht in einer Schutzhülle.

Ersetzt ist ersetzt, dachte ich.

Weihnachten räumte ich irgendwann meine Digitalkamera vom Tisch, um sie in mein Zimmer zu bringen. Ich hatte Fotos gemacht und wollte sie auf meinen Rechner laden. Dabei fiel mir die Kamera mit Schwung zu Boden. Ich hob sie auf, stellte sie an und sah, dass sich die auf dem Display erscheinenden Ikons für die Bedienung doppelten als hätten sie Schatten.

Scheiße! dachte ich.

Aber die Kamera lieferte weiter einwandfreie Bilder, ich nahm sie mit ans Meer und gewöhnte mich an die Dopplungen. 
Vorgestern saß ich still vorm Rechner und dachte plötzlich, vielleicht hilft Gegengewalt. Ich nahm die Kamera also mit der rechten Hand und schlug mit der anderen heftig gegen den linken Gehäuserand. Ich dachte, wenn sie danach ganz kaputt wäre, würde ich einen neuen Garantiefall inszenieren. Aber sie ging nicht kaputt. Im Gegenteil. Das Display doppelt nicht mehr und alles ist wie früher.

Soll einer sagen, nur russische Fabrikate ließen sich leicht reparieren.

 

Mo 12.01.09 11:13

Es waren sechs Kilometer hin und sechs zurück. Eigentlich kein Problem für einen trainierten Spaziergänger wie den schon wieder um einen Tag gealterten Schriststeller M. (87), hätte es da nicht den uneben gefrorenen Untergrund beim Kreuzen eines weiten Feldes und die Glätte bei der zweimaligen Überquerung des gefrorenen Aasees gegeben.

Feld und Aasee hatten erhöhte körperliche und geistige Aufmerksamkeit gefordert.
Das Feld, weil man Gefahr lief, umzuknicken, der gefrorene See, weil der Körper gespannt darauf achtete, nicht auszugleiten und zu stürzen.

Als junger Mensch geht man das entspannter an, falls man überhaupt spazieren geht, denn der junge Mensch neigt ja wohl eher zu hochgetakteten Varianten der Fortbewegung zum Erhalt der ewigen Jugend und aus Furcht vor dem Tod, aber das ist eine andere Geschichte.

Der alte Mensch (hier der Schriftsteller M., 94), berauscht von der Schönheit des Tages und der trockenen, frostklaren Luft, vergaß alle Beschwernisse.

Wobei wir auf den Punkt kommen.

Der junge Mensch hat Kredit. Der alte Mensch zahlt sofort.

Am Tag darauf nämlich hatte eine üble Verspannung M.s gesamten Körper ergriffen.
Am Schlimmsten war es in seiner linken Schulter, was er sich überhaupt nicht erklären konnte. Er war doch nicht geflogen!

Am Abend nach dem Spaziergang erfuhr er vorm Fernseher, dass es im Augenblick ein offenbar erhöhtes Infarktrisiko gäbe, und als er am Morgen mit diesen höllischen Schmerzen im linken Schultergelenk erwachte, war - wen wundert es - sein erster Verdacht: Infarkt. Krankenhaus. Tatütataaa.

Glücklicherweise konnte Herr M. sich sehr schnell beruhigen. Der Schmerz im linken Schultergelenk glich verdächtig dem Schmerz, den er aus dem rechten Schultergelenk kannte, offenbar ein naher Verwandter, damals von zu langem Plunkern unter Einfluss von THC auf seiner Ukulele hervorgerufen, deshalb wandte er sich von dem Verdacht ab und konzentrierte sich auf mögliche Therapien.

Eine heiße Wanne. Sportgel. Franz-Branntwein.

Heute scheint der Schmerz in der linken Schulter ein wenig milder, dafür hat sich ein Hexenschuss eingestellt. Aber der Schriftsteller M. (102) will nicht klagen. Lieber zeigt er noch ein paar Fotos, Impressionen unabhängig von Alter und Beschwernis, Beweis für die unfassbare Schönheit dieser Welt, die von allen akzeptiert, nur vom Homo Sapiens geschunden wird.

 




14:24

Der Schriftsteller M. (73) hatte geglaubt, es wäre das Herz, bei Muse M. waren die Optionen breiter gefächert, sie reichten vom kleinen Schlaganfall bis zum Hirntumor, also RUMMS, rein in den Kernspintographen, nun aber, nach gut 10 Tagen, die seit der Untersuchung vergangen sind, sind alle Spannungen gelöst, es herrscht Klarheit, beide sind noch einmal davongekommen.

Natürlich kann man nun fragen, wie lange, aber diese Frage ist nicht erlaubt.
Stattdessen wird vorgeschlagen, dass die Beteiligten sich heute Abend zur Feier des Tages einen auf die Lampe gießen. Aber auch andere Maßnahmen könnten ergriffen werden.

M. (ich werde 100 Jahre alt) ist jedenfalls glücklich. Falls er überhaupt irgendetwas fühlt, weil, das weiß man ja nicht, wie sich etwas anfühlt, man hofft ja immer nur, dass man das, was man sich einbildet, auch tatsächlich fühlt, nicht wahr ....

 

Di 13.01.09   10:21

Immer um diese Zeit. Aber glauben Sie nicht, dass das Zufall wäre. Nein, nein, der Schriftsteller M. (89) braucht nun mal ein wenig Anlauf, er muss befeuert werden, entschlackt, er muss durch Körperpflege täuschend ähnlich aufgeputzt und schließlich auch überzeugend verkörpert werden, was gar nicht so einfach ist.

Vor allem seit ihn diese kreuzweise Verzerrung von rechts unten nach links oben ansprang, die, das ist Tenor dieses Tagesbulletins, schon deutlich, sehr deutliche Zeichen der Besserung zeigt, woraus man schließen darf, dass M. (16) sich heute ein wenig dem Haushalt widmen wird, den er in den letzten Tagen ein wenig vernachlässigt hat.

