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mensing literatur
 

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Mo 1.01.07   14:00

Was war der Fall, letzte Nacht, in den Stunden vorm Jahreswechsel?
Überdruss nach guten Tagen? - Wahrscheinlich. Gegen halb zehn wäre ich gern ins Bett gegangen, gegen halb zwölf sie, aber weder ich noch sie taten, was das Vernünftigste gewesen wäre, schließlich hatten wir es mit einem Jahreswechsel zu tun und Jahreswechsel gehören zelebriert.

Und so floss die Zeit zäh und ihr stiegen Erinnerungen an die Erbtante auf.
Schon während des Mittagsschlafes hatte sie von ihr geträumt, nun stand die Tante schon wieder im Raum und verbreitete schlechte Stimmung. Dabei hatten wir der Tante damals klar und unmissverständlich gesagt, was wir erwarteten.

Die Tante hatte schließlich zugestimmt.
Ich hatte immer wieder gesagt, sie solle diese Zustimmung hochachten, selbst wenn das, was die Tante herausgerückt habe, sowieso den Kinder versprochen gewesen wäre, aber sie verachtete ihre nächste Verwandte nach wie vor.

Wiedergänger, während das Jahr in den letzten Zügen liegt.
Alles, was jetzt kommt, muss getan werden.
Man muss anstoßen, man muss sich küssen, man muss gute Miene machen.

Gibt es Schlimmeres? -
Ich, der gern anstößt, gern küsst, gern gute Miene hat, wüsste nicht....

Zum Glück steigen gerade die ersten Raketen auf.

Im Haus der Familie L. gegenüber ist sturmfrei. Der Sohn, 17, Sexmonster, seit vor zwei Jahren einmal ein Streit zwischen ihm und seiner Mutter herüberwehte, wo diese nachdrücklich Auskunft über einen Mädchenslip forderte, den sie unterm seinem Bett gefunden hatte, hat Gäste. Er wirft Kracher auf die Straße und treibt kreischende Mädchen vor sich her.

Badewannenjupps Sohn, Badewannenjupp, dessen Frau und Schwiegertochter stehen auf dem Bürgersteig und hoffen, dass etwas geschieht.

Sie ist auf den Balkon getreten. Ich nicht. Sie berichtet.
Badewannenjupps Sohn befestigt Wunderkerzen an den drei Akazien vorm Haus.
Das scheint nicht einfach.

Ossi-Maik beginnt mutterseelenallein sein Feuerwerk abzubrennen.
Einmal startet die Rakete horizontal, zischt ihm zwischen den Beinen hindurch und explodiert am Rinnstein.
Es kracht und zischt.
Maik kann gar nicht genug bekommen.

Sexmonster und seine Freunde/Innen sind klug.
Sie brennen ihr Feuerwerk an der Bushaltestelle ab.
Da müssen sie am nächsten Morgen nicht die Reste zusammenfegen.

Leuchtkugeln am Himmel.

Das war der Fall gestern nacht.
Und was immer der Fall ist, ist wirklich. Selbst, wenn es unnötig war.
Also vergebe ich der Wirklichkeit.
Sie ist nichts als das Resultat meiner Vergangenheit, die ich nicht ändern kann.
So ratlos und ohne wirkliche Handhabe über mein Schicksal schaue ich dem neuen Jahr dennoch furchtlos ins Auge.

Komm doch, sage ich, wirst schon sehen, komm doch....

19:50

Was wird der Fall sein? -
Ich werde Bob Dylan sehen. Am 5. April.

 

Di 2.01.07   10:45

Der Diktator ist tot.
Ich habe es gesehen, Sie haben es gesehen.
Mir stockte das Herz. So sieht das also aus!
Früher konnte man solche Zeremonien auf großen Plätzen sehen.
Und? Haben Sie sich gefreut, dass dieser Massenmörder büßen musste?

Oder sind Sie natürlich auch gegen die Todesstrafe?

So wie ich, der sich, obwohl gegen die Todesstrafe, gefreut hat. Und entsetzt war.
Als dann all diese widersprüchlichen Empfindungen abklangen, fiel mir wieder ein, wie heillos verstrickt wir, die im Speck der westlichen Welt lebenden Maden, mit allem und jedem sind.
Wie wir uns Tag für Tag schämen könnten, wüssten wir nur, wofür.

Für Waffenlieferungen? Für Hinsehen und Wegsehen?
Für die noch immer nachwirkenden Konfusionen der Hochstaplerträume unserer Vorfahren?
Für unser Menschsein?
Oder noch einfacher: für unsere brutale Natur?

Um schließlich einzusehen, dass alles Biologie ist und Physik und Chemie?
Und dass alles andere, das, was wir Gefühle nennen, Moral etc. pp., nichts weiter sind als Hirngespinste? Sentimentaler Quatsch? Nicht existent?

Das neue Jahr fängt schon wieder an, Fragen zu stellen.

Das ist gut so.

12:15

Ich lese
Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht.

Wer (wie ich) als Korinthenkacker auf die Welt gekommen ist, kann natürlich nicht akzeptieren, dass ein Roman, der in einer Welt spielt, aus der, bis auf den Protagonisten Jonas, alle übrigen Menschen verschwunden sind, auktorial erzählt wird.

Wer sollte der Erzähler sein?

Und noch etwas: wieso gibt es in so einer Welt Strom?
Im Übrigen aber lese ich den Roman gern. Nicht, dass ich ihn großartig fände, nein, großartig ist etwas anderes, aber es macht Spaß, ihn zu lesen.

 

Mi 3.01.07   19:15

Noch geschockt vom Spiegelbild in der Umkleidekabine tut es gut, beim Italiener junge hübsche Frauen zu sehen, die dort bedienen. Die eine, die hagere, hat Feierabend, die Putte übernimmt, wir sitzen vor riesigen Pizzen, neben uns der Herausgeber des Stadtgeflüsters vorm I-Book.
Der Hot-Spot funktioniere nur an diesem Tisch, nebenan schon nicht mehr, sagt er.

Macht was her, so ein I-Book. Muss man haben.
Daneben das superflache superkleine Handy mit der 25 Euro Flatrate, da braucht man eigentlich kein Büro.

Der Patrone setzt sich neben ihn, die beiden scherzen, der Herausgeber schickt eine Mail im Auftrag des Patrones nach Italien, sippt an seiner Cola, unsere Pizzen werden kaum kleiner, ich schaue auf seine Hände, die Finger vor allem, merkwürdige Finger, deren Nägel die obere Rundung der Kuppe mitgehen: Affenfinger.

Die Stadt voll wie um Weihnachten.
Ich war unterwegs, um mir eine Hose zu kaufen. Habe sie auch gekauft, noch ein Hemd dazu, eines für Barcelona. Schließlich probiere ich noch ein Alpacca-Hemd, wunderschön, aber leider juckts auf der Haut, ich bin da empfindlich.

Und dann nochmal: dieser alte Mann im Spiegel, dessen Haut langsam Falten wirft.

N' Abend, sage ich. Auch da? Auch da, sagt er.

Heute einen Roman verschickt und die Bestätigung für meinen Gedichtband erhalten.
Schätze, dass er im Herbst fertig und zu kaufen sein wird.
Arbeitstitel: Dämliche Gedichte (für moralisch gefestige Leser).

 

Do 4.01.07   11:00

Jeder dahergelaufene Psychologe beteuert, dass man sich selbst lieben müsse, um andere lieben zu können.
Na BRAVO! ruft der dicke, nicht kleine Herr M., der das schon seit 57 Jahren versucht, entledigt sich seines Unterhemdes, erledigt die Morgentoilette, prüft das Fettgewebe und wägt ab, ob nicht auch für ihn bald die Zeit für eine Mammographie gekommen ist.

Nein?
Dann doch lieber zum Proktologen.