Leider fiel das angekündigte Lampengießen wegen allgemeiner Erschöpfung aus.

Man glaubt ja gar nicht, wie groß die innere Spannung ist, die sich nach dem Entdecken vager Symptome aufbaut, die dieses oder eben auch jenes bedeuten können, deren Ursachen aber dann erst mit den Methoden der modernen Diagnosetechnik erforscht werden müssen, um Klarheit zu erlangen. Diese Spannung ist so groß, dass sie, weiß man erst einmal die befreiende Wahrheit, da sitzt wie der Ochs vorm Berge.

Das hatte der Schriftsteller M. (12) so nicht bedacht.
Deshalb geht heute das Leben unspektakulär in den dreizehnten Tag des neuen Jahres, das sehr viel Neues bringen wird, so viel ist sicher.

Die wundervolle Winterlandschaft hat sich innerhalb von 24 Stunden verabschiedet und ist einem nüchternen, sich zu nichts entscheiden wollenden Westfalen gewichen. So etwas kennt M. seit 73 Jahren. Damit kann er umgehen. Davon kriegt er keine Depression.

Nein, nein, M. (59) hat noch einige wenige Tage, bis er sein 60tes Lebensjahr vollendet, und noch hat er nicht entschieden, was er an diesem Tag eigentlich tun soll. Fliehen? Eine Blaskapelle aufmarschieren lassen? Fliehen? Alle einladen? Alle einladen, die er seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hat und auch nie mehr wiedersehen will?

Er weiß es nicht. Er tendiert zu FLIEHEN, aber das hat er schon immer getan, deshalb jetzt: Wischen. Bügeln. Die ganze Palette seines progessiven Alltags. Schließlich ist er wieder gesund und kann nicht mehr herumkriechen als Tattergreis und sich Wärmflaschen füllen lassen.

12:35

Husch husch, Kinder, raus an die Luft, humanitäre Feuerpause ...

13:46

Menschen, die Leibovich heißen, haben in einem Land im Nahen Osten mehr Rechte als Menschen, die Abbu Sakr heißen? Das erklären sie mal einem Palästinenser. Und mir werden Sie es auch nicht begreiflich machen können.

14:07

Wenn erst einmal die Länder, denen wir heute zutrauen, in wenigen Jahren Wirtschaftsriesen zu sein, ihren politischen Einfluss geltend machen, wird es mit Israel vorbei sein, denn diese Länder haben kein schlechtes Gewissen gegenüber Juden, weder aus diesem noch aus jenem Grunde, deshalb, liebe Israelis, wenn ihr wollt, dass Israel weiter besteht, hört um Gottes Willen auf zu schießen und einigt euch, sonst seid ihr weg vom Fenster, das garantiere ich euch. Dann habt ihr keine zwanzig Jahre mehr.

 

Mi 14.01.09   10:22

Ick sitze da und esse Klops, uff eenmal klopps, ick stehe auf und kieke, und wer steht draussen: icke.

Weiß auch nicht, wie ich drauf komme.

Jedenfalls:

radikale Abkehr von jeder politischen Äußerungen wird angestrebt /
ärgerlich vor allem, dass es immer wieder Israel ist, das mir so auf die Eier geht /
könnte auch uns anklagen /
wir lassen im Verbund mit allen anderen die Welt verrecken /
aber wie gesagt /
wer steht draussen /
richtig?

In diesem Sinne ...

16:35

Das Drehbuch zur Sackgasse 13 tritt in die entscheidende Phase.
Ich schätze, eine gute Woche noch, dann bin ich fertig.
Hast du gehört, Herr Regisseur???


Do 15.01.09   9:55

Gerade schellte es. Der nette Mann von der DHL stand vor der Tür. Er habe da ein Paket, sagte er. Ein Paket? Ja, das Konjunkturpaket. Aaaaa, rief ich erfreut. Das ist nett. Her damit.

Ich trug es herein und öffnete es.

Was da alles drin ist! Eine Tafel Schokolade. Ein Päckchen Tee. Ein gutes Buch. Und ein Liter Wein. Und das, sagte der nette Paketbote, bekäme ich nun jeden Monat. Da können Sie aber mal glauben, wie ich mich gefreut habe. Ehrlich! Schade, dass es nicht auch schon zu Weihnachten so eines gab. Aber natürlich verstehe ich, dass man sich so eine wundervolle Aktion gut überlegen muss und nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln kann.

Ich finde es richtig, dass man erst einmal die, die sich total verspekuliert haben, rettet, die armen Kerle die. Was würden die denn sonst wohl machen mit ihren Defiziten. Vielleicht verkaufen, möglich, das weiß ich nicht, sie haben ja auch andere dubiose Dinge verkauft, die, wenn ich das alles richtig verstehe, überhaupt nicht existierten ...

Ich jedenfall freue mich über das Konjunkturpaket. Zeigt es doch, dass man mich nicht vergessen hat.

PS.

Die Qualität des Weins lässt allerdings zu wünschen übrig.
Nett hingegen die persönlichen Zeilen von Mutti.

10:50

Verwirrendes aus dem Jenseits.

Gegen 5:00 heute früh werde ich mit rasendem Herzen wach. Ich war in einem Hotel in Dresden. Ich war gerade in die Lobby gekommen, als ich meine Tante, meinen Vater und meine Mutter sah. Die Lobby war voller Menschen. Meine Tante stand links, mein Vater saß, meine Mutter stand rechts von ihm. Mein Vater trug einen abgewetzten blauen Anzug. Er hatte sich eingenässt. Als ich kam und sah, was passiert war, fragte ich, wo sie wohnten, um frische Wäsche für meinen Vater zu holen. Mein Vater nannte eine Adresse. Dann begann er zu weinen. Es war ihm peinlich. Jetzt heult er, sagte meine Tante.

14:08

Verwirrendes aus dem Diesseits.

Überall ruft es Pitüüü pitüüü, dabei ist der Frühling noch weit. Irgendein Missverständnis wahrscheinlich, vielleicht aber auch ein uns Menschen nicht geläufiges Ritual zur Beschleunigung des Jahreszeitenwechsels. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen. Versuche es gleich auch einmal und stelle mich auf den Balkon. Pitüüüü pitüüüüü.

Brrrrr, ist das kalt.


Fr 16.01.09   12:23

Schönes aus dem Diesseits:

Max sichtete gerade einen Grünspecht in unserem Garten.

17:56

Versuchte, bei der Deutschen Bahn Online zu buchen. Man begrüßte mich zwar mit Namen und schon ausgefüllten Feldern für Benutzernamen und Passwort, was mich darauf schließen ließ, dass man auf meiner Festplatte mich als mich ausweisende Cookies zwischengelagert hatte, weigerte sich aber dennoch, meine Buchung auszuführen. Man wollte noch meine Kundennummer. Ich hatte keine Kundennummern. Ich wüsste auch nicht, woher. Ich versuchte noch, über einen PASSWORTVERGESSEN-Link weiterzukommen, kam aber nirgendwo hin.

Also fuhr ich zum Bahnhof. Dort wie immer lange Schlangen. Fast wie in Mekka. Gleich hinterm Eingang allerdings ein junger Service-Beamter. Blaue Augen. Faltenlose Haut. Lichtes Haar. Glatze in spätestens zehn Jahren.

Was er für mich tun könne? fragte er und ich antwortete: am Besten eine Karte verkaufen. Das könne er nicht. Wie es denn mit den 29 Euro quer durch Deutschland Angeboten bestellt sei, fragte ich. Könne ich am Schalter buchen, sagte er, allerdings kosteten sie dort 5 Euro mehr, oder eben ohne 5 Euro Service am Automat. Dort drüben seien Automaten. Da die für Bargeld. Und da die für EC-Karten.

Ich also hin, durchs Menü ackern.

Ich komme voran, aber als es an die Preise geht, gibt es natürlich keine Option für das 29 Euro Ticket. Ich breche ab. Der junge Beamte meint, es könne sein, dass das Kontigent ausverkauft sei. Das, sage ich, erzählen Sie mal ihrer Oma.

Ich mache mich auf den Weg zum DER Reisebüro. Dort ist man kompetent, ich weiß das aus Erfahrung, wieso ich überhaupt zum Bahnhof gegangen bin, kann ich jetzt schon nicht mehr nachvollziehen. Im DER Reisebüro gibt es kaum Wartezeit (wenn, kam man sitzen) und man kennt immer einen Trick, von dem die Bahnmitarbeiter noch nie gehört haben. So gelingt es mir, trotz Zahlung von Servicegebühr eine Reise nach Leipzig und zurück für 77 Euro zu buchen.

Demnächst fahre ich also zum ersten Mal in die neue deutschen Bundesländer.
Das ich das noch erleben darf. Hach, ich bin ganz gerührt.
Leipzig ist schließlich die Stadt der Bewegung, so ähnlich wie - äh - Nürnberg - nur anders.

 

Sa 17.01.09   11:42

Alle wollen Peter Bond demütigen. Er ist ein Arschloch, das spüren sie und rufen beim Sender an, damit er Krokodilpenis essen oder seinen Kopf in einen Eimer Schleim mit Kakerlaken stecken muss.

Das ist schön anzusehen, vor allem, weil es ein Arschloch trifft.
Dass es die Menschenwürde verletzt, steht nicht zur Debatte, schließlich haben Bond und all die anderen sich freiwillig in diesen Dschungel begeben und bekommen Geld dafür.

(20.000 - bis 60.000 Euro je nach Bekanntheitsgrad)

Ich sehe mir das gern an.
Es appelliert an meine niedersten Instinkte und erinnert mich daran, was ich eigentlich bin: ein jederzeit gewaltbereiter Primat (quoth Ingrid van Bergen), durch Sozialisation mühsam in Schach gehalten. Niemand sollte uns auch nur einen Augenblick trauen.

Mein Tipp:

als erste geht Mausi (Mörtel) Lugner.
Dschungelkönig wird Günter Kaufmann.

16:13

Die vorherrschende Farbe des Tages ist grau. Muse M. tut das, was sie am besten kann: schlafen. Der Schriftsteller M. (112) tut ebenfalls das, was er am besten kann: nicht schlafen. Statt sich ein Beispiel an Muse M. zu nehmen, denkt er, er müsse etwas tun, irgendetwas müsse er immer tun, denkt er, und sei es nur, Musik hören ( Olafur Arnalds: eulogy for evolution), Bücher lesen (Philip Roth: Verschwörung gegen Amerika), sich an der Welt reiben.

So ein Blödsinn.

Wäre er doch Muse geworden.

Vielleicht in einem anderen Leben, denkt er, bis ihm einfällt, dass das noch größerer Blödsinn ist, es gibt ja kein anderes Leben als dieses, wenngleich er sich eingesteht, dass er sich schon als Fünfjähriger vorstellen konnte, dass man wiedergeboren wird.

Wie, konnte er sich nicht vorstellen, aber er konnte es sich vorstellen.

Diese Vorstellung hat sich durch sein gesamtes Leben gezogen und so ist M. (113) schließlich zur der Erkenntnis gelangt, dass die bloße Tatsache, Wiedergeburt denken zu können, jetzt in diesem Augenblick denken zu können, dass man schon einmal hier war, ohne sich daran erinnern zu können, wie das gewesen sein könnte, unter welchen Umständen etc. pp., dass also allein diese Tatsache, die Fähigkeit des Homo Sapiens, derartiges denken zu können, Reinkarnation in den Bereich der Möglichkeiten rückt.