Ich kleide mich an. Meine neue Hose ist von Pierre Cardin.
Nicht, dass ich Wert drauf gelegt hätte, nein, sie war einfach nur überzeugend beim ersten Griff (haptische Kontrolle) und saß sofort. Ich ziehe ein Hemd an und Schuhe und schaue hinaus.

Der Himmel geht knapp über Sexmonsters Haus, dessen Eltern noch immer nicht zurückgekehrt sind, womöglich, dass sie in Rom sind, beim Papst. Ich brauche Brötchen, Kaffee, Milch und Waschpulver. Ich mache sich auf den Weg.

Im Gang zwischen den Kassen des Supermarkts beugt sich Schweinegesicht, meine ehemalige Nachbarin, vornüber, um etwas aus einem Unterschrank zu nehmen. Ihr Gesäß ist so groß wie ein Bierfass, ihre Brüste sind größer als Basketbälle, ihre Fettringe reichen für drei bis vier Normalportionen.

Ein Grauen, sich vorzustellen, neben ihr im Bett zu liegen, sie beim Zähneputzen zu treffen oder im Bademantel in der Küche. Ihr Gesicht aber ist nach wie vor merkwürdig jung und ihre Haut zart.

Ich vermeide ein Gespräch, ich schaue sie nicht an, als sie meine Waren über den Scanner schiebt, ich will nur schnell weg. Der Regen fällt in großen Tropfen. Ich beeile mich. Ich habe gestern abend noch alle Gedichte in eine neue Reihenfolge gebracht, und die will ich nun prüfen.

 

Fr 5.01.07   11:00

Als ich übern Kanal stadteinwärts fahre, dämmert mir, wieso der Verkehr dichter und dichter wird. Holiday on ice kratzt in der Halle Münsterland seine Spuren in die Hirne der Unterhaltungssüchtigen. Parkplätze werden rar sein und wir wollen ins Kino gegenüber.

Beim Linksabbiegen zum Parkhaus des Cinesplex die ersten bösen Blicke der Fahrer. Jetzt hilft nur starres Geradeausschauen. Bloß keinen Zentimeter klein bei geben. Sie steigt aus, um schon Kinokarten zu kaufen. Ich rücke Meter für Meter vor. Im Parkhaus nerven mich Sonntagsfahrer, die auf halber Rampe zwischen den Stockwerken beim Anfahren den Motor abwürgen. Höher und höher geht es hinauf, bis schließlich im vierten Stock Platz ist.

Wir haben Partnerplätze in Saal 9. Wir, das älteste Paar im Saal. Nett.

Wir sehen Babel, eine Geschichte heilloser, nicht erklärbarer Schicksale, die an seidenen Fäden rund um den Erdball geknüpft miteinander verbunden sind. Wir sehen, wie dünn die Wand ist, die uns vom Barbaren trennt, wie leicht und wie schwer es ist, Mensch zu sein, wie unbegreiflich das Auseinanderklaffen der Zivilisationen in unserer Gegenwart.

Ja, das ist es, was zumindest ich sehe.
Ein Augenblick, Schicksal genannt, und nichts ist mehr, wie es vorher war.
Unbedingt anschauen.

Kino und Holiay on Ice enden zeitgleich, sodass es uns vernünftig scheint, erst noch ein Bier zu trinken, statt in langen Schlangen vorm Parkautomaten zu stehen und dann Stockwerk für Stockwerk nach unten zu zuckeln, bis wir endlich davonfahren können.

Wir gehen in den Landmann, eine Kneipe, die es schon immer gab und dessen Besitzer sich seit Ausbau des neuen Hafenviertels standhaft weigert, aufzugeben. Bestes Pinkus Bier, böse Russen, Türsteher der benachbarten Großdiscothek Go Parc, machen hier Pause, drei Trinker an der Theke stöhnen in ihre Biere.

Nach einer halben Stunde ist die Fahrt frei.
Ich biete meiner Frau eine rasante Abfahrt durchs Parkhaus, die sie mit vor die Augen geschlagenen Händen quittiert.

Ich habe Gedichte sortiert.
Jetzt heißt es, lesen und noch einmal lesen, und dann werde ich weitersehen.

16:15

Schon wieder Fragen.
Was sollen wir an diesem Wochenende essen?

Wir leiten die Frage an Max weiter.
Der sagt Hamburger, Pizza. Bliebe der Sonntag.
Ich schlage vor: heute abend Hamburger. Morgen Pizza. Sonntag improvisieren.
Also abgemacht.

Ich höre Tom Yorke: The Eraser. Kein Lichtblick heute. Dazu passt sein nölender Gesang.
Eigentlich hatte ich mir heute noch eine Hose kaufen wollen. Eine PellePelle Jeans, zu haben bei einem der Hip-Hop-Ausrüster der Stadt: Terzi.

Eine junge, strahlend freundliche schwarze Frau bedient mich, kramt in Regalen, findet aber meine Größe nicht. Die müsse sie bestellen, sagt sie. Ich sage, das wäre nett, könne ihr aber nicht versichern, dass ich die Hose auch kaufen würde. Nein, nein, sagt sie, das wäre schon in Ordnung. Ob sie anrufen sollen, Dienstag, Mittwoch nächster Woche sei die Hose da? Ja, sage ich und gebe ihr meine Karte.

Hermann Mensing. Schriftsteller. Ècrivain. Writer.
Steht zumindest drauf, dann wird es wohl stimmen.

Mache mich auf den Weg zur Stadtbücherei. Ich will Rainold Goetz lesen, finde aber im OPAC nicht ein einziges Buch. Ein bärtiger Bibliothekar, der gut riecht, ritzt sich auf meine Frage nach Rainold Goetz symbolisch die Stirn. Meinen Sie den? fragt er. Ich nicke. Der heißt Rainald, sagt er und schaut im Katalog nach.

Es gibt kein Buch von ihm, nur Dramen in Anthologien.
Er bringt mich zu dem entsprechenden Regal. Wir finden drei Bände mit Stücken von Goetz.
Ich lese Jeff Koons an. Ich verstehe kein Wort, aber mir gefällt die Rhythmisierung seiner Sprache.

Im Café der Stadtbücherei bedienen vier junge Frauen. Das heißt, sie sollten bedienen, stattdessen bewegen sie sich hinter der Theke unbeschäftigt hin und her und vermeiden jeden Blick zu ihren Kunden. Winke mehrfach, zwecklos. Bin schon drauf und dran, wieder zu gehen als schließlich eine Blonde mit Zöpfen kommt und meine Bestellung aufnimmt.

Ich sortiere noch immer.
Wie wäre es, dem Gedichtband eine CD beizufügen?
Darauf: die Ballade für Dämchen.

Rufe Carsten an und bitte ihn, rauszukriegen, was eine 200er Auflage kosten würde.
Carsten meint, dass das nicht allzu teuer würde. Will aber, dass wir das Stück neu aufnehmen.

 

Sa 6.01.07   15:30

Ich bin schon im Halbschlaf. Meine Ohren nicht, weder das, auf dem ich liege, noch das, das unbedeckt ist. Plötzlich fragt es, was es da höre? Es fragt mich, denn ohne mich wäre es aufgeschmissen, hätte keine Vergleichsmöglichkeiten, keinerlei Referenzen, die ihm signalisierten, jetzt sei Alarm zu geben oder eben nicht.

Ich komme zu Bewusstsein, ich wälze mich und denke, da muss jemand gerettet werden. Ich setze mich auf. Das Geräusch kommt stoßweise. Ich stehe auf und gehe ans Fenster, weil ich denke, dass vielleicht im Hinterhof irgendetwas vor sich geht, ein Kapitalverbrechen womöglich, das ich verhindern könnte, verhindern durch mutiges Einschreiten. Aber als ich am Fenster stehe, wird mir klar, dass in diesem Fall keine Rettung vonnöten ist.