Erschreckend, aber so sehr er jedem Jenseits vehement widerspricht, weiß er doch, dass alles Rationale nicht mehr sein könnte als ein Schiss ins Hirn, er weiß, dass alles möglich ist, von Erich von Däniken bis zu den 77, ausschließlich muslimischen Märtyrern vorbehaltenen Jungfrauen ist alles möglich, aber zum Glück gibt es die Hoffnung, und die Hoffnung sagt:

Alles Quatsch. Stimmt nicht. Vergiss es.

So bleibt es weiterhin grau.

Muse M. schläft und der Schriftsteller M. (59) ist aufgeregt wie ein I-Dötzchen, das daran denkt, dass am 2. März sein Roman erscheint und er am 12. März auf der Buchmesse in Leipzig daraus lesen wird und am 24. und 26. März in Wien ebenfalls.

Er findet dieses Leben höchst interessant und langweilig, manchmal so interessant und so langweilig, dass er nichts dagegen hätte, sich mit einer Flasche Whisky in einen nur schwer zugänglichen Wald zu begeben, um dort bei tiefem Frost den Kältetod zu sterben, aber dann sagt er sich:

Blödsinn, alles Quatsch, wir werden jetzt erst einmal Opa.

Aber grau ist es immer noch, und so richtig warm wird ihm heute auch nicht mehr, und bis das Dschungelcamp endlich losgeht, dauert es noch eine Ewigkeit.

 

So 18.01.09   10:55

Heute nur Hochkultur. Zum Beispiel gleich: Vernissage. Man weiß gar nicht recht, was das heißt, aber was es bedeutet natürlich schon. Dass da Menschen rumlaufen, die man nicht mag, die sich Bilder anschauen, die man gern zuhause hätte. Und da will Muse M. natürlich ein wenig Schmuck tragen. Den sucht sie gerade und da Meister M. zufällig in der Nähe war, dachte er, hach, ein schönes Bild.

13:50

In der Küche wartet Kuchen aus Münsters bester Konditorei. Aber der wird erst später gegessen. Jetzt sprechen wir über Tote. Es gibt nämlich wieder einen: A. Als ich ihn im Sommer besuchte, sagte er, komm ein andermal, Hermann, heute geht es mir Scheiße. Danach hatte ich mich nicht mehr zu ihm getraut.

Vorgestern war ich in der Stadt und hatte überlegt, ihn zu besuchen.
Vorgestern ist er gestorben.

Er ist der dritte aus meinem erweiterten Bekanntenkreis, der innerhalb der letzten zwei Jahre gestorben ist. Peter, Bernd, und jetzt er. Alle in meinem Alter. Peter und Bernd sind den plötzlichen Herztod gestorben, was, wenn ich an meinen eigenen Tod denke, elegant ist und wünschenswert wäre. A.s Abgang hat Jahre gedauert. Er hatte Multiple Sklerose. Hinzu kam, dass er trank, was die Dinge nicht einfacher gemacht hat.

Also esse ich gleich Schwarzwälderkirsch und denke an ihn.

 

Mo 19.01.09  9:44

Gehe gestern nichtsahnend ins Theater (sagte ja, Hochkultur) und sehe, dass CDs von Jean Paul Bourelly zum Verkauf ausliegen. Was die denn hier zu suchen hätten, frage ich, und so ein junges Ding, das offenbar keine Ahnung hat, wer Bourelly ist, sagt, der spiele hier. Wie, spielt hier? Na ja, der mache die Musik zu dem Stück.

Ich bin baff. Hier ist Münster. Ich hatte Bourelly nach New York verortet, wo er eine Zeit lang als einer der stilbildenden Gitarristen galt, allerdings immer zu laut und nur schwer zu konsumieren.

Das Stück, zu dem er und zwei weitere Musiker spielen, ist von William Carlos Williams und heißt: Der Lauf zum Meer. Ein Idyll. Alle Kunst sei sinnlich, versucht nicht dahinterzukommen, rät der Autor im Programmheft, und ich denke, aha, er warnt uns.

Es gibt Subventionskunst (in diesem Fall stecken vier oder fünf Institutionen hinter der Produktion), die kein Risiko scheut, weil sowieso alles bezahlt ist, und die ist nicht immer vom Besten.

Ich betrete den Theatersaal also mit Vorbehalten. Das Licht geht nicht aus, kein Vorhang zieht zur Seite, und als ein Schlagzeuger auf die Bühne schlurft, sich hinter sein Set setzt und erst einmal die Schuhe auszieht, bestätigt das meine Vorbehalte.

Die übrigen Musiker treten ähnlich beiläufig auf und beginnen so vor sich hin zu spielen, bis die Hauptdarstellerin auftritt. Sie ist hässlich und alt, ich begreife nicht, worum es geht, aber je weiter die Geschichte fortschreitet, desto klarer wird sie, und sie wird durchaus poetisch, so dass ich schließlich sogar vergesse, wie hässlich die Hauptdarstellerin ist.

Die Musik ist Teil der Inszenerierung, mal tragend, mal kommentierend, nie schweigend (was mir nicht gefiel), aber insgesamt war das ein schöner Abend.

13:15

Heute, 3:30 in Deutschland, er schlägt wieder zu... Ich nenne ihn Arschlochschmerz.


Di 20.01.09   11:08

Meineid, Vorspiegelung falscher Tatsachen, Anstiftung zum Mord, Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter, Angriffskrieg ...


14:04

Heute gegen elf ein Schock. Ich hatte das obige Foto eingearbeitet, klickte auf Save, schloss die Datei, logte mich in WS-FTP ein, um die Datei auf den Server zu laden und musste feststellen, dass der Ordner, den ich Frameweb nenne, von meinem Rechner verschwunden war.

Ich suchte überall, konnte ihn aber nicht finden. Was blieb, als das gesamte Frameweb vom Server wieder auf meinen Rechner zu laden. Eine Stunde vertan. Manchmal sind die Rätsel, die mir die Welt der Bity und Bytes aufgibt, unlösbar. Habe ich aus Versehen auf irgendeine Taste meines Rechners gedrückt, der das Löschen von Ordnern veranlasst? Ich weiß es nicht.

 

Mi 21.01.09   14:10

Wenn nur dieses Sehnen nicht wäre. Jeden Tag, jede Stunde, vor allem am späten Nachmittag, wenn er überm Horizont hängt und man ahnen kann, dass er unterwegs ist. Man weiß, dass es noch dauert und dauert. Nein, nicht im November hängen die Menschen an Seilen an Heizungsrohren und sonstwo, nein, nicht im November. Im Januar baumeln und springen und schießen sie. Im Januar und Februar vergiften sie sich und erdolchen einander, im Januar und im Februar, weil es da dräut und lockt und sagt, ja, ja, bin unterwegs, Geliebter, Geliebte, musst aber noch warten. Bin unterwegs, schau zum Horizont, da, du spürst es doch auch, gib's doch zu, aber du brauchst Geduld. Auf ewig, mein Süßer, dein Frühling.

 

Do 22.01.09   12:34

Sie sind zu viert. Drei Männer, eine Frau. Alle Anfang 20. Auf ihrem Tisch steht eine Flasche Weißwein. Sie tragen hochwertige Kleidung, Kashmere-Pullover, Hemden, einer trägt eine dieser Brillen, denen man ansieht, dass sie niemals von Fielmann sind, ihre Gesichter verraten den Stall. Gehobenes Bürgertum, anklingender Hochmut plus Langeweile. Jeder Stall hinterlässt Spuren. Man riecht sich und man wird gerochen.

Sie werden Karrieren machen, angeschoben durch ihren Stall, sie werden ein Haus bauen, ihr Stall hat Mittel, ihre Frauen werden gepflegt sein, und wenn die Kinder erst einmal fünf, sechs, sieben sind, werden sie sich in ihre Limousinen setzen und autobahnnahe Puffs besuchen, in denen man für 99 Euro dreimal ficken kann, wenn man kann.

Ich bin sicher, dass es so kommen wird, doch dann steht der mit der aussagekräftigen Brille auf, zieht ein Paar Trommelstöcke aus einer Tasche, geht zum Set und beginnt zu spielen. Und wie er spielt! Knochentrocken. Präzis. Gruppendienlich. Er hat das studiert. Es gibt heute kaum noch Musiker, die nicht studiert haben. Autodidakten meines Schlages sterben aus. Heute hat man Diplome.

Er liest jede Sechzehntelnote ohne mit der Wimper zu zucken, aber seine Zukunft ist düster. Von einem Augenblick auf den anderen hat sich seine Perspektive verändert, denn in diesem Beruf hilft kein Stall. In diesem Beruf verbrennen die Besten wie Fliegen, denn so viele gut ausgebildete Musiker braucht niemand. Die meisten enden in Musikschulen der Provinz. In Coverbands. In Bands, deren Musik niemand hören will, weil sie nichts anderes zu erzählen hat, als von den Mühen des Studiums.

Wenn sie Glück haben, ergattern sie eine feste Stelle. Die meisten jedoch kämpfen von früh bis spät, ohne je etwas zurücklegen zu können. Und der erhoffte Ruhm, der musikalische Durchbruch oder zumindest die Anerkennung kommt nie.

Ich spielte nicht. Ich habe beschlossen, mich nur noch einzumischen, wenn es Sinn macht.
Gestern machte es keinen Sinn. Gestern machte nichts Sinn, und das war nicht nur gestern so, aber das ist eine andere Geschichte, denn ich lebe ja gern.

 

Fr 23.01.09   10:16

Nachmittags wird ihr Sohn kommen. Dem zeigt sie alles. Da liegen die Papiere, wird sie sagen, die Policen, die Sterbeversicherung, da liegt mein Sparbuch, da habe ich aufgeschrieben, wie das alles ablaufen soll, sollte ich sterben.

Sie möchte kremiert werden. Sie möchte, dass man ihre Asche verstreut. Sie nimmt billigend in Kauf, dass ihr Sohn dieses letzten Wunsches wegen gegen Gesetze verstößt. Als ihr Vater, ihre Mutter und ihre Tante starben, hat sie erlebt, wie einfach es ist, gegen sinnlose Gesetze zu verstoßen, ihr Bruder hat das vorgeführt, hat die Asche der Verstorbenen einfach hier und dort verstreut, und jetzt will sie, dass ihr Sohn das auch tut.

Allerdings muss gesagt werden, dass ihr Bruder die Asche aus einem niederländischen Krematorim mit nach Hause genommen hat, und dass das einfacher ist, als sie aus einem deutschen Krematorium mitzunehmen. Aber sie hat sich das nun mal in den Kopf gesetzt. Auf der Promenade möchte sie verstreut werden, gleich neben dem Denkmal der Annette von Droste Hülshoff. Mitten in der Stadt. Also bitte.

Ist sie denn sterbenskrank, diese Frau? Nein. Sie hat einen Flug nach Ägypten gebucht. Und nun, vierzundzwanzig Stunden vor Abflug, der zu ihrem Entsetzen keine zwanzig Minuten darauf zu einer Zwischenlandung und erneutem Start führt, vierundzwanzig Stunden vorher muss das alles geregelt werden.

Sie weiß natürlich, dass die Statistiken gegen derartige Vorsichtsmaßnahmen sprechen, die Autofahrt zum Flughafen ist ein Vielfaches gefährlicher als der Flug, aber da kommt dann die Psychologie ins Spiel. Der Bruder, auch nicht frei von dunklen Vorahnungen vor anzutretenden Flügen, kann ihr noch so oft versichern, dass Flugzeuge fliegen können, es hilft nichts. Sie möchte den physikalischen Teil des Fliegens erklärt haben, aber das kann der Bruder nicht, da hat er nicht aufgepasst.