Irgendwo wird gefickt.
Das stoßweise Seufzen klingt wie ein Fake.
Haaaaa, haaaaa, huuuuu, huuuuuuu.

Aber woher kann das kommen?
Von gegenüber? - Nein.
Von nebenan? - Nein, auch nicht.
Von oben? -

Oben wohnen drei Männer aus dem Oldenburgischen, die sich nur über die Woche dort aufhalten, weil sie in der Stadt Geld verdienen.

Ich lege mich wieder hin.
Ich will nicht indiskret sein. Das Seufzen wird schneller.
Ejakulation. Ende.

Dieses akustische Ereignis liegt drei Tagen zurück.

Vorgestern, ich war wieder spät ins Bett gegangen und schlief schon auf einem Auge, das gleiche Spiel. Wieder von oben. Wieder stoßweise etc. pp. und dann: Feierabend.

Meine Frau hatte es auch gehört.
Wer das denn sein könne? fragte sie. Hmmm, machte ich.

Gestern abend ging es wieder los. Diesmal vor Mitternacht.
Ich rief meine Frau. Komm! rief ich, schnell, sie pimpern wieder!!!

Sofort war Ruhe.
Coitus Interruptus.

Das hatte ich nicht gewollt, aber es ist wie es ist, man hört in Häusern wie unserem sogar Nachbarn aus dem Nebenhaus pinkeln.

Meine Frau kam ins Bett und schlief sofort ein. Ich nicht. Ich war jetzt hellwach, was aber nichts mit der Frequenz des oben ausgeübten GV zu tun hatte, sondern mit Gedanken. Ich dachte über Titel für meinen Gedichtband nach. Und während ich so lag und dachte und nicht einschlafen konnte, während die Zeiger der Uhr vorrückten, begann alles von vorn.

Verdammt! dachte ich. Zu meiner Zeit hatte ich zwar auch häufig gepimpert, aber eben zu meiner Zeit und die liegt schon um einiges hinter mir. Ich stand auf. Diesmal würde ich das Gejammer lokalisieren. Ich streckte den Kopf aus dem Fenster. Ich horchte. Richtig. Im Zimmer überm Zimmer meines ältesten Sohnes ging es zur Sache. Dort lebte der Außerfriesische. Ein netter Kerl. Aha! dachte ich und legte mich wieder hin. Noch ein wenig Geseufze, Abschuss, Ruhe.

Heute beim Frühstück, ich hatte mich noch in der Nacht vergewissert, ob das rote Auto des Außerfriesischen vor der Tür stünde (ja, es stand da), verließ eben dieser das Haus. Er verstaute einen Kasten leergetrunkener Bierflaschen und Bettwäsche im Kofferraum und fuhr fort. Wenig später kam er zurück und trug einen vollen Kasten Bier ins Haus. Wieder zehn Minuten später kamen er und die Stöhnende aus dem Haus.

Verflixt! dachte ich, das ist doch nicht seine Frau. Die ist doch blond. Diese war rothaarig und ein paar Jahre jünger. Meine Frau war ebenfalls dieser Meinung. Der Außerfriesische wirkte gehetzt. Er, der fast immer, wenn er vor unseren Fenstern vorbeigeht, hineinschaut und fröhlich winkt, hielt den Blick gesenkt, sah zu, dass er die Rothaarige im Auto verstaute und fuhr davon.

Sie sehen, das Leben ist voller Abenteuer. Ein Glück, dass man Ohren hat, die nie schlafen.

 

So 7.01.06   10:50

Hach, wäre das schön, Franzose zu sein. Ich hätte dann ein Bidet und Sauberkeit wäre eine Petitesse des Alltags, nichts weiter, worum man Aufhebens machen müsste. Aber ich bin kein Franzose. Ich bin Westfale, bis auf die Knochen ein sich Mühe gebender West-Westfale und ich lege großen Wert darauf zu betonen, dass ich nicht nur West-Westfale sondern zu einem Viertel niederländisch friesischer Abstammung bin, dem, was immer es auch für Gründe haben mag, vor einem halben Jahr plötzlich und unerwartet nach dem Stuhlgang das Arschloch zu jucken begann.

57 Jahre hatte es das nicht getan. Ich fand das ungerecht. Nach einigem Grübeln entschloss ich mich, nach erfolgreichem Abort sofort das Bad aufzusuchen, meinen schon etwas runderen Körper hüftabwärts zu entblößen, mich auf den Rand der Badewanne zu setzen, den Duschkopf entsprechend auszurichten und das zu tun, was der Franzose bequem und viel eleganter auf dem Bidet erledigen kann.

Nun muss man wissen, dass es nicht einfach ist, in so misslicher Lage über den Rand der Wanne hängend, einen Duschkopf so auszurichten, dass er sofort das Ziel trifft. Bei den ersten Versuchen wurde oft auch die Oberkleidung durchnässt, von den Ärmeln des die Reinigung ausführenden Armes will ich gar nicht erst sprechen. Mittlerweile aber habe ich den Ablauf im Griff, und so darf vermeldet werden, dass ich mich nun wieder rein und sauber fühle. Nichts juckt mehr und das ist schön. Sobald ich aber, das habe ich mir auf meinen Anus versprochen, endlich auch den finanziellen Erfolg meiner Arbeit einstreichen kann, wird ein Bidet installiert, ganz gleich wo.

 

Mo 8.01.07   9:50

Zur öffentlichen Diskussion um den Führer nur soviel, hier....

16:30

Letztens, es war Abend und ich saß vorm Rechner, brausten Piaggios heulend und knatternd durchs Viertel. Hin und her, immer um den Block, immer mit Vollgas, am Besten: Vollgas im Stand, denn dann ist es wirklich laut.

Ich hatte nun zwei Möglichkeiten.
Die erste: ich fühle mich gestört, denn diese Dinger nerven.
Die zweite: ich denke, was für ein Glück, dass diese Jugendlichen umherbrausen und Krach machen, denn lange werden sie das nicht mehr tun können, bald müssen sie vernünftig sein, sich fügen und ihr anarchisches Potential für immer begraben.

Als ich das dachte, löste sich die akustische Störung in Nichts auf. Da freute ich mich mit ihnen, hockte hinten auf ihrem Hobel (oder wie immer sie das heute nennen), jagte mit fünfzig durch Einbahnstraßen und verhöhnte jeden, der daran dachte, die Polizei zu rufen, jubelte über jede Fehlzündung, jede stehengelassene Bierflasche und war gleichzeitig traurig, denn eines war klar, bald wäre die Schule beendet, bald begänne die Suche nach einer Lehrstelle, bald hieße es: müssen.

Ich bitte daher alle Jugendlichen dringlichst, soviel Unsinn wie möglich zu machen.
Randaliert, lass euch nicht erwischen, sauft, hurt, probiert alle Arten von Drogen, kommt auf die schiefe Bahn und von dort wieder zurück, aber lasst euch nicht kleiner kriegen als eure Zukunft sowieso ist.

 

Di 9.01.07   11:05

Die ersten Wochen des neues Jahres sind immer hart.
Da bucht niemand Lesungen (wenngleich schon 13 gebucht sind), da verharrt alles im Wartestand auf den Frühling. Ein Glück, dass es noch Theaterpremieren gibt.

Gestern war Premiere zur 5. Folge der Soap.

Vielleicht werde ich zunehmend sentimentaler, bei drei Szenen waren Tränen geflossen, obwohl ich der Autor bin, der Dialogschreiber. Ich hätte doch wissen müssen, dass die Konflikte, in die wir unsere Protagonisten getrieben hatten, irgendwann nach Auflösung gierten.