Schließlich verabschieden die beiden sich voneinander, als wäre es das letzte Mal. Der Bruder klopft seiner älteren Schwester auf den dicken Hintern und sagt, viel Spaß auf dem Nil, und die Schwester sagt, Krokodile gäbe es ja erst am oberen Nil und dahin kämen sie nicht. Ja, ja, sagt der Bruder, der selbst schon mal am Nil war und nur beste Erinnerungen an die Freundlichkeit der Menschen dort hat, ja, ja, wird schon alles gut da auf deinem Rentnerschiff.

16:45

Alles ist feuchte Luft, das mögen Körper nicht. Jedenfalls meiner das nicht. Er meldet sich hinten rechts (Niere), vorne links (keine Ahnung), er knirscht in Gelenken (Osteoporose), hämmert hinter der Stirn, er ist unruhig und doch ganz gesund, aber da ist eben die feuchte Luft und die Dunkelheit und die .... Au! Jetzt auch noch der Rücken. Was soll man denn, wenn man nicht sitzt, frei schweben, bittesehr, soll man ins All, damit der ewige Druck auf die Wirbelzwischenräume aufhört und das Abnutzen der Gelenke? Ist es also richtig, was ich für falsch halte, dass wir das All erforschen, statt unsere Menschen zu ernähren, richtig, damit wir die Krankheiten besiegen? Ach, ich weiß es nicht, aber zum Glück ist Wochenende und morgen ist Wetten Dass. Außerdem stimmt das ja gar nicht, hinten rechts hat längst wieder aufgehört, weh zu tun, und vorne links ist mir ein Rätsel. Vollamputation. Künstliches Koma (jetzt sehr modern) und Vollamputation. Und dann Spenderkörper.

 

Sa 24.01.09   14:15

Ich überquerte die Aabrücke und schaute hinunter auf den Fluss und den Weg. Da unten lief ein Paar und schaute zu mir hinauf. Die Frau kam mir bekannt vor, aber ich hatte keinen Zugriff, weder auf ihren Namen noch auf die Umstände, unter denen ich sie kennengelernt habe könnte.

Ich ging weiter, ich schaute mich noch einmal um, und da nickte die Frau mir lachend zu. Ich blieb stehen. Ich wusste jetzt wieder, mit wem ich es zu tun hatte, wenngleich mir der Name immer noch nicht eingefallen war. Die beiden kamen die Treppe hoch, an der der Weg endet, wir begrüßten uns, mein Mann, sagte sie.

Ich wunderte mich, dass sie nicht mehr mit dem Rechtsanwalt zusammen ist, der damals die Linken und Sympathisanten verteidigt hatte (u.a. mich). Ich versicherte ihrem Mann, seine Frau und ich würden uns aus dem Studium kennen. Ich tat das, damit er nichts anderes vermutete, irgendein früheres frühes Verhältnis seiner jetzigen Frau.

Wir sprachen über die Gegenwart: ihr Sohn sei aus dem Haus, ich würde Opa, und dann erzählte ich ihr, dass ich vor nicht allzu langer Zeit Musik mit Wendelin und Charlie gemacht hätte, ob sie sich noch erinnere? Sie habe doch mit den beiden in einer WG gewohnt. Wendelin und Charlie? sagte sie. Ja, sagte ich erstaunt über ihr Erstaunen. Wendelin und Charlie hatten sich über sie zerstritten, weil der eine sie dem anderen ausgespannt hatte oder umgekehrt. Sie kenne keinen Wendelin, sagte sie, ob ich sie vielleicht verwechsele? Ich, dich verwechseln, nein, sagte ich, und dann verabschiedeten wir uns voneinander.

Keine zwanzig Meter weiter wusste ich wieder, dass sie nie mit Wendelin und Charlie in einer WG gelebt hatte. Suse hatte mit den beiden zusammen gelebt, war mit Charlie liiert und Wendelin hatte sie Charlie ausgespannt oder umgekehrt. Die Frau, mit der ich gerade gesprochen hatte, hieß Elisabeth, und ich kannte sie nicht vom gemeinsamen Studium, sondern als alleinerziehende Mutter, deren Söhne ich über Jahre Morgen für Morgen mit unseren und noch zwei anderen Kindern zur Schule gefahren hatte.

 

So 25.01.09   11:20

Heute zwischen 8:30 und 8:40 hielt den Morgen für einen Montagsmorgen.
Montag dachte ich, also werde ich frühstücken, den Rechner hochfahren und das tun, was ich mir vorgenommen hatte: letzte Korrekturen ins Drehbuch für die Sackgasse 13 einarbeiten und dann ab damit zum Regisseur.

Dann aber fielen mir die Hose meiner Frau, ihr Pullover und all die Dinge auf, die sie gern im Bad ablegt. Was sie wohl heute an hat, dachte ich verwundert und machte mich auf den Weg zum königlichen Thron. Im Vorübergehen warf ich einen Blick durch eine offen stehende Tür in eines der zahlreichen Zimmer unserer weitläufigen Wohnung, die wir, seit acht unserer neun Kinder ausgezogen sind, nicht mehr oder nur selten nutzen, und sah Muse M. dort in einem Gästebett liegen.

Und da fiel es mir ein: Obama ist gar kein Nachfahre afroamerikanischer Sklaven, so wenig wie dieser Montag eine Montag ist. Sonntag also, dachte ich glücklich verwundert, Sonntag, und setzte meinen Weg zum Thron fort, hielt meine morgendliche Rede, grübelte über das letzte Mahl der Königin des Dschungels und kam zu dem Schluss, dass ich derartiges nie essen würde.

Sonntag?

Wie hatte ich das nur verwechseln können? Würde jetzt jeder Tag mit Täuschungsversuchen beginnen? War das ein stiller Hinweis auf meine galoppierende Demenz? Und die Tatsache, dass ich am 12. März in Leipzig im Alter von 60 Jahren auf einer Bühne der Indepenent Verlage meinen neuen Roman vorstelle - auch nur Täuschung? Bin ich in Wirklichieit nicht doch der KRITZEL OPI?