Was für eine wunderschöne Arbeit habe ich mir da aufgehalst. Ich werde sie vermissen, ich werde das Ensemble vermissen, ich vermisse sie jetzt schon, die eitlen jungen Möchtegernschauspieler und Schauspieler, ihre Ambitionen, ihre hochfliegenden Träume.

Nach einer durch Handlung geprägten 4. Folge ist die 5. die Emotionalste aller bisherigen.
Heute werde ich sie mir noch einmal sehen und ich wette, dass wieder Tränen fließen, wenn Frau Patzke plötzlich vor den Trümmern ihrer Existenz begreift, wohin sie gekommen ist, wenn Matija Nachricht erhält, dass seine Frau, die Schleppern ins Netz gegangen war, endlich freikommt, wenn Frau Parkson am Rande des Wahnsinns Gruppentherapie verordnet und im Alkohol untergeht.

Ja, niemand soll sagen, dass eine Soap nicht gutes Theater sein könnte. Es ist gutes Theater. Es treibt Abend für Abend Menschen in den Zuschauerraum, die sonst selten oder nie ins Theater gehen, allein das war der Mühe wert.

 

Mi 10.01.07   11:50

Eigentlich war die Idee hübsch. A. hatte sich in der Szene, in der M. den ersehnten Anruf seiner von Gangstern festgehaltenen und jetzt freigekauften Freundin erhält, kleine Engelsflügel auf dem Rücken befestigt. Die Folge aber war, dass sie damit M.'s Szene völlig vermasselte. Statt M.'s Glück zu genießen, wieherte das Publikum los als A. die Bühne verließ und M., fast in Tränen der Rührung, stand da wie der Ochs vorm Berg.

Als die Show vorbei war, traf ich A., nahm sie am Oberarm, griff fest zu und sagte ihr, was sie angerichtet hatte. Kleinlaut erwiderte sie, sie habe sich schon bei M. entschuldigt.

Das Publikum war ein notgeiles Publikum, offenbar nur zu Gefühlen fähig, wenn man ihm die entsprechenden Animations-Schildchen zeigte. A., die vor der Show den Part des Aufwärmens übernimmt, war sich nicht zu blöde, mit ihrem Applaus Schild wieder und wieder hin und her zu rennen, aber das ist nicht mehr zu ändern.

Setzte mich gleich nach Ende der Vorstellung in ein Taxi und brauste zum Hot Jazz Club.
Seit die Soap läuft, hatten sich die Dienstags-Session Termine und die Premierentermine überlagert, seit gut 5 Monaten also war ich nicht mehr dort.

Man hatte mich vermisst. Man hatte sich schon Sorgen gemacht. Hach, tat das gut.
Zu meiner großen Freude waren kaum konkurrierende Trommler anwesend, ich konnte also in Frieden und in großer Besetzung (Gitarre, Bass, Piano, drei Bläser) trommeln.

Das hat gut getan.

Machte mich zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof. An Gleis 12 mühte sich eine Japanerin mit einem Koffer, der fast so groß war wie sie, die Treppe zu den Bahnsteigen hinauf. Griff beherzt zu, der Pfadfinder in mir übernahm, die kleine Japanerin war glücklich.

Musste noch eine Viertelstunde auf den Nachtbus warten. Saß da und sah ein Paar auf merkwürdige Art die Straße überqueren. Er, rückwärts laufend, sie vor ihm, umschlungen, die Unterkörper gegeneinaner gepresst, die Oberkörper zurückgebogen, sich anschauend, Frühling im Blick, nehme ich an, kein Wunder bei den gegenwärtigen Temperaturen.

15:00

Die Gedichte sind sortiert.

 

Do 11.01.07   10:45

Johnny war übrig geblieben. Schon als ich ihn kennenlernte war sein Name veraltet, seine Frisur (ein gegelter Entenschwanz) seit dreißig Jahren nicht mehr angesagt, aber wie das so ist: einmal sozialisiert und auf etwas eingeschossen, bleibt man gern, wo man einmal war.

Johnny trug karrierte Hemden und Jeans, Johnny trug ein kleines Cordhütchen, das er an einen Nagel an der Wand hängte, wenn er kam, Johnny war mittelgroß, untersetzt und sprach, als käme er aus Schlesien.

Er saß, durch eine große Scheibe getrennt, hoch oben überm Zuschauerraum des kleinen Hauses der städtischen Bühnen. Vor ihm die gerade installierten Bildschirme seines Computers. Auf den schimpfte er. Früher, sagte er, hätte man das Licht per Hand viel besser hoch- und runtergefahren, jetzt sei das alles nur noch Krampf.

Johnny war mein Chef, Johnny schickte mich auf die Beleuchter-Böden, um Farbscheiben zu wechseln und Scheinwerfer anzuschließen. Johnny legte besonderen Wert darauf, dass ich Kabel ohne Drill zusammenlegte, davon brächen die Adern.

Also die Kabel vorher gegen den Drill so lange schlenkern, bis sie gestreckt lagen, dann um Ellenbogen und zwischen Daumen und Zeigefinger legen, das Ende schließlich zwei, dreimal um die Mitte des aufgerollten Kabels winden, durchziehen, fertig.

Bei einem Gastspiel, ein Tanztheater mit Life-Musik, baute ein amerikanischer Pianist sein E-Piano und Synthesizer auf dem Balkon auf, der durch eine Tür vom Beleuchterraum zugänglich war. Er hatte seinen Stuhl vergessen, und der, den wir ihm gegeben hatten, war zu niedrig. Er fragte, ob es nicht irgendwo einen Stuhl gäbe, der höhenverstellbar sei. Ich sagte, ja sicher. Johnny sagte, das geht uns nichts an. Ich sagte, ich wüsste aber, wo so ein Stuhl stünde. Johnny sagte, das sei nicht unsere Sache, darum solle sich der Ami selbst kümmern. Ich sagte, dass aber doch nichts dabei wäre, ich bräuchte nur um die Ecke zu gehen, schon hätte ich den gesuchten Stuhl. Ja und, sagte Johnny. Tust du aber nicht.

14:55

Auf dem Weg zur Sparkasse flogen gelbe Säcke durch die Gegend. Die, die auf der Straße liegenblieben, wurden von Autos überfahren, worauf sich ihr Inhalt schleunigst davon machte. Und noch immer weht es kräftig.

 

Fr 12.01.07   13:45

Vor Jahren kaufte ich ein Bett, um das, das ich am Vorabend meines 30 Geburtstags mit Rhabbia gebaut hatte, endlich abzulösen. Eigentlich unterschied es sich kaum von meiner Konstruktion, es sah nur professioneller aus. Damals hatten wir eine Doppelmatratze. Jahrelang von der gesamten Familie beschlafen stellte ich irgendwann fest, dass es an der Zeit wäre, auch die Matratze auszutauschen.

Ich kaufte zwei Qualitätsmatratzen und der üble Rückenschmerz, der mich meist morgens geplagt hatte, war dahin. Dumm war nur, dass die Höhe der Lattenroste verhinderte, dass die Matratzen tief genug im Gestell lagen, um nächstens nicht auseinander zu driften. Mit doppelten Spannbettlaken ließ sich das zwar in Grenzen halten, dennoch, ich war nie zufrieden mit dieser Lösung, und so hat mein Unterbewusstsein über Jahre still an einer Lösung gearbeitet, die mir heute früh plötzlich klar und hell aufstieg.

An beiden Matratzen sind seitlich Schlaufen angebracht. Handbreites Textil, das das Tragen erleichtern soll, nehme ich an. Ich verband sie mit Kabelbindern. Und siehe: jetzt ist jedes Auseinanderdriften unmöglich, die nächtlichen Traumreisen (und alles andere) dürfen ab sofort ungehindert stattfinden.

Schön, dass es immer noch etwas zu entdecken gibt.

 

Sa 13.01.07   10:50

Es war die Insel Menorca, auf die ich, brusthoch im türkisfarbenen Wasser stehend, zulief. Eine Bucht mit kleinen grünen, kreisrunden Inseln, die herumschwammen wie Schlauchboote. Ich (bzw. wir, ich glaube, meine Frau war auch dabei) gingen an Land.

Es nieselte, sodass ich froh war, einen schwarzen, halblangen Mantel zu tragen. Der Strand war ein Hotelstrand, in Terrassen angelegt, mit kleinen Verkaufsständen überall. An einem fragte ich, wo man sich anmelden müsse. Ich radebrechte mein bestes Spanisch. Ein kleine, kompakte Frau mit Bartwuchs auf der Oberlippe wies nach rechts.

Die Terrassen waren in Felsen eingefügt, Granitfelsen, zwischen denen das Hotel an einem Hang emporwuchs. In die Felsen waren verschiedene kreisrunde Fenster und Türen eingelassen. Ich (wir) gingen durch eine hindurch und kamen in eine Höhle. Dort war ein Billiardtisch, ein Radio plärrte, SWR verstand ich, eine Fußballreportage.

Unser Zimmer läge im dritten Stock, sagte man oder wusste ich, ich (jetzt allein) ging durch einen dunklen Gang, wandte mich irgendwann links und kam in ein Zimmer mit der Nummer 3..., in dem meine Frau saß. Fenster und Türen des Zimmers waren ebenfalls kreisrund und man konnte durch so eine Tür hinausgehen auf einen Balkon, eher ein Felsvorsprung, unter dem das Meer war. Ich überlegte, ob ich über die Felsen hinabrutschen sollte zum Wasser und erwachte.

 

So 14.01.07   17:25

Tach Tobi,

ich hätte's wissen müssen. Schon als ich das schwarze Zelt sah, das mir den Eintritt in die Galerie mehr als zwanzig Minuten verwehrte, das zudem noch mit einem Sinnspruch à la ...die Sekunden des Lebens verinnen... bla bla bla ... verziert war, hätte ich kehrt machen und sofort wieder nach Hause fahren sollen.

Ich habe es nicht getan. Wurde nach weiteren fünf Minuten schließlich durch dieses schwarze Zelt gelotst, in dem ich, so eine Frau an der anderen Seite, einhalten und den Alltag abstreifen, mich bereit machen sollte für eine neue Erfahrung.
Die Erfahrung war: noch mehr dieser Sinnsprüche links und rechts, dann die Sandbilder, die ich mir gar nicht mehr angeschaut habe.

Als du anfingst zu spielen und ich mir vorstellte, jetzt würde der berühmte Sprecher, von dem du mir erzählt hattest, diese Sprüche (wahrscheinlich hat da jemand geglaubt, es sei Poesie) mit sonorer Stimme vortragen, bin ich geflohen. Das hätte ich nicht ertragen.

Und wer spricht mich auf der anderen Seite des schwarzen Zeltes an: deine Frau.
Und was fragt sie: wo ich denn hinginge?
Ich antwortete wahrheitsgetreu, dass ich diesen Schmonzes nicht ertragen könne.

So war das, Tobi.

Wenn du mich also beim nächsten Mal anrufst, dann bitte nur, wenn Sehenswertes zu sehen ist.
Was nun die Musik angeht, die du mit dem Sizialianischen Küchentrio gerade machst, dazu kann ich nichts sagen, ich bin ja nicht mehr da.

 

Mo 15.01.07   10:25

Tobi meint, ich wäre ein bisschen überm Strich. Ich habe das in meinem Herzen hin und her bewegt, schließlich weiß man so etwas nie, aber nach gründlichem Abwägen finde ich nicht, dass ich überreagiert habe. Im Gegenteil. Ich hätte die Inszenierung mit schwarzem Zelt und Sinnsprüchen torpedieren müssen, statt wutentbrannt davon zu eilen, denn falls etwas den Anspruch erhebt, Kunst zu sein, muss es höchsten Ansprüchen genügen, ansonsten ist es eine Gemeinheit.

Mal davon abgesehen, dass jede Vernissage ein lebensbedrohender Hochseilakt der Eitelkeiten darstellt, den ein Mensch nur unter Zuhilfenahme schmerzstillender und beruhigender Medikamente ertragen kann, habe ich Schlimmeres als gestern bisher nur einmal gesehen, und zwar in der Nacht der offenen Galerien und Museen im Jahr 2002.

Die gestern ausgestellten Fotografien (Sandbilder) waren von einem Professor der FH Dortmund. Er ist 1942 geboren und heißt Adolf. Ich habe sie mir nicht angeschaut. Es sind aber wohl eher meditative Arbeiten. Wahrscheinlich hat seine Frau die Sinnsprüche ausgeheckt und er konnte sich nicht dagegen wehren.

Als noch alle herumstanden und auf Einlass warteten, als man Konversation pflegte und sich gegenseitig bestätigte, man sei auch da, tauchte eine junge Frau mit Kinderwagen auf. Im Kinderwagen ein knapp einjähriges Kind mit Down-Syndrom. Kaum angekommen, scharten sich schon Bekannte um die junge Frau, um sie zu begrüßen und das Kind zu begutachten.

Was sagt man in einem solchen Fall?
Hach, das ist aber ein hübsches behindertes Kind? -
Ich hielt den Atem an. Wie heißt es denn? Es hieß Erik.

Fallstricke überall. Vielleicht hat Tobi doch recht. Schließlich bin ich unfähig, in öffentlichen Räumen Konversation zu machen. Es geht einfach nicht. Ich kann machen was ich will. Und wenn ich dann doch etwas sage, ist es meistens verkehrt.

 

Di 16.01.07   12:27

Zunächst werden die üblichen Fragen geklärt: wie lange dauert eine Lesung, wieviele Schüler dürfen im Auditorium sein, was lesen Sie. Dann geht es ums Geld. Da die Anruferin eine Bekannte ist, die in einer kleinen Bücherei arbeitet, halte ich mich zunächst zurück. Als sie dann aber sagt, dieses Jahr habe die Bücherei genügend Geld, spitze ich die Ohren. Wie das denn sein könne, frage ich und sie antwortet, das wisse sie auch nicht. So kommt es, dass ich ihr zwei Lesungen verkaufe und das Gefühl habe, das könne ein gutes Omen für 2007 sein, denn wennn sie Geld hat, haben vielleicht auch andere Geld und ich muss nicht, wie ich das hin und wieder tue, einen Mitleidsbonus geben. Nachdem das Gespräch beendet ist, schlage ich mit dem Kopf dreimal kräftig auf meine Tischplatte, werde ohnmächtig, erwache am Boden, versuche mich zu erinnern, erinnere mich, atme auf und harre der Dinge, die da noch kommen mögen. Vielleicht wird mein Indien-Roman, den ich gestern sieben deutschen Verlagen anbot, ja genommen. Meine Frau sagt, Indien sei augenblicklich wieder ein Thema. Vielleicht gewinne ich auch einen der beiden Literaturwettbewerbe, an denen ich mich beteiligt habe. Wer weiß. An so einem Tag, der ein wenig unter den Nachwehen einer Geburtstagsfeier kränkelt, an einem Tag, in dem die Wireless-Lan Strecke instabil ist wie sonst nie, darf man vielleicht optimistischer sein als sonst.

 

Mi 17.01.07   9:28

Nicht, dass ich von ihnen geträumt hätte, nein, ich glaube nicht, ich erinnere mich an keinen Traum. Ich weiß nur, dass ich beim Frühstück sitze, eher uninteressiert lese, dass die Welt weiterhin taumelt und keine Vernunft annehmen kann, ebensowenig wie ich Vernunft annehmen kann, ich trinke Kaffee, ich schaue hinaus, ich denke über den Sturm nach, der kommen soll, vielleicht heute schon, spätestens morgen, dann sind sie plötzlich da.