Ich nahm mir vor, diesen Sonntag genau zu beobachten. Ich würde mir kein 5 Minuten Ei für ein 6 Minuten Ei vormachen lassen, kein Brötchen sollte mich über seine tatsächliche Konsistenz täuschen, dieser Sonntag würde schon sehen, was ich von ihm hielt, dachte ich, als das Telefon klingelte. Ich nahm nicht ab. Ich wusste ja, dass es nicht klingelt, auf so etwas fiele ich nicht mehr herein, dachte ich, als meine Frau sagte, warum nimmst du denn nicht ab.

Wer ist die denn? dachte ich.
Im Hintergrund spielte Miles Davis, aber ich konnte nirgendwo Musiker entdecken.

 

Mo 26.01.09   11:20

Während ich mein Drehbuch redigiere, dürfen Sie nichts tun ...



16:58

Kaum ist das Drehbuch fertig, kommen auch schon
die Fahnen für Pop Life.

 

Di 27.01.09   11:38

Zum Tagesbulletin bitte hier ...

17:45

Mein ehemaliger Nachbar erklärte mir, wie das wäre mit seinem Auge und wie der Türke, ein Arzt, ach du Scheiße, ein Türke, hätte mein Nachbar gedacht, wie also dieser Türke ihm vor den Kopf gesagt hätte, so ginge das nicht weiter, er müsse unbedingt in die Klinik.

In die Klinik, nie im Leben, hatte mein ehemaliger Nachbar gesagt, aber dann hatte er zwei Tage später doch gehen müssen, wegen der Schmerzen, und dann wäre der Oberarzt gekommen und hätte gesagt, da müssen wir unbedingt was machen, und seine Kinder hätten das auch gesagt, die hätten gesagt, Papa, du musst da was machen lassen, sonst wirst du blind, und da hätte er dann gedacht, okay.

Er hätte ja 40%, was aber für 50% Behinderung durchginge, nur eben 6 Tage weniger Urlaub, aber die kriegte er auch so zusammen. Und die Kinder?

Nicht einfach, sagte ich. 100 Bewerber für eine Stelle als Lagerist, Abiturienten, Fachhochschüler, alles, auf eine befristete Stelle als Lagerist. Ja, sagte er, meine Arbeit ist ja geschützt durch das Integrationsamt oder wie das heißt, die achten darauf, dass Behinderte in Arbeit bleiben und meine Kinder sind auch in Arbeit.

Wir verabschieden uns. Meine Frau ist schon gefühlte Stunden im Supermarkt. Ich stehe im Vorraum wie bestellt und nicht abgeholt. Menschen gehen hinein und kommen wieder heraus, von meiner Frau keine Spur, und dann taucht diese Glatze auf.

Ich stehe mitten im Raum, er kommt auf mich zu, wir schauen uns an, und ich weiß, dass er weiß, dass ich ihn für einen Nazi halte und nichts dagegen hätte, ihm die Eier herauszuschneiden.

Aber wir schlagen nicht zu. Der Raum eignet sich nicht, er will nicht auffallen, er hat sowieso Bewährung, er dreht eine Runde durch den Supermarkt, kommt mit etwas nicht Identifizierbarem wieder, von meiner Frau immer noch keine Spur, er geht nach draußen, da warten zwei weitere Glatzen.

Zu dritt und draußen könnten sie einem wie mir leicht einen verpassen, aber der eine hat mich längst vergessen, er ist froh jetzt, nicht mehr allein zu sein, denn allein kann er seine Dummheit kaum ertragen, zu dritt aber, zu dritt ist es schon nicht mehr so schlimm, da verdreifacht sich die Wut auf alle anderen, die Wut darüber, dass jeder sie auf der Stelle erkennt, und die Wut, dass sie nirgendwo auch nur die geringste Chance haben.

 

Mi 28.01.09   13:29

Korrekuren gelesen. Drehbuch fertig. Verlag will Presseagentin für Pop Life engagieren. Alles fliegt und bald ist schon wieder Weihnachten. Wer hätte das gedacht.

16:45

Sie saß immer auf Gummiringen, ihr Rücken, sagte sie, daran kann man nichts ändern, bis eines Tages die Nachricht kam, dass sich in ihrem Steiß ein Zwilling befände. Wo? Irgendwo da. Da hat sie ihr Leben schon zur Hälfte gelebt, und dann so eine Nachricht. Irgendwo da im Steiß verbirgt sich ein Zwilling. Er hat es nicht geschafft.
Sie hat ihn überlebt, er hat als grotesker Knorpel, als Wasweißichwie mit ihr sein nicht gelebtes Leben gelebt. Sie wird operiert. Der Zwilling verschwindet. Es bleibt nichts als die Narbe und die Frage, was aus ihm hätte werden können.

Von mir höre und lese man ja nur Gutes, sagt sie. Hm hmmm, mache ich. Früher habe das ja nicht so gut ausgesehen, aber jetzt, da könne man mal sehen, die Dinge bräuchten eben Zeit, sich zu entwickeln. Stimmt, sage ich, und du, was machst du hier? Ach, sie sei erkältet und müsse zum Arzt.

 

Do 29.01.09  8:56

In Österreich nennt man sie Verkaufssager: Argumente, die ein Buch bewerben, für das Buch sprechen, ihm Starthilfe geben sollen im unüberschaubaren Mediendschungel. Ob ich welche schreiben könne, fragte man mich. Hm hmmm dachte ich, denn bei Verkaufssagern läuft man schnell Gefahr, wegen Eigenlobes zu stinken. Dann fiel mir ein, dass jeder Waschmittelheini das Blaue vom Himmel redet, um sein Pulver an den Mann zu bringen, und danach waren meine Skrupel besänftigt. Also hören Sie ...

Pop Life ist Leselust.

Pop Life dürfte nie aufhören.

Pop Life ist ein Ereignis.

Pop Life kann alles, nur nicht langweilen.

Pop Life hätten andere auch gern geschrieben, haben sie aber nicht.

Pop Life ist voller Zuneigung für seine Figuren, erzählt in atemberaubenden Wirbeln, was zu erzählen ist und verschweigt, was nie zu erzählen sein wird.

Pop Life versucht, über drei Kontinente, fast vier Lebensjahrzehnte und den darin verwobenen Lebensgeschichten der Wahrheit, falls es denn eine gibt, näher zu kommen.

Pop Life kommt gerade recht.

Pope Life wird viele begeistern.

14:35

Tränke ich Kaffee, ich hätte eine Viertelstunde auf dem Balkon in der Sonne gesessen. Ein älteres Ehepaar wäre vorübergegangen, hätte erst so getan, als sähe es mich nicht, dann aber, schon zu 45 Grad NNW. an mir vorüber, hätte der Mann seinen Kopf zu mir gedreht und mit großen Einverständnis gesagt: Die Sonne genießen? und ich hätte genickt und geantwortet so lange es geht.

Aber da ich im Augenblick ja nur beruhigende Kräutertees trinken, der allgemeinen Aufregung wegen und zum Bezwingen meiner Eitelkeit, saß ich eine Viertelstunde dort, trank weder Tee noch Kaffee, und die Friesen von oben kamen und Uwe, der neue, hatte einen etwa besenstiel-langen roten, unterarmdicken Stock in der Hand. An dessen Ende war ein aus etwa 5mm dickem Metall gebogener offener Korb angebracht, in den man, das ahnte ich gleich, einen Ball einlegen und mit Hilfe des verlängerten Hebelarms ordentlich weit fort befördern kann.

Kuck, vier Friesen, die Westfalen totschlagen wollen, sagte ich. Nein, sagten sie und erklärten, dass sie das Friesenspiel spielen wollten, irgendwo oben bei Senden, wüssten sie auch nicht, ein Kollege hätte sie eingeladen, der kenne sich da aus, lange Landwirtschaftswege die Kugel schlagen, bosseln glaube ich, heißt das, und dabei: Hand mit imaginärem Schnapsglas hochheben, Kopf in den Nacken. Aaa, sagte ich zu Paul, auf dessen Cabrio Verdeck Vorübergehend geschlossen steht, ob ich euch wohl beneide? Solltest du auch, antwortete er. Dann war die Viertelstunde vorüber. Die Sonne scheint immer noch. Gleich fahre ich zur Kunstakademie, Rundgang mit Frau M.

 

30.01.09   9:16

Ich hatte eingekauft, ich hatte mich nicht von der Hektik anstecken lassen, mit der die blondierte Kassiererin des Diskounters die Waren über ihren Scanner auf die viel zu kurze Theke dahinter geschoben hatte, ich verstaute alles in meine Einkaufstasche und fragte, wieviel es koste, denn das Display der Kasse ist so ungünstig angebracht, dass zwar die Kassiererin den Betrag sehen kann, aber der Kunde nicht. Acht Euro Zweizehn, antwortete sie. Wieviel? Acht Euro Zweizehn wiederholte sie. Ich gab ihr zehn Euro, hatte aber noch immer nicht verstanden und fragte ein weiteres Mal. Jetzt habe ich zweimal gesagt, dreimal sage ich nicht, sagte die Kassiererin spitz.

Sie ist Polin. Sie hat so einen Singsang, den ich immer ganz angenehm fand: dankescheun, bittascheun, und ich hatte sie nie unsympathisch gefunden. Muse M. wohl. Muse M. hatte immer gesagt, dass die falsch sei, dieser Singsang sei nichts als Maske, in Wirklichkeit sei sie eine äußerst unangenehme Person. Genau die gleiche unangenehme Person, die jetzt eingeschnapt war, weil ich ihr Deutsch nicht verstanden hatte, weil mir zum Teufel nicht aufgehen wollte, dass acht Euro zweizehn, acht Euro zwei Cent bedeuten sollte.

17:19

Stellen Sie sich vor, ich wäre Papst.
Was würde ich mit einem Bischof Williamson tun? -
Wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen? -

Nein. Natürlich nicht. Ich würde ihn entlassen. Aber ich entließe ihn nicht, weil er den Holocaust leugnet. Ich entließe ihn, weil ich von meinen Bischöfen erwartete, dass sie die Weltgeschichte kennen und Fakten nicht leugnen. Für mich wäre so ein Bischof nicht tragbar. Meine Bischofe müssten denken können.

Etwas grundlegend anderes ist die Tatsache, dass jemand, der den Holocaust leugnet, eine Straftat begeht. Wieso? frage ich mich. Stellen Sie sich vor, ich würde die Sklaverei mit ihren geschätzen 50 - 100 Millionen Toten leugnen. Ich würde sagen, tut mir Leid, hat gar nicht stattgefunden.

Wahrscheinlich würden Sie denken, der Mensch hat den Verstand verloren.
Aber darf man dafür, dass man seinen Verstand verliert, bestraft werden? -

Politiker, die Waffengänge anordnen, solle man bestrafen. Mörder solle man bestrafen. Menschen, die den Holocaust leugnen, sollte man ignorieren. Vielleicht behandeln. Aber bestrafen? Nein. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass dieses Leugnungstabu kontraproduktiv für die Diskussion über geschichtliche Greuel ist.

Päpste, die exkommunizierte Holocaustleugner wieder in den Schoß der Kirche aufnehmen und gleichzeitig verkünden, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun, würde ich in ein mongolisches Dorf zur Mission schicken.

Aber, merke: hinter ihm diesem Ratzeheini steht eine der weltweit mächtigsten Menschenrechtsverletzerorganisationen. Gegen die kommt man nicht an. Die haben überall ihre Spürnasen.

Amen und schönes Wochenende.


31.01.09   11:23

Ja ja, sagte der weise Vater und schwor, nie mehr über Politik zu schreiben, es sei denn ...

20:49

Mit diesem Foto des Schriftstellers Mensing verabschiede ich mich aus dem Januar.



PS. Nicht immer ist er so entspannt.





 

 



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