Wenn ich jetzt nicht aufpasse, heule ich eine halbe Stunde lang, was ja nicht schlecht wäre, ich sage, was wollt ihr, ich habe doch versucht, es so gut zu machen wie möglich. Schon gut, Junge, sagen sie. Wenn jetzt bloß keiner klingelt und was von mir will. Die Tränen sind dick und strömen nur so. Wann sind sie denn gestorben, frage ich mich, wie lange ist das denn jetzt schon wieder her, ach ja, vier Jahre bei ihr und im Sommer zehn Jahre bei ihm, oder elf.

Die Tatsache, dass ich's nicht präzis und sofort weiß, macht mich noch trauriger und ich denke, mach besser Literatur draus, eh du dich tot heulst, schließlich stirbt jeder irgendwann, und es ist wahr, ich habe es gut gemacht, ich habe sie bei mir gehabt, auf meinem Klavier haben sie gestanden, oder besser, hat er gestanden und gewartet, bis auch sie gestorben war, und dann habe ich sie zusammen geschüttet, auf den Friedhof getragen und dort verstreut, wo ihre Vorfahren begraben waren.

Also. Dass der Himmel grau ist, ist nichts Neues. Dass das Leben schwer ist, auch nicht. Es gibt nichts zu bedauern oder zu beklagen, natürlich wäre es schöner, wenn meine Arbeit, die eine gute Arbeit ist, auch anerkannt würde, aber auch das hat mit dem Leben nicht wirklich etwas zu tun, dass fällt eher in den Bereich Eitelkeit und davon habe ich mehr als genug und ist es nicht so, dass Eitelkeit eine der Todsünden ist? Ja, Eitelkeit ist eine Todsünde, vergiss es, sage ich, heute früh beim Kacken habe ich Downtown gesummt, vielleicht sollte ich mir die Platte kaufen, irgendwo gibt es doch sicher eine Compilation von Petula Clark, oder war das Dusty Springfield?

Ich weiß nicht, jedenfalls könnte ich an solchen Tagen Downtown singen und mich in Erinnerungen verlieren, wie ich damals in London war und wie großartig mir die Welt schien, während sie in Wirklichkeit genauso schmutzig, verdorben, sinnlos und trostlos war wie heute, morgen, und in alle Ewigkeit, bis wir, die Verursacher, endlich abtreten wie schon früher die Dinosaurier, die Mammuts etc. pp.

Test nicht bestanden, wir hatten unsere Chance. Schade. Und da schließt sich der Kreis, die beiden sind immer noch da und trösten mich. Sie sagen, siehst du, Junge, ist doch gar nicht so schlimm. Dafür sind Eltern gut. Um solche Dinge zu sagen. Auch wenn man ihnen nicht glaubt, glaubt man ihnen doch. Und wenn sie schon tot sind, glaubt man ihnen noch eher.

Also. Ich werde mich an die Arbeit machen. Ich schreibe ein Exposé für Tilli, Geige und die Birkenbande, eine, finde ich, spannende und wunderschöne Geschichte. Ich habe gestern abend begonnen sie zu lesen. Sie hatte zwei Jahre auf einem Stapel gelegen, ich habe sie ein- oder zweimal angeboten, dann kam diese Geschichte mit der renommierten Agentin, und ich dachte, siehst du, die macht das jetzt für dich, aber gar nichts hat sie hingekriegt. Klartext: jetzt übernehme ich.

Wer bin ich denn?
Die Gruselbegabung? Der renommierte Autor? Der bärtige Mann mit der Ukulele?

Mehr dazu: hier

Schönen Tag allerseits.

Do 18.01.07  9:24

Gut, wer eine Muse hat. Meine ist gratis, lebt seit dreißig Jahren freiwillig an meiner Seite, was schon viele erstaunt hat. Mich auch, aber darum geht es heute nicht. Heute geht es darum, was Musen tun. Vorschläge machen zum Beispiel. Ständig macht sie irgendwelche Vorschläge. Sagt, lass uns das sehen und den hören, lass uns dahin fahren und dorthin.

Gestern meinte sie, lass uns King Khan hören.

Sie hatte schon einmal von ihm gesprochen, da sie die Dorfzeitung liest und besser informiert ist als ich. Also fuhren wir zum Gleis 22, einer der renommiertesten Clubs für unabhängige Musik in Deutschland. Die letzte Band, die wir dort gesehen hatten, hieß Mono und war ein japanisches Radauorchester, zuviel für meine Ohren und für ihre auch.

Wir wussten, dass wir die ältesten Besucher sein würden, aber wen schreckt das. Tatsächlich hatte man uns eine bequem Bank reserviert, auf der wir sitzen, Bionade und Bier trinken und dem Geschehen auf der Bühne folgen konnten.

King Khan ist ein in Canada aufgewachsener Inder, dessen Eltern sich bestimmt große Sorgen machen. Ihr Sohn ist nämlich verrückt. Wahrscheinlich ein Autist, der nirgendwo sonst als auf einer Bühne für kurze Zeit lebendig wird, aber dann so lebendig, dass es fast beängstigend ist.

Zu Anfang der Show trug er eine schmuddelige Adidas Trainingshose, eine Patchwork Lederjacke, ein T-Shirt, indische Ketten und eine Perücke mit eingeflochtenen Perlen. Seine Gitarre war selten gestimmt.

Sein Partner BBQ, ein kleiner, kompakter Mann, spielte Gitarre und Schlagzeug. Es bestand aus einem mit Gaffer-Tape am Boden befestigten und zur Bass-Drum umfunktionierten Hängetom und einer uralten, in einem Weidenkorb aufrecht stehenden Snare, auch mit Gaffertape am Boden befestigt. Beides wurde barfuß mit einem Bassdrumpedal gespielt.

Ständige Rhythmuswechsel, wildes Geschrammel, Polkas, wüster Rock n' Roll, aber äußerst unterhaltsam und voller Energie. Lebenslust, sollte ich sagen. Vor der Bühne wurde gepogt, ein Tanz für Eishockeyspieler, die breite Schultern haben und einstecken können.

Ohne ersichtlichen Grund brach King Khan hin und wieder aus, wühlte sich mit dem Gitarrenhals voran ins Publikum, machte den Chuck Berry, alles ohne sichtliche Regung, nur hin und wieder flog ein schüchternes Lächeln über sein Gesicht.

BBQ ist ein hervorragender Sänger, King Khan kreischt als würde man ihm die Hoden mit einer Nagelschere amputieren.

Irgendwann zieht er sich um und steht in einem Goldlamé-Fummel auf der Bühne. Er hat mandarinengroße Brüste mit abwärts weisenden Brustwarzen, er trägt Tatoos, dazu eine fliederfarbene Perücke und ich denke, wie schön, dass ich in meinem Alter sowas noch einmal zu sehen kriege.

Die Menge wogt, King Khan heult und schreit, die Gitarren (seine übrigens mit dem gleichen Verstärker verstärkt, den ich meinem großen Sohn zu Weihnachten schenkte) brüllen und ich denke, wenn der weiße Mann eines nicht kann, ist es tanzen. Er zuckt spastisch, er reckt Arme empor als müsse der Führer gegrüßt werden, von Eleganz keine Spur, eher der klägliche Versuch, den verspannten Körpern ein wenig Entlastung zu geben.

Mit einem Wort: beste Unterhaltung. Krachend, wüst, anarchisch.

Die Muse kauft sich anschließend ein T-Shirt, dann fahren wir heim und freuen uns still.

17:04

Der prognostizierte Sturm ist angekommen. Habe vorsichtshalber die Jalousien zur Hälfte herabgelassen, es blitzt, es schüttet aus Eimern, der Wind heult in Ritzen. Ein Glück, dass ich kein Seemann bin. Im Flugzeug säße ich auch nicht gern. Aber alle sind zu Hause, niemand muss vor die Tür, mal sehn, was noch folgt.

17:10

Schon wieder vorbei?

17:45

Ein paar Tatütataaas vor zehn Minuten, immer noch kräftiger Wind, Düsternis, eine fast zuende geschriebene Kurzgeschichte, die Lösung für meinen unter Batteriebetrieb sich ständig in den Ruhezustand schaltenden Laptop gefunden (die Batterie saß locker, mit Pappe festgeklemmt), gleich gibt's Essen, morgen schreibe ich den Rest der Geschichte.

 

Fr 19.01.07   14:22

Wer das Leben nicht erträgt, muss putzen. Klingt, als hätte da jemand nachgedacht, aber bei aller Erträglichkeit des Seins muss eben hin und wieder doch geputzt werden, hilft nichts. Nachdem ich mich gestern über die auf allen Kanälen auftauchenden Männer und Frauen (Homo Sapiens?) mit unterarmgroßen, fellbesetzten Knochen gewundert habe, habe ich also heute geputzt.

Passte zum blankgefegten Himmel und zum Regenbogen gegen zehn. Ich gebe zu, mein Standard ist eher niedrig, was wohl daran liegt, dass ich das Leben trotzdem ertrage. Habe gestaubsaugt, gebügelt, gespült, Wäsche gewaschen. Und gerade, als ich vor der Waschmaschine im Keller stand, fiel mir auf, dass die Waschmaschine des jungen Mannes, der aus einem Wohnheim in unser Haus ausgewildert wurde, damit er sich an das wirkliche Leben gewöhnt, schon seit drei Tagen still vor sich hinleuchtet. Die gewaschene Wäsche darin stockt. Offenbar ist das Auswildern schwieriger als allgemein angenommen.



Sa 20.01.07 11:13

Was es alles gibt....

 

So 21.01.07   12:46

Ich war in Berlin. Ich suchte ein Zimmer. Ich ging quer durch die Stadt, was bei der Größe Berlins vermessen klingt, aber so war es. Ich kannte die Stadt, dennoch kam ich ständig an Plätze, die ich mit anderen Städten verband. Auf einem dieser Plätze war eine Kirche. Eine normannisch aussehende Kirche, wie man sie in Westfrankreich findet oder in England. Der Gottesdienst war gerade zuende. Auf dem Kirchplatz kniete eine unübeschaubare Anzahl Jungen in schwarzen kurzen Hosen. Sie hielten Brotmesser wie Lanzen und bedrohten die Kirchgänger. Ich ging weiter und kam ans Ende der Stadt. Dort waren Bunker. Ich ging hinein und fragte nach Zimmern. Man sagte, man habe keine Zimmer, und die, die man habe, seien voller Giftschlangen. Zum Beweis zeigte man mir Schlangenhäute. Ich ging weg und traf Alban R. und Billus D. Sie gingen Hand in Hand. Billus war quadratisch.

 

Mo 22.01.07   15:55

Nichtsnutz an alle: mayday mayday....

 

Di 23.01.07   10:45

Da könnte ich finden
aber ich glaube, ich habe da schon gesucht,
ich war jünger, 
ich hatte den Kopf voll,
ich hatte Namen und Pläne,
ich kannte Lösungen und wusste,
ich hatte keine Skrupel, ich hatte
den Aufruhr gehört, ich hatte
verstanden, ich hatte
mir aufgeschrieben, um nicht zu vergessen,
jetzt traue ich den Notizen nicht mehr,
und zögere, vor die Tür zu gehen,
denn die, die damals andere Pläne hatten,
bewachen heute ihre Schreibtische und sorgen dafür,
dass niemand öffnet, wenn es schellt.

Sie haben Gründe, sie haben gezahlt,
sie haben alles richtig gemacht,
sie haben sich alles hochrechnen lassen
und können jede Frage beantworten.

Unsereins ist beinahe mutig,
aber was nützt das jetzt, gar nichts.

Unsereins hat Stapel Papier,
sie haben Konten.

Unsereins hat Anusjucken,
sie haben Bypässe.

Unsereins kann dies, sie können das nicht.

Soll unsereins stolz sein. Ja oder Nein?

 

Mi 24.01.07   11:45

Die Autobahn mit fliehenden Lichtern gespickt überm Land,
Dekorationen im Dunkel:
die Höfe, die kleinen Ansiedlungen zwischen Städten, die Leuchtfeuer der Windkraftanlagen.
Ich folge, ich fahre ab,
stoße ins Dunkel einer schmalem Straße hinunter zu feuchten Flusswiesen,
folge, passiere eine mit Lichterketten geschmückte Laube zwischen Buchen,
kreise, finde die bezeichnete Straße,
folge ihr in ein Wohngebiet, finde die angegebene Adresse, parke und steige aus.  

Wir gehen zum angegebenen Haus, klingeln.
Ein afghanischer Mann öffnet.
Wir treten ein. Wir begrüßen einander.
Der Mann geht zurück in die Küche.
Er bereitet mit seinem Bruder das Essen vor.
In der kühlen Diele ist ein Tisch gedeckt.
Die deutsche Frau kommt und begrüßt uns.
Die Kinder kommen auch.
Wir habe Geschenke für sie und unsere Gastgeber, ehemalige Nachbarn.

Wir sitzen eine Weile im Wohnzimmer. Es wirkt unbewohnt.
Dann ist das Essen fertig:
afghanische Maultaschen mit Rinderhack,
Reis mit Mandeln, Rosinen, Kreuzkümmel,
Geflügelkebab, Gulasch.
Wir trinken Bier und sprechen über andere ehemalige Nachbarn.

Nach dem Essen sitzen alle wieder im Wohnzimmer.
Viel haben wir uns nicht zu sagen.
Bald wird der Fernseher angeschaltet.
Über Satellit kommen Programme aus Arabien, Afghanistan, Indien und Pakistan.
Wären die Protagonisten andere, könnten die Bilder aus Europa oder Amerika stammen.
Der Gastgeber zappt sich in eine afghanische Soap.
Es geht um Liebe, Ehre, Eifersucht.
Manchmal weine er, gesteht er.

Wir schalten um.
Indische Popmusik. Arabische Popmusik.
Mullahs in Talkshows Mullahs in Talkshows Mullahs in Talkshows.

Unser Gastgeber ist in den Siebzigern in die DDR gekommen.
Damals herrschten in Afghanistan Russen.
In der DDR hat er Ökonomie studiert.
Er ist geblieben, er hat geheiratet,
er wurde wiedervereint, er hat zwei Kinder bekommen.

2001 floh sein jüngster Bruder vor den Gräueln der Taliban.
Schleuser haben ihn durch Länder, Wälder und Flüsse getrieben.
Er weiß nicht mehr, welche, er hat noch Angst, aber nun ist er hier.
Er ist geduldet.
Er arbeitet auf einem Golfplatz.
Er hat sich verlobt.
Seine Verlobte ist älter, eine entfernte Cousine.
Sie lebt in Amsterdam, hat ein vierjähriges Kind.
Eine abgelegte Frau.
Er hofft, mir ihr in Deutschland leben zu können.
Vielleicht zu vergessen was keiner vergisst.

22:35

Bescheiden hat
die Welt sich eingemummt in Nacht,
ein Viertel Mond getrunken,
vorher,
ein Wolkenbad genommen auch,
geseufzt, gesagt, es geht auch ohne.

Schon morgen ist es überstanden.
Schon geschafft.
Wenn nicht, auch gut, dann übermorgen.

Was ist ein Tausend Jahr?

 

Fr 26.01.07   12:02

Geschichten lesen ist eine Sache, Gedichte eine ganz andere.
Probierte das gestern im Studio. Carsten saß am Pult und sagte genau das, was ich mir in all meine Romane geschrieben habe, um mich daran zu erinnern, langsam zu lesen.
Langsam, sagte er.
Ich habe sechs Gedichte gesprochen, von jedem drei, vier Takes, die Besten werden wir nehmen.

16:15

Nahrungsaufnahme am zahnlosen Freitag:

Frühstück: Emmi Gries-Töpfli Plaume, Kaffee.
Gegen Mittag: Lacroix Spargelcreme Suppe.
Nach Mittag: zwei Duplo.
Vor einer Viertelstunde: ein Nougatring.

Liegt wohl am Wetter.

22:30

So ein Tag war das also.
Jetzt wird er geknickt und die Hoffnung auf morgen wird wach.

 

So 28.01.07   12:35

Spazierte gestern durch Bombay, spielte den Hippie in Goa,
schipperte mit Andreas umgebauten Lebensrettungsboot von Panjim bis Mangalore,
verließ die Piraten, nahm den Bus nach Mysore, lebte eine Weile im Bandipur Wald,
durchquerte den Dschungel hoch zu den Eukaliptuswäldern um Ootacamund,
übernachtete im Zug nach Cochin, ließ mich auf den Backwaters treiben,
schlug mich durch in die zentralen Berge Südindiens, wo Kerala an Tamil Nadu stößt,
sah Elefanten im Nationalpark, feierte meinen Geburtstag in Trivandrum,
reiste weiter nach Südindien, traf die beiden Australier vom Lebensrettungsboot am Hafen,
schiffte mich ein nach Jaffna/Sri Lanka, nahm den Nachtzug nach Colombo,
fraß mit den Australiern die Tortentheke im Hilton leer,
reiste nach Kandy und Hikkaduwa,
flog nach Kathmandu, bestaunte in Pokhara/Sangarkot den himmelhohen Himalya,
fuhr über Birganji nach Varanasi,
zum Taj Mahal nach Agra und setzte mich in New Dehli ins Flugzeug nach Hause.

Das alles in zwei Stunden.
Mein alter Diaprojektor, den ich längst abgeschrieben hatte, zauberte die Impressionen an Thomas Bild.

Wie mächtig Bilder sind. Noch mächtiger werden sie, wenn man Menschen fotografiert hat. Landschaften verlieren sich in der Vergangenheit. Menschen nicht. An jeden kann ich mich erinnern. Wie jung ich damals war.

 

Mo 29.01.07   10:06

Seltsam, plötzlich funktioniert meine Computeruhr. Hat sie nie getan. Woran das nun wieder liegt? Aber darum sollte es gar nicht gehen. Es sollte darum gehen, wie jung ich damals war. Und was ich alles nicht wusste. Natürlich liegt es im Bereich der Spekulation, was und wie alles geworden wäre, hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, aber da ich mich mit Riesenschritten der nächsten Verpuppung nähere, fürchte ich mich vor nichts mehr, daher heute ein Rat an die, die vieles noch vor sich haben.

Es geht um Frauen.

Ich lese gerade einen höchst unterhaltsamen Roman von Jeffrey Eugenides. Er heißt Middlesex, erzählt zum Einen die Familienschichte griechischer Einwanderer in Amerika, zum Anderen aber die Geschichte eines Menschen, der als Hermaphrodit auf die Welt kommt, eine Weile als Mädchen lebt, dann aber zum Mann wird.

Erschreckend, was man als junger Mensch nicht weiß, vor allem, was die Sexualität angeht, die eigene und die andere. Daher, liebe junge Männer: Penetration ist gar nicht soooo wichtig. Wichtig ist es, die Klitoris zu finden und sie entsprechend liebevoll zu behandeln. Reicht das?

14:55

Nachschlag aus dem genannten Roman, Seite 528:

"Seine Nase stöberte in der Höhlung meiner Kehle. Und dann seine Lippen, gierig, plump. Ich wollte ihn weg haben. Gleichzeitig überlegte ich, ob ich mir die Zähne geputzt hatte. Jerome schob sich auf mich, und es war wieder wie in der Nacht zuvor, ein erdrückendes Gewicht. So kündigen Jungs und Männer ihre Absichten an. Sie legen sich wie ein Sarkophagdeckel auf einen. Und nennen es Liebe." (1)

 

Di 30.01.07   11:15

Ich staune oft. Manchmal träume ich Dinge, die nicht in die diese Welt passen.
Manchmal erwache ich und frage: Wer bin ich?

Gestern abend war ich im Probenzentrum am Hawerkamp. Früher war es dort laut und schmutzig. Schmutzig ist es heute nicht mehr. Laut immer noch. Aus allen Proberäumen dröhnt es. Sänger heulen, Gitarren sägen, Bässe wummern. Schlagzeuger hämmern.

Ich war da, um mit meinem ältesten Sohn und dessen Freunden zu jammen. Hatte ein komfortables Schlagzeug und rumpelte vor mich hin. Der Gitarrist spielte bescheiden. Sehr bescheiden. Der kleine Sänger gefiel mir. Ein Kindergärtner, der den Traum vom Rock 'n Roll Sänger träumt. Er sang mit Empathie und in seltsamen Zungen. Englisch wohl, alles wie früher. Der große Sohn erstaunte mich. Der spielte abwechselnd Bass und Keyboards, Schlagzeug kann er spielen, Gitarre auch.

Woher kann er das alles? Von mir hat er's nicht gelernt.
Irgendwann kam so ein junges Ding, ich glaube, die Freundin des Gitarristen und wollte auch singen. Traf leider nicht einen Ton und zu den gespielten Harmonien fiel ihr schon gar nichts sein.

Ich glaube, Rock 'n Roll ist ein Irrtum wie alles andere.
Aber er macht Spaß.
In diesem Sinne.

Aloahee,
kiffen Sie, dann tut's nicht weh,
saufen Sie, dann wird es bunter,
spülen Sie es einfach runter.

PS.: auf meiner Statistik sehe ich, dass täglich jemand in Paris meine Seite aufruft. Melden Sie sich doch mal. Würde mich interessieren, wer Sie sind und was Sie tun. Vielleicht kommen wir ins Geschäft.

17:04

Erfuhr, dass ich heute früh gegen fünf deutlich:
Ich weiß auch nicht mehr, wie es weitergehen soll, Ruth! gesagt habe.

Nun ist es so, dass ich vier Ruths kenne.
Eine heißt Ruth Underwood, lebt in Californien, New York oder sonstwo (falls sie überhaupt noch lebt) und war in den Siebzigern Percussionistin bei Frank Zappa. Die zweite lebt in Berlin und war einmal in mich verliebt. Es handelte sich um die Liebe eines Kindes zu einem Erwachsenen (mir) und Vice Versa. Die dritte, die in der Abfolge eigentlich die erste Ruth war, die ich je kennengelernt habe, war Schwester Ruth aus dem evangelischen Kindergarten. Die möge bitte in der Hölle schmoren, denn sie war ein Biest. Die vierte schließlich geistert als Gill Supergirl durch unsere Soap.

Mit welcher ich gesprochen habe und worum es möglicherweise ging, dürfen Sie selbst entscheiden.

 

Mi 31.01.07   10:51

Hoffnung zerschlagen.
Verlag entpuppt sich als Druckkostenzuschussverlag.
Scheibenkleister. Also kein Gedichtband. Schade.

14:24

Nach Gespräch mit Verleger neue Perspektive.
Mal sehn... 
Vorsichtiger Optimismus.

Gestern abend Soap Probe.
Höchst interessant was sich da für die letzte Folge zusammenbraut.

Und sonst: der Autor ist stumm. Er verharrt wie das Kaninchen angeblich vor der Schlange.
Allerdings glaube ich das nicht. Das Kaninchen wird fliehen. Ich bin das Kaninchen.

 

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1. Jeffrey Eugenides, Middlesex, Roman, Rowohlt 2003, ISBN 3498016709


